mitteregger2008 20130107 1344681758 Label:
VÖ:
Best.-Nr.:  

Titel:

Manoscrito / Edel
23.05.2008
MANO080102

Schiff (5:56 Min.)
Lass Dir nix erzähl'n (4:28 Min.)
Leicht (5:14 Min.)
Kleiner Campeon (3:08 Min.)
Glaspalast 2007 (4:39 Min.)
Weh! (5:13 Min.)
Glückskind (4:34 Min.)
War ja klar (2:37 Min.)
Deal (4:35 Min.)
Wenn Du hier wärst (3:01 Min.)
Chrosmaeister (3:26 Min.)
Segeln im Regen (3:00 Min.)
Bis später (4:00 Min.)


Frischer Wind aus der deutschsprachigen Richtung weht uns seit einigen Jahren schon um die Ohren. Das tiefe Tal mit haufenweise minderwertigen Wohnzimmerproduktionen und Kindergeburtstags-Reimerei scheint vorbei zu sein und hat sich in den Pop-Mainstream-Bereich verlagert. Es sind inzwischen wieder eine Menge guter Produktionen dabei, doch dieses Jahr scheint der bisherige Höhepunkt zu werden. Nach Lindenberg und BAP gibt es jetzt auch ein neues Album von Herwig Mitteregger! Vor exakt 11 Jahren bin ich das letzte Mal in den Plattenladen gestiefelt, um mir die neueste Platte eines meiner Lieblingsmusiker zu kaufen. Auch auf dieses Album hatte ich damals fünf Jahre gewartet und war sehr neugierig auf das, was mich erwarten würde. Diesesmal war die Wartezeit länger... viel länger... viel zu lange! Die Neugier aber nicht minder, sondern sogar noch stärker. Die Mitteregger-lose Zeit war manchmal wirklich nicht schön. Auf der Suche nach einer alternativen "Droge" ist man nicht selten böse vor die Wand gelaufen.
"Insolito" heißt Herwigs neuestes Studioalbum. Schon alleine der Name macht neugierig, heißt der spanische Titel ins Deutsche übersetzt doch "unüblich", "ungewohnt" oder "fremdartig". Womit Herwig auch bei der Betitelung seines Werks nicht völlig daneben liegt, hört man doch erstmals sogar Jazz-Klänge ("Bis später") von ihm. Wer eine Fortsetzung seiner "Immer mehr"-Schaffensphase erwartet hat, ist auf dem Holzweg. Der Opener des Albums, "Schiff", weht dem Hörer zwar gleich den typischen Mitteregger-Sound um die Ohren, doch man erkennt sofort, dass auch er im neuen Jahrtausend angekommen ist. Eine fast 6-minütige Nummer im modernen Klangewand. Die gesamte Scheibe gibt neue Impulse, macht Appetit auf mehr und fordert förmlich dazu auf, weitere Runden im heimischen CD-Player zu drehen. Es kommt nur noch selten vor, dass eine neue Platte beim ersten Hören zu überzeugen weiß. Bei manchen Veröffentlichungen muss man sich "erstmal reinhören". Das ist bei "Insolito" nicht nötig. Auch wenn die Titel auf der CD von einer musikalischen Facette zur nächsten hüpfen, erreicht Herwig den Hörer sofort. Mitziehende Gitarren, einzigartige Klavier- und Keyboard-Einsätze, Mittereggers große Kunst am Schlagzeug und dazu wieder diese unverwechselbaren Songtexte... all das machen aus der CD etwas sehr Besonderes.
