annamarlenetag 20161218 1162597211 Titel:
Interpret:
Label:
VÖ:

Inhalt:
"Tagtraum"
Anna Marlene
A&O Records
20. Januar 2017

1. Tagtraum (Intro)
2. Oben bei den Sternen
3. Die Frage (Interlude)
4. Arrogant
5. Schneider Wim & Schneiderin
6. Zwanzig Tage
7. Nicht hip
8. Wir sind
9. Alptraum
10. Zeit
11. Oben (Reprise)
12. Listen To Your Heart
13. Vorbei
14. Tagtraum (Outro)





Eigentlich ist es nicht üblich, vorgegebene Pressetexte zu verwenden. Und dies dann als Rezension bezeichnen, wie man es häufig in Print- oder Online-Medien zu lesen bekommt. Ich riskiere diesen kleinen Tabubruch, denn mir stellte sich eine vielfältige Frage: Wie soll man die Intention einer Sängerin wiedergeben und sich damit auseinandersetzen, ohne ihre Gedanken, die Hintergründe, den tiefen Sinn einer Veröffentlichung zu kennen? Was soll man da noch mehr hineininterpretieren? Vor allem gilt dies für die zu besprechende CD von Anna-Marlene, weil ihre Gedanken nicht so leicht nachzuvollziehen sind. Das wäre wie ein Stochern im Nebel. Der folgende Pressetext liest sich zwar recht kompliziert. Ist er aber nicht, wenn man den einzelnen Songs aufmerksam lauscht. Dann erschließt sich dieses „Mysterium“ von selbst:

„Inhaltlich und musikalisch kristallisieren sich drei Teile des Albums heraus: Der erste Teil „der Tagtraum“, in dem sphärische, offene Stücke und Klänge den fantastischen Charakter einleiten und das lyrische Ich in einem Zustand des Traums, des Idealismus ortet. Der zweite Teil hört sich an wie der Kern, wie die Realität des Individuums und dessen Konflikte und Interaktionen mit der Gesellschaft. Die Songs handeln vom eigenen Ego, von Phänomenen der Liebe, von Problemen und Hoffnungen des lyrischen Ichs. Der letzte Teil leitet mit der orchestralen „Reprise“ des Themas wieder eine Meta-Ebene ein, in der eine Vision vorgestellt wird: Schafft es das lyrische Ich, seine Träume, seinen Idealismus in seine Realität zu integrieren? Leben wir unseren Traum? Wie können wir unsere Welt positiv verändern? Und woran glauben wir? Diese drei Formteile des Albums, die sich auch musikalisch unterscheiden, bilden ein vages Schema, einen inhaltlichen Fluss, der den Zuhörer an seine eigenen Träume heranführt.“

Es ist nicht die allererste Platte von Anna-Marlene Bicking. Im Juni 2015 kam eine sechs Songs umfassende EP als CD namens „Glückskind“ auf den Markt. Jetzt also dieses Projekt. Ich begriff schnell, dass dieses Album nicht ohne „Crowdfunding-Aktion“, also der Finanzierung durch viele Musikfreunde und Institutionen, realisiert werden konnte. Wenn man liest, wer alles an der Produktion oder Inspiration dazu beteiligt war, versteht sich das von selbst:
Das Deutsche Filmorchester Babelsberg, das Studio Quartett Berlin, Ihre Band, Filmuniversität Babelsberg, einzelne Gastmusiker, um einige Beispiele zu nennen. Und es war auch Andreas Bicking beteiligt, der Vater von Anna-Marlene. Ihn kennt man in der DDR-Musikszene nur zu gut. Wie man in ihrem Interview mit der Deutschen Mugge nachlesen kann, spielte er „in den 70ern bei FUSION, danach zusammen mit Angelika Mann in der Gruppe OBELISK und als Nachfolger von Thomas Kurzhals bei STERN MEISSEN“. Das ausführliche Interview hält noch weitere überraschende Momente bereit, mit vielen Attributen, die diese unheimlich kreative und sympathische Sängerin und Komponistin auszeichnet.

Sie bezeichnet ihren Musikstil kurz als „Kunst-Pop“. Dabei kann sie auf ein solides Fundament mit vielfältigen gesanglichen Ausbildungen in den Bereichen Rock-Pop-Jazz zurückgreifen.
Beim instrumentalen Intro „Tagtraum“ wurde mir schnell klar, wie das zu verstehen ist. Auf einer akustisch rauschenden Woge zu Beginn dieser Komposition gerierte Ihre Stimme zum Soloinstrument des begleitenden Orchesters. Alleine diese im wahrsten Sinn kunstvolle Passage mit klassischen Elementen weist den Weg zu den weiteren anspruchsvollen Songs, die alle von ihr stammen. Und regt die Fantasie an, die zu einem gedanklichen Film-Soundtrack mutiert.

