at-hgl 20130107 1668837754 Titel:
Label:
Cat.-No.:
VÖ:

Titel:

"Halbes ganzes Leben"
Buschfunk/Marktkram
BF07362
2008

1. Nie Illusion (4:19 Min.)
2. Schnee von gestern (3:12 Min.)
3. Halbes ganzes Leben (3:16 Min.)
4. Los über Null (2:50 Min.)
5. Scherben (4:37 Min.)
6. Lied an einen schlafenden
     Schutzengel (7:22 Min.)
7. EndScheidung (3:17 Min.)
8. Burn Out (2:54 Min.)
9. Flügel (3:59 Min.)
10. Tasse Kaffee (4:24 Min.)
11. Mitte (4:05 Min.)
12. Winterlied (2:32 Min.)


Andrea Timm hat... Stop! Andrea wer? Ach so... Andrea! Timmi! Hat sie es also doch geschafft, ein Album zu veröffentlichen? Schön! Muss man das hören? Womöglich so ein Aufguss von altem Zeug? Renft und so! Bei der Vorgeschichte und den Musikern... Der Riese da am Bass, dieser Markus Schloussen... Der kann ja was. Hat man ja schon mal gehört und gesehen. Bei Renft eben. Der kann sogar singen. Ach - der singt gar nicht... Na dann vielleicht der Behm. Den hat man doch auch schon mal gesehen und gehört. Auch so ein Urgestein. Auch der kann was - wirklich! Aber dieser Dritte? Dieser jungsche Typ... Axel wer? Stammberger? Wer ist denn das? Ach der ist gar nicht so grün... Der hat mit Demmler den kleinen Prinzen gespielt... und bei der Vroni Fischer war er auch... Na da... Reinhören kann man ja mal... Auch wenn es das erste Album von Andrea Timm ist: Die Band macht jedenfalls was her. Und der Produzent, Bodo Strecke, verspricht ja auch sehr hohe Qualität. In seine Produktionen verbergen sich zudem gelegentlich besondere Überraschungen und technische Finessen. Mal sehen, besser hören, was er sich hat dieses Mal einfallen lassen... Kaum legt man die Silberscheibe ein, kommt die erste Überraschung. Eine glockenklare Stimme ist zu hören. 42 Sekunden a capella. Erst danach setzt ganz sanft Stammbergers Gitarre ein. Wow! Die traut sich was! Und sie macht das richtig! Denn das Album, das Andrea Timm vorlegt, ist IHR "halbes ganzes Leben", nicht das der Band, auch wenn die Begleiter Timmis Freunde sind. Gute Freunde! Sie haben ganz maßgeblichen Anteil daran, dass die CD ein echtes Juwel unter den Veröffentlichungen des letzten Jahres geworden ist. Mein Fazit sei an dieser Stelle gezogen. Meine CD des Jahres! Ohne wenn und aber! Unbedingt hörenswert. Aber der Reihe nach...
Bereits im ersten Stück kann man erkennen, worauf es Andrea und ihren Männern ankommt, wohin die musikalische Reise gehen wird. Eben quer durch das halbe Leben. Die Lieder haben tolle Texte und sind musikalisch derartig vielfältig, dass eine Aufzählung einzelner Elemente eher irreführend als hilfreich wäre. Es ist einfach fantastisch zu hören, wie die vier Musiker Stimmungen nach Belieben erzeugen, die den aufmerksamen, gewillten Zuhörer gefangen nehmen, als wäre es das normalste auf der Welt. Ist der erste Titel noch gedankenschwer, schafft es Timmi einem literarisch ausgereiften Text im zweiten Lied, "Schnee von gestern", eine Leichtigkeit zu verleihen, wie ich sie lange nicht mehr in einem Lied gehört habe. Dieser Titel ist ein echter Ohrwurm mit Hitpotential. Auch Dank des auf den Punkt passenden Chors und der brilliant gespielten Instrumente, die Andreas Gesang perfekt unterstützen. Ein einfach perfekter Song. Man kann den Eindruck gewinnen, Timmi verlacht allen Kummer, alles Leid ihres halben ganzen Lebens in diesem Lied und ruft dem Zuhörer zu "He! Los geht's! Nach vorn geschaut, das Schöne entdeckt und was aus dem kommenden halben ganzen Leben gemacht..." Komisch, dass mir gerade hier der Gedanke an einige hochgehandelte Sängerinnen und Chartstürmer kommt, die neidisch erstarren müssten, weil es ihnen noch nie gelang, diese Kraft in ihre Liedchen zu bekommen. Schon für diesen Titel lohnt es, die CD anzuhören. Und sicher ist niemand überrascht, dass es nicht das einzige Juwel auf der CD ist. Im Titelsong, der sich anschließt, erzeugt Andrea eine ganz andere Stimmung. "Halbes ganzes Leben" ist eine wunderbare Ballade. Ein dichter, nachdenklicher, vielleicht sogar ein wenig