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Ein Bericht vom SchoTTen mit Fotos von Bodo Kubatzki



Eine kurze Vorgeschichte
Die Geschichte zu dieser achten Ausgabe des Art Rock Festival 2020 in Reichenbach ist genau wie die Krise & Ereignisse weltweit überaus spannend und voller vieler unerwarteter Überraschungen & Wendungen. Einige Bands die im Spätsommer 2019 für diese Veranstaltung früh bekannt gemacht wurden, mussten wieder absagen, wurden aber immer mindestens gleichwertig ersetzt. Ganz normal, nicht ungewöhnlich, eben wie jedes Jahr bei einer Veranstaltung bei der an drei Tagen 25 internationale Bands auftreten wollen. Dann kurz nach dem Jahreswechsel, als ich dachte, dass wir endlich die endgültige und erstklassige Besetzungsliste vorgestellt hätten und sich das Festival in Richtung Ausverkauft entwickelte, erreichten die ersten dunklen Wolken einer weltweiten Katastrophe auch Europa und dadurch auch das Vogtland.

Reihenweise wurden nun Veranstaltungen und Konzerte in Deutschland und ganz Europa abgesagt und/oder verschoben, davon war dann auch das Art-Rock-Festival VIII im April 2020 betroffen. Auch hier stornierten zuerst die Künstler aus USA & Kanada, dann auch die Gruppen von den britischen Inseln ihre zugesagten Konzertbesuche. Einige Festival-Veranstalter gaben sehr schnell auf, einige wie Melanie & Michael (Woodstock Forever Waffenrod) im Thüringer Wald erst zwei Wochen vor dem festgesetzten Termin und Art-Prog-Häuptling Uwe Treitinger überhaupt nicht. Uwe sagte: ich hätte nie aufgegeben für mein Festival im Vogtland zu kämpfen.

Aber verschoben ist eben nicht aufgehoben!! Das Hallen-Musik-Fest in Reichenbach hat aber dennoch jetzt Mitte September in der Prog-Kathedrale Neuberinhaus stattgefunden und nur eine Hand voll treuer Künstler aus dem ursprünglichen ersten Line-Up sind während der drei Tage aufgetreten. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte ist, dass erstmals seit dem Neustart 2016 das Festival vor der maximalen und höchsten Besucherzahl stand, nun aber die Kosten mit einem Bruchteil der Einnahmen gedeckt werden mussten. Bis zum Auftakt mit dem kurzfristig formierten ANDREA BRAIDO TRIO am Freitag, 18. September 2020, um 17:35 Uhr war nicht vollständig sicher, dass die aus dem April verschobene Veranstaltung nun wirklich wie geplant stattfinden wird. Aber der Veranstalter Uwe Treitinger und alle Verantwortlichen vom Neuberinhaus, sowie auch der öffentlichen Stellen in Stadt und Land, haben es tatsächlich geschafft 216 vorher ausgewählten Besuchern das europaweit einzige dreitägige Rock-Spektakel mit zuletzt 13 Bands in atemberaubender Club-Atmosphäre zu präsentieren. Das war von der Quantität dann etwa die Hälfte von dem was inklusive Rahmen-Programm ursprünglich geplant war, von der Qualität war kein Unterschied zu den vorherigen vier dreitägigen Art Rock Festivals zu bemerken. Und es war von der ersten bis zur letzten Minute großartig, die Künstler, Besucher, Händler, Personal waren alle sehr diszipliniert. Was vor Ort alle Verantwortlichen geleistet haben war unfassbar großartig und hat das Prädikat: "Geschichte in der deutschen Rockmusik" geschrieben zu haben. Auch Catering, Licht, Ton, Sicherheit war auf höchstem Niveau und ich habe sehr oft das Personal für seine Leidenschaft und Geduld bewundert.

An dieser Stelle schon einmal der Hinweis auf einen der emotionalsten Momente des Festivals. Die fünf Plauener Männer von POLIS stehen auf der hell erleuchteten Bühne Arm in Arm, singen A Cappella ihren Song "Mantra". Atemberaubend: Alle im Saal stehen und lauschen diesem mehrstimmigen Gesang. Auf und vor der Bühne stehen die Menschen in dieser schweren Zeit zusammen. Ein Zeichen das auch Veranstalter Uwe Treitinger in seiner Nachlese deutlich am Ende herausstellt: Wir gemeinsam müssen jetzt Eins werden! "Eins" (2011) ist übrigens auch der Titel des Debüts der Plauener und damit schließt sich auch dieser Kreis.

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Kurz & knapp, aber entschlossen formiert
Das italienische ANDREA BRAIDO TRIO bildete sich in dieser Form erst kurz vor dem Festival, weil auch M.A.Y.A. aus Ungarns Hauptstadt Budapest ebenfalls sehr kurzfristig abgesagt hatten. Kuschelig und weitgehend akustisch geht es zu dritt pünktlich ans Werk. Unplugged kennt man bei diesem Festival eigentlich vom Abschlusstag oder Rahmen-Programm. Diesmal aber zur Eröffnung. Ich finde es gut, man kommt ruhig in das Festival, wird nach langer Abstinenz wieder vorsichtig auf das kommende rockige Programm eingestimmt. Heute präsentieren Boss Andrea (Gitarren), Francesco Caporaletti (Bass), Damiano Borgi (Gesang) als Warm-Up wundervoll ihr Können mit Liedern von Interpreten mit denen Andrea Braido schon musiziert hat. Der zweite Programmteil der Italiener folgte dann Samstag mit etwas mehr elektrischer Unterstützung.