„Oben bei den Sternen“. Eine Quintessenz aus dem Song lautet: „Da oben steht der Beweis, dass man ’s gut mit uns meint“. Das lädt zum Traumwandeln ein. Ein meditativ angehauchtes instrumentales Zwischenspiel ist ohne Frage „Die Frage“ (Interlude), während man anschließend mit einem flotten Tanzrhythmus aus den Tagträumen herausgeholt wird: „Arrogant“. Dieser Song sowie „Nicht hip“ fallen alleine schon rhythmisch etwas aus der Reihe – ein bisschen im Stil der ‚Neuen Deutschen Welle’. Es darf auch mal fetzen, weil Träume oft abrupt zu Ende gehen. Ein sphärischer Beginn mit elektronischen Elementen lässt den Hörer zu „Schneider Wim und Schneiderin“ schweben. Ein zugegeben ungewöhnlicher Titel. Sie singt darin vom „Alter Ego“ („Das andere Ich“). So stelle ich mir einen exemplarischen Hit abseits der oft unsäglichen Mainstream-Welle vor, mit der wir überflutet werden. Ihre Stimme schmiegt sich mit einem fantasievollen Text und einer eingängigen Melodie in die Gehörgänge.

Gut fünfeinhalb Minuten dauern „Zwanzig Tage“, die mit prägnanten Klavieranschlägen sowie Orchesterbegleitung beginnen. Die Flöte spielt dabei ihr Vater. Mit einem Augenzwinkern: An dieser fast andächtigen Komposition hätte Ed Swillms (KARAT) sicher seine helle Freude, wenn sie ihm denn eingefallen wäre. Ein Gänsehauterlebnis in Moll mit einem wunderbaren Orchesterarrangement.

Mit glockenklarer Stimme zelebriert sie bei „Wir sind“, mit Klavier- und Orchesterbegleitung untermalt, ein fast klassisch anmutendes chansonhaftes Kunstlied, das auf ein bombastisches Finale hinsteuert, dann aber unerwartet sanft ausklingt. Wer schon einmal einen Alptraum erlebte, kann ihn bei der instrumentalschrägen Komposition gleichen Namens musikalisch nachvollziehen. Zum Glück mit beruhigender akustischer Auflösung.

Im Takt eines Metronoms empfindet sie die „Zeit“ nach, begleitet von Violine und Vibraphon. Darin fordert sie mehr Zeit für sich selbst, für eine neue Chance, eine neue Geschichte, eine neue Welt ein. Die teils mystische Soundcollage steuert u.a. das Filmorchester Babelsberg bei. Dass einem Assoziationen mit zuweilen klassischen Interpreten einfallen, ist eine interessante Selbsterfahrung, wenn man das mit Anna-Marlene Bicking verbinden kann. Die zwölfte Komposition „Listen to your heart“, in deutsch gesungen, wurde mit dem Studio Quartetts Berlin eingespielt. „Vorbei“ an Scherben und Frieden mit schönen Percussioneinsätzen geht es schließlich zum wieder instrumentalen „Outro“ ihres Tagtraums, der das Album abrundet.

Ich kann mich kaum erinnern, dass mich die deutsche Produktion einer Solokünstlerin von Anbeginn so faszinierte und überzeugte. Wie soll es weitergehen, wenn die stellenweise an ein Konzeptalbum erinnernde Scheibe einen so hohen Level vorgibt? Anne-Marlene setzt wirklich neue Impulse mit diesem Crossover- Projekt. Daher darf die weihnachtliche Vorfreude gern auf das Jahr 2017 übertragen werden, wenn die CD am 20. Januar offiziell erscheint. Vorbestellung ist schon jetzt möglich. Was ich im schön bebilderten Inlet allerdings vermisse, sind die Texte. Gerade, weil sie so anspruchs- und inhaltsvoll sind, würde man sie gern beim Hören zur Hand nehmen, um sie noch mehr verinnerlichen zu können.

Eine vereinfachte und relativierende Beschreibung ihres Albums möchte ich nicht unerwähnt lassen. Sie schreibt:

„Ich mache ein Album, das einen aus bestehenden Hörgewohnheiten herauslöst, das zur Selbstreflexion über das eigene Leben einlädt, das alle Gedankengänge zulässt, wie in einem Tagtraum“ und „Meine Musik ist zum Zuhören und Tagträumen gedacht. Sie wirkt weder beim Nebenbeihören noch beim flüchtigen Konsum.“

Genau so ist es und so empfand ich es. Diese kleine Herausforderung sollte man unbedingt annehmen! Mit Sicherheit wird dies nicht nur einmal geschehen.
(Gerd Müller)



Videoclips:

Premiere: "Oben bei den Sternen" (Off. Video)
 
"Tagtraum" (Hinter den Kulissen)


 
Video zur Aktion:


 
Albumplayer (In jeden Song reinhören ...)




   
   
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