kl-gdz 20130621 2050493380 Titel:
Interpret:
Label:
VÖ:

Titel:
"Gegen die Zeit"
Katrin Lindner
ZuG Records
21. Juni 2013

1. Lass dich ein
2. Ich dreh mich um
3. Die kurzen Sünden
4. Abschied
5. O la la
6. Zerstörung
7. Fragen
8. Weil sie einsam sind
9. Du denkst nicht wie ich
10. So nah
11. Schwimm ganz allein
12. Ketten sprengen
13. Wir sind die Täter
14. Auf dem Weg





Selten hab ich ein Album gehört, dass mich so tief berührt hat, wie das neue Album "Gegen die Zeit" von KATRIN LINDNER. KATRIN LINDNER gewährt in 14 neuen Liedern viele tiefe Einblicke in ihre Gedanken- und Gefühlswelt, ohne dabei die Zuhörer belehren zu wollen oder irgendwie zu moralisieren. Vielmehr erzählt sie in ihren Liedern von Themen, die sie, eine gestandene Frau, die in ihrem Leben einiges erlebt hat, aktuell bewegen. Wie persönlich sie das macht, welche Emotionalität sie dabei in ihre Interpretationen legt, ist ergreifend.

Die Texte der einzelnen Titel transportieren in ihrer ungekünstelten, geradlinigen Lyrik eine riesige Bandbreite von Gefühlen. KATRIN LINDNER schuf Lieder, die die Gefühlswelt in vielen Facetten von tiefer Melancholie bis zu überbordender Lebensfreude umfassen. Diese Breite setzt sie auch stimmlich um. Die Sängerin überzeugt vom ersten bis zum letzten Ton mit ihrer unvergleichlich ausdrucksstarken und so ungeheuer wandelbaren Stimme. Nicht viele vermögen so viel Gefühl in die Stimme zu legen, wie KATRIN LINDNER es kann. Und genau das tut sie auf dem neuen Album einmal mehr in ihrer eigenen unvergleichlichen Art und Weise. Oft sind es nur kleine Nuancen in einem Takt, das feine Vibrieren eines gehaltenen Tons, ein kleiner scheinbarer Überschlag der Stimme was ihre Interpretationen einzigartig machen und ihnen zugleich Authentizität, aber auch eine spürbare menschliche Wärme verleihen. Einzelne Titel klingen geradezu jugendlich ungestüm, während bei anderen eine gewisse Melancholie in der Stimme zu klingen scheint. Was immer KATRIN LINDNER singt, es ist überzeugend und klingt ehrlich. So kann man nur singen, wenn das gesungene aus tiefstem Herzen kommt. Wenn man das in gewisser Weise sogar noch erwarten durfte, verblüfft die Studioband (die auch ihre Live-Band ist) mit ungeheurer Spielfreude, gepaart mit unbeschreiblichem Einfühlungsvermögen und quasi der gleichen Intensität wie ihre Sängerin. Für das Album hat sich KATRIN LINDNER wieder einmal ein paar befreundete, erstklassige Musiker an ihre Seite geholt, von denen man ein paar auch schon auf ihrem Vorgängeralbum "Nichts bleibt" (2010) hören konnte, und das hat dem Album richtig gut getan. Es ist phänomenal welche Töne Sonny Thet seinem Cello entlockt. Er legt gemeinsam mit André Gensickes Piano ein ums andere mal die musikalischen Grundlagen der Titel, die durch den Einsatz der anderen Instrumente vollendet werden. Ronny Dehns mehrfach im Jazzstil gespieltes Schlagzeug aber auch der eine oder andere Basslauf sowie Andreas Bayless virtuoses Gitarrenspiel prägen die einzelnen Songs ein ums andere Mal. Ziehen die einzelnen Titel ihre besondere Strahlkraft aus dem Zusammenspiel der Instrumente, perfektioniert KATRIN LINDNERs Stimme die einfachen Lieder und macht daraus musikalische Kostbarkeiten. Stilistisch bedient Katrin Lindner und ihre Band dabei eine große Bandbreite. So prägen Chansontöne und Jazzelemente ebenso die Titel, wie Popelementen oder Elemente aus dem Folkbereich. Selbst lateinamerikanischen und orientalischen Melodieelementen haben in Titeln Eingang gefunden.

