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Ein Bericht mit Fotos von Christian Reder

 

Gitarrist und Sänger John Lees, Bassist und Sänger Les Holroyd, Drummer Mel Pritchard und Tastenmann Woolly Wolstenholme gründeten vor 50 Jahren die Gruppe BARCLAY JAMES HARVEST. Über 30 Jahre feierte man Erfolge und lieferte 17 Studio-Alben, 5 Live-Alben und unzählige Singles ab. Seit ihrem Album "Eyes of the Universe" im Jahre 1979 landeten sie mit jeder ihrer Langrillen in den deutschen Top 10 der Album-Charts. Songs wie "Hymn", "Life is for Living", "Ring Of Changes", "Mocking Bird" oder "Child Of The Universe" sind inzwischen Klassiker und fast jeder kennt sie. Mit Deutschland verbindet die Band im Prinzip auch ihre größten Erfolge und hat auch sonst gute Erinnerungen.a 20170715 1341017513 So gab BJH am 14. Juli 1987 als erste westliche Rockband ein Freiluftkonzert in der DDR. Das Quartett spielte damals vor knapp 150.000 Menschen im Treptower Park in Ost-Berlin. Die Geschichte liest sich flüssig und man sollte glauben, dass der Erfolg eine Band zusammenschweißt und die einzelnen Musiker eng verbindet. Das ist in diesem Fall jedoch anders. Im Jahre 1998 erklärte BARCLAY JAMES HARVEST in der Urbesetzung, dass man nach über 30 Jahren Bandarbeit eine Pause einlegen wolle. Doch aus der Pause wurde noch im gleichen Jahr das Aus, denn statt sich eine Zeit lang zurückzuziehen zerfiel die Band in zwei Teile.

Plötzlich gab es BJH zwei Mal. Auf der einen Seite John Lees' BARCLAY JAMES HARVEST mit John Lees und Woolly Wolstenholme, und auf der anderen Seite BARCLAY JAMES HARVEST Featuring Les Holroyd mit Les Holroyd und Mel Pritchard - beide Bands ergänzt durch weitere Musiker. Der eine Fan freut sich, dass er plötzlich zwei Versionen seiner Band live erleben kann, der andere Fan vermisst die geballte Power, die die Urbesetzung hatte und die unwiederbringlich verloren scheint. Und dass es eine Reunion geben wird, dürfte inzwischen komplett ausgeschlossen sein, zumal Pritchard und Wolstenholme inzwischen nicht mehr leben. Aber auch die beiden verbliebenen Gründungsmitglieder dürften nur schwer wieder zusammenzuführen sein. Selbst die beiden einschneidenden und tragischen Ereignisse - Pritchart starb 2004 an einem Herzinfarkt, Wolstenholme nahm sich 2010 das Leben - führten die beiden nicht wieder näher zusammen. Stattdessen stehen sowohl Lees als auch Holroyd mit beiden Füßen auf dem Gaspedal und führen ihre jeweils eigene Version von BJH - auch ohne Pause nach den Todesfällen - weiter. Am Abend des 14. Juli 2017 hatte ich nun Gelegenheit, mir John Lees' "Vorstellung" von BARCLAY JAMES HARVEST anzuschauen. Ich war gespannt ...

Etwa 50 km östlich von Dortmund liegt die Kreisstadt Soest. Soest ist ein kuscheliger kleiner Ort mit knapp 48.000 Einwohnern, viel Fachwerk und einer Stadthalle, in der so allerlei Kulturelles angeboten wird. Den kulturellen Bedarf befriedigte am Freitagabend also BARCLAY JAMES HARVEST, und es war der einzige Termin der Band im weiten Umkreis von Soest. Dies lockte zahlreiche Interessierte an, und der Saal war so gut wie ausverkauft. Ein vom Alter her bunt gemischtes Publikum mit dem Schwerpunkt auf Ü60 hatte sich eingefunden und wartete auf den Beginn des Konzerts. Um kurz vor 20:00 Uhr ertönte erstmals der Gong, der die Konzertbesucher vom Rauchen und Plaudern vor der Tür in den Saal auf ihre Plätze lockte. Pünktlich um 20:00 Uhr betraten die vier Musiker, begleitet von einem ersten Applaus des Soester Auditoriums, ihre Arbeitsplätze.

