cyril1 20130522 1883645772 Titel:
Interpret:
Label:
VÖ:

Titel:
"Gone Through Years"
CYRIL
Progressive Promotion
Mai 2013

1. in search of wonders
2. sweet alice
3. through time and space
4. gone through years
5. days to come
6. mental scars
7. gate of reflection
8. heading for disaster
9. world is lost
10. final ending





Durch die Zeit reisen können, nicht von Ort zu Ort, sondern von Jahr zu Jahr. Ein Wunsch, den sicher jeder einmal hatte. Weit zurück in die Vergangenheit, um zu ergründen, ob es jemals Atlantis gab und wo das Bernsteinzimmer zu finden sei oder auch voraus in die Zukunft, um sicher zu wissen, dass die Menschheit vielleicht doch auf Kriege verzichten kann, um sich selbst zu überleben. Diese schöne Idee ist steinalt. Es gibt einen Science-Fiction-Roman von H.G. Wells, der einen Zeitreisenden genau diese Reise mittels einer "Zeitmaschine" machen lässt. Aus dem Stoff dieses Buches sind Filme entstanden und mindestens zwei davon habe ich gesehen. Der Film "Die Zeitmaschine" hatte spannende Bilder, aber die beißende Zeitkritik des Buches blieb außen vor. Der Konflikt zwischen den Herrschenden und Unterdrückten, zwischen unterschiedlichen Klassen, dass Menschen andere Menschen unterdrücken, ein Konflikt, der sich durch alle Zeiten zieht, wurde einfach ausgeblendet, weil er unbequem ist in einer Klassengesellschaft, wie der unseren.

Nun gibt es erst seit wenigen Tagen eine kleine und unscheinbare CD mit Musik darauf, die dieses Thema, auf eine Reise durch die Zeit zu gehen, zum Inhalt hat, wenn auch mit einer etwas anderen Handlung. Das Konzeptalbum "Gone Through Years" (Durch die Jahre gegangen), ist das neueste ambitionierte Werk eines Band-Projektes namens CYRIL, hinter dem sich Musiker "verstecken", die so unbekannt gar nicht sind. Sie verwenden die unterschiedlichen Spielarten progressiver Rockmusik mit melodischen Elementen, um sie in einem eigenen Sound neu zu verschmelzen, mit dem sie dann eine fantastische Geschichte erzählen. Voller Fiktionen und dennoch gar nicht weit weg von der Realität. So etwas macht neugierig, denn es liest sich schon mal anders als das, was einem tagtäglich als "Musik" offeriert wird. Inhaltlich geht es darum, in der Vergangenheit etwas zu korrigieren oder wenigstens die Zukunft ein wenig zu manipulieren. Wie das gelingt (oder auch nicht), wird musikalisch sehr abwechslungs- und ideenreich mit insgesamt zehn Songs umgesetzt.

Düster rauschend empfängt mich die Musik und allmählich schälen sich Melodien aus dem dunklen Sound, überlappen sich, fließen ineinander, offenbaren unterschiedliche Charaktere. Ein Piano deutet eine Melodienfolge an und dann bricht die ganze Power von "In Search Of Wonders" (Auf der Suche nach Wundern) aus den Boxen. Der Gesang von LARRY B. ist ungewohnt rau, viel kräftiger, als ich die Stimme von anderen Projekten kenne, getrieben von einem deftigen, drückenden Bass und getragen von Gitarre und Keyboardflächen, erfahre ich von Alice und von ihrem tragischen Unfalltod. In diesen Minuten wird die Idee von der Zeitreise geboren, um ihren Tod vielleicht vorhindern zu können. Was für ein grandioses Intro, dessen Echo am Ende des Songs noch nachhallt, um den Hörer mit "Sweet Alice" mehr über das Mädchen wissen zu lassen. Hier empfängt uns ein spanisch anmutendes Motiv einer Gitarre. Es sind die Erinnerungen an Alice, verspielt, leicht und mit Piano-Tupfern garniert. Der Song umspielt die Grundidee, den Charakter des Mädchens, um auf dem Höhepunkt, nach allerbester Heavy-Metal-Manier, in ganzer Wucht auszubrechen. Und das alles in noch nicht einmal vier Minuten.

CYRIL, die handelnde Person, sucht einen alten Bibliothekar auf, der auf der Suche nach einem alten Buch behilflich ist, die Reise "Through Time And Space" (Durch Zeit und Raum) zu planen. Der Song beginnt beinahe würdevoll, erhaben, so, wie man eine alte Bibliothek betreten würde, um sich dann aber zu einem waschechten Rocker auszuweiten, kräftig und ein wenig - wie im Prog-Rock durchaus üblich - verschachtelt weiter zu fließen, als befände man sich zwischen vielen Regalen und Büchern, so das Bild in meiner Fantasie, durch die mich die schneidenden Klänge einer deftigen Gitarre treiben. Danach kann die Reise in die Vergangenheit beginnen. Das Titelstück "Gone Through Years" (Durch die Jahre gegangen) kommt wie eine klassische Rock-Ballade daher, auf breit ausufernden Keyboard-Kaskaden über die sich Larrys Stimme schwingt. Die Struktur des Songs lebt von einigen frechen Breaks und sogar ein wenig Swing ist eingebunden. So als wäre man gerade in den frühen 1920/30er Jahren angekommen, blitzt zwischen den monströsen Progessive-Parts der frühe Swing hindurch. Man muss schon sehr genau hinein hören, um die verspielten Feinheiten zu entdecken, damit man sie auf der rockenden Reise "durch die Jahre" nicht verpasst oder einfach nur am Ohr vorüber rauschen lässt.