Das Ergebnis ist ein großes Album voll mit Liedern, die kleine Alltagsgeschichten in klaren Worten einfühlsam erzählen und den Zuhörer nicht nur teilhaben lassen, sondern ihn mitreißen. Ein ehrliches Album, das von großartigen Künstlern virtuos eingespielt wurde und in seiner einfachen Schönheit seines Gleichen sucht. Das Album startet mit einem tollen, fast klassischem Klavier zu dem sich ein sehr schön gespieltes, gefühlvolles Cello gesellt. Nach 15 Sekunden weiß man: das Album hat nichts, aber auch gar nichts mit der belanglosen, beliebig auswechselbaren Massenware zu tun, die man von den Stars und Sternchen abgeliefert bekommt, die in die Charts oder die Rundfunkrotation gehypt werden sollen. Nach 30 Sekunden hat der Titel "Lass Dich ein" den Zuhörer erreicht und ihn gefesselt. Da ist das ungeheuer präzise Zusammenspiel der Instrumente, die zudem eine tolle Unterstützung KATRIN LINDNERs Stimme darstellen. Da sind die warmen, langen Cellotöne und da ist ganz unverkennbar KATRIN LINDNER. Wenn sie Töne aushält, wenn ihr tolles, einmaliges Vibrato hörbar wird, ist der Zuhörer gefangen von der Intensität mit der das Album startet. Spätestens hier wird man zudem eingestehen müssen: die Band ist unglaublich gut. Das sind durchweg Könner der Extraklasse die hier mit viel Liebe zum Detail ganz phantastische Melodien gezaubert haben und das Album zu etwas ganz Besonderem haben werden lassen.
"Ich dreh mich um", das zweite Stück des Albums, ist ein großartiges Lied. Schlagzeug und Piano geben ihm einen etwas jazzigen Anstrich. Das Cello verleiht ihm Ruhe. Es webt eine weiche schwingende Melodie als Gegensatz zu den Tönen KATRIN LINDNERs, die im Rhythmus des Schlagzeuges ihre Töne sehr kurz und präzise setzt. In Verbindung mit dem Text ist mit "Ich dreh mich um" etwas Beispielhaftes entstanden. So klingt für mich ein positives Lied.
Ein ganz anderer Eindruck wird bereits beim Intro des Titels "Die kurzen Sünden" vermittelt. Hier bezaubert ein beschwingtes Motiv aus ganzen 10 Tönen, das dem Stück noch vor dem ersten gesungenen Wort seinen Stempel aufdrücken. Durch das Akkordeon, das das Motiv spielt, fühlt man sich nach Paris oder in den Süden Frankreichs versetzt. Einmal mehr fällt das tolle Zusammenspiel der Instrumente auf, die - jedes für sich unverzichtbar - ihren speziellen Teil zur beschwingten Gesamtstimmung des Stücks im 3/4 Takt beitragen. Es ist außergewöhnlich wie sie Takt für Takt KATRIN LINDNERs Stimme zu unterstützen und gleichzeitig hervorzuheben scheinen. Auch wenn das Thema des Liedes angebracht scheint etwas wehmütig in die Welt zu blicken, "Die kurzen Sünden" ist ein Lied, leicht wie ein Sommertag, von dem man das strahlende Gelb der Sonne in Erinnerung behält.
