Tom Schilling

& The Jazz Kids

Rostock | M.A.U. Club | 19. Februar 2020
 
Ein Bericht mit Fotos von Bodo Kubatzki 



Singende Schauspielerinnen und Schauspieler gibt es zuhauf. Einige von denen haben es tatsächlich drauf, wie Barbra Streisand, die als Schauspielerin und als Sängerin gleichermaßen Karriere machte. Als Beispiele aus unseren Breitengraden nenne ich den unvergesslichen Manfred Krug oder Alexander Scheer, der mich in der Rolle des Gerhard "Gundi" Gundermann in der Filmbiografie über den ostdeutschen singenden Baggerführer sowohl als Schauspieler wie auch als Sänger völlig in seinen Bann zog. Es gibt jedoch auch viele, die es lieber hätten bleiben lassen sollen. Ich erspare es mir, hier Namen anzuführen. Aber viele, gerade deutsche Schauspieler/-innen, die es mit dem Singen als Zweitjob versucht haben, empfinde ich eher peinlich, als hörenswert.

Nun lese ich in den Ankündigungen des Rostocker M.A.U.-Clubs, dass der Berliner Schauspieler Tom Schilling mit seiner Band THE JAZZ KIDS in der Hansestadt gastieren wird. Jazz Kids klingt für mich interessant, und ich besorge mir das Debütalbum "Vilnius", welches Schilling mit dieser Band im Jahr 2017 eingespielt hat. Doch Jazz? Weit gefehlt. Was ich da zu hören bekomme, hat mit dieser Musikrichtung so gut wie nichts zu tun. Allerdings verlangen die Klänge, die aus meinen Boxen schallen, nach immer weiteren Hör-Durchläufen. Irgendwie ziehen mich die Songs, die überwiegend aus der Feder von Tom Schilling stammen, magisch an. Er ist zwar kein herausragender Sänger, aber seine Musik und seine Texte über das Leben, die Liebe und den Tod, besitzen ein unglaubliches Potenzial. Es sind eher Lieder in der Tradition des deutschen Chansons, die sich auf dem Album befinden. Von der Instrumentierung und der Interpretation her erinnern sie mich manchmal an die Musik von ELEMENT Of CRIME. Doch haben sie ihren ganz eigenen Charakter. Da gibt es u.a. das Lied über den Sankt Petersburger Liedermacher und Akkordeonspieler Igor Rasteryaev, das nur so vor russischer Melancholie trieft, oder die wunderbare Version von Bettina Wegners Lied "Kinder", zu dem ich eine ganz besondere Erinnerung habe. Ich bin erstaunt und frage mich, wo nimmt dieser junge Bengel das alles her? Wikipedia gibt Auskunft.

Tom Schilling, geboren 1982 in Ost-Berlin, spielte als Sechsjähriger bereits in einem ersten Film. Schilling wollte Malerei studieren, blieb jedoch bei der Schauspielerei. Mir ist er in Filmen wie "Napola" (2004) oder "Robert Zimmermann wundert sich über die Liebe" (2008) aufgefallen. Auch in dem Film "Lara" (2019) mit Corinna Harfouch beeindruckte er mich als deren klavierspielender Sohn. In der Story steht er vor dem wichtigsten Konzert seines Lebens. Im Pressetext zur Tour mit Tom Schilling & THE JAZZ KIDS lese ich schließlich, dass Schilling seit vielen Jahren einen Berg von Songideen mit sich herumträgt. Bei Dreharbeiten zu dem Film "Oh Boy" lernte er die Musiker der Band THE MAJOR MINERS kennen, was als Initialzündung für eine musikalische Zusammenarbeit angesehen werden kann. Diese Musiker werde ich heute als THE JAZZ KIDS gemeinsam mit Tom Schilling erleben.

