reinckewagen 20140124 1105748665 Titel:
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VÖ:

Titelliste:
"Hatte ich Dich nicht gebeten im Auto zu warten"
Michy Reincke
Rintintin Records
24.01.2014

1. Steh auf & scheine!
2. Ich will die Sache nicht unnötig in die Länge ziehen
3. Mein schwarzes Herz
4. Deine Augen genügen
5. Gib alles oder vergiss es
6. Raffinierte Methoden im Umgang mit Frauen
7. Sie begegnete mir auf die gleiche Art wie ...
8. Du hast deine Farben verloren
9. Jetzt geht's andersrum
10. Malie, komm tanzen
11. Du weisst wie sehr
12. Epilog





Rezension:

Als 1983/84 der blutjunge Hamburger Musiker und bisherige Student der Germanistik, Anglistik und Psychologie MICHY REINCKE, zusammen mit Freunden, seine erste feste, deutschsprachige Truppe FELIX DE LUXE ins Leben rief, konnte er vermutlich nicht erahnen, dass er 30 Jahre später längst zu den ganz großen und einflussreichsten Popkünstler der Hansestadt gezählt und oft in einem Atemzug mit den alten Elb-Haudegen, von Achim Reichel bis Udo Lindenberg, genannt würde.

Der überzeugte Dylan- und Prince-Fan verfügte von jeher über das ausgeprägte Talent, einfach konstruierte, stimmungsvolle, eingängige und trotzdem nicht selten deutlich aus dem konventionellen Rahmen hervorstechende, niemals langweilige Pop-Melodien zu komponieren, meist auf strikter Gitarrenbasis (ohne jegliche Überlautstärke derer), die er mit einerseits nachdenklichen, fast philosophischen, gleichsam aber auch jederzeit nachvollziehbaren, nacherlebbaren Reimen verbindet, ohne Schnickschnack, dafür jedoch ausgestaltet mit wahrhaft schönen, bildhaften Wortspielen, Formulierungen und ausschweifenden Gedankensphären.

Drei LPs veröffentlichten FELIX DE LUXE zwischen 1984 und 1987, die zwar von nicht wenigen gutwilligen Radioredakteuren im hohen Norden – hier seien v.a. Peter Urban und sein Team des täglichen „Club auf NDR II“ genannt – sehr positiv aufgenommen und entsprechend gefördert wurden, so dass die Band Mitte der 80er zigmal in Hamburg und Umland gastierte und dort frenetisch bejubelt wurde. Bundesweit aber konnte sich das Quintett bedauerlicherweise – trotz traumhafter Popperlen a la „Blonder Clown (Tricks des Glücks)“, „Viel zu viel Zeit (& nichts zu tun)“ und besonders „Nächte übers Eis“ oder (natürlich!) „Taxi nach Paris“ (und keinesfalls zu vergessen: das legendenumwobene „Bomben auf Hamburg“!) – niemals so recht durchsetzen, so dass man Anfang 1988 beschloss, fortan getrennte Wege zu gehen. Bis Sommer 1990 sollte es dauern, bis MICHY REINCKE von heute auf morgen wieder mit neuen Liedern auf den Bühnen Norddeutschlands zu finden war, und diese Titel im Radio nördlich des Rheins zunehmend zum Einsatz kamen. Was mit feinsinnig romantischen, gekonnt schöngeistigen Gitarren-Ohrwürmern a la „Valerie, Valerie“ oder „Niemand kommt so selten vor“ begann, führte zu einem schon seit Langem weit über die Stadtgrenzen Hamburgs hinaus reichenden Dauererfolg des inzwischen knapp 55-jährigen Singer/Songschreibers, der stets auf dem Boden geblieben ist und Jahr um Jahr für herrlich unpathetische, unüberhörbare „Perfect Popsongs“ mit enorm anspruchsvollen, wertvoll sprachlich austarierten, aber niemals übertrieben hochgestochenen Texten sorgt. Kurz nach Jahresbeginn 1991 erschien sein Solo-Debüt „Paris“ beim Medienriesen RCA/BMG (heute: SONY); er tourte unermüdlich durch nord- und mitteldeutsche Lande und rief Ende der 90er Jahre, enttäuscht von den oft unschönen, zermürbenden Gegebenheiten der Industrie, sein eigenes Label bzw. seine – wie er es nennt – selbstbestimmte „Musikfabrik“ RinTinTin Musik ins Leben, wo er seitdem unzählige, regelmäßig ins schwarze treffende CD-Alben zwischen Pop, Rock, Folk und (selbst, wenn er mir gegenüber diesen Begriff schon entschieden zurückgewiesen hat) ‚typisch hanseatischer Coolness’ veröffentlichte. Seit Michy sich nicht mehr den Zwängen des Musikgeschäfts unterwerfen mag, ist er in seiner Arbeit zusehends offener, experimenteller, vielschichtiger geworden – ohne dass die melancholisch-liebenswerte Grundtendenz seiner Lieder darunter litt, wie gleichsam fast alle seiner Beiträge von jeher die Chance hatten, zu realen Dauerohrwürmern mit Anspruch und niemals für den Ex-und-Hopp-Gebrauch zu erwachsen.

