Deutsche Mugge live wird präsentiert von:
Hotel Selle | Las buenas tapas | Music Pleasuredome


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Ein Konzertbericht von Christian Reder mit Fotos
von  Christian Reder  und  Martin Würzburger



"Ist das nicht der Typ aus der OPEL-Werbung? Der, der da mit dem KIopp zusammen im Auto saß?" - Ja, ist er! Auch eine Möglichkeit, berühmt zu werden: Du musst nur neben Jürgen Klopp, der im Ruhrgebiet - speziell in Dortmund - die Kultfigur schlechthin ist, zu sehen sein und ... schwupps ... schon biste bekannt wie 'n bunter Hund. Der "Typ neben Jürgen Klopp" heißt Roman Shamov und ist weit mehr als der Beifahrer eines berühmten Fußballtrainers, dem er beim Einparken zuguckt. Roman Shamov, geboren im Jahr des Prager Frühlings und des Vietnamkriegs 1968, ist Schauspieler, Musiker und jetzt auch noch Autor. Im Fernsehen ist er schon in zahlreichen Krimi-Produktionen auffällig geworden, auf Theaterbühnen wurde er ebenfalls schon mehrfach gesichtet und im Bereich der Musik hatte Shamov auch schon die eine oder andere kleine Sache am Laufen. Mit der Gruppe Meystersinger war er vor fünf Jahren schon einmal in unserer Ecke hier unterwegs (siehe Bericht HIER), und in eigener Sache kehrte er am Sonntagabend wieder hierher zurück. Nur einen Steinwurf vom damals als Location ausgewählten Parkbad Süd in Castrop-Rauxel war seine musikalische Lesung für diesen Abend im "Las buenas tapas" in Herne angekündigt. Mit im Gepäck Auszüge aus seiner Biographie, die im nächsten Jahr als Buch erscheinen soll und besondere Mixe von Meystersinger-Liedern, die er zwischen den einzelnen Wortbeiträgen zum Besten geben wollte.

Schon weit vor der eigentlichen Show hatten sich viele Interessierte bereits im großen Saal des "Las buenas tapas" eingefunden. Sie wollten dem kulturellen Teil des Abends einen kulinarischen vorausgehen lassen. Mein Freund und Nachbar Holger und seine bezaubernde Gattin Megumi führen das Restaurant nun schon ein paar Jahre und ihre spanischen Spezialitäten sind über die Stadtgrenzen Hernes hinaus bekannt. Und so trug das Personal zahlreiche kleine Schalen mit Delicias, Patatas bravas, Pimientos fritos, Flamenquines, Muslitos de mar, Sepia a la plancha, Boquerones fritas, Gambas und allerlei anderen Spezialitäten zu den Tischen. Das sah gut aus und duftete herrlich. So kann man einen solchen Abend durchaus mal einläuten und auch der Schreiber dieser Zeilen ließ sich die eine oder andere Leckerei aus der Küche kommen. Derweil bereitete sich der Star des Abends auf seinen Auftritt vor. Roman Shamov platzierte sich mit seinem Equipment im vorderen Bereich des Saals und hoffte, dass das Publikum etwas später von seinen Tischen ab und mit den Stühlen näher an ihn heran rücken würde. Pünktlich um 20:00 Uhr kündigte ich Roman an und er begann mit der Sightseeing-Tour durch seine eigene Biographie.

