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Ein Konzertbericht mit Fotos von Christian Reder + Pressefoto (oben)




 
 
 
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... habe man mal zu ihm gesagt. Die Musik solle nicht immer so traurig und düster, sondern fröhlicher sein ... so wie es die Gesellschaft eben auch ist. Das erzählte Witt zwischen zwei Songs am Freitagabend bei seinem Konzert in Essen und erntete dabei reichlich Lacher aus dem Saal.a 20190622 1943544250 Er sagte aber nicht dazu, wer diesen Wunsch an ihn richtete. Joachim Witt-Musik fröhlich? Zum Tanzen und Schunkeln? Womöglich mit banalen Texten, so leicht formuliert, dass sich in den Zeilen auch wirklich nichts verstecken kann, was den Denkapparat fordert? Unvorstellbar. Genauso wie der Wunsch überhaupt, er möge mal "was anderes" machen. Hat dieser Mensch denn gar nicht verfolgt, was der Musiker in fast 50 Jahren Karriere alles gemacht hat? Pop, Krautrock, Progressive Rock, Neue Deutsche Welle, New Wave, Rock, Neue Deutsche Härte, Crossover, Hardrock, Dark Wave, Elektronische Musik und jetzt sogar orchestral arrangierte Versionen seiner Hits, und somit Klassik. Dass Joachim Witt stur an einer Richtung festgehalten und ihm der Mut zu Veränderungen gefehlt hat, kann man ihm wirklich nicht nachsagen. Nur fröhlich ... das dürfte irgendwie nicht so zu ihm passen und es wäre deshalb auch wünschenswert, dass das Begehren des hier von ihm erwähnten Bittstellers weiterhin ignoriert wird. Trotzdem hatte das Konzert aus seiner derzeit laufenden Refugium-Tour im Essener "Colosseum Theater" eine ganze Menge Fröhlichkeit in sich, denn gut aufgelegt und bestens gelaunt war er ... der Herr Witt.

"Refugium", so heißt Joachims aktuelles Album auch, auf dem er zusammen mit dem Philharmonischen Orchester Leipzig unter der Leitung von Arrangeur Conrad Oleak 15 Lieder aus seiner bisherigen Karriere im Klassik-Gewand neu vertont hat. Im ersten Moment mag dies eher langweilig und wenig innovativ klingen, seine in anderen Musikrichtungen beheimateten Lieder mit einem Orchester auf eine andere Stufe zu heben. Eher ungelenk hat sich da ein Alex Christensen einen Bruch gehoben, als ihm eine Reihe von 90er Dance-Songs mit Orchester als Klassik-Fassungen neu produziert aus dem Studio entfleucht sind. Das kam bei der Masse zwar sehr gut an, ist aber gerade dann nicht selten ein schlechtes Zeichen, was die Qualität betrifft. Andere Bands gingen auch schon zusammen mit Orchester als Unterstützung auf die Bühne und ins Studio - mal weniger mal mehr erfolgreich. Das hat es also alles schon irgendwie und irgendwo gegeben. Aber egal wer das bisher gemacht hat, konnte nicht auf eine solche Masse an Liedern aus unterschiedlichen Richtungen zurückgreifen, so wie Joachim es kann. Wie eingangs beschrieben, hat er sich musikalisch immer wieder neu erfunden und die Richtungen gewechselt. Er machte immer das, wozu er gerade Bock hatte und wie es für seine Ohren klingen sollte. Und genau hier liegt die Spannung an seinem Klassik-Projekt.b 20190622 1498369720 Wie würden alte Hits wie "Der goldene Reiter" neben neueren Titeln wie "Mein Diamant" und "Dämon" klingen? Auch die Art und Weise des Gesangsvortrags dürften sich ja verändern, wenn statt einer Rockband ein Orchester hinter dem Sänger steht. Und so war die Neugier in mir groß, wie das, was auf der Doppel-LP "Refugium" schon so exquisit klingt, letztlich auf der Bühne präsentiert wird.

Pünktlich um 20:00 Uhr betraten die Mitglieder des Orchesters und die anderen Musiker die Bühne des Essener "Colloseums". Ganze 15 Musiker umfasst die Besetzung, die hinter dem Herbergsvater gleich musizieren würde. Als diese ihre Plätze eingenommen hatten, hörte man ersten Applaus, denn der Star des Abends kam gekleidet im schwarzen Anzug seiner Begleitband folgend aus dem Bühnenhintergrund nach vorn. An seinem Hocker angekommen wechselte die Bühnenbeleuchtung und tauchte das zu spielen beginnende Ensemble in sich von blau zu rot und wieder zurück wechselndes Licht. "Dämon" war der erste Titel, der den Konzertabend eröffnete und das Publikum sofort an das Geschehen auf der Bühne fesselte. Ein paar Worte der Begrüßung und des Ausblicks in das, was die Leute in den folgenden zwei Stunden erwarten würde, folgte direkt der nächste Titel, der uns in das Jahr 1998 zurück beförderte, als Witt mit "Bayreuth I" ein beachtliches Comeback feierte. Daraus ausgewählt hatte er das Stück "Das geht tief", dem das aus der gleichen Langrille stammende "Wintermärz" folgte. Gerade einmal drei Lieder waren gespielt, als jedem im Saal klar war, dass man hier gerade Zeuge von etwas Einmaligem und äußerst Schönem wurde. Auch wenn Witt selbst im Hardrock- und Neue Deutsche Härte-Bereich unterwegs war, so hat er anders als andere Vertreter des Genres nie mit der Brechstange operiert. Auf die Zwölf gab es immer nur durch den Sound seiner Musik, nie aber durch die Lautstärke der Instrumente. Man könnte auch sagen, dass er Klang nie mit Krach verwechselt hat. Die im Original schon fein ausgearbeiteten Lieder bekommen durch die Klassik-Bearbeitung eine weitere Gelegenheit, ihre Schönheit zu entfalten und sich in einem anderen Licht zu präsentieren. Dass als harte Rocksongs konzipierte Lieder plötzlich zerbrechlich und an anderer Stelle filigran und pompös zugleich klingen können, konnte man sich so zuerst gar nicht vorstellen. Umso überraschter war man, als man es dann hörte. Ein großes Lob gebührt hier auch dem Sohn von Rainer Oleak, Conrad, der die Arrangements zu diesen verschiedenartigsten Lieder aus Witts Fundus geschrieben hat. Und diese Arbeit zeigt die gewünschte Wirkung: Das Publikum ist begeistert, der Sound im Saal ist großartig - transparent, klar und sehr angenehm.

Und so folgt ein Schlager (wie Witt seine Lieder selbst nennt) dem nächsten, und neben weiteren tollen Bearbeitungen von "Eisenherz" und "Ich teile Deinen Schmerz" steht plötzlich die Melodie von "Gloria" im Raum,c 20190622 1736561101 das Witt vorher als eines der Lieder ankündigte, das gerne mal auf Beerdigungen gespielt würde, und das aus dem Konzert einen runden Abend entstehen lassen würde. Zwischen den neuen und für das Lied doch noch ungewohnten Klassik-Klängen sticht immer wieder die zusätzliche Stimme im Refrain des Stücks heraus. Es ist die der Kontrabassistin Julia Fender, die neben ihrer Arbeit am gestrichenen Kontrabass zu "Gloria" auch das markante "Gloria" gesanglich im Refrain beisteuert. Das macht sie ausgesprochen gut und berührt die Zuhörer mit ihrer Stimme ganz zart. Momente, die sich nur schwer in Worte fassen lassen, die aber hängen bleiben. Dass es für Witt ein ganz anderes Gefühl sei, ohne harter Band im Rücken, dafür aber mit Orchester vorn an der Bühnenkante zu stehen, macht er kurz vor der Pause und dem Song "Wenn der Winter kommt" aus dem Album "Rübezahl" (2018) klar. Das Orchester trage ihn wie auf einer Wolke, merkte er an, und diesen Eindruck hinterließ der Künstler auch dadurch, wie er seine Lieder zum Sound der klassischen Instrumente sang. All die Feinheiten seiner Stimme gehen bei einem Bandkonzert allein durch die Lautstärke auch mal unter. Hier sind sie aber deutlich hör- und wahrnehmbar, wenn er mit seiner Stimme spielt, sie stellenweise tanzen und in den Höhen wechseln lässt. Sie fügt sich in den Klang der Streicher ein und kann neben dem der Bläser spielend leicht bestehen. Und das ist auch noch eine positive Erkenntnis, die man aus diesem Projekt ziehen kann. Andere Stile bieten andere Möglichkeiten, und die werden von Joachim genutzt.

Vor dem Konzert wurde ein Support als Einheizer absolut nicht vermisst. Es war sehr angenehm, dass der Auftritt von Joachim Witt und seinem Orchester pünktlich um 20:00 Uhr losging. Dafür wurde nach der Pause und zu Beginn des zweiten Teils ein "Minikonzert" von Adrian Hates eingebaut. Hates ist Gründer, Kopf, Sänger, Komponist und Produzent der ehemaligen Dark Wave- und inzwischen zur Synthie-Pop-Gruppe gewandelten Band DIARY OF DREAMS und kann allein durch die bisher schon gefeierten Erfolge nicht als "Vorprogramm" eingesetzt werden. Inzwischen kann er mit seiner Band auf 16 Alben und EPs, zahlreiche Singles und weitere Live- und Best-Of-Alben zurückblicken. Also kommt dieser Mann als "Special Guest" und beackert den Vorgarten des zweiten Programmteils mit seinen Songs im Orchester-Sound. Der erste und der letzte Titel seines sechs Stücke umfassenden Programmteils singt der gebürtige Düsseldorfer auf Deutsch, dazwischen bedient er sich der englischen Sprache zum Transport seiner Botschaften. Und die beiden deutschen Songs sind auch die, mit denen er mich abholen kann, während ich schon ab Lied Nr. 3 anfange, mich zu langweilen. Das hat nichts mit Hates' Stimme und Gesangsleistung zu tun, es sind vielmehr die Songs, die einfach nicht zünden wollen. Dies sieht das Essener Publikum anders und spendet dem Mann nach jedem vorgetragenen Lied immer lauter werdenden Applaus. Gut, dass Geschmäcker verschieden sind, sonst wäre es ja auch langweilig. Nach Lied Nr. 4 frage ich jedoch meine Sitznachbarin, ob sie es nicht auch an der Zeit fände, dass Joachim jetzt langsam mal wieder käme.

Dies tat er dann auch und ließ den besonderen Gast gleich neben sich auf der Bühne stehen, damit er mit ihm zusammen den 1998er Überhit "Die Flut" performen konnte. Und hier begeisterte mich Adrian Hates als absolut gleichwertiger Peter Heppner-Ersatz, denn seinen Part in dieser wunderbaren Endzeitstimmungs-Nummer erfüllte er mit Bravour und einer Gesangsleistung, die mich voll erreichte und begeisterte.d 20190622 1516162952 Großartig! Danach stellte Witt seine Mitstreiter vor. Den von der Bühne gehenden Adrian Hates hatte er bereits vorgestellt, nun folgte das 15-köpfige Personal, das für diese tolle Musik sorgte, auf der sich Witt mit seinen Texten und Stimme so wunderbar ausleben konnte. Conrad Oleak hatte ich in diesem Beitrag schon als Arrangeur erwähnt. Er saß die ganze Zeit des Konzerts am Keyboard. Neben ihm saß der Gitarrist Marcel Reiner, den man u.a. auch von der Gruppe TONBANDGERÄT her kennen dürfte. Die Kontrabassistin Julia Fender fiel mir ja schon bei "Gloria" auf und wurde nun auch namentlich erwähnt. Neben ihr trommelte der Hamburger Musiker Burkard Ruppaner und im Hintergrund konzertierte das Leipziger Philharmonie Orchester, deren Mitglieder Witt aber nicht einzeln und namentlich erwähnte. Nach der "Flut" und Hates' Abgang stand der Mann des Abends wieder allein als Sänger auf der Bühne und ließ dem Titel "Mein Diamant" vom letzten Studioalbum "Rübezahl" sein persönliches "Satisfaction" folgen. In dieser Version hätten wir dieses Lied noch nie gehört, kündigte er an, es sei denn, wir hätten das "Refugium"-Album schon zu Hause. Ohne viele weitere Worte zu verlieren begann er den Text ohne Musik und die einzelnen Worte der ersten Zeile lang auseinander ziehend vorzutragen. Schnell war jedem im Saal klar, dass jetzt Witts Überhit aus der NDW-Zeit kommen würde und entsprechend laut fiel der Jubel aus, als "Der goldene Reiter" sich aus dem eben näher beschriebenen Anfang des Stücks deutlicher herausbildete. Die vornehme Zurückhaltung, die man im "Colosseum" bis dahin seitens des Publikums noch an den Tag legte, fiel von diesem jetzt ab und machte einer frei ausgelebten Euphorie Platz. Viele standen und feierten den Song, sangen mit und bewegten sich in den Stuhlreihen zur Musik. Klassikunüblich, aber absolut erforderlich. Einmal mehr legte Witt auch all sein schauspielerisches Talent in die Performance der Nummer, so wie er es im Verlauf des ganzen Abends auch schon bei anderen Liedern tat. Er ist eben nicht nur ein Mann des Gesangs sondern auch einer der darstellenden Künste. Danach war Schluss ... Joachim verließ unter tobendem Beifall die Bühne. Keiner saß mehr auf seinem Platz, die Leute klatschten und forderten nach Zugaben und ich schaute verwundert auf die Uhr. Das war's schon? Ende des Programms? Dabei war man gerade erst so schön eingegroovt ... Kurz darauf kam Joachim wieder zurück, setzte sich wieder auf seinen Hocker und gab mit "Wieder bin ich nicht geflogen" vom 1983er Album "Märchenblau" eine Zugabe. Genau:e 20190622 1166697253 EINE (!) Zugabe, denn erneut verabschiedete sich der Hamburger Musiker von seinem Publikum und verließ dann wieder die Bühne. Dieses Mal endgültig, denn auf der Bühne ging das Licht aus, während es im Saal vollständig angeschaltet wurde. Schade. Irgendwie war man noch gar nicht richtig satt ... Das hätte gern noch 'ne Stunde oder zwei weitergehen können.

Während die ersten Leute den Saal verlassen, sitze ich noch einen Moment still auf meinem Platz. Ich bin zum einen dankbar, dass ich kommen durfte. Zum anderen dankbar für das, was ich eben erleben durfte. Aber auch traurig, dass mir Adrian Hates so viel Zeit genommen hat, die ich lieber mit Witt verbracht hätte. Immerhin über die Hälfte des zweiten Konzerteils. Wie dem auch sei ... Ich habe im Laufe der Jahre schon viele Konzerte von Joachim Witt erlebt und auch einige seiner phönixartigen Auferstehungen aus vorher zu Asche zerfallenen bzw. wieder abgelegten Selbstneuerfindungen. Das alles begeisterte mich immer wieder und der inzwischen 70-jährige hat sein Publikum eigentlich nie enttäuscht. Egal, mit was er da gerade um die Ecke kam und mit welchem Klangkleid er seine Geschichten und Botschaften ummantelte. Eine Werkschau - er nannte es selbst Kaleidoskop - seines bisherigen Schaffens auf diese Art und Weise setzt jedoch ein weiteres und deutliches Zeichen seiner Kreativität und seines Erfindungsreichtums. Was bei anderen Künstlern wie ein sich selbst Wiederverwerten und/oder eine aus Mangel an Ideen entstandene weitere Geldeinnahmequelle wirkt, kommt bei Joachim Witt wie die Neuerfindung des Rades rüber. Nicht nur, dass er gesanglich hier brilliert und offenbar an dem Gesamtpaket aus Gesang, Musik und Darstellung (ja, auch seiner selbst) extrem viel Spaß zu haben scheint, lässt "Refugium" den Mann mit dem Rauschebart zeitlos und für jede Altersklasse genießbar erscheinen. Und hier kann man als Künstler durchaus auch alt werden, und das ein oder andere Programm nachlegen. Songs genug hat er ja, der Joachim. Und Songs genug werden ja auch noch folgen, z.B. im nächsten Jahr, wenn "Rübezahl" zurückkehren wird. Langweilig wird es beim Witt jedenfalls nie. Weder was neue Platten betrifft, noch was er sich für die Präsentation auf der Bühne einfallen lässt. "Mach doch mal was anderes, Joachim", hat da jemand gesagt. Wie wäre es mit Jazz ... der fehlt noch und im richtigen Alter dafür bist Du jetzt. Aber lass weiter die Finger vom "Fröhlichen", dann machste alles richtig!



Termine:
• 22.06.2019 - Offenbach - Capitol
• 23.06.2019 - Hamburg - Friedrich Ebert Halle

Alle Angaben ohne Gewähr! Nähere Infos auf Joachims Homepage



Bitte beachtet auch:
• Off. Homepage von Joachim Witt: www.joachimwitt.de
• Off. Facebook-Seite des Joachim Witt Fanclubs: HIER klicken




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