Der Bandname ist diesmal hier Programm Auch die sechsköpfige polnische Truppe RETROSPECTIVE ist genauso wie die beiden deutschen Bands CRYSTAL PALACE und GRAY MATTERS (Mau & Schnella) von der Absage des Progressive Promotion Festival in deren Heimatstadt Leszno (Polen) betroffen. Das in unserem östlichen EU-Nachbar-Land seit über zwei Jahrzehnten gute anspruchsvolle Rock-Musik gemacht wird, ist nicht nur durch RIVERSIDE bekannt gemacht und vorangetrieben worden. Immer wieder rocken großartige polnische Prog-Rocker die Club- und Festival-Bühnen Europas, beeindrucken regelmäßig mit tollen Performances und sind auch immer wieder, besonders auch hier im vogtländischen Reichenbach, gern gesehene Gäste. Hier auch schon mal der Hinweis auf den Festival-Samstag mit den Art-Rockern von AMAROK. Die Techniker an den vielen Reglern für Licht und Ton sind ausgeruht, fingerfertig, routiniert, zaubern für die Rocker aus Polska von Beginn an einen fetten, ausgewogenen Klang- und Licht-Teppich. Die erfahrene, eingespielte Band RETROSPECTIVE hat damit sofort einen Bonus, den sie auch routiniert ausspielen. Bei einer Gruppierung die nun weit über 10 Jahre besteht, mittlerweile das vierte Studio-Album aufgenommen hat, hier zuletzt "Re:Search" (2017) und "Latent Avidity" (2019), geht man davon aus, dass sie ihre Songs auch Live gut vortragen können. Und tatsächlich wird es deshalb den beiden heutigen abschließenden Bühnen-Schwergewichten schon früh berechtigt und erwartet sehr schwer gemacht. Warum aber auch nicht, Konkurrenz belebt das Geschäft und liefert Gutes für das sehr überschaubare zahlende Publikum. Erwartungsgemäß wird der Hauptbestandteil des gespielten Materials von den beiden aktuellsten Werken abgedeckt, der Rest kommt vom Album "Lost In Perception" (2012) und zwei EPs, nicht aufgefüllt wie mancher nun gerne den Satz vollenden möchte, sondern gleichwertig ergänzt. Mein Urteil und das mehrerer Befragter ist durchweg sehr positiv, was mich bei diesem druckvoll präsentierten Material nicht überraschte. Mein Fazit: Hoffentlich musiziert dieses homogene polnische Team noch lange zusammen. Diese Kapelle hatte wieder eine EP mit Titel "Retrospekcje" (2020) beim Verkauf im Foyer, etwas Besonderes wegen vier Songs in Polnisch. Der Trend zeigt deutlich wieder in Richtung Muttersprache, das haben früher SBB und OMEGA auch schon praktiziert und das sieht man auch wieder hier und heute.

Absage enttäuscht, Familie West überrascht
Mich aber überhaupt nicht, denn nachdem ich die Absage von Threshold verdaut hatte, habe ich mich sehr auf die ebenfalls britische Formation LEAGUE OF LIGHTS gefreut. Unklar war nur noch bis kurz vor dem Auftritt welche Gäste Frontfrau und Sängerin Farrah West sowie Tasten-Virtuose, Produzent, Threshold-Urgestein Richard West mit in das Neuberinhaus mitbringen. Aufklärung: Ruud Jolie (Gitarren), Toby Schwietering (Bass), David Sievers (Schlagzeug). Eigentlich hätte dieses britische Rock-Pop-Duo auch gut in das Programm AMAROK und BROEKHUIS KELLER & SCHÖNWÄLDER vom Samstag gepasst. Aber noch mehr Umstellungen hätte auch zu weitaus mehr Stress für alle geführt. So haben die Festival-Besucher nun an zwei Tagen das Vergnügen feinste Elektronik-Musik im Grenzbereich zu Ambient, Instrumental & World zu genießen, was dadurch den Namen des Art-Rock-Festival noch deutlicher unterstreicht. Genau, für die einen ist so etwas Synthesizer-Folter, für andere ist es das Größte. Das Nice Pair gründete diese Projekt 2010, hat bereits 2011 das selbstbetitelte Debüt veröffentlicht, erst 2019 folgte "In The In Between". Das britische Pärchen Farrah und Richard verbindet musikalisch eine kurze Zusammenarbeit beim Prog-Metal-Flaggschiff THRESHOLD für das Album "Clone" (1998) und eben dieses besondere Projekt. Schon beim Debüt halfen Gitarrist Ruud Jolie, Mark Zonder und Bassist Jerry Meehan. Da kann man schon mal den Hut ziehen. Auch bei der Single "Forever" (2012) war Mark Zonder dabei, darüber hinaus half ein weiteres Schwergewicht, nämlich Kumpel und Sänger Glynn Morgan von (nicht überraschend) THRESHOLD. Das aktuelle Album "In The In Between" erschien erst Anfang Oktober 2019, damit sollte jetzt 2020 auf Tour gegangen werden, dann kam der Lock-Down. Somit kam das Publikum in Reichenbach in den Genuss brandaktuelles Material praktisch wie bei einer Premiere präsentiert zu bekommen. Und deren Auftritt war der absolute Hammer. Die üblichen Nase-Rümpfer habe ich natürlich vor Augen, aber die gab es auch bei ANTIMATTER oder TIM BOWNESS an der Loreley, bei ARCHIVE oder ANATHEMA am Herzberg, da sind dann aber auch den Kritikern reihenweise die Kinnladen runter geklappt. Wie immer sehr mutig vom Veranstalter, aber die Beifallsstürme des fachkundigen Publikums im Neuberinhaus sprachen eine sehr deutliche Sprache. Besonders auffällig ist die Dark Lady Of The North Sea Farrah, in langer schwarzer Prunk-Robe gekleidet, schwebt sie leichtfüßig mit ihrem schwarzen Gothic-Kopfschmuck aus Federn über die Bühne, singt sich mit kraftvoller Stimme durch das komplette aktuelle Album, plus drei Titel vom Debüt, plus "Avalon" von THRESHOLD, plus die Single "Forever". Den instrumentalen Hintergrund liefern vier Profis in Bestform, von zerbrechlich & filigran, bis krachend & bretthart, oft auch mal irgendwo dazwischen. Mein Fazit: Wer das Außergewöhnliche mag und eine Gelegenheit hat, diese Elektro-Perle von der großen Insel in der Nordsee zukünftig mal zu sehen, hingehen, neugierig bleiben und voll genießen. Und auch hier, wieder einmal wird das Neuberinhaus in Reichenbach ihrem Namen Prog-Kathedrale mehr als gerecht.