Altertümlich anmutendes Gitarrenspiel signalisiert, CYRIL ist in der Vergangenheit angekommen. Auch "Days To Come" (Tage, die kommen) wächst sich zu einem opulenten Rocker aus, doch ein verspieltes Saxophon sowie stilistische Anleihen aus Dixieland und einigen andere Zitate, die der aufmerksame Hörer entdecken kann, lassen die Reise in vergangene Tage zum Hörerlebnis werden. Hier ist aber die Zeit nicht zu ändern und so schickt sich CYRIL im Song "Mental Scars" (Psychische Narben) - aus der Vergangenheit kommend - an, wieder in die Zukunft zu reisen und kommt, wie der Zeitreisende im Film auch, mitten im 2. Weltkrieg an. Aggressiv und verzwickt gespielte Rock-Passagen münden schließlich in ein Duett, sehr emotional gesungen von LARRY B. und AMELIE HOFMANN. Dieser im liedhaften Stil gehaltene Mittelteil geht wieder in deftigen Rock über, um schließlich, die "mentalen Verletzungen" als mögliches Sinnbild, auch in gleicher Stimmung ausklingen zu lassen. Diese fast sieben Minuten fühlen sich wie eine kleine Hymne an, in die sich der Hörer tief hinein begeben kann, um sie auch mit seinen eigenen Fantasien und Assoziationen zu füllen.

"Gate Of Reflection" (Tor zum Spiegelbild) ist wie ein kleines, kurzes Intermezzo, das den Hörer in die 90er Jahre, auf die Suche nach Antworten ("searching for answers"), führt. Musikalisch geht's deftig und heavy zu und wieder mal stelle ich erstaunt fest, wie sicher Larry mit seiner Stimme umzugehen versteht. Das Stück endet klanglich überraschend und mit der Feststellung: "My world is dying" (Meine Welt stirbt). Doch die Reise in die Zukunft mit der Zeitmaschine geht über diesen Moment sehr weit hinaus, fort in eine ferne Zeit, in der die Welt einem Meteoriteneinschlag entgegen sieht. "Heading For Disaster" (Kopfüber ins Unglück) beschreibt diese Situation und CYRIL trifft noch einmal auf den alten Bibliothekar, der inzwischen allerdings von einem Computer-Hologramm, gesungen von MANUEL SCHMID, ersetzt wurde: "You came out of nowhere, but I'm always here, there's no heaven left for me." Besonders reizvoll empfinde ich es, die beiden Sänger mit ihren unterschiedlichen Stimmungen quasi im Gespräch gegenüber zu erleben und so das dramatische Moment dieser Situation zu unterstreichen. Entsprechend düster und beinahe verzweifelt kommt der Sound daher, schichtet sich Stück für Stück übereinander, klingt immer schwerer, nur die Stimme des Hologramms bleibt davon scheinbar völlig unberührt. Eine zerrende Orgel quält sich beinahe durch den Sound, der von scharfen Gitarrenkaskaden fast zerhackt wird. Diese Gegensätzlichkeit ist wirklich genial gemacht, schlicht der Hammer und für mich der düstere apokalyptische Höhepunkt der Scheibe.

Am Ende muss CYRIL erkennen, dass seine Welt so nicht mehr existiert. "World Is Lost" (Die Welt ist verloren) wird von einem beinahe beschwingt aufspielenden Saxophon eingeleitet, ehe wieder die Gitarre diese Illusion zerreißt. Inmitten der Zerstörung trifft CYRIL den Bibliothekar als Hologramm noch einmal, der offenbar als einziger die gewaltige Apokalypse überlebt hat. Aggressiv stampfende Gitarrenakkorde tragen das wilde Spiel einer Orgel und über allem erhebt sich die Gesangsstimme, wild und laut, wie in einem Inferno, aus dem sich langsam neue Ruhe ergießt. Altmeister Jean-Michel Jarre hätte das auch nicht besser machen können und so fließt die Zeit dahin zu "Final Ending" (Finales Ende), das ruhig, beinahe besinnlich daher kommt, von Gitarre und Saxophon getragen. CYRIL hat noch einmal Gelegenheit, seinen Gedanken zu folgen: "I know this is the final ending", und so vollendet sich die Reise "durch die Jahre", indem sich die Musik noch einmal mächtig aufbäumt und in einem gewaltigen Chor der Klänge endet, scheinbar letztlich irgendwo zu entschwinden scheint.

Das Konzept-Album "Gone Through Years" hat es in sich. Es bietet musikalisch eine Menge, was der Hörer nicht mal eben fix zwischen Rasur und Morgenkaffee konsumieren kann, geschweige denn als fröhlichen Soundhintergrund in der Straßenbahn pfeifen wird. Das gesamte Stück fordert von Beginn an alle Aufmerksamkeit und erinnert mich deshalb an jene Zeiten, da man Musik zwischen Gentle Giant, Genesis und Strawbs als intensives Hörerlebnis bewusst betrieb. Das würde ich hier beim Hören ebenfalls empfehlen, denn diese "Reise durch die Jahre" ist kein seichter Pop-Spaziergang, den sich die Musiker von CYRIL und die Produzenten MAREK ARNOLD und DENIS STRAßBURG da haben einfallen lassen. Also Achtung und die Ohren ganz weit offen gehalten, denn es kommt einiges auf den aufmerksamen Musikliebhaber zu und der wird es, da bin ich mir ziemlich sicher, am Ende nicht bereuen. Mehr davon bitte, wenn live schon nicht vorgesehen ist.
(Hartmut Helms)




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