b 20170715 1865130899Die Bühne war in blau-rotes Licht getaucht, als John Lees und seine Kollegen den Abend mit dem aus dem Jahre 1978 und dem Album "XII" stammenden Song "Nova Lepidoptera" eröffneten. Leise Töne gleich zu Beginn einer Show, bei der man sich auf große Klassiker und auch neue Songs freute. Dies kündigte Craig Fletcher, seit 1998 Bassist und Sänger bei John Lees BARCLAY JAMES HARVEST, bei der anschließenden Begrüßung des Publikums auch an. "We have some new songs, some old songs und some very very old songs ...", gab er einen augenzwinkernden Ausblick auf die nun folgenden Minuten. Craig Fletcher hat nun seit 20 Jahren den Posten inne, den bis dahin Les Holroyd bekleidete. Auf den ersten Blick haben die beiden nichts miteinander gemein ... auf den Zweiten übrigens auch nicht. Weder stimmlich noch vom Auftreten her. Vom Publikum aus gesehen links von ihm stand der Große John Lees, letztes verbliebenes Gründungsmitglied in dieser BJH-Variante, mit dem er sich die Gesangsparts teilte. Bereits als drittes Stück im Set befand sich einer der ganz großen Klassiker dieser Band: "Child Of The Universe". Den Hauptpart von John Lees stimmlich in Szene gesetzt und im Refrain unterstützt durch Craig Fletcher, bescherte er dem Publikum einen ersten nostalgisch-warmen Moment. Dieser über 30 Jahre alte Hit darf wohl inzwischen zu den Klassikern der Rockgeschichte gezählt werden, und von der sich einmal über den Körper ausbreitenden Gänsehaut dürften wohl so einige der im Saal befindlichen Fans überfallen worden sein. Wer nun aber glaubte, dass sich nach dieser Nummer ein Hit nach dem anderen anschloss, der sah sich getäuscht. Was nun folgte war ein Ritt durch fast 50 Jahre Bandgeschichte mit neueren Songs aus dem letzten, im Jahre 2013 veröffentlichten Studioalbum "North", und teils eher unbekannteren Tracks, wie dem 1975 als B-Seite der Single "Mocking Bird" veröffentlichten Titel "Galadriel". Und so kam es auch, dass es zwar stets Applaus für die vorgetragenen Songs gab, dieser aber erst dann so richtig laut wurde, wenn das Tempo angezogen oder sich ein bekannteres Stück dazwischen mogelte und erkannt wurde.

c 20170715 1008891813Es waren also weniger die Lieder, die aus dem Live-Vortrag heraus ragten, sondern mehr die Musiker. Hier ist allen voran Craig Fletcher zu erwähnen. Er war vorn der Wortführer, übernahm den Großteil der Ansagen und tat dies in einer charmant lässigen Art. Hier ein Gag, dort eine Anekdote, die er in Teilen sogar auf Deutsch an den Mann und die Frau brachte. Auch an seinem Instrument, dem Bass machte der 52-jährige Musiker eine gute Figur. Immer wieder würzte er die Songs mit kleinen Ausflügen an seinem Viersaiter und verlieh jedem einzelnen Stück einen angenehm tiefen Ton. Nicht ganz so auffällig, aber nicht weniger brillant an seinem Arbeitsgerät, zeigte sich John Lees. Eigentlich hatte ich die "Hauptrolle" bei ihm verortet. Auch er meldete sich ab und an zu Wort, war aber eher der ruhigere Pol im Ensemble. Wenn es aber um den Einsatz an seiner Gitarre ging, hatte das mit Ruhe nicht viel zu tun. Es war eher das Gegenteil von ruhig, was der im Januar dieses Jahres 70 Jahre alt gewordene Saitenhexer da ablieferte. Hier ein Solo, da ein Zeichen setzendes Riff ... Der Mann weiß, wann und wo er ansetzen muss. Wäre ja auch ein Wunder, wenn nicht, da die Stücke im Live-Programm allesamt aus seiner Feder geflossen sind. Am Schlagzeug sitzt ebenfalls seit 20 Jahren Kevin Whitehead. Ihn kennt man vielleicht aus der Studio- und Live-Band von Lisa Stansfield, für die er 1999 kurzzeitig trommelte, ansonsten hat er die deutlichsten Spuren in seiner Zeit bei BJH hinterlassen. Sein Trommeln lieferte der Formation den nötigen Bumms und als Taktgeber war er zusammen mit Fletcher so präzise wie ein Uhrwerk unterwegs. Der vierte Mann im Bunde ist Jez Smith an den Tasteninstrumenten. Die von ihm beigesteuerten Klavier-Parts hatten allesamt einen feinen Ton und fügten sich nahtlos in das Klanggefüge ein. Seine Keyboard- bzw. Synthie-Parts waren dagegen alles andere als ein Hörgenuss. Es kann unmöglich im Sinne von Woolly Wolstenholme sein, dass Lieder aus dem Repertoire der Band in einer solchen Form über die Bühnenkante geschwappt kommen. Bei Titeln wie "Cheap The Bullet" und "Paraiso" sorgte Smith mit seinem Beitrag nämlich dafür, dass die Nummern eher wie Fahrstuhlmusik als wie Rock-, geschweige denn Prog-Rock, klangen. Da war man als Fan schon froh, dass der eine oder andere Klassiker nicht mit im Set war. Das hätte übel ausgehen können!