Touren tierisch mit Hits, Intensität, Power weiter
Die Alan Price Combo formierte sich bereits 1957, dann 1962 stößt Eric Burdon dazu, THE ANIMALS werden gegründet und mit dieser Formation Welterfolge erzielt. Seit langem gehen die Animals und Burdon getrennte Wege. Sie waren Anfang der 60iger eine der prägenden Classic-Rock-Bands der sogenannten ersten Welle der britischen Invasion (zweite: 1967). Ich gehe noch einen deutlichen Schritt weiter und behaupte, sie waren neben den Schwergewichten der ersten Welle, einer der wichtigen Mitauslöser für die zweite Welle und alles was danach folgte. Es gibt bündelweise Geschichten um die damaligen Zustände und Wirren innerhalb der Animals, die sind aber für die Musik-Fans eher nicht so wichtig. Nach dem letzten Desaster mit der Eric-Burdon-Tour 2020, muss man auch vorsichtig sein, ob damals tatsächlich alles so gelaufen ist und nicht Erich wieder mal etwas Vorlaut oder unangemessen die Tatsachen nur aus seiner Sicht präsentiert. Schlagzeuger der Gründungsformation John Steel (später Eggs Over Easy) ist inzwischen immerhin kurz vor seinem achtzigsten Geburtstag. Er und seit 2003 Keyboarder Mick Gallagher (später Framptons Camel, Blockheads), der kurzfristig Ende 1964 den Band-Leader Alan Price ersetzte, sind der Kern der heutigen ANIMALS & FRIENDS. Sie bringen mit Gitarrist & Sänger Danny Handley (vorher Ric Lee's Natural Born Swingers) und Bassist & Sänger Roberto Ruiz aber auch jüngeres Personal mit. Der bekannte Sound ist aber dennoch geblieben: rauer, bluesiger Rock der 60iger, gesanglich sehr gut vorgetragen von Danny. Natürlich vermissen einige hier in der Halle die signifikante Röhre von Eric Burdon. Ich habe den Blues-Sänger ein halbes Dutzend Mal Live erlebt und meiner Meinung nach klingen die alten Klassiker und neuen Lieder so von den vier befreundeten Tieren präsentiert frisch und zeitgemäß. THE ANIMALS hatten zwischen 1964 bis 1966 weltweit Hits am Fließband, "The House Of The Rising Sun" war deren Meisterstück, dieser Klassiker und "Don't Let Me Be Misunderstood" und "We've Gotta Get Out Of This Place" kommen am Schluss zum Mitsingen. John Steel, der inzwischen sagenhafte 63 Dienstjahre auf dem Buckel hat, kommt dreimal gelenkig aus seiner Trommelburg heraus an den Bühnenrand, plaudert sehr entspannt und witzig über Anekdoten aus verschiedenen Zeiten. Auch eine schöne und witzige Geschichte zu seinem knallbunten Voodoo-Hemd aus New Orleans hat er parat. Aber meist wird nicht gequatscht, sondern die bekannten Lieder aus Mitte der 60iger exzellent vorgetragen, aber auch einige vom Album "Instinct" (2004). Mein Fazit: Mein Herz leuchtet hell, wenn ich wieder mal einen oder sogar mehrere Protagonisten aus den frühen 60iger in dieser guten Verfassung erleben darf, die voller Stolz ihre damaligen Megaseller in guter Qualität vortragen. Jeder der diese Chance im Vogtland verpasst hat, sollte das nachholen, denn allzu lange werden die beiden alten Musik-Tiere nicht mehr touren.

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Klänge zwischen Oldfield und Lunatic Soul
AMAROK ist ein sehr ungewöhnliches Art/Prog-Projekt des Multi-Instrumentalisten Micha? Wojtas aus dem nahen Nachbarland Polen, genauer der Hauptstadt Warschau. Noch nicht so bekannt im deutschsprachigen Raum, kann Wojtas seit 2001 bereits fünf gute aber auch sehr unterschiedliche Studio-Alben vorweisen. Der Bandname assoziiert eine Verbindung zum Briten Mike Oldfield und das spiegelt sich in der Ausrichtung, Entstehung, Instrumentierung und der Komposition der Musik dieses Projekts deutlich wieder. Er macht wie Mike oder Mariusz auch nicht alles selbst, sondern hat immer einige Helfer an seiner Seite, besonders bei Schlag- und Streich-Instrumenten sowie ebenfalls beim Gesang. Da nimmt auch schon mal Mariusz Duda, Colin Bass, Marta oder andere vor dem Mikrofon Platz und unterstützt vokal. Micha? bringt seine Frau Marta Wojtas (Perkussion, Gesang) sowie Kornel Pop?awski (Keyboards) und Konrad Zieli?ski (Schlagzeug) mit in das Vogtland. Der Auftritt ist etwas Besonders in jeder Hinsicht. Micha? im Zentrum ist der Vater-Generator, er gibt Richtung, Tonlage, Rhythmik, Motivwechsel, Geschwindigkeit vor, spielt die meisten Soli selbst. Die zweiköpfige männliche Überstützung an Schlagzeug & Tasten-Instrumente füllt die Räume dazwischen traumwandlerisch, keine Überraschung, denn die beiden haben an vielen Aufnahmen von AMAROK mitgewirkt, spielen auch in anderen Projekten zusammen. Marta setzte mit ihrer Erscheinung und Dekoration sowie mit verschiedenen Instrumenten nicht nur rhythmische Akzente. Sie schwebt oft wie ein Wesen aus einer anderen Welt über die exzellent beleuchte Bühne. Das Quartett aus der polnischen Hauptstadt spielt Titel von allen ihren sehr unterschiedlichen Alben: "Amarok" (1 Titel), "Neo Way" (1), "Metanoia" (2), "Hunt" (7), "The Storm" (3). Das aktuellste Album "The Storm" (2019) war eine Auftragsarbeit für ein Tanz-Projekt und ist sehr stark geprägt durch Ambient-Klänge, lange, getragenen, filigranen Melodien und spärlichem Gesang. Deutlich im Mittelpunkt des famosen Auftritts stand jedoch berechtigt der Vorgänger "Hunt" (2017), bei dem man ohne Übertreibung und meiner Meinung nach von einem Meilenstein in der Diskografie von AMAROK sprechen kann. Durch gutes Durchmischen aller gespielten Titel entstand ein kolossales Gesamtgebilde. Mein Fazit: Große Klang-Landschaften und damit eine echte Überraschung und eine Bereicherung für diese Veranstaltung. Hier wird der Begriff Art-Rock-Festival in jeder Hinsicht besonders deutlich.

