kingsizegr 20121118 1809012294Als 1983/84 Wolfgang Niedecken und seine Erfolgsformation BAP letztlich in ganz Europa bewiesen, dass sich der schräg-liebenswerte Dialekt der Kölner Südstadt vorzüglich mit klassischem Rock internationaler Machart verträgt und muttersprachlicher Lyrik völlig neue, ungewohnte, wie unerwartete Tendenzen, Dimensionen, Spielarten und Ausdrucksmöglichkeiten zu verleihen in der Lage war, traten nach und nach verschiedene Kölschrocker all over the Bundesrepublik an die Öffentlichkeit. Mit Willi Ostermanns rheinischer Folklore des 19. und frühen 20. Jahrhunderts oder zig - nicht immer unbedingt genießbaren - Karnevals- und Blödelgesängen der Nachkriegszeit hatte all dies wenig gemein. DE BLÄCK FÖÖß, in der jährlichen Fastnachtssaison in ganz NRW höchst begehrt, verbanden spätestens auf ihrer 1984er-LP "Mir klääve am Lääve" sprachliche Eigenheiten ‚op Kölsch' mit schwitzigem Rock'n'Roll ("Ich mööch su jään wieder Kind sinn", "Surfen am Fühlinger See"), eingängigem Rock- und Popschlager ("Oh, Katrin"), gar derbem Hardrock ("Enn d'r Sporthall") oder zackigem Rap ("Huusmeister Kaczmarek"). Anfang 1985 zog die augenzwinkernde Doowop-Elegie über die promisk lebende und liebende "Mc Donalds"-Verkäuferin ‚Kathrin' auf die höchsten Ränge der deutschen Singlehitlisten; im Spätsommer desselben Jahres hymnisierten Tommy Engel und singe Kölsche Jong ironisch "Frankreich, Frankreich", gelangten damit bis auf den neunten Platz der Verkaufscharts; der "Partyservice" bekam 1986 ebenso liebevoll und überzeichnet sein Fett weg, wie die balladesk angeschwärmte, geheimnisvolle östliche Schönheit "Nenja". Der "Asi-Rocker" Jürgen Zeltinger - letztlich der Urvater des härteren Kölschen Rock - stand zwar Mitte der 80er ohne Plattenvertrag da; seine krachenden Gossenhauer früherer Jahre, wie z.B. "Müngersdorfer Stadion", "Mein Vater war ein Wandersmann", "Sommer - Sonne - Herzinfarkt" oder "Schleimig" erfreuten sich nichtsdestotrotz nun auch in Hamburg, Frankfurt, Berlin oder München ungeahnter Resonanz. Bevor zur Dekadenwende 80er/90er Gerd Köster und Frank Hocker ihr hochgelobtes Kurzzeit-Projekt "The Piano has been drinking" ins Leben riefen und mit Kölschen Sichtweisen von Tom-Waits-Blueschansons (und der phänomenalen Kultsingle "Rude Jolf" ("Downtown Train")) an die Öffentlichkeit traten, und die heutzutage äußerst seichte, geradezu ungenießbare Balla-Ballermann-Combo BRINGS, vom seinerzeitigen BAP-Gitarrenmeister Klaus "Major Heuser" entdeckt und produziert, mittels kölschem Mainstream-Rock a la "Ich schenk Dir mi Hääz", "Katharina", "Nur mer Zwei" (1991) bzw. "Nix is verjesse", "Et rähnt enn d'r Rhing" oder "Am Engk vun d'r weiße Ling" (1992) republikweit für Furore sorgte, legte der Urkölner KING SIZE DICK seine in eindeutiger kölscher Mundart gehaltene Hommage an den Rock, Blues und Soul der 50er bis 70er Jahre vor.

