droste2011 20121216 1896922487 Titel:
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Titel:

"Meine ostdeutschen Adoptiveltern..."
Brüning, Petrowsky, Droste
BuschFunk
17. Juni 2011

1. Wenn der Berliner kommt
2. To welcome the day
3. Im Sparadies der Friseure
4. Folk tale
5. Nature boy
6. 8758/ Das Ding
7. Wenn ein Paket beschlossen wird
8. Restgast in der Oschenreuse
9. Das Neue Usel
10. Making Whoopee
11. Blues usel
12. Pilgerstrom
13. Via Chanteney
14. Marter in Bielefeld
15. Wasabi
16. Die armen Fische

Uschi Brüning und Ernst-Ludwig Petrowsky stehen seit ganz vielen Jahren nicht nur für den freien und den frei improvisierten Jazz. Sie stehen auch für den Humor in diesem musikalischen Feld der allzu Überernsten und geben dem FreeJazz eine Farbe, die wohl tut und diese beiden, sobald man sie einmal erlebt hat, unvergessen sein lässt. Ein musikalisches Paar der Sonderklasse. Trotz dieses Humors wäre ich wohl nie auf die Idee gekommen, die beiden mit Wiglaf Droste, ebenso ein Meister des skurrilen Humors, vor allem in textlicher Hinsicht geistig zusammenzubringen. Die musikalischen Ausflüge des Wiglaf Droste waren dem freien Jazz wohl etwas ferner. Doch man lernt ja immer wieder mal dazu und Menschen mit den feinfühligen humorigen Antennen sind ja auch sehr offen für alles und vieles. Und so weit ist diese Konstellation ja letztendlich gar nicht voneinander entfernt. Zumindest so wenig weit, dass sie überhaupt möglich wurde. Dokumentiert wurde dies auf einer Veranstaltung am 8. August 2010 im Theater am Rand in Zollbrücke, einem Hort für Kunst verschiedener Art und auch für Künstler verschiedenster Gattungen, mittlerweile weitaus mehr als ein Geheimtipp, eine feste kulturelle initiative Institution.

Doch zum Produkt. Ich hatte keine Ahnung, was da auf mich zukommt. Aber das hat man ja als Konsument selten, es sei denn, man ginge immer wieder zu Veranstaltungen von Künstlern, die immer dasselbe vortragen, seit Jahren schon. Wie es zur Zusammenarbeit des Triumvirats kam, weiß ich nicht. Droste erklärte es so, dass er nach einer von ihm nicht gewollten Zwangsvereinigung, welche aus zwei schönen Deutschlands ein hässliches machte, zu der Erkenntnis kam, dass ein jeder Westdeutsche ein Anrecht auf nachträgliche humanistische Sozialisation habe und er sich aus diesem Grund entschied, neben seinen leiblichen "Westeltern" ein ostdeutsches Elternpaar für sich zu adoptieren. Uschi Brüning & Ernst-Ludwig Petrowsky eben.

Die Machart erinnert an das altbewährte Konzept "Jazz Lyrik Prosa". Wir werden mit den witzigen Geschichten und literarischen Ausflügen des Wiglaf Droste konfrontiert. Wir genießen es, geben seiner allerfeinsten Beobachtungsgabe recht, egal was und wen er uns beschreibt. Nichts ohne Überraschungen. Niemand ist uns unbekannt. Manchmal liest Wiglaf Droste über uns selbst. Witzig und pointiert. Mal ist es der Berliner, der sich andernorts begibt. Oder die Sprachverklitterung allein in der Namensgebung von Friseurläden wie auch im politischen Nichtnurnachrichtendeutsch mit satirischem Rückblick auf gute alte Zeiten. Mal ist es eine prosaische ironische Hymne an seine Mutter, die auch etwas mit Sprache zu tun hat, aber nicht nur. Was Strom mit Religion zu tun hat oder auch nicht, auch dies kann man erfahren und natürlich in einer ungeheuerlich treffenden Sprache. Weshalb Wiglaf Droste sich bei der Ode an Bielefeld sehr an Ringelnatz' Stilistik anlehnt, erklärt er selbst. Daß es noch heftiger kommen kann, ergibt sich dann daraus, dass man bestimmte Worte in ein Gedicht "pressen" möchte. Das Ergebnis ist dann sehr sehr witzig! Auch dürfen wir erfahren, was die sinnloseste Arbeit ist, die man sich denken kann. Davon singt er uns, der Wiglaf Droste. Gemeinsam mit Uschi Brüning und Ernst-Ludwig Petrowsky. Mal abgesehen von der Frage, ob es überhaupt noch sinnvolle Erwerbsarbeit gibt.

Die musikalische Spannbreite entspricht dem Improvisations- und Interpretationsvergnügen der beiden hauptsächlich musikalisch Vortragenden. Mit viel Energie, mit großer Musikalität und eben auch jenem von mir bereits erwähntem Humor kann man sich letztendlich nur zurücklehnen und die herrlichen Ausflüge im Gesang von Uschi Brüning wie auch im Saxophonspiel von Ernst-Ludwig Petrowsky genießen. Und auch ab und an den Unterkiefer nach unten klappen lassen, um zu staunen oder aus Überraschung. Beschreiben lässt sich diese Art von Musik durch mich nicht. Es ist für mich - fachlich gesehen - ein unbekanntes Terrain. Ich höre es selten und kenne mich in dieser Stilistik kaum aus. Ich kann nur sagen, dass mir das meiste von den Angeboten aus dieser Richtung überhaupt nicht gefällt. Doch hier - und ich habe absichtlich die beiden öfter live gesehen - gefällt mir, was sie tun, weil ich nicht das Gefühl habe, es "verstehen" zu müssen. Ich brauche es nur zu erfühlen und in diesem Falle erfühle ich es mit Wohlbehagen, Spaß am Entdecken und der Lust, mich auf die seltsamsten musikalischen Reisen mitnehmen zu lassen. Und so fühle ich mich auch immer wieder. Die Einheit ihrer Kunst vermag mich immer wieder in meinem Geiste oder vor meinem inneren Auge, wie man will, auf Gedankenreise zu gehen, sie entführen mich und diese Entführung empfinde ich schlicht und doch alles andere als schlicht: schön.

Immer wieder witzig ist auch, wenn Ernst-Ludwig Petrowsky erklärt, was er da treibt oder zu treiben gedenkt. Das ist ebenfalls pures Kabarett. Die Auswahl der Stilistiken, welche die beiden verwenden ist ja auch grenzenlos und voller Farben, teilweise auch ganz exotischer. Wer möchte sich dem schon entziehen? Sich verzaubern lassen heißt ja manchmal auch dadurch, dass etwas entzaubert wird ... Satirischer Jazz, so könnte man es wohl bezeichnen. Meine Empfehlung!
(Andreas Hähle)

 


   
   
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