Ein heller Stern steigt über den Bergen auf Ich muss gestehen, leider bin ich bei dieser Band nicht komplett unvoreingenommen. Denn seit dem fulminanten Auftritt beim letztjährigen Art-Rock-Festival VII (wir berichteten darüber) bin ich ein großer Fan der fünf jungen Plauener Stadt-Musiker von POLIS. Sie haben inzwischen nach "Eins" (2011) und "Sein" (2014) ihr wunderbares drittes Album "Weltklang" (2020) bei Progressive Promotion Records veröffentlicht und das steht diesmal auch deutlich im Zentrum des Auftritts. Es wird komplett ohne das "Abendlied" gespielt und wie!! War es letztes Jahr schon zauberhaft, so ist es diesmal noch viel magischer und auch beim "Mantra" noch ergreifender. Vielleicht weil das Quintett sehnsüchtig auf diesen Moment gewartet hat. Und man hat das Gefühl, es musste alles raus was sich an kreativen Druck in der konzertlosen Zeit aufgestaut hatte. Die Online-Party aus der Alten Kaffee-Rösterei Plauen zur Veröffentlichung des neuen Albums ganz ohne feiernde Premieren-Gäste war zwar auch erstklassig in Bild, Ton und Titel-Liste, aber eben einen Auftritt vor feierndem Live-Publikum ersetzt das natürlich nicht. Frontsänger Christian Roscher ist bunt gekleidet wie ein Gaukler aus dem Mittelalter, alle vier Akteure an den Instrumenten, Andreas Sittig (Bass), Christoph Kästner (Gitarren), Marius Leicht (Tastengeräte), Sascha Bormann (Schlagzeug), wachsen über sich hinaus, setzten gleichwertig Akzente, bauen damit einen stets passenden Klang-Teppich auf, spielen sich in einen Rausch. Das Zusammenspiel zwischen Gitarren, Tasteninstrumente, Schlagzeug & Perkussion ist auf höchsten Level, ergänzt durch kraftvollen, mehrstimmigen Gesang. Und dazu dann noch das sehr gute Licht und der brillante Ton, das gilt aber auch für alle anderen 12 Bands des Festivals. POLIS haben in diesem Moment einen entscheidenden Punkt überschritten, von einer schon recht bekannten lokalen Band zu einer Prog-Rock-Rakete die europaweit die Bühnen stürmt und das Publikum mitnimmt. Die Freie Presse Chemnitz schrieb mal: "Sie machen deutsche Musik, die von Herzen kommt". Stimmt, und es macht allen diesseits und jenseits der Bühne Spaß, ich sehe es in den Gesichtern, der Wunsch nach mehr wird durch lautstarken Applaus und vielkehligen Rufen nach Zugaben sehr deutlich. Schaut nicht zu sehr in die englischsprachigen Länder, auch hier in unserer Heimat wird wieder verstärkt anspruchsvolle und ausdrucksstarke Rock-Musik gespielt. Ich habe damals mit GROBSCHNITT das gleiche erlebt. Angefangen hat es in Jugendheimen, geendet auf den größten Bühnen im deutschsprachigen Raum. Was war der Schlüssel des Erfolgs? Na eben der Zusammenhalt und der Spaß, die Freude gemeinsam Großartiges zu schaffen, verschmelzen mit den Feierbiestern zu einem vielköpfigen Kollektiv. Bei Grobschnitt war's "Solar-Music", bei Polis der "Weltklang".

Auch Elektrisch virtuos und originell
Wer kannte vor dem diesjährigen Art-Rock-Festival den Meister-Gitarristen Andrea Braido aus Norditalien, kaum einer der etwa 1.200 ursprünglichen Ticketkäufer, ich aber auch nicht. Obwohl er mit vielen europäischen Schwergewichten im Rock und Pop erfolgreich zusammengearbeitet hat. Chef-Organisator Uwe Treitinger zum Saiten-Virtuosen: "Andrea Braido! Bei aller Wertschätzung, einige haben so etwas noch nicht gesehen! Es dauert eine Weile bis mir die Kinnlade runter klappt, bei ihm ist das so! Er hat meine persönliche Reihenfolge der Gitarristen die ich jemals gesehen habe (und keine Götter sind!) gehörig durcheinandergebracht. Er ist einfach unglaublich!" Und das unterschreibe ich nach zwei Auftritten an zwei Tagen im Neuberinhaus ebenfalls sofort. Für mich genauso überraschend wie letztes Jahr der Tasten-Magier CLAUDIO SIMONETTI´S GOBLIN mit seinem Quartett. Der Saiten-Hexer lernt mit vier (4) Jahren Schlagzeug, im Alter von 12 Bass & Gitarre, spielte bis zu seinem Wechsel in die USA mit 20 in einem ganzen Bündel von Bands. Er ist im Jazz wie auch im Rock zuhause und gehört zu den immer wieder gefragten Helfern, wenn es im Studio mal kniffeliger wird und ein Maestro her muss. Die ANDREA BRAIDO BAND präsentiert uns, mit den drei italienischen Kollegen Francesco Caporaletti (Bass), Archelao Macrillò (Schlagzeug) und Damiano Borgi (Gesang), Hendrix, Deep Purple oder Beatles, aber auch die eigenen Kompositionen zwischen Fusion, Jazz, Funk, Rock, Pop. Schaut mal auf Braido´s sehr informativen Web-Seite nach.