"RUSJESÖK" nannte sich das grandiose Werk des bürgerlich als Heinz Ganss geborenen, stimmstarken Brummbären und entstand mit einer auf Einmaligkeit ausgerichteten Begleitband namens DIE FÄDIJE (zu Deutsch: Die Fertigen) und erhielt gesangliche Unterstützung durch rockende Lokalgrößen der Sorte Jürgen Zeltinger, Tommy Engel oder Jane Palmer und Renate Otta, zum damaligen Zeitpunkt Chorladys bei Wolf Maahns "Deserteuren". Die LP erschien im zweiten Halbjahr 1983 bei Jürgen Thürnaus damaligem Musikverlag MAMBO und wurde von WEA (heute: Warner) vertrieben. Obschon "Rusjesök" niemals auch nur in Nuancen an die kommerzielle Reputation von DE PLAAT oder den BLÄCK FÖÖß, geschweige denn der von BAP heranreichen konnte, galten die zwölf unverbrüchlichen Rockstandards, denen King Size Dick und seine musikalischen Unterstützer, mit viel Power, Charme, Witz und Spielfreude neues Leben eingehaucht hatten, schnell als Geheimtipp - überwiegend im Raum Köln, aber auch bei über die gesamte BR Deutschland verteilten Rockgourmets. Folglich avancierte die LP schnell zum viel gesuchten Sammlerstück, das schon seit langem zu horrenden Preisen gehandelt wird und ausschließlich auf speziellen Plattenbörsen, Flohmärkten bzw. in ausgesuchten Zweite-Hand-Läden überhaupt aufzutreiben war. Im CD-Format erschien "Rusjesök" - überwiegend aufgrund der undurchsichtigen Rechte-Lage - vorerst gar nicht. Ein Nachfolgealbum des ‚DICKen' mit DIE FÄDIJE gab es nicht, nur drei Lieder aus der MAMBO-Produktion fanden sich auf der Best-of-Scheibe "Et Bess uss Kölle am Rhing" (1993), die als CD und LP auf den Markt kam. Nun liegt dieses gänzlich zu Unrecht seinerzeit mehrheitlich unbeachtet gebliebene Opus des wohlgenährten Kölschrockers, der kurz nach Weihnachten diesen Jahres seinen 70. Geburtstag feiert, ENDLICH auf CD (SPECTRE Media/Vertrieb:KOCH/Universal/Universal Berlin) vor!

Die Vinylfassung hatte sich der Verfasser dieser Zeilen am Ende der Sommerferien, vor dem Start der neunten Klasse, im August 1984, in Hamburg (!) auf dem ‚Wühltisch' des innerstädtischen Fachgeschäfts "Schallplatten am Mönckebrunnen" erworben. Nachdem ich ein Jahr zuvor erstmals BAP gehört hatte, mich sogleich in Musik, Texte und v.a. den Dialekt verliebte, im Frühjahr des ‚Orwell-Jahres' langsam, aber sicher, selbst Kölsch liehrte und daraus folgend als bis dato noch nie enn Kölle am Rhing jewesene Hanseat begann, Mundartlyrik im Sinne Niedeckens und Co. zu verfassen, kam "Rusjesök" gerade recht - obwohl die LP damals bereits ein Jahr auf dem Buckel hatte und in norddeutschen Radiosendern so gut wie gar nicht gespielt wurde. (Den "Club" auf NDR II nehme ich aus diesem unrühmlichen Tun gerne heraus, da dessen Moderatoren, von Günter Fink über Peter Urban bis zu Lutz Ackermann oder Wolf-Dieter Stubel, immer wieder mal eigene Favoriten und weniger Bekanntes aus Rock und Pop im täglichen "Club" auflegten!) King Size Dick zog für "Rusjesök" alle Register. Prall gefüllt mit feurigem Soul, Erdigkeit, Echtheit und Kraft, röhrte sich der Vokalist und Texter durch die zwölf allseits bekannten Oldies, zu denen er "enn d'r Kölsche Verzäll jehaltene Reime jeschrivve hätt" (Übersetzung: zu denen er in kölscher Mundhart gehaltene Reime geschrieben hatte), deren Inhalte allerdings zumeist nichts mit den englischen Originalversen zu tun hatten. 1967 hatten die jugendlichen US-Collegerocker BOX TOPS einen weltweiten Tophit mit dem eingängigen Popsong "The Letter" gelandet, den kurz darauf der britische Bluesbade Joe Cocker fast ebenso erfolgreich als Neuaufnahme veröffentlichte. An dessen bläserbetonte, energetische Auslegung hielten sich King Size Dick & die Fädije bei ihrer Bearbeitung von "The Letter", die nun "Mi Levve" hieß und vorliegendes Album fulminant, aufregend und heißblütig eröffnet. Der freundliche Reggaeohrwurm "Israelites" stammt ursprünglich von dem 2006 verstorbenen Jamaikaner Desmond Dekker und geriet in diversen Ländern der Erde 1968/69 auf die Spitzenränge der jeweiligen Singlehitlisten. Der "allererste Millionenseller des Reggae" (Wikipedia.de) nennt sich bei King Size Dick "Ich weiß Bescheid" und erzählt locker-flockig, aber roher und rockiger arrangiert, als das Original, von einem Spekulanten, Playboy, Dunkelmann und Pseudohelden einer Großstadt, der seine Konten in der Schweiz und einen Spezi im örtlichen Stadtrat sitzen hat, und somit, scheinbar vom Swimmingpool seiner superteuren Villa aus, ohne großartige Leistung, die politischen wie ökonomischen Geschicke seiner Heimatstadt bestimmt: Eine Klasse, so tanzbare, wie ironische Parodie auf den berühmt-berüchtigten "Kölschen Klüngel", die bei heutigem genauen Hinhören an manche Ungereimtheiten (nicht nur) diverser Staatsoberhäupter erinnert. "Mustang-Elli", eine "superschnelle Schoß uss Ihrefeld" (Textzitat), besitzt einen amerikanischen Straßenkreuzer, mit dem sie ihren geschockten Lebenspartner im Eiltempo durch Köln fährt, so dass das lyrische Ich meint, es hätte lieber ein Taxi rufen oder gleich zu Fuß nach Hause gehen sollen, anstatt sich von ‚Ellis' Raserei in die Nähe eines Magenumdrehens bringen zu lassen. Das Original hieß übrigens "Mustang Sally", war 1966 ein veritabler Erfolg für den Detroiter Soulstar Wilson Pickett und kam 1991 im irisch-englischen Musikfilm "The Commitments" erneut zum beim Publikum sehr gefragten Einsatz.

