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Ein Bericht mit Fotos von Christian Reder
+ zusätzliche Fotos von Hans Delbrüger



Am Samstag war die Auswahl in Bezug auf die Freizeitgestaltung mal wieder grenzenlos. Ein Schützenfest, die Frühjahrskirmes und im Bezahlfernsehen ein weiteres Schützenfest, nämlich das, bei dem sich die Bayern aus München zum fünften Mal in Folge zur Meisterschaft ballerten. Die Liste war schnell abgehakt und alles für ziemlich uninteressant befunden.a 20170430 1970102210 Viel interessanter und für meinen Geschmack komplett konkurrenzlos war ein Termin in meinem Kalender, der da schon ein paar Tage drin stand: Manfred Maurenbrecher gastierte in Bochum. Obwohl ich viele CDs von ihm in meinem Schrank habe und sein "Junge", der "malen kann", zu meinen Lieblingssongs gehört, hatte ich bisher noch nicht das Vergnügen, Maurenbrecher mal live zu erleben. Das sollte sich nun ändern ...

Um halb acht bog ich mit meinem Auto auf das Gelände der ehemaligen Zeche "Lothringen" ein und fand noch einen der wenigen Parkplätze. Die Parkmöglichkeiten waren dieses Mal sogar noch begrenzter als sonst, denn vor dem einstmals als Magazin genutzten Gebäude der Zeche, in dem heute der Bochumer Kulturrat e.V. untergebracht ist, stand ein großer Ü-Wagen des Westdeutschen Rundfunks quer über mehrere Parkboxen. Die Kollegen vom Radio waren angerückt, um das Konzert des Liedermachers mitzuschneiden. Der Künstler selbst schnappte noch frische Luft, bevor es losgehen sollte und war vor der Tür in einem Gespräch vertieft. Ein kurzes "Hallo" und hinein ging's ins Magazingebäude. Im Vorraum des Konzertsaals hatten sich bereits einige Konzertbesucher eingefunden, die bei Getränken in Gesprächen vertieft waren. Die Nachfrage für diese Mugge schien groß zu sein. Das ist - wie die Erfahrungen der letzten Monate zeigten - weiß Gott nicht selbstverständlich, nimmt der eingeborene Ruhrgebietler bei anspruchsvoller Kunst ja gern mal Reißaus und versteckt sich in Sälen und Zelten, in denen ihm seichte Kost geboten wird. Maurenbrecher zieht die Leute also noch an, und so waren die Stühle zu Beginn des Konzerts bis auf wenige freigebliebene Exemplare ganz hinten komplett besetzt.

b 20170430 1525479647Pünktlich um 20:00 Uhr betraten Manfred Maurenbrecher (Klavier, Gesang), Andreas Albrecht (Percussion, Gesang) und Marco Ponce Kärgel (Gitarre) die Bühne. Mit dem Song "Rolle, Rolle, Rolle" vom aktuellen Album "Rotes Tuch" eröffnete das Trio den Konzertabend. Es gehe überwiegend um Reisen, kündigte Maurenbrecher bei der Begrüßung des Publikums an und fügte hinzu, dass die schönsten Reisen doch die seien, bei denen man das Haus nicht verlassen müsse. Das Haus definitiv verlassen musste Maurenbrecher aber im Februar dieses Jahres, als er mit seiner Lebensgefährtin Urlaub in Cuba machte. Dort sei das Lied "Der Fuhrmann" entstanden, als er einen alten Mann, der ein Fuhrunternehmen hatte, auf dem Boden vor einer Kirche sitzen sah. Und schon ging sie weiter, die musikalische Reise mit Manfred Maurenbrecher und seiner Band. Immer wieder machte der Sänger mal längere, mal kürzere Ansagen zwischen den Liedern und zeigte sich dabei als unterhaltsamer und humorvoller Geschichtenerzähler. Ob nun gerade zum folgenden Stück, darüber was er bei Facebook erlebt hat, über eine Reise