Durchstart durch den Lock-Down etwas gebremst
Die nachfolgende Band passt optimal in den Ablauf des Festival-Tages. In den frühen 90igern zählte die aus dem niederrheinischen Neuss stammende legendäre Formation CHANDELIER mit ihren drei damaligen Alben zur Speerspitze der recht gut überschaubaren kleinen deutschen Neo-Prog-Szene. Trotz massig Erfolgen im Heimatland sowie Frankreich und Benelux, verschwindet dann das Quintett plötzlich über 20 Jahre tief in der Versenkung. Im Zuge der aktuellen Wiederauferstehung wurden das Debüt "Pure" beziehungsweise auch dessen direkter Nachfolger zusätzlich mit bislang unveröffentlichtem Material jeweils als Doppel-Decker 2018 wieder neu aufgelegt. Das für viele Fans und Kritiker als Meisterstück geltende "Facing Gravity", damals mit Gastbeiträgen von Masaru Kikawa und Toni Moff Mollo (der war damals noch Licht-Techniker bei Grobschnitt) eingespielt, stand bereits im Mittelpunkt des aufgezeichneten Exklusiv-Auftritts beim Night Of The Prog 2019, setzte damit der aktuellen VÖ-Offensive mit Live-Konserve die Krone auf. Mit virtuosem Zusammenspiel sowie solistischen Glanzleistungen von den Gründern Martin Eden (Gesang) und Udo Lang (Gitarren) sowie auch noch Armin Riemer (Keyboards), Christoph Rombach (früher Tiber, Bass) und Heribert Rubarth (Schlagzeug) überzeugte dieses deutsche Quintett damals an der Loreley, aber auch wieder hier im Vogtland mit spielerischem Können, eingängigen druckvollen Melodien, raffinierten Arrangements und kompositorischem Ideenreichtum, eben alles was großartige, zeitlose, progressive Rock-Musik ausmachen sollte. Es waren mit den vier Original-Mitgliedern und den charismatischen Front-Stimmen Martin Eden & Toni Moff Mollo reichlich Zutaten vorhanden um wieder eine atmosphärische Sternstunde des klassisch-orientierten progressiven Rock diesmal in der Prog-Kathedrale Neuberinhaus zu erleben. Männer vom Niederrhein, es war hier in Reichenbach wieder sehr kurzweilig mit euch.

Freiheit ist ...
Ich muss schon sehr genau überlegen welche deutsche Band Mitte der 60iger gegründet wurde und bis heute aktiv ist und das sogar noch wie im Fall STERN MEISSEN mit Bandchef und Gründer Martin Schreier. Mir fallen spontan die Beat-Bands (Rattles, Lords, City Preachers) und Klaus Doldinger ein. Ansonsten Amon Düül, Agitation Free, Birth Control und Psy Free, die sich aber alle erst etwas später formierten. Die Bandgröße, Struktur und Musiker wechselten, die musikalische Ausrichtung, der Name auch, aber im Kern blieb es seit 55 Jahren immer ein Kollektiv von musizierenden Freunden aus Ostdeutschland. Hier nun die wechselhafte Band-Geschichte zu erzählen wäre dem Stellenwert der Band sicher mehr als angemessen, würde aber zu einem sehr langen Beitrag führen. Wir hatten ja schon 2017 das Vergnügen zu den Auserwählten zu gehören, die den Zyklus "Bilder Einer Ausstellung: The Rock-Version" (Modest Mussorgski), eindrucksvoll angereichert mit eigenen musikalischen sowie textlichen Ideen von der frischen Frontstimme und Keyboard-Wizard Manuel Schmid, mit Stern Meissen gemeinsam mit dem Leipziger Symphonieorchester unter der Leitung von Stephan König sowie dem Landesjugendchor Sachsen, im Neuberinhaus erleben zu dürfen. Diesmal freute sich das Quintett auch darüber, endlich wieder live spielen zu können und vor allem das brandneue Album "Freiheit Ist" vorstellen zu dürfen. Wie bei LEAGUE OF LIGHTS praktisch auch wieder einmal eine Premiere. STERN MEISSEN zum Album: "Auf dem Album werden kompositorische Traditionen fortgeführt, die Hörer dürfen sich sowohl auf Art-Rock als auch auf Pop-Sound im Stil der 80iger Jahre freuen, ohne auf aktuelle musikalische Tendenzen verzichten zu müssen." Und genau das liefert die gut eingespielte Truppe auch. "Das Album Freiheit Ist entstand unter der musikalischen Federführung von Manuel Schmid, aber auch Marek Arnold sowie Andreas Bicking waren beteiligt." Und es war tatsächlich ein grundsolider, sehr gelungener Auftritt. Die sächsische Combo tritt, zusätzlich zu vorgenannten Martin & Manuel, heute mit dem zweiten Tastenmann Sebastian "Sebi" Düwelt, Trommler Frank Schirmer und Tieftöner Axel Schäfer auf, spielen sich zur Freude der vielen Fans aus der Region durch die komplette über 50-jährige Bandgeschichte. Besucht auch mal deren sehr informative digitale Heimseite, dort wird die gesamte Band-Geschichte detailliert erzählt und mit Begleitmaterial unterfüttert.