Zur Erinnerung: 2010 zelebrierte Michy auf der CD „Palais Salam“ feierlich, fast sakral, die intensivsten und beliebtesten Titel seines bisherigen kreativen Schaffens – von den längst zu Klassikern hanseatischer Popkünste avancierten Ewigkeitshymnen „Nächte übers Eis“ und „Taxi nach Paris“, über phantastische Emotionsbilder („Es wär’ so schön“, „Schade“), bis hin zu der kongenialen Prince-Bearbeitung „Ich bin nicht Dein Mann“ („I could never take the Place of your Man“) – im Klangbild grazil-stiller, akustisch-folkiger, oft gar Smooth-Swing-inspirierter Neueinspielungen; ein Jahr darauf überraschte er mit dem so ungewöhnlich inszenierten, wie augenzwinkernd-lockeren (Unschlagbarer)Pop-plus-(einwenig)Rock-plus-(dafür um so mehr)Chanson-Opus „Der Name kommt mir nicht bekannt vor“. Dieses Meisterwerk war prallgefüllt mit tiefgehenden, aber niemals schwerfälligen Pop-Kleinoden, von denen allein manche Betitelung – z.B. „Hätt ich in meinem Kopf Hände“, „Lass mich heut’ Nacht in der Gitarre schlafen“, „Erzähl mir nicht, dass Du nur tust, was man Dir sagt“ oder sogar „Das schönste traurige Mädchen mit der schlechtesten Laune der Welt“ – nicht nur längst Max-Gold-ähnliche Verbalanarchie an den Tag legte, sondern auch unverkennbar bewies, dass sich Michy schon längst kein X für ein U mehr vormachen ließ und es einfach nicht mehr nötig hatte, radio- und chartskompatiblen Allerweltsschmus im „Baby, ich liebe Dich“-Schema, auf Wunsch irgendwelcher an realer Kunst gar nicht mehr interessierter Plattenbosse und deren eiskalter Marketingstrategen, vorweisen zu müssen – nur, damit deren Budget stimmt! 

Kurz nach der Jahreswende 2013/2014, folgt nun ein weiterer wahrhafter Leckerbissen aus dem Hause RinTinTin: Michy Reincke präsentiert das fast durchgehend nur als phantastisch und überaus gelungen zu bezeichnende Deutschpop-Opus „HATTE ICH DICH NICHT GEBETEN, IM AUTO ZU WARTEN?“, das einmal mehr nicht nur durch seine außergewöhnlich epische Betitelung aus dem Allerweltspopmischmasch dieser Welt herausragt, sondern wiederum mit einer edlen Schatulle voller klanglicher Schönheiten mit Ewigkeitsappeal betört!
 