d 20170715 1326703173Womit wir beim Thema wären: Nach "Child Of The Universe" waren die bekannteren Stücke rar gesät. Im Hauptteil des Sets fand sich noch das 1978 als Single veröffentlichte "Loving Is Easy", das mit seinem ziemlich rockigen Arrangement für ordentlich Stimmung sorgte, und das 1981 veröffentlichte Stück "In Memory Of The Martyrs" wieder. Der Rest war einigen Gästen im Saal entweder unbekannt oder für nicht so "interessant" befunden, dass man hinterher in großem Jubel ausbrechen wollte. Große Nummern, die man als Gast bei einem BARCLAY JAMES HARVEST-Konzert erwartet, fehlten. Kein "Life is for Living", kein "Ring Of Changes", kein "Victims Of Circumstance" und auch kein "Rock'n'Roll Star". All diese großen Stücke fehlten einfach. Statt ihrer gab es dann Nummern wie "Sideshow", die nicht als Single veröffentlicht, dafür aber von John Lees seinerzeit komponiert wurden. Und da lag dann auch das Geheimnis, und eigentlich stand es auch in der Überschrift zu lesen. Hier bekam man Songs von "John Lees' BARCLAY JAMES HARVEST" zu hören. Also alles, was aus der Feder von Les Holroyd stammt, findet in der Setlist keinen Platz. Das mag der sich ständig bei dieser Formation in Konzerten tummelnde Besucher sicher wissen, mir, meiner Begleitung und auch einigen Leuten, mit denen man am Rande des Konzerts ins Gespräch kam, war dies so jedoch nicht klar. Nicht, dass wir uns hier falsch verstehen: Die vorgetragenen Rocksongs und Balladen waren große Klasse - sowohl inhaltlich als auch von ihrem Arrangement. Aber wenn eine Band wie BJH so große Hymnen im Repertoire hat, sollten diese auch gespielt werden. Völlig egal, wer von den aktiven oder "abtrünnigen" Mitgliedern sie geschrieben hat. Apropos "Hymnen": Immerhin riss die Band das Publikum bei den Zugaben im wahrsten Sinne des Wortes von den Sitzen, als man mit "Mocking Bird" und dem grandiosen "Hymn" dann doch noch zwei Songs auspackte, die man - wie Craig Fletcher in seiner Ankündigung anmerkte - gar nicht mehr groß vorstellen muss.

e 20170715 1824795427Ein besonderer Moment am Freitagabend war wohl der, als John Lees das vom aktuellen Album "North" entnommene Stück "On Leave" ankündigte. Er erzählte von seinem Kollegen Woolly Wolstenholme, mit dem er so lange zusammengearbeitet hatte - beide gründeten 1964 bereits als Studenten der Oldham Art School die Band THE SORCERERS, aus der später BJH wurde - und der sich 2010 das Leben nahm. Lees fügte hinzu, dass Woolly ein feiner Kerl und festes wie wichtiges Mitglied der BJH-Familie war. Für ihn sei dieses Lied geschrieben und an dieser Stelle auch präsentiert worden. Dieser ruhigen Nummer gab John Lees nicht nur seine Stimme, sondern veredelte sie zusätzlich noch mit einem Gitarrensolo, in das er sich spielend irgendwie verlor und die Zeit einfach unwichtig werden ließ. Es stand eine ganz besondere Atmosphäre im Raum, als das Quartett dieses Stück spielte, und sie holten damit ihren ehemaligen Kollegen mit auf die Bühne. Einen weiteren besonderen Moment bekam ein Fan im Publikum kredenzt. Dieser war für das Konzert in Soest eigens aus England angereist und es war - so Craig Fletcher bei seiner Ansage - am Freitag das bereits 100. BJH-Konzert, das der Mann besuchte. Clive heißt er und das folgende "For No One" wurde speziell nur ihm gewidmet. Die Band bedankte sich damit für diesen ganz besonderen Support und Fletcher fügte an, dass Clive nach dem Konzert mit seinen Freunden von BJH an der Hotelbar noch einen trinken werde. Und da wir ja alle Freunde seien, sei auch der Rest der Leute im Saal dazu eingeladen. Es ist übrigens nicht bekannt, ob und wenn ja wie viele Leute dieser nicht ganz ernst gemeinten Einladung hinterher tatsächlich gefolgt sind. Hoffentlich war die Rechnung am Ende nicht so hoch ... Einen weiteren "besonderen" Moment möchte ich an dieser Stelle nicht unerwähnt lassen, nämlich den um 20:45 Uhr als die Band ihr Konzert für eine Pause unterbrach. Das war besonders auf der einen und völlig kontraproduktiv auf der anderen Seite. Gerade hatte sich die Kapelle ordentlich eingegroovt und ihr Publikum angeheizt, da holte das britische Quartett die Leute auch schon wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Progressiv war das jedenfalls nicht - das hatte eher was von einer Kaffeefahrt.