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Ein besonderes Akustik-Programm Wer auch schon am Freitag, 17. Juli 2020 in Bernies Blues Bar in Sankt Goarshausen am Mittelrhein beim ROCK & PROG@Loreley Open Air 2020 in Club-Atmosphäre dabei war (wir berichteten darüber), der wird nun nicht überrascht sein. Denn schon dort wurde von MELANIE MAU & MARTIN SCHNELLA angekündigt, dass es für das Progressive Promotion Festival in Leszno und das verschobene Art Rock Festival VIII ein spezielles Programm vom Band-Projekt GRAY MATTERS geben wird. Deren Motto: Herzensangelegenheiten im Unplugged-Stil. Auch dem mutigen Veranstalter Uwe Treitinger liegen großen Talente der deutschen Rock-Musik am Herzen, deshalb bekommen diese jungen Vollblutmusiker immer wieder ein Zeitfenster auf der Bühne des Neuberinhaus. Bei ihrem Auftritt in Sankt Goarshausen am Rheinufer nähe Loreley haben sie schon im Trio mit Schlagwerker Simon Schröder als Rhythmus-Unterstützung wie berichtet auf ganzer Linie überzeugt. Hier nach Reichenbach im Vogtland haben sie zusätzlich wieder mal den Bass-Profi und Weggefährten Lars Lehmann sowie erstmalig Vokallist Mathias "Matze" Ruck mitgebracht. Das Quintett singt dreistimmig, präsentiert akustische Titel von verschiedenen Alben, unter anderem auch von "Mirage: A Portrayal Of Figures" (Aim L45) und weiterhin ein spezielles Akustik-Medley mit Titeln aus dem aktuellen ebenso hörenswerten Konzept-Werk "The Pure Shine" (vertonte Stephen King Geschichte), beides vom Projekt FLAMING ROW. Die Bandbreite und Interpretationen der Songs sind gewaltig: von der isländischen Indie-Folk-Band Árstíðir, (Poesie Im Sand), Kate Bush (Running Up That Hill) und Queen (Don't Stop Me Now) über Progger Genesis, Gabriel und Transatlantic (We All Need Some Light) bis hin zu den Rockern Kansas und In Flames. Die vorgetragenen Unplugged-Songs wirken im Gray-Matters-Gewand wie Eigenkompositionen. Eine durchgängig hohe Qualität der Musik, ohne Pomp, Bombast und Glimmer, zerbrechlich wirkt es oft, aber immer bleibt die Spannung erhalten. Ähnlich wie an den Vortagen bei LEAGUE OF LIGHTS und den Plauener POLIS saugt man sich förmlich an den Akteuren fest. Zum Abschluss gibt es dann noch einen mit dem kraftvollen "Sledgehammer" und einen Lichtblick. Wunderbar, dass die junge Generation das Vermächtnis so respektvoll wahrt und dennoch viele neue und frische Schattierungen einflechtet. Wie gut diese fünfköpfige Band harmoniert zeigt die Bemerkung von Lars auf meine Frage nach der Set-Liste: Brauchen wir nicht, das haben wir alles hier in unseren Köpfen. Mein Fazit: Diese Gray Matters mit wechselnden Gästen, starken Interpretation von Titel anderer Künstler und Projektübergreifender Titelliste hat Potenzial und Zukunft. Dieses sympathische nähe Harz beheimate Künstler-Kollektiv um Melanie Mau & Martin Schnella hat ein brandaktuelles Album "Through The Decades" und gibt viele weitere Konzerte.

 


Still There: Durchhaltevermögen zahlt sich echt aus
Nach wieder einmal unglaublich ultrakurzer Umbaupause, dank fleißiger Technik-Crew und hilfreicher Dreh-Bühne, stehen die vier erfahrenen Berliner Rock-Musiker von CRYSTAL PALACE auf der Bühne des Neuberinhauses und das leider spärliche Publikum versammelt sich wieder in der Prog-Kathedrale erwartungsfroh davor. Die Melodic-Art-Rocker wurden als Trio bereits Anfang der 90iger gegründet. Von gitarrenbetonter Instrumental-Musik führt der Weg zum Art- und Bombast-Rock weiter zum Debüt "On The Edge Of The World" (1995). Es folgten regelmäßig weitere gute Alben, die Besetzung um Mitgründer und inzwischen Frontmann Yenz Strutz (Gesang, Bass) stabilisierte sich dann mit Langzeit-Mitglied Frank Köhler (Keyboards), etwas später kamen noch Nils Conrad (Gitarre) und Frank Brennekam (Schlagzeug) dazu. Richtig Fahrt nahm das Quartett mit "The System Of Events" (2013) auf, das von einigen bekannten Künstlern wie Colin Edwin (Porcupine Tree), Kalle Wallner und Yogi Lang (beide RPWL) kollegial unterstützt wurde. Das bisherige Meisterstück "Scattered Shards" (2018, schönes Art-Cover) erhielt in den verschiedenen Magazinen und digitalen Plattformen überaus berechtigt wieder mal hervorragende Kritiken. Die erfolgreiche Geschichte wird nun zukünftig mit weiterhin stabiler Mannschaft und brandneuem Material weitergeschrieben. In Reichenbach präsentierten die Vier, in der Trommelburg sitzt nun schon seit 2014 Tom Ronney, leider das neue Material vom kommenden Konzept-Album "Still There" noch nicht. Jedoch war die Titelliste mit drei gleichen Blöcken aus den zwei vorgenannten Alben sowie auch noch von "Dawn Of Eternity" (2016) sehr ausgewogen. Das Rock-Quartett war extrem gut drauf und in Ultra-Spiellaune. Gleich der großartige Titelsong "Scattered Shards" zündete und es gab noch drei weitere gute Titel vom gleichnamigen noch aktuellen Album obendrauf. Es ist diesmal Zeit genug fast ausschließlich lange Titel zu spielen und die auch noch etwas zu improvisieren. Der Auftritt ist wie eine enorm druckvoll präsentierte Live-Retrospektive der zweiten Bandphase seit 2010. Glasklarer Sound, dazu passende akzentuierte und intelligente Lichtunterstützung. So kann gradlinige, moderne Rockmusik richtig Spaß machen, die Besucher sind ausnahmslos begeistert, das wirkt sich auch, für die Band sehr erfreulich, auf das Merchandise und die Reputation aus. Mein Fazit: Diese Truppe gehört sicher in die oberste Liga der deutschen Rock-Mucke. Und ich bin sicher, wenn diese vier sympathischen Berliner zusammenbleiben, werden wir noch viele Kracher-Konzerte mit ihnen zusammen erleben. Wer es bis dahin nicht aushält, zum Jahresende kommt das erste Live-Album, voraussichtlich sogar mit Bonus-DVD. Darüber hinaus Folks, seid sehr gespannt auf das geplante Konzept-Album "Still There". Mit diesen beiden Werken wird die Kristall-Palast-Geschichte erfolgreich weiterschreiben. Da bin ich sehr sicher !!