Als hätte sich die überkandidelte Liverpooler New-Wave-Legende „The Mighty Wah!“ in einer warmen Frühsommernacht, gemeinsam mit Ex-„Soft Cell“ Marc Almond und Phil Spectors Bewährungshelfer, ins glitzernde Nachtleben der Hansestadt aufgemacht, fordert gleich zu Anfang der dralle, bläserverstärkte, mit feinen Strings und Röhrenglocken verschärfte, spürbar British-Soul-angehauchte Eröffner programmatisch: „Steh auf & scheine“! Die CD hat gerade erst begonnen – und schon vernimmt man, nach einem kurzen akustischen Intro, den ersten hell gleißenden Höhepunkt auf Michys neuestem Werk, der sich sehr schnell zum speziellen Favoriten des Rezensenten daraus entwickelt hat (was vermutlich auch daran liegt, dass der fetzige, mit einer absolut positiven, mutmachenden und strikt aufmunternden Intention und der genau dies famos vermittelnden Textzeile „Halte Dich gerade & bewundere die Welt“ ausgestattete Soulrocker sogleich schöne Erinnerungen an mein persönliches internationales Lieblingsalbum des Jahres 2000, „Songs of Strength and Heartache“, eben von Pete Wylies „The Mighty Wah!“, hervorruft, das ähnlich großspurig, voluminös und prall arrangiert war). Widerspenstiger, zutiefst gefühlvoller, ebenfalls einwandfrei britisch inspirierter Romantik-Rock mit dunklen, sacht schleppenden Gitarrenwällen und perlendem Piano, folgt in „Ich will die Sache nicht unnötig in die Länge ziehen“, einem mit hin und her gerissenen, radikal liebevollen und doch einwenig zweifelnden Reimen versehenen Vorhaben, eine geheimnisvolle Frau von sich zu überzeugen, das sich der Künstler selbst zumindest bei der Titelfindung für diese schier grandiose, geschmeidige Pop/Rock-Melange offenbar nicht allzu sehr zu Herzen genommen hat…
 
Eine fröhliche, aufregende, gleichsam zickige Verbindung von schnellem, 50er-Jahre-seligem Rock’n’Roll, mal wieder urbritischen Soul/Wave-Elementen der frühen 80er, und trefflichen Chorpassagen, stellt der luftig leichte, rasante Gitarren-Ohrwurm „Gib alles oder vergiss es!“ dar, der, wie schon der Eröffner „Steh auf & scheine!“, von den blasenden „Boxhorns“, der, laut Michy, „deutschlandweit besten Bläsersektion“, mit voller Kraft vorangetrieben wird, zudem von einem gnadenlos eindringlichen Groove und der wichtigen Botschaft lebt, sich nichts unnötig vorschreiben zu lassen, sondern selbstbestimmt zu leben, zu handeln, zu arbeiten!
 
Ein weiteres Highlight auf Michys aktueller Produktion, das so heißverliebte, wie eingängige, erwartungsvoll vorpreschende Popschmankerl „Malie, komm tanzen“, entpuppte sich mit seiner frohgemuten Leichtigkeit und seiner so wehenden, wie sofort zu merkenden Melodie bald als ein weiterer Favorit des Rezensenten aus „Hatte ich Dich nicht gebeten, im Auto zu warten“, der m.E. nicht nur ab sofort gute Chancen auf häufigen Radioeinsatz haben dürfte, sondern sich Dank seiner lockeren Darbietung garantiert auch sehr schnell als grandioser Konzertaufmischer herauskristallisieren dürfte!
 
In die bei Michys Liedperlen stets besonders intensiv und weitschweifig ausgerichtete Balladenfraktion fallen 2014 z.B. der nächtlich-dunkle, versteckt erotische und doch abgeklärte, überwiegend akustisch inszenierte Pop/Jazz-Schleicher „Mein schwarzes Herz“ oder das sanfte, verträumte, und doch überaus realistische, sehr zurückhaltende Liebesgeständnis „Deine Augen genügen“ – eine hinreißend poetische Ode an eine ägyptische Schönheit zwischen Traum und Wirklichkeit, eine introvertierte und doch so eindringliche Romanze in irgendeinem namenlosen Lokal, irgendwo in den Tiefen der Großstadt. Auch das pianobeherrschte, nahezu durchwegs akustisch-filigran geprägte, und dennoch wuchtige Folkchanson „Sie begegnete mir auf die gleiche Art, wie der Blitz in einen Baum einschlägt“, garniert mit einem sanften Geigen-Outro, gespielt von Starviolinistin Anne de Wolf („BAP“, „Rosenstolz“, Helene Fischer), zählt zu den besten ruhigen, in sich gekehrten und doch höchst gefühlvollen Beiträgen auf hier vorgestellter CD!
 
Etwas zu traditionellen, über weite Strecken getragenen, zugleich enorm textlastigen Pop/Rock, dessen aufmüpfige Rhythmisierung einwenig für höheren Wiedererkennungswert sorgt, aber trotzdem nicht so recht zünden mag, bietet die gewitzte, allerdings etwas oberflächlich gehaltene Lehrstunde in Sachen „Raffinierte Methoden im Umgang mit Frauen“

In der hoch philosophischen Stellungnahme „Du hast Deine Farbe verloren“ gibt es, irgendwo angesiedelt zwischen groovigem Elite-Funk der 70er a la Nile Rodgers und peppigem New Jazz der Folgedekade, eine knackige Stil-Melange zu hören, die zusätzlich noch um verspielte Chanson-Fragmente und heroische, bläserbetriebene Popexkursionen angereichert wurde. 