f 20170715 1068785887Am Ende spielte die Band mit Zugaben, und ohne die Pause mit einzurechnen, knappe zwei Stunden. Die Schwächen des Vortrags hatte ich bereits angesprochen, die Stärken ebenso. Begeistern konnte das Quartett mit einem exzellenten Vortrag, der mit Ausnahme der Keyboard-Parts, richtig viel Spaß machte. Besonders die Ausflüge von Lees auf der Gitarre und Fletcher am Bass sorgten ein ums andere Mal für große Momente und beide Musiker unterstrichen eindrucksvoll, was für Könner ihres Fachs sie sind. Speziell Lees mit seinen 70 Lenzen macht heute noch so manchem Jungspund, der sich für den größten an der Gitarre hält, locker und völlig entspannt was vor. Was einem in der Setlist fehlte, wurde mit Spielfreude und einem tollen Sound wieder wett gemacht. Das war überzeugend, das hatte Klasse. Auch wenn die Herren auf der Bühne inzwischen schon ein paar Jahre auf dem Buckel haben, sollten sie sich trotzdem überlegen, ob sie ihr Programm auch zukünftig mit einer Pause unterbrechen wollen. Sie schnitten sich mit dieser Pause bei ihrem Konzert in Soest nämlich selbst den gerade aufgenommenen Faden ab, und damit auch die gerade entstandene gute Stimmung. Auch über den Synthie-Sound sollte man in einer ruhigen Minute nochmal nachdenken, denn der ging für meinen Geschmack überhaupt nicht. Den frommen Wunsch, dass sich Lees und Holroyd nochmal an einen Tisch setzen und der Sache wegen nochmal an einem Strang ziehen, äußere ich an dieser Stelle nicht. Dieser Wunsch wurde schon mehrfach ausgesprochen und blieb ungehört. Und darüber, dass man nicht von großem Erfolg ausgehen kann, wenn man zwei alte und knorrige Eichen aus und an anderer Stelle wieder eingräbt, haben schon andere berichtet. Wer von BJH also bestimmte Songs live hören möchte, muss sich weiterhin vorher erkundigen, welche der beiden Besetzungen diese spielt. Ich wünsche dabei viel Spaß - ich hatte ihn jedenfalls!

Ein interessantes Detail noch am Rande: Auf den Tag genau vor 30 Jahren, also am 14. Juli 1987, fand das eingangs schon erwähnte und legendäre Konzert der Band in Ost-Berlin statt. Obwohl es so wichtig für die Band war und auch in die Geschichte einging, wurde es von der Band am Freitag nicht erwähnt. Dann hole ich das an dieser Stelle mal schnell nach ...



Termine:
• 21.07.2017 - Esslingen - Burg
• 12.08.2017 - Bad Pyrmont - Schlosshof
• 13.08.2017 - Greifenstein - Burg Greifenstein
• 15.08.2017 - Nürnberg - Serenadenhof

Alle Angaben ohne Gewähr! Nähere Infos auf der bandeigenen Homepage.



Bitte beachtet auch:
• Off. Homepage von John Lees' Barclay James Harvest: www.barclayjamesharvest.com
• Off. Homepage von Barclay James Harvest feat. Les Holroyd: www.barclayjamesharvest.co.uk
• Homepage der Stadthalle in Soest: www.stadthalle-soest.de
• Homepage des Veranstalters Kultopolis: www.kultopolis.com







 

 

 


   
   
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