Der M.A.U.-Club ist eher spärlich besucht, als wir kurz vor Konzertbeginn dort eintreffen. Ich hätte mit deutlich mehr Publikum gerechnet. Ab 20:00 Uhr ändert sich die Lichtstimmung auf der Bühne und es ertönen sphärische Klänge, die Shazam dem Komponistenduo Christopher Colaço & Philipp Schaeper zuordnet. Im Netz erfahre ich, dass die beiden den deutschen Filmpreis mit der Band "THE MAJOR MINORS" in der Kategorie beste Filmmusik für den Kinofilm "Oh Boy" erhalten haben. Alles klar. Christopher Colaço ist der Keyboarder und Philipp Schaeper der Schlagzeuger der JAZZ KIDS. Als nach ca. 15 Minuten nichts weiter passiert, wird das Publikum unruhig und beginnt zu pfeifen. Dann endlich erscheint Tom Schilling. Ganz lässig im Penny Lane - City of Liverpool T-Shirt gekleidet, begrüßt er die Gäste und verspricht als Support-Act einen Künstler mit einer ganz großen Stimme: Andreas Vey. Und er soll Recht behalten. Eigene Songs, angesiedelt zwischen Pop, Folk und Rock, werden getragen von einer kraftvollen Stimme, die in der Lage ist, Emotionen zu transportieren. Von den ersten Tönen an ist es im Saal totenstill. Die Leute lauschen aufmerksam den eingängigen Melodien, die Andreas virtuos auf dem Piano begleitet. Ein wenig erinnert mich seine Stimme an die von Chris Martin (Coldplay). Bei seinem Stück "River" schafft er es gar, uns eher verhaltene Norddeutsche zum Mitsingen zu animieren. Sein kurzes, aber beeindruckendes Set wird mit viel Beifall bedacht. Bescheiden weist Andreas Vey darauf hin, dass seine erste CD erst am 26. März - an seinem Geburtstag - erscheinen wird, und dass er heute Abend nur mit Visitenkarten dienen könne. Wir nehmen schließlich eine mit. Dann wünscht er noch viel Spaß bei einem Abend zwischen Dur und Moll mit Tom Schilling & THE JAZZ KIDS.

Die Musiker lassen nicht lange auf sich warten. Jetzt erscheint Tom Schilling im schicken Outfit, in einem maßgeschneiderten Dreiteiler, mit weißem Hemd und Schlips. Vom Band läuft ein deutschsprachiges Intro. Wegen meiner beiden Fotoapparate schaffe ich es nicht, Shazam zu befragen. Ich kenne diesen Song jedenfalls nicht. Doch der nächste ist mir bekannt, allerdings nur in der Originalversion von Hildegard Knef. "Das Lied vom einsamen Mädchen" präsentieren uns Tom Schilling und seine Band in einer düsteren Indie-Rock-Version. Auch "In Scherben" ist ein Song, den ich noch nie gehört habe, der mir jedoch gefällt. "Das nächste Stück könnt ihr vielleicht kennen", meint Tom danach und spricht von Bettina Wegners "Kinder". Die kleine Panne zum Beginn des Songs überspielt er gekonnt, fängt mit der Band einfach noch mal von vorn an, und erzeugt bei dunkelroter Lichtstimmung berührende Momente.c 20200222 1761843167 Das Lied mit seiner simplen Melodie und seiner immer gültigen Textaussage hat sich mir schon früher fest eingebrannt. Im Folgenden mischt Schilling Songs seines Albums "Vilnius" nach und nach mit neuen Songs. Er selbst sprüht vor Energie, besonders bei den rockigeren Stücken. Er ist ständig in Bewegung, auch wenn er, tief in den Songs versunken, dem Publikum häufig den Rücken zudreht. Irgendwann wird ihm wohl warm dabei. Die 0Anzugjacke wird beiseitegelegt und der Schlips gelockert. Tom Schilling, der als zurückhaltend und introvertiert gilt, zeigt sich an diesem Abend von einer anderen Seite. Natürlich und ungekünstelt brilliert er als sympathischer Sänger seiner Stücke. Die JAZZ KIDS erweisen sich dabei als hochkarätige Begleitband. Meist spielen sie dezent zurückhaltend, drehen bei anderen Songs aber richtig auf. Gitarrist Lenny Svilar bekommt immer wieder Raum für mitreißende Gitarrensoli und auch Christopher Colaço beeindruckt mich mit seinem exzellenten Keyboardspiel. Philipp Schaeper an den Drums und Bassist Leo Eisenach entwickeln immer wieder einen unglaublichen Groove. Es ist nur schade, dass die Musiker meist im Dunkeln stehen, was im Rostocker M.A.U.-Club leider oft vorkommt.