In „Jetzt geht’s andersrum“ verbindet Michy Reincke plietschen, Dylan'esquen Folk inkl. Banjogezirpe, sachtes Piano, eine kleine, feine Mundharmonika, einwenig knochentrockenen Classic-Pop und ein paar wohlige Country-Einsprengsel zu einem durchaus wohlschmeckenden, allerdings viel zu vorhersehbaren Konglomerat aus zig seiner früheren Kompositionen, sei es „Für immer blond“,  „Juni, Juli“ oder „Baby, das war’s“. Nicht übel, aber eben auch nichts umwerfend Neues. Auch die stille, etwas mährige Gitarrenballade „Du weißt wie sehr“ wirkt übermäßig so, als hätte man sie so oder ähnlich auch schon auf früheren Alben von Michy Reincke vernommen. Ein knapp eineinhalbminütiger „Epilog“ in Form einer nur von Synthi-Streichern, ein paar kaum vernehmbaren Pianoanschlägen und leisesten Akustikgitarren untermalten, einmaligen Wiederholung der Textzeile „Ich will die Sache nicht unnötig in die Länge ziehen / doch ich kann Dich auch nicht einfach so gehen lassen“, beschließt das überaus propere, insgesamt elfte Werk des sympathischen Popdichters aus Hamburg-Uhlenhorst, das dieser mit seinen langjährigen Begleitern Stephan Gade (Bass, u.a. „The Land“), Martin Meyer (pi, Orgel), Ralf Denker (git.) und Jens Carstens (dr, u.a. HR Kunze, H. Fischer, U. Lindenberg) eingespielt und natürlich durchgehend selbst geschrieben und produziert hat.
 
Als „absolut coole Musik für Erwachsene oder die, die es werden wollen“ werden die zwölf Liedbeiträge auf „Hatte ich Dich nicht gebeten, im Auto zu warten“ im ‚Waschzettel’ zur Veröffentlichung bezeichnet. An dieser Äußerung ist durchaus etwa Wahres dran: Das volle Dutzend liebenswürdiger Edelpopperlen, von denen die meisten höchstes musikalisches, kompositorisches, wie lyrisches Niveau aufweisen, und nur ganz, ganz selten wie – gewollte oder ungewollte - Wiederholungen von Früherem wirken, finden mit einiger Sicherheit keinen Platz in den schnellvergänglichen, bekanntlich überwiegend von kulturvergessenen Teenies bestimmten Verkaufshitparaden der BR Deutschland, zwischen vor Vulgarität und ethischer Verirrung nur so strotzendem Primitiv-Hip-Hop, messianisch vor sich hin gegröltem „Frei.Wild“-Gerumpel oder billig und unecht inszenierten Möchtegern-Folkröckchen von „Santiano“ bis „Mrs. Greenbird“. „Hatte ich Dich nicht gebeten, im Auto zu warten“ bietet dagegen vielfältigen, positiv elitären Pop voller meisterlicher Melodien im kongenialen Verbund mit durch gewählten, stets zutreffenden Worten ausgekleideten Bildern für denkende Menschen - sicher überwiegend der Generation 30plus - die überhaupt noch zum simplen Genießen, Goutieren und Empfinden schöner, poppiger Kleinode fähig sind. Wobei hierfür natürlich nicht unbedingt das Lebensalter bedeutsam sein sollte, sondern vielmehr die Begabung, bis zum Anschlag, bis zum tiefsten Grund und Boden, in ein Lied einzutauchen, alle Ecken und Kanten desselben zu erforschen, zu erspüren, vielleicht sogar intensiv nach zu erleben, oder sich dabei sogar zu fragen, ob man manches des Beschriebenen womöglich so oder anders vielleicht selbst schon mal erlebt hat.
 
„Hatte ich Dich nicht gebeten, im Auto zu warten“ ist nicht mehr und nicht weniger als eine wohlig ansprechende, hervorragend austarierte Liedersammlung zum direkten, offensiven und unendlichen Hineinverlieben! Fraglos ein früher Höhepunkt des so eben begonnenen neuen deutschen Popjahres!
(Holger Stürenburg)

 



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