Dass sich der ehemalige Spliff-Drummer bei der Produktion etwas gedacht hat, ist kaum zu überhören. Laut eigener Aussage in unserem Interview würde er nie einen seiner Songs neu abmischen oder gar neu einspielen. Dafür aber einen Spliff-Klassiker, "Glaspalast" in der 2007er Version. Schlicht arrangiert, nur mit Gitarre und ein paar kleineren Spielereien im Hintergrund. Depressiv, düster und absolut überzeugend. Die anderen, komplett neuen Titel sind technisch einwandfrei umgesetzt, als hätte Herwig in den letzten 11 Jahren nichts anderes gemacht. Dem einen oder anderen deutschen Rockpoeten sagt man nach, er habe sich weiterentwickelt. Was nicht selten eine freundliche Umschreibung dafür ist, dass die Musik und die Texte einfach nichts mehr mit dem zu tun haben, was man von dem Künstler gewohnt ist. Das kann man von den Texten und der Musik auf dieser Scheibe nicht sagen, denn hier ist "Weiterentwicklung" tatsächlich etwas Positives. Das, was ich persönlich an deutscher Musik schätze, wird hier in vollem Umfang bedient: Anspruch und die Voraussetzung nachzudenken und hinzuhören, verpackt in tollen Rocksongs und Balladen!
Wie man es von dem Künstler kennt, hat er auch "Insolito" wieder mal (fast) komplett im Alleingang eingespielt. Lediglich zwei Gastmusiker (Saxophon und Gitarre bei den ersten beiden Songs) standen Herrn M. zur Seite. Sowas kann nicht jeder, auch wenn es viele andere versuchen. Meistens klingt das Endergebnis sperrig und unausgegoren. Nicht so hier! Jetzt wird der eine oder andere Leser sicher sagen: "Mensch, der Reder... der beschreibt die Platte mit der Fanbrille auf." Möglich... Fakt ist aber, dass die Scheibe bereits jetzt auch schon anderswo gute Kritiken bekommen hat. Wer etwas mit gutem Deutschrock anzufangen weiß, wird an "Insolito" nicht vorbei kommen. Das Album ist ein Highlight des Jahres, ein Pflichtprogramm nicht nur für Spliff- und Mitteregger-Fans. Es soll jedenfalls keiner mehr über mangelnde Qualität bei Neuveröffentlichungen jammern. Hier kann man sie finden! Einzelne Titel herauszuheben fällt wieder mal sehr schwer. Und doch haben sich schon ein paar Lieblingstitel herauskristallisiert, u.a. "Laß Dir nix erzähl'n", "Weh", "Kleiner Campeon" und "War ja klar". Herwig, lass uns ja nicht wieder so lange warten!
(Christian Reder, April 2008)