Mit "Das Lied vom ich" und "Die Weide" präsentiert Schilling zwei weitere neue Stücke, die sehr emotional sind. Tom erzählt dazwischen, dass er sich vor kurzem einer Operation mit Vollnarkose unterziehen musste, und dass ihn solche Extremsituationen immer wieder zum Nachdenken anregen, woraus dann neue Texte entstehen. Als er zur Gitarre greift, die ihm ein Freund einst geschenkt hat, sagt er: "Eigentlich bin ich ja Schauspieler. Aber warum soll man nicht das machen, was einem Spaß bereitet? Ich dränge mich doch nicht auf. Aber ich muss singen, wenn es etwas zu erzählen gibt." Für dieses Statement gibt es zustimmenden Beifall, denn er macht auch diese Sache, bei der er offensichtlich viel Spaß hat, sehr gut. Und ich denke, "Genau, mach weiter damit!" Bei dem melancholischen "Rasteryaev" und dem traurigen "Es ist schwer dich zu vergessen" begleitet Tom sich dann auf der Akustikgitarre.

Danach gibt es wieder zwei düstere Balladen. Die "Ballade vom Eisenofen", wohl inspiriert von den Gebrüdern Grimm, und die "Ballade von René", die das Leben und den Tod eines Junkies beschreibt.d 20200222 1302297838 Es folgen noch zwei weitere Songs, bevor sich Schilling und seine Band mit dem extrem treibend gespielten "Kalt ist der Abendhauch" verabschieden wollen. Tom verlässt die Bühne und die Band rockt noch ein Weilchen. Grandios!

Dass es Zugaben geben wird, steht außer Frage. Dass Tom Schilling sich dabei ans Piano setzt, war nicht zu erwarten. Die Gäste sind begeistert als er sich hinter das Geschmückte Keyboard setzt. "Ihr seid so lustig", sagt Tom, "doch das folgende Lied ist es nicht." Er singt bei "Als wär's das letzte Mal" über Depressionen. Sehr tiefgründig, sehr beeindruckend. Dann stellt er die Frage: "Wer ist der beste deutsche Rocksänger?" - "Lindenberg" - "Grönemeyer" - "Tom Schilling" - tönt es aus dem Rund. Doch Schilling will "Rio Reiser" hören. Und ganz zum Schluss spielt er mit seiner Band eine eigene Version vom "Der Turm stürzt ein" von Rio Reiser.

Fazit: Tom Schilling, den ich als Schauspieler in unzähligen Filmen erlebt habe, hat mich mit seinen Songs und mit seiner Performance als Sänger voll überzeugt. Ich freue mich schon darauf, irgendwann ein neues Album von ihm und seiner Band THE JAZZ KIDS in meinen CD-Player legen zu dürfen, ganz zu schweigen von einem weiteren Konzertbesuch.



Setlist:
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Termine:
• 22.02.2020 - Dresden - GrooveStation
• 23.02.2020 - Hannover - LUX Concert

Alle Angaben ohne Gewähr!






Fotostrecke:


Vorprogramm: Andreas Vey
 

 

 

 

Hauptprogramm: Tom Schilling & The Jazz Kids