melancholischer Text, der jedoch keinen Pessimismus verbreitet. Und wieder unterstreicht Stammbergers Gitarre unaufdringlich aber wirkungsvoll, was Andrea uns erzählt. Und so geht es Titel für Titel weiter. Gigantisch starke Texte, wie man sie in der Klasse nur sehr selten in der Fülle auf einer Platte oder CD findet. Dazu spielen die Vier virtuos mit Tonarten, Tempi und Rhythmen, wenn es sein muss sogar innerhalb eines Titels. Sie spazieren vom Chorlied über die Ballade zu spanischen Einflüssen ohne Jazzeinflüsse oder den Blues und südamerikanisches Temperament zu meiden (jetzt hab ich doch aufgezählt. Und - es nicht vollständig - ich ahnte es doch...). Das alles ganz ohne dass die CD dabei irgendwelche ungewollten Brüche erfahren würde. Einfach grandios! Mir erscheint sie sehr stimmig. Wie aus einem Guss, obwohl die einzelnen Lieder so unterschiedlich sind. Zu jedem gäbe es viel zu sagen. Jedes ergreift den Zuhörer, erzeugt neue Assoziationen. Auf das "Lied für einen schlafenden Schutzengel" muss ich allerdings noch einmal besonders hinweisen. Gänsehaut pur! Und das auch, weil die Musiker brillieren. Hier wurde ihnen Platz gelassen, wie in keinem anderen Titel des Albums. Die Reminiszenz an Heinz Prüfer, dem das Album gewidmet ist, ist wohl in keinem Titel spürbarer als hier. Dass "Flügel", jenes Lied, das dem einen oder anderen vielleicht bekannt ist, im Kontext des Albums ganz anders wirkt, als bei vergangenen Auftritten, seinen wahren Sinn zeigt, sei nur nebenbei erwähnt. Genau wie der einzige Coversong des Albums. Das was da so einfach "Tasse Kaffee" genannt wurde, ist nichts anderes als ein grandioses Cover des Mike & The Mechanics-Klassikers "Another cup of coffee". Keine Kopie, sondern Andreas deutsche Adaption. Wer bis hier noch nicht überzeugt war, dass Andrea Timm und Band ein Album der Spitzenklasse eingespielt haben, sollte es nun sein, oder müsste seinen Irrtum bemerkt haben. Andrea Timm, kein Pseudonym von Andrea Berg oder einer anderen Schlagerfee. Das ist erstklassige Musik auf ganz, ganz hohem Niveau. Nicht perfekt. Wenn man mäkeln wollte, kann man sicher ein paar Ecken und Kanten finden. Die zeigen aber auch, wie die Beteiligten um dieses Ergebnis gekämpft haben dürften. Es hebt sich eben weit vom üblichen Einheitsbrei ab. Für mich persönlich ist dieses Album ganz deutlich eines der besten Alben des Jahres 2008. Eindringliche, unter die Haut gehende Texte, perfekte, geniale Arrangements und eine sensationelle Instrumentierung. Ideen wie das gehauchte Saxophon, das an sich der Hammer ist, oder die zarten Klarinettentöne und die überraschenden E-Gitarren Parts, die Jimmi oder Heinz zur Ehre gereicht hätte (Wer spielt eigentlich diese Instrumente? Auf jeden Fall Könner!), machen für mich die Genialität des Albums aus. Und weil es eine echte Bodo Strecke Produktion ist, gibt es, wenn man sich Zeit nimmt, bis zum Schluss hinzuhören, ein besonderes Extra. Auf die Gefahr hin, ausgelacht oder beschimpft zu werden, sei mir ein letzter, persönlicher Eindruck gestattet. In einigen Liedern werde ich an eine Art zu musizieren erinnert, die ich seit dem kleinen Prinzen von Demmler nicht mehr gehört habe. Und das vor allem ob der Art und Weise, wie Melodien entwickelt werden, wie Andrea einzelne Töne setzt, Rhythmen variiert und mit den begleitenden Instrumenten harmoniert. Ganz extrem fiel mir das beim Titel "Mitte" auf. Jeder Vergleich verbietet sich ja eigentlich in dem Zusammenhang. Ich tue es trotzdem, zumindest für mich. Dieses Album einer verletzlichen wie starken Frau, Andrea Timm mit ihren ehrlichen Liedern, ist für mich vom gleichen Kaliber. Ein wirkliches Schwergewicht. Bleibt zu hoffen, dass die erste CD von Timmi nicht ihre einzige bleibt, dass diesem Hammerwerk eine tolle Tour folgt, dass irgendein mutiger Musikredakteur das Potential der Titel erkennt, und, und, und... Liebe Timmi, meine verehrten Herren, Danke für eine wunderbare CD, die seit langer Zeit ihres Gleichen sucht. Chapeau!
(Fred Heiduk)