"Immer mehr / Immer mehr / Immer mehr / Und der Wind weht wieder übers Meer" - so lautet der Refrain einer der atmosphärischsten, anspruchsvollsten und ausdrucksstärksten Beiträge des Genres Deutschrock, welche die 80er Jahre hervorgebracht haben. Komponist, Sänger und Arrangeur dieser schier himmlischen Mid-Tempo-Nummer, die übrigens vom Interpreten in Kooperation mit der in Berlin ansässigen Rockchanteuse Ulla Meinecke betextet wurde, war der am 6. September 1953 in der Steiermark geborene Schlagzeuger HERWIG MITTEREGGER. Dieser war in den 70ern in die damalige Mauerstadt übersiedelt, trat dort der agitativen Politrockband "Lokomotive Kreuzberg" bei, unterstützte Punk-Chaotin Nina Hagen bei ihren ersten beiden LPs und begründete nach dem unrühmlichen Ende der "Nina Hagen Band" die New-Wave/Rock-Combo "Spliff", die 1982 bis 1984 zig Hits (etwa "Heut Nacht", "Carbonara", "Das Blech", "Herzlichen Glückwunsch", "Radio" etc.) feierte, welche - stilistisch und hinsichtlich ihrer tief greifenden Qualität vollkommen unpassend - der seinerzeit überall grassierenden Neuen Deutschen Welle (NDW) zugerechnet wurden, obgleich das musikalische Potential von "Spliff" weit über das der unzähligen Frl. Menkes und Hubert Kahs dieser Welt hinausging und letztlich jederzeit international konkurrenzfähig war. Bereits im Herbst 1983 veröffentlichte Herwig sein erstes, sehr unterkühlt, leicht gehetzt, aber durchwegs sympathisch wirkendes, erstes Solo-Opus "Kein Mut - Kein Mädchen", das er gänzlich im Alleingang eingespielt hatte und auf einer kleinen Club-Tour zwischen Weihnachten und Neujahr mit eigener Band der Öffentlichkeit vorstellte - Kritiker und Fans waren hingerissen.
Kurz zuvor hatte Herwig in einem Berliner Lokal den hochbegabten Liedermacher/Kleinkünstler/Chansonnier Dr. Manfred Maurenbrecher entdeckt und mit ihm einige Alben produziert; kurz danach war er letztmalig mit "Spliff" im Studio und nahm das verhältnismäßig abstrakte, vertrackte Epos "Schwarz auf Weiß" auf, das die Singleerfolge "Radio", "Telephon-Terror" und "Labyrinth" beinhaltete. Ab 1985 gab's jedoch nur noch Mitteregger solo; "Spliff" waren fortan Historie.
Es erschien im Herbst jenen Jahres die durchgehend grandios ausgefallene, überaus stimmungsvolle LP "Immer mehr", aus der eingangs erwähnter Titelsong sich schleunigst als formidabler Radiohit erwies. "Immer mehr" war und ist eine prachtvolle Sammlung authentischer, ehrlicher Pop/Rock-Songs und Balladen - weshalb des Rezensenten liebe Kollegen bei SONY vielleicht einmal erwägen sollten, diesen Meilenstein teutonischer Rockmusik "digital remastered" neu aufzulegen.
1987 folgte die eher introvertiert/philosophisch gehaltene Scheibe "Jedesmal" (inkl. der so traurigen, wie traumhaften Freundschaftserklärung "So'n Abenteuer, wie wir", einem DER Allzeit-Favoriten des Rezensenten!) und zwei Jahre darauf das enorm trotzige, blueslastige, qualitativ natürlich wiederum hervorragende, aber leider ewig unterschätzte und beim breiten Publikum durchgefallene Album "Mitteregger", ausgestattet mit so phänomenalen Rockern der Sorte "Aus und Vorüber", "Niederrhein", "Stadtrand" oder "Orkan" - des Verfassers dieser Zeilen unübertreffbares deutschsprachiges Lieblingsalbum des Jahres 1990!
Still, synthesizer-orientiert, balladesk, zeigte sich 1992 das von Herwig erneut im Alleingang aufgenommene Werk "Wie im Leben", das mich allerdings ebenso wenig vom Hocker gerissen hatte, wie 1997 die dröge, trockene CD "Aus der Stille". Kurz nach Erscheinen dieses inhaltlichen, wie kommerziellen Flops, zog sich Herwig nach Spanien zurück, arbeitete dort überwiegend als Komponist, gründete eine Familie, trat in Deutschland kaum noch auf - wir alten Fans rechneten eigentlich kaum mehr damit, daß sich der hochtalentierte, aber sehr eigenbrötlerische Multiinstrumentalist jemals wieder mit neuem Material zurückmeldet.