Was ist da nur los in Skandinavien
Musiker, Bands, Projekte aller Ausrichtung, massenhaft und regelmäßig Nachschub. Liegt das an der intakten Natur, am gesunden Essen oder der Bildung? Einen kleinen Mosaikstein habe ich 2019 beim Umsonst & Draußen Jazz-Festival in Ringkøbing, Dänemark, als schlüssige Erklärung dazu gefunden. Intensivste Förderung und Begleitung der Kinder und Jugendlichen, das haben mir auf meine Frage hin verschiedene skandinavische Musiker immer wieder bestätigt. Und was soll ich sagen, die nächste Truppe OVERHEAD kommt aus der finnischen Hauptstadt Helsinki, im Moment nicht gerade eben um die Ecke. Wir haben diese Art-Hard-Rocker letztes Jahr schon beim Night Of The Prog 2019 erlebt und gefeiert, sie waren auch dort schon eine Überraschung. Vielleicht haben gerade einige vorgenannte Fakten dazu geführt, dass Uwe Treitinger diese Formation auf seinem Zettel hatte. Die fünf Finnen kennen sich seit fast 20 Jahren und musizieren seitdem zusammen, somit ist hier auch wieder eine Verbindung zu den Berlinern CRYSTAL PALACE, Durchhaltevermögen zahlt sich aus. Alex Keskitalo (Gesang, Flöten), Jaakko Kettunen (Gitarren, Keyboards), Janne Katalkin (Bass, Synthie), Ville Sjöblom (Schlagzeug, Perkussion, Saxofon) und Tarmo Simonen (Keyboards), gründeten sich bereits 1999, kreieren seither ihren besonderen Sound mit hohem Wiedererkennungswert. Nach Reichenbach kommen sie mit Bruder Heikki Sjöblom hinter den Trommeln und Jere Saarainen an den Tasten. Sie haben in 20 Jahren fünf Studio-Alben veröffentlicht. Nach "Live After All" (2009) und "Of Sun And Moon" (PPR, 2012) hat es nun diesmal sechs Jahre gedauert bis das beachtete Werk "Haydenspark" (Eigenvertrieb, 2018) die Ohren dieser Welt erreichte. Wie bei skandinavischen Proggern sehr verbreitet, wurzeln OVERHEAD in Kompositionen, Instrumentierung, Klangfarbe sehr stark im Prog/Kraut-Rock der glorreichen 70iger. Aber was soll es, seien wir doch froh, dass uns am Festival-Sonntag wieder virtuose, rockige und leidenschaftliche progressive Mucke präsentiert wird und uns ordentlich und blitzsauber die Ohren durchgeblasen werden. Ich habe beim mehrmaligen Durchlauf der letzten beiden Alben, die bildeten den Kern des diesjährigen Auftritts in der Vogtländer Prog-Kathedrale, durchaus bekanntes aber auch erfrischend unbekanntes gehört. Auch Jaakko hat wieder fette und druckvolle Gitarrenarbeit geleistet, so lange bis ein Transformator seines Marschall-Verstärker mit einer Stichflamme explodierte und die Rauchwolke lange über der Bühne lag. Ran und mitfeiern, aber vorsichtig vorne an der Bühne, mal bröselt Putz von der Decke, mal gibt's Räucherei. Immer was los bei den Vogtländern. Auf die wunderbare Interpretation von "21st Century Schizoid Man" von KING CRIMSON zum Abschluss habe ich mich schon sehr gefreut. Leider konnte auch ein 3-minütiger Beifallsturm der 200 Feierbiester die Musiker von OVERHEAD nicht noch einmal dazu bewegen, eine weitere Zugabe zu geben. Der Grund, Ville hatte weitere Titel leider nicht geübt. Mein Fazit: Schade, wir hätten weitere Titel gefeiert. Umso mehr, da kein Zeitdruck bestand, weil KEE MARCELLO bereits abgesagt hatte. Kommt wieder Nordmänner, wir freuen uns auf euch.