Unaufgeregte und dennoch wie ein Wirbel wirkende Klaviertöne, zu denen sich das mit langen Strichen gespielte Cello zunächst mit Basstönen gesellt, bevor KATRIN LINDNERs Stimme und das Schlagzeug mit richtig hohem Tempo einsetzen - so beginnt "Abschied". Es ist ein Stück, das in seiner musikalischen Vielfalt eine Überraschung nach der der anderen bereithält. Einem Geniestreich gleich, kommt der Melodiewechsel nach der Strophe. Da gerät das Stück fast ins klassische. Einzeln angeschlagene, sehr hohe, gehaltene Klaviertöne erinnern an eine Passage aus dem "Ballett der Küchlein in ihren Eierschalen" von Mussorgski/Debussy. Zusammen mit Sonnys tieftönendem Cello hat diese Bridge eine Wirkung, die man nicht allzu oft in aktuellen Titeln erlebt. Im Refrain wird "Abschied" ein ganz großer, echter LINDNER-Song. Das unvergleichliche Vibrato in Katrins Stimme bei ausgehaltenen Tönen, die aufsteigende Melodie, die die scheinbare Melancholie in ihrer Stimme geradezu aufhebt, und die Brillanz, mit der die Instrumente einzelne Stimmungen des Textes transportieren. Sensationell. Ein ganz starkes Lied, das sich in verschiedener Hinsicht mit "Abendträumen" messen kann.
Noch ganz gefangen im "Abschied", gibt es mit dem Song "O la la" auf dem Album einen tollen Stilwechsel. Nach ein paar Trommelschlägen entwickelt sich aus dem Zusammenspiel des Akkordeons und des Cello ein Reggae, der seines gleichen sucht. Allein die Cello-Töne im Intro sind unglaublich. Einmal mehr zeigt sich, dass Sonny Thet sein Cello lebt - die beiden eins sind! Doch zum exzellenten Reggae machen den Titel erst die Gitarre von Bayless und Ronny Dehns Schlagzeug, ohne unterschlagen zu wollen, welch präzisen Rhythmus einmal mehr Paul Hetherington am Bass vorgibt. "O la la" ist ein - ohne wenn und aber - radiotauglicher Song, obwohl er Anspruch hat. Und KATRIN LINDNER hat hörbar Spaß daran, ihrem Reggae-Feeling Ausdruck zu verleihen.
Im Tempo passend schließt sich der Song "Zerstörung" an. Schlagzeug und Percussion erzeugen - passend zum Titel des Stücks - den Klang klirrend zerspringenden Geschirrs, andere Instrumente heben einzelne Textstellen prägnant hervor. Was sich daraus insgesamt ergibt, ist ein starker chansonhafter Titel mit einem tollen Text. Die hörbaren Bezüge zu Jazz und Big Band Sound machen das Stück musikalisch zum bis dahin vielleicht anspruchsvollsten Titel des Albums.
Dann gibt es eine Art Zeitreise. Das Intro zu "Fragen" erinnert - vermutlich wegen der Art des Keyboardspiels - an die alten Hits der SCHUBERT FORMATION. "Fragen" hätte ebenso gut auf der AMIGA LP "Heiße Tage" aus dem Jahre 1981 sein können. Ein Klassesong mit großer Aussage und fantastisch gespielten Instrumenten, vornean Gitarre und Bass, die man zwar nur latent wahrnimmt, die jedoch eine unglaubliche Melodie zaubern. Bei "Fragen" gibt es noch eine weitere Besonderheit. Im Refrain kann man einen sehr stimmigen Satzgesang hören.
So spritzig "Fragen" daherkam, so dezent entwickelt sich das folgende Lied "Weil sie einsam sind". Hier wird Wirkung erzeugt, indem sehr verhalten und einfach instrumentiert und gesungen wird. Die spielerische Leichtigkeit mit der KATRIN LINDNER dieses recht hohe Lied meistert, beeindruckt. Musikalisch begeistert mich hier besonders der Refrain. Hier überzeugt nicht Opulenz oder ähnliches. Vielmehr sind es die exzellenten Melodieläufe in den wenigen Takten des Refrains, die mich begeistern. Das ist hohe Schule der Musik.