Ja, und nun ist das Unerwartete, aber stets Erhoffte tatsächlich geschehen: Weltenbummler Mitteregger kehrte 2006 nach Deutschland zurück, ließ sich in Hamburg nieder und legte kürzlich sein erstes Soloalbum seit über zehn Jahren vor: "Insolito" (Manoscrito Music/INDIGO) ist ein klassisches Mitteregger-Album, immens textlastig, leicht (im positivsten Sinne des Wortes) verschroben, komplex und abstrakt ausgefallen, sehr modern arrangiert, aber, ohne uns Alt-80er/Alt-Fans von Herwig zu überfordern oder gar zu verschrecken.
Ein weiteres Mal spielte der musikalische Kosmopolit alle 13 Songs von "Insolito", ausschließlich mit Unterstützung eines zweiten Gitarristen bzw. eines Saxophonisten, eigenständig ein - 12 brandneue Deutschrock-Perlen, plus einer aktuellen, balladesk-ernsthaft, sehr sparsam/zurückhaltend instrumentierten Neufassung des "Spliff"-Titels "Glaspalast", im Original Ende 1982 auf der LP "Herzlichen Glückwunsch" erstveröffentlicht.
Stilistisch erweist sich "Insolito" als radikal vielseitig und vielfältig - Herwig macht vor keinem Genre Halt. Schon der Eröffner des rund 54minütigen Meisterwerks, "Schiff", bietet eine elegante Mixtur aus zeitnahen Trance-Elementen und heavy Rockgitarren, im mittleren Tempo gehalten, während Track Numero Zwei, "Laß Dir nix erzählen", einen eher still-philosophischen Eindruck vermittelt, mit einem bitterbösen Text aufwartet und - zumindest den Rezensenten - ganz entfernt an Falcos Abschiedswerke aus "Out of the Dark" (1998) erinnert.
"Leicht", Titel 3 aus "Insolito", besticht durch eine locker-legere Umsetzung, die den melancholischen Text perfekt konterkariert. Knackigen Bluesrock auf Gitarrenbasis, rifflastig, eingängig, an "Dire Straits", "Rolling Stones" oder den "Boss" B.S. gemahnend, hat Herwig auch 2008 im Programm: So etwa "Deal" oder "Chrosmaeister" - wobei letzterer Gitarrenrock-Hammer über einen sehr selbstironischen Text verfügt.
"WEH! berichtet im Sinne einer Hip-Hop-Parodie, stets augenzwinkernd, und mit einem knarzigen Saxophon verfeinert, von der "erbärmlichen Jugend von heute", weshalb der Rezensent beim ersten Hören dieses phantastischen Titels umgehend an Heinz Rudolf Kunze und seine kongenialen ‚Abrechnungen' mit dem von - leider - (zu) vielen jungen Leuten des neuen Jahrtausends zelebrierten, oberflächlichen Zeitgeist dachte. Herwig brillierte auf seinen früheren Solo-LPs ein ums andere mal mit prickelnden, hochemotionalen Balladen (erinnere: z.B. "Bester Freund", "Mein Klavier" etc.) - so auch auf "Insolito", mal mehr schummrig ("Kleiner Campeon"), mal trefflich rhythmisch untermauert ("Glückskind"), chanson-ähnlich ("War ja klar") bzw. gefühlvoll/lieblich ("Wenn Du hier wärst").
Lyrisch präsentiert sich der aus Österreich stammende, später in Berlin lebende, dann nach Spanien "geflüchtete" und nun in des Rezensenten Heimatstadt residierende Spitzenmusiker teils zeitkritisch/ironisch, teils philosophisch/nachdenklich, dann plötzlich verliebt/liebevoll - zudem scheint er auf "Insolito" seine Zeit in Spanien emotional verarbeiten zu wollen.
"Insolito" ist kein Album für den Massengeschmack, schon gar nichts zum Nebenbeihören. Es repräsentiert den besten Mitteregger seit 1990; der Interessierte muß sich ganz langsam und sacht in die einzelnen, noch so unterschiedlichen, aber dennoch wie aus einem Guß wirkenden Klangkaskaden hineinhören, um die wahre Qualität von "Insolito" zu erkennen. Ob "Insolito" wirklich kommerziell ein Erfolg wird, steht in den Sternen (von denen einer sicherlich Herwigs Namen trägt) - Als Idealist mag ich aber prophezeien, daß vorliegendes Alterswerk eines rastlosen, sicherlich nicht immer "einfachen" Genies fraglos zu den kreativsten, qualitativ wertvollsten Deutschrock-Produktionen der "Nuller-Jahre" gerechnet werden muß - und garantiert auch wird! Gesamtnote: Bestwertung!
(Holger Stürenburg, 15./16. November 2008)

 


   
   
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