Schweden: Mal mit Pech, mal kein Glück
Auf der heutigen Startnummer vier wäre nun der schwedische Gitarren-Virtuose KEE MARCELLO mit seinen Mitspielern angetreten. Leider hatten die bei der Abreise am Flughafen Probleme, konnten deshalb nicht ausreisen. KJELL AKA KEE ist in Schweden eine bekannte Persönlichkeit, ähnlich wie bei uns vielleicht Uli Jon Roth oder Michael Schenker. Ich hatte mich schon auf eine explosive Kee Marcello Version von "The Final Countdown" in der Prog-Kathedrale gefreut, leider etwas zu früh. Dafür haben den Veranstalter am Vortag die alten Schweden von SIENA ROOT aus Stockholm überrascht. Sie waren gar nicht mehr auf dem Programm, sind aber angereist und wollten dennoch auftreten. Bei den vorherigen Festivals oder im Bergkeller wäre das möglich gewesen, aber im Moment bei diesen strengen behördlichen Auflagen war das leider nicht zu realisieren. Zumindest haben sie kurz ein paar Waren auf einen Verkaufstisch gelegt und einiges an Merchandise verkauft. Andere Zeiten, neue Methoden.

Vitaler & bodenständiger 75-jähriger mit Weltkarriere Was ist die Verbindung zwischen Tom Jones (Tommy Scott & The Senators), Gary Numan, Gary Moore, Manfred Mann's Earth Band (auch Chapter III), Uriah Heep, die Supergroup The Firm, Hells-Bells AC/DC und Pop-Pogger Asia ?? Nicht so einfach, denn selbst bei den meisten Musik-Fachkundigen sind die Schlagzeuger nicht so zentral im Fokus. Der 1946 geborene Waliser Rock-Trommler Christopher Rees aka CHRIS SLADE war bei allen Alben der Earth Band ab Gründung 1970 bis "Watch" (1978) dabei. Seine Gastbeiträge im internationalen Rockzirkus sind allesamt hochkarätig, eine vollständige Aufstellung, mit welchen Künstlern er schon zusammengespielt hat, würde hier den Rahmen komplett sprengen, dennoch würde aber so manchem Interessierten die Spucke wegbleiben. Selbst Chris bekommt heute nicht mehr alle Jobs vollständig wegen Eintagsfliegen und Vielzahl zusammen. An eine weitere wichtige aber wechselhafte Station, die bei den australischen Hard-Rockern AC/DC, erinnert er sich natürlich gut. Brian Johnson hat ihn als den besten Schlagzeuger und Malcolm Young sogar als den einzigen Musiker von AC/DC bezeichnet. Dabei bleibt dann zwangsläufig die Frage offen, warum sie den Drummer mit Premium-Vita nicht dauerhaft weiter beschäftigt haben. Ich ziehe den Hut vor einem Schlagzeuger, der es in der Welt des Rock´N´Roll zu sehr viel gebracht hat. Uwe Treitinger hat wieder einmal das richtige Händchen gehabt, ähnlich wie bei THE ANIMALS oder Sir Albert Lee, der das Vogtland im April 2021 besucht, holt er wieder mal einen unaufgeregten Weltstar nach Reichenbach. Und es hat sich meines Erachtens gelohnt bis zum letzten Auftritt von CHRIS SLADE´S TIMELINE dabei zu bleiben, obwohl die Krone des Festivals doch anderen jüngeren Stars aus Germanien gehört. Der Auftritt vom Meistertrommler war exzellentes Handwerk, gute Gast-Musiker inklusive zwei Shouter zur Unterstützung und ein Repertoire das fast alle wichtigen Stationen seiner Karriere abdeckte. Da Chris neben Steve Glasscock mit Bun Davis auch noch eine stimmliche Kopie von Brian Johnson mitgebracht hatte, lag der Schwerpunkt der Titel zur Freude vieler AC/DC-Fans natürlich klar bei den Australiern. Wer vier Titel (AC/DC, Uriah Heep, MMEB) mit beiden Sängern als Konserve haben möchte, schaue nach der EP The "Chris Slade Timeline Volume 1".n 20201014 1358784175 Mein Fazit: Ein bandübergreifendes Best-Of-Chris mit hohem Unterhaltswert das mit ausverkauftem Neuberinhaus natürlich noch mehr gezündet hätte. An den sechs Akteuren auf der Bühne hat es sicher nicht gelegen, die haben alles gegeben, und das für 200 Leute in einer recht menschenleeren Halle.

Résumé
Erfreulicherweise nur noch eine weitere Absage und tatsächlich waren zur Freude der Fans wieder fast alle Musiker, die beim Festival aufgetreten sind, lange zum Meet & Greet im/am Neuberinhaus verfügbar, signierten am Fließband, stellten sich jeden Fotowunsch und quatschen gelöst mit vielen der Feier-Biester. Mehrere Musiker von THE ANIMALS, LEAGUE OF LIGHTS und einige andere des Eröffnungstages konnte man schon am Donnerstag im Bergkeller treffen. Wieder einmal zeigt sich hier die gute, gemütliche Club-Atmosphäre dieses Festivals und die familiäre Handschrift des Veranstalters und Bergkeller-Betreibers Uwe Treitinger. Durch die geringe Anzahl an Gästen und die sehr gelungene Aufteilung von Catering, Händler und Freiflächen innen wie außen war alles noch entspannter und intensiver. Die Voraussicht auf geringe Besucherzahlen und eine harte 2-wöchige Vorbereitung hatte Andreas Tittmann wieder nicht davon abgehalten zum vierten Mal hintereinander erneut seine Konzert-Foto-Ausstellung zu präsentieren. Das einzige dreitägige Rock-Festival mit internationalen Niveau in Europa hat meines Erachtens durchweg ausgewogene, hochwertige Vorträge geboten, die Abläufe waren gut organisiert, die Teilnehmer auf beiden Seiten diszipliniert und war dadurch ein voller Erfolg. Das sollte uns Mut machen für 2021. Wir freuen uns auf das nächste Art Rock Festival IX im April in der Prog-Kathedrale Reichenbach.






Fotostrecke:

 
 
Andrea Braido Trio (1)
 
 
 
 
 
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