Dem folgt Emotion pur. Wenn Katrin Lindner den Refrain zu "Du denkst nicht wie ich" singt, unterstützt von Sonny Thets Cello und einer fabelhaften Backgroundstimme, dann ist man in den Bereichen angekommen, wo Musik zu Herzen geht. Eine ganz große Ballade mit einem zeitlosen Text. Einfach sensationell.
Genau wie das orientalisch anmutende "So nah" (siehe Video unten). "So nah" geht wirklich nah. Wer sich auf den Text einlässt, dem könnte sich trotz der Leichtigkeit der Melodie, ein Klos im Hals bilden. Irgendwie hat es etwas sehr privates, wie KATRIN LINDNER sich einem Tabuthema nähert und dem Zuhörer dabei ihr Erleben nahebringt. Emotional sicher einer der Höhepunkte des Albums.
Dass sich mit "Schwimm allein" ein ähnlich besinnlicher Titel anschließt, der zumindest von seiner musikalischen Grundausrichtung perfekt zu "So nah" passt, hat mir gefallen. In diesem ruhigen Lied gibt es eine Stelle, die deutlich macht, dass ein einzelner Ton ein musikalischer Kosmos sein kann. Nach etwa 35 Sekunden schlägt Paul Hetherington ganz verhalten eine Saite seines Basses an und lässt den Ton nachhallen, bevor KATRIN LINDNER gesanglich einsetzt. So dezent der Ton gesetzt ist, mir hallt er geradezu in den Ohren und sagt, "Es gibt viel mehr als das Vordergründige, Laute!" Um ein abgerundetes Bild von etwas zu bekommen, muss man auch die leisen, fast nicht hörbaren Töne achten.
Zum anschließenden "Ketten sprengen" möchte ich nicht viel sagen. Diese schöne Ballade, das vielleicht intimste Stück des Albums, muss man einfach auf sich wirken lassen.
Waren die letzten Titel alle recht besinnlich und gedankenschwer, kommt "Wir sind die Täter" ganz anders daher. Vom ersten Ton an spürt man lateinamerikanisches Feuer. Natürlich hat auch der Titel einen tiefen Inhalt. Der kommt jedoch in südamerikanischer Leichtigkeit gewandet daher. Einfach sehr gekonnt, was vor allem das Schlagzeug und die Gitarre hier in den Titel einbringen.
Den perfekten Abschluss für dieses Album bildet das gefühlvolle Lied "Auf dem Weg". Der Song hat eine kleine, getragene Melodie, die zuerst von Klavier und Stimme intoniert und dann vom Cello aufgenommen wird. Der Titel, der mit wenigen Worten eine Lebensgeschichte zusammenfasst, sprüht durch seine ruhige, getragen Melodie geradezu vor Kraft und Optimismus. Das Stück sagt in aller Ruhe aber ganz entschieden: "Es ist gut wie es ist!"

Wenn man Hektik, Stress und der Welten Unglück nicht zur Maxime seines Lebens erklärt oder sich davon beugen lässt, findet man durchaus wertvolle Dinge und Momente, die das Leben lebenswert machen und dem einzelnen Menschen Kraft und Hoffnung geben können. "Gegen die Zeit" ist ein Album, das genau das tut. Es hält den Menschen ohne zu belehren den Spiegel vor und sagt zugleich, "Es ist gar nicht so schwer, Schönes zu erleben, Glück, inneren Frieden und Geborgenheit zu finden, wenn man denn bereit ist sein Leben zu leben und es nicht von außen gestalten zu lassen." Ich sagte es eingangs bereits: "Gegen die Zeit" ist ein Album, das mich tief berührt hat und das kann ich nur nochmals wiederholen.
(Fred Heiduk)


 

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Videoclip:

"So nah"





   
   
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