b 20190325 1107779303Und diese Tour begann mit einem Kapitel über die Zeit, als die Berliner Mauer fiel. Es ist mit dem Satz, "Oh neee, Du jetzt auch noch?" überschrieben und schildert diesen einen Moment in der Geschichte, der vielen Biographien von heute auf morgen schlagartig eine neue Richtung gab. So auch der von Roman Shamov, der am Morgen nach dem Mauerfall am 10.11.1989 die Berichterstattung darüber im Rundfunk für Science-Fiction hielt und auch direkt am Grenzübergang an der Bornholmer Brücke noch immer nicht richtig begreifen konnte, was da eigentlich passiert war. Er erzählt in seiner Biographie darüber, wie sein erster Grenzübertritt von Ost nach West war, dass es Gerüche und Farben waren, die ihm als erstes auffielen und dass er als erstes eine Freundin im Westteil Berlins besuchte, die ihn dann mit den Worten, "Oh neee, Du jetzt auch noch?" begrüßte, um ihn nach einem kurzen Moment der Verwirrung doch um den Hals zu fallen und sich über die neue Situation gemeinsam zu freuen. Auch wenn der Autor den Inhalt seiner Zeilen teilweise durch theatralische Einlagen und flapsige Formulierungen komödiantisch darstellte, steckt in diesem Teil seiner Biographie eine Menge Ernst, denn so locker und flockig war das damals doch nicht. Zu diesem Zeitpunkt wusste nämlich niemand, dass der Stempel im Reisepass gleichzeitig auch die Ausweisung aus der DDR bedeutet hätte, wenn alles so gekommen wäre, wie es seitens der Politik nämlich vorgesehen war. Grenze auf ... die Leute reisen lassen ... Grenze wieder dicht ... die ausgereisten DDR-Bürger nicht wieder zurück in ihre Heimat lassen. Gott sei Dank kam das alles ja anders, aber diese Zeit damals hatte eben auch noch viel mit Angst und Unsicherheit zu tun. Zum Thema "Angst" gab es im Anschluss an diesen ersten Teil von Romans Biographie eine "Solo-Version" des Meystersinger-Songs "Angst" vom 2014er Album "Haifischweide". Und hier schmuggelte Roman Shamov zum ersten Mal seine Bühnenpartnerin Lucy van Org ein, die man nicht sehen, in der Musik vom Band aber deutlich als vokale Unterstützung seines Solo-Vortrags hören konnte. Dies sollte bei den später noch zu hörenden Titeln ebenfalls so sein ...

Den zweiten Teil aus seiner Biographie füllten die musikalischen Vorlieben des Autors und die Geschichten über seine ersten Schallplatten. Darum trägt dieser Teil der Bio auch den Titel "Musik". Hierzu hatte er allerlei Erinnerungsstücke dabei und zwar alle Platten, die er sich damals kaufte. Darunter die im Jahre 1978 beim Polnischen Label Polskie Nagrania Muza erschienene Platte des Kubanischen Musikers Afric Simone, die Roman Shamov auf dem Solidaritätsbasar der ostdeutschen Journalisten auf dem Alexanderplatz in Berlin kaufte. Auch die erste Single, die er als Kind bekam, war dabei. Sie stammt von Peter Albert, von dem er sich kurz vor dessen Tod auf das Cover noch ein Autogramm geben lassen konnte. Dies gelang ihm Dank seiner Rolle als Max, das "Alles Gute Schwein" vom Mittel Deutschen Rundfunk, die er Anfang des neuen Jahrtausends mit Leben füllen durfte. So kam er auch an all die großen Künstler heran, die er sonst nur aus dem Fernsehen kannte - so auch Peter Albert. Die zweite Single, die er je besaß, war die von Nina Hagen mit dem Song "Hatschi Waldera", die er ebenfalls hochhalten und zeigen konnte. Mit dazu gab es eine kleine gesangliche Kostprobe, als er sich selbst an diesem Stück versuchte und dabei die "Hatschis" besonders gut hinbekam. Dem folgte eine tiefe Verbeugung vor Reinhard Lakomy und seinen wunderbaren Kinderliedern aus dem Traumzauberbaum, sowie eine Ehrbekundung für Veronika Fischer und seine absoluten Lieblinge von der Gruppe ABBA. Bei der Gelegenheit gestand Roman auch, dass er die vier ABBAs gern mal in seine nächtlichen Träume eingebaut hat und mit ihnen diverse Abenteuer erlebte. Was anfangs wieder etwas launig und mit viel Humor vorgetragen wurde, mündete in eine nahtlos übergehende Ernsthaftigkeit, als es um eine eigene Version von "Eckstein, Eckstein ... alles muss versteckt sein" ging.c 20190325 1558696265 In seiner Version des Versteckspiels ging es aber nicht um die typische Strategie, sich hinter Bäumen und Sträuchern zu verstecken, sondern in Körpern von Erwachsenen und der fragwürdigen Kunst, Gefühle und Verletzlichkeiten zu verstecken. Und wieder war die Wahl des nun folgenden Musikstücks sehr passend. Shamov brachte uns seine Fassung des COUNTING CROWS Titel "Colourblind" aus dem Soundtrack zum Film "Eiskalte Engel" zu Gehör. Das ging tief rein ... Gänsehaut inklusive.