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Zur Melodie des CREEDENCE CLEARWATER REVIVAL-Evergreens "Bad Moon Rising" (1969, aus der LP "Green River") ersann King Size Dick die liebevolle Betrachtung eines stolzen Kleinbürgers, der in seiner kleinen aber feinen Welt, jenseits von Glanz und Glamour, lebte, kein Abitur absolviert hatte und als Maurer arbeitete - und damit wunschlos glücklich war, während die "Wohlstands-Asis" (Songtitel) herblassend auf ihn und seine Freunde blickten und sich ausschließlich über Reichtümer und Äußerlichkeiten definierten. Der Fußballverein "1. FC Köln" gilt den Bewohnern der Domstadt von jeher als Heiligtum. Zumeist in der Ersten Bundesliga ansässig, stellt der 1948 gegründete Verein dasselbe für die Kölner dar, wie z.B. der HSV für Hamburg, der FC Bayern München für die bayerische Landeshauptstadt oder "Fortuna" für Düsseldorf. Als früher Heavy Metal bzw. "Beginn des Hardrock" (Wikipedia.de) ging "You really got me" von der britischen Beatlegende THE KINKS in die Annalen des Rock'n'Roll ein; 1964 avancierte der kurze prägnante, schnelle Song zu einem globalen Hitparadenstürmer. Daraus kreierte King Size Dick für "Rusjesök" eine laute, mitgrölbare Hymne namens "Mer jonn zum F.C.", die er - natürlich - dem Vertreter seiner Geburtsstadt im europaweiten Fußballgeschehen widmete. Nur drei Tage vor seinem durch einen Flugzeugabsturz verursachten Tod, hatte der US-Soulstar Otis Redding am 7.12.1967 die poppige Soulballade "Sittin' on the Dock of the Bay" eingesungen, die sehr romantisch, wehmütig und sehnsüchtig ausgefallen war, und posthum zu seinem ersten und einzigen Nummer-Eins-Hit nahezu weltweit wurde. Bei King Size Dick heißt die sachte, verträumte Nummer "Ich setz' he am Rhing" und versprüht, nicht anders als das Original, Nachdenklichkeit, Emotionen, Lokalpatriotismus und schöne Kindheitserinnerungen in R(h)einkultur.
"Rusjesök" lief bei mir in der Vinyl-Ausgabe hauptsächlich in der Ära meiner misslungenen sog. "Ersten Liebe" September/Oktober 1984 im Status der Dauerrotation auf meinem Plattenspieler. Zu einem ‚kritischen Soundtrack' dieses unnötigen emotionalen Vorgangs, vernahm ich unzählig oft "Maach mich nit esu fädich", muttersprachlich: ‚Mache mich nicht so fertig'. Das traf zum einen den Kern der Sache haargenau und stellt darüber hinaus bis heute meinen absoluten Favoriten aus "Rusjesök" dar. Es handelt sich dabei um eine Kölsche Version des rasenden Bluesrockers "Gimme some Loving", mit dem die aus Birmingham stammende, einstige Teenagerband SPENCER DAVIS GROUP, um den charismatischen Soulshouter Steve Winwood, 1966 einen unvergesslichen Chartshit zu erzielen vermochte.
"What I'd say" wurde 1959 von US-Soulpianist Ray Charles komponiert und zu einem veritablen Hit. Der bahnbrechende Klassiker des Rhythm'n'Blues nannte sich bei King Size Dick "Mir jeit et jot", zeigte sich als monumentale, Boogie-Woogie-lastige Wohlfühlorgie, zählt aber, aufgrund der eher poppigen, fast soften, radiogerechten Umsetzung zu einem der schwächeren Beiträge von "Rusjesök". Das melancholische "House of the Rising Sun" (1964 rund um den Globus ein immenser Hitparadenstürmer für Eric Burdon & the Animals) erklang ‚op Kölsch', garniert mit der obligatorischen Hammondorgel und defensivem Bluestimbre in der Stimme, als "Huus ohne Sonn". Der fetzige Rocker "Friday on my mind" war im November 1966 ein großer Erfolg für die australische Popband THE EASYBEATS und war im kölschen Kontext "Ets am Friedaach jeit et loss" betitelt. Der hymnische Ohrwurm erzielte bei vielen von uns 80er-Kindern insbesondere in der brachialen 1987er-Neuauflage des irischen Rock- und Bluesgitarristen Gary Moore einen gewissen Beliebtheitsgrad und handelt von einer langweiligen, arbeitsreichen Alltagswoche, in der man es kaum erwarten kann, dass der Freitag das wohlverdiente Partywochenende einleitet. Aufgedonnert, laut, mit kraftvollen Bläsern ausgerüstet, überaus sympathisch und betörend, überführt King Size Dick Elvis' "Jailhouse Rock" schlicht als "Knast-Rock" noh Kölle am Rhing; bis heute DER Fanfavorit aus "Rusjesök", der sich weiterhin im Konzertrepertoire des in seiner Heimatstadt allgegenwärtigen Vollblutmusikers befindet. Die musikalische Zeitreise in die Hochphase von Rock, Soul und Blues endet fetzig, bläserverstärkt, offensiv mit dem so kompakten, wie feist inszenierten Titel "Waat af, ich kumme", den das US-Soul-Duo SAM & DAVE 1966 als "Hold on! I'm coming" auf der ganzen Welt etabliert hatte.

"Rusjesök" hatte sich in der Vinyl-Auflage kommerziell keineswegs rentiert. Der Qualität der Songkollektion tat und tut dies keinen Abbruch. Zudem beweist das Album, dass die wahre kreative Passion von King Size Dick, der Zeit seines Lebens auch Karnevalslieder, Schlager, Stimmungssongs, klassische, wie moderne Weihnachtsmelodien und sogar hochdeutschen Hardrock (im Verbund mit Heavy-Gitarrist Axel Parche als "Dick & Alex") gesungen hatte, eindeutig hörbar bei traditionellem Rock und Blues zu finden ist. Nachdem nun die meisten der bekannten einstigen Vinyl-Aufnahmen als CD, oft mit Bonusmaterial, Maxiversionen, raren Titeln oder altehrwürdigen Musikvideos und Konzertmitschnitten auf beigefügten DVDs angereichert, erhältlich sind, ist es für Zeitzeugen und Sammler immer wieder ein reines Vergnügen, wenn sich das eine oder andere Label dazu entschließt, auch weniger geläufige, aber wohlklingende Aufnahmen aus früheren Tagen oft erstmals überhaupt im CD-Rahmen aufzulegen. SPECTRE Media sei daher herzlich dafür gedankt, dass die kleine Firma aus Nordrhein-Westfalen dies im Falle von "Rusjesök" möglich gemacht hat!
(Holger Stürenburg)

VÖ: 1983; Label: WEA (Best-Nr.: 24-0250-1); Titel: Mi Levve (The Letter) · Ich Weiß Bescheid (Israelites) · Mustang-Elli (Mustang Sally) · Wohlstands-Asi (Bad Moon Rising) · Mer Jon Zum F.C. (You Really Got Me) · Ich setz' he am Rhing (Sittin' On The Dock Of The Bay) · Maach mich nit esu fädich (Gimme Some Loving) · Mir jeit et jot (What I'd Say) · Huus ohne Sonn (House Of The Rising Sun) · Ets am Friedaach jeit et loß (Friday On My Mind) · Knast-Rock (Jailhouse Rock) · Waat af, ich kumme (Hold On I'm Coming); Bemerkung: Am 12.01.2012 bei Spectre Records (Universal) erstmals auf CD erschienen

   
   
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