Noch ernsthafter ist der Inhalt des Kapitels "Liebe". Shamov erzählt von der dramatischen Flucht seiner Großeltern aus Nazi-Deutschland. Die Großmutter flüchtete mit der Tochter - Romans Mutter - über Warschau, sie bekommen den letzten Flug raus aus der Hölle in Richtung London. Der Großvater versucht getrennt von Frau und Kind sein Glück über die grüne Grenze. Er versucht zur Fähre in Stettin zu kommen. Die Bilder, die uns der Autor da nur mit seinen Worten in die Köpfe projiziert, sorgen für Beklommenheit. Die Zuhörer können sich so in die Lage versetzen wie es ist, wenn man die Heimat verliert und fliehen muss. Der fast nur als Nachsatz hinzugefügte Teil, dass die Familie der Oma im KZ Theresienstadt geschlossen ihr Leben lassen musste, versetzt einem noch einen zusätzlichen Treffer. Ein Moment, in dem man innerlich aufgewühlt ist, geschockt ist und wieder einmal vor Augen geführt bekommt, mit welch schwerer Last uns die Geschichte und unsere Vorfahren behängt haben. Seine Großeltern hatten Glück und fanden in England wieder zusammen. Sie ließen sich dort nieder und setzten ihrerseits ein Zeichen gegen diesen Wahnsinn. Mit Bildung muss eine Wiederholung dieser Grausamkeiten verhindert werden. Darum schrieben sie ein Buch über Kindeserziehung, das den Titel "Your Child - Your Future" heißt und das bei einem Verlag in London verlegt wurde. Neben seinen Platten als Vorzeigeobjekt im vorher gelesenen Kapitel hatte er nun auch eine Ausgabe des längst vergriffenen Buches in den Händen um es uns zu zeigen. Über das Internet habe er es gefunden und gekauft, erzählte Roman dazu. Der nun folgende innere Monolog beschloss dieses Kapitel und wie schon in den Momenten vorher im Programm war es wieder wichtig, aufmerksam und genau zuzuhören. Entsprechend ruhig war es auch im Saal mit Ausnahme der Herrschaften an einem Vierertisch, die es leider nicht schafften, für knapp 15 Minuten die Privatgespräche einzustellen, was ich als sehr schade empfand. Diesem Kapitel setzte der Künstler das Stück "Machen" seiner Meystersinger in einer weiteren Solo-Version hinten an. Danach ging es in eine kurze Pause. Gelegenheit, das eben Gehörte mal kurz sacken zu lassen ...

d 20190325 1428594107Diese Pause nutzte speziell der eben erwähnte Vierertisch, der sein Desinteresse an dem hier sein Leben und seine Gefühle offenlegenden Künstler und dessen vorgetragenen Texten bereits mit dem Ablegen jeglicher Manieren und permanentem Gequatsche "würdigte", um die Heimreise anzutreten. Allerdings auch ohne etwas in den Hut des Künstlers zu werfen. Wenn einem da nicht das Herz warm wird ...

Der zweite Teil des Programms brachte die Erkenntnis, dass sich in Roman Shamov genetisch so einiges "vereinigt", was an anderer Stelle dieser Welt gar nicht zusammen passen will: Der mütterliche Teil seiner Familiengeschichte sei jüdisch orthodox, die Familie väterlicherseits ist muslimisch. Die Zuhörer bekamen tiefe Einblicke in die Familiengeschichte und man musste schon gut aufpassen, wollte man den Faden nicht verlieren. Es ging um die genauen Verbindungen innerhalb der Familie und Erinnerungen von Roman an diverse Ereignisse, z.B. die an ein silbernes Tablett aus einem der familieneigenen Hotels in Marienbad mit der Gravur des Namens seines Urgroßvaters darauf. Dieses hatte die Flucht überstanden, war letztlich in New York bei seiner Großtante Rahel gelandet, von der er sie viele Jahre später geschenkt bekam. Es geht in dem Teil der Biographie aber auch um eine Zusammenführung der Familie "zu später" Stunde. Aufgewachsen sei Roman mit dem Stiefvater Günther, der ihm ein guter Vater war. Seinen leiblichen bzw. genetischen Vater, wie Roman ihn nannte, habe er erst 2003 im Alter von 35 Jahren kennengelernt. Einem Freund habe er dieses Treffen zu verdanken. Dieser Freund hatte gute Beziehungen nach Moskau und er machte den Vater dort ausfindig. Vorher erzählte uns Roman aber, wie seine Mutter den Vater kennenlernte. Als angehende Lehrerin für Deutsch und Russisch machte sie ein halbjähriges Aufbaustudium in Moskau, erstmals frei und ohne den Einfluss der Familie, um dort einem Herrn namens Ufuk Alhambrovich zu begegnen, der dann nicht nur der erste Mann in ihrem Leben, sondern auch der Vater ihres Sohnes Roman werden sollte. Verteilt auf die Kapitel "Freundlich" und "Papa" bekam der Zuhörer alles Wissenswerte aus der Familienchronik vermittelt und was auf den ersten Blick langweilig und für Außenstehende uninteressant klingen mag, brachte Roman Shamov ausgesprochen kurzweilig und spannend an den Mann und die Frau. Mit den Stücken "Selbst alleine" und einem neuen Remix des Stücks "Trost" gab es zudem noch zwei weitere Songs im zweiten Teil des Abends.

Als Roman Shamov den letzten Ton des Stücks "Trost" gesungen hatte, verabschiedete er sich von seinen Gästen im Herner "Las buenas tapas" und lud diese noch zu einem letzten Getränk vor dem Heimweg ein. Davon machten die Leute auch Gebrauch und es entstand zum Schluss noch eine nette gesellige Plauderrunde, in der über das eben Gehörte ebenso gesprochen wurde, wie über gemeinsame Erinnerungen aus der Jugendzeit.e 20190325 1607451816 Die Lesung des Roman Shamov ist etwas für das aufmerksame Publikum, das vor allen Dingen aber über eine gute Auffassungsgabe verfügt. Wer sich sonst gerne zwei Stunden von Mario Barth oder Michael Mittermeier bespaßen lässt und das für die große Unterhaltung hält, dürfte bei Roman ein paar Probleme bekommen. Auch wenn in seinem Programm der komödiantische Roman Shamov seinen Platz hat, geht es hier aber um viel mehr als um banale Alltagsgeschichten, die man mit Berliner Schnauze überwürzt. Hier geht es um eine Familiengeschichte, der von Außen eine große Tragödie zugefügt wurde. Es handelt von den Zufällen des Lebens und die dadurch entstandenen Wurzeln eines jungen Mannes, die er für sich und für sein Publikum in einer spannend verfassten Biographie nachgezeichnet hat. Selten habe ich erlebt, dass Lachen und Traurigkeit so eng miteinander verknüpft sein können. Selten habe ich erlebt, dass man nur durch das Zuhören einer anderen Person so tief in eine fremde Geschichte eintauchen konnte und selbst nicht erlebte Ereignisse vor dem inneren Auge hat ablaufen lassen können. Selten habe ich mich bei einer Lesung so gut unterhalten und in den Kreis der Familie aufgenommen gefühlt. Das ist schon eine große Kunst und viele kleine Teile greifen hier ineinander. Der kleine Motor läuft und transportiert die Geschichte zum Publikum.

Ist das nicht der Typ, der so eine wunderbare Biographie geschrieben und uns daraus vorgelesen hat? Ist das nicht der Typ, der ganz allein einen Abend gestalten und sein Publikum so schnell abholen kann? Ja, das ist der Typ. Roman Shamov heißt er, und er ist viel viel mehr als nur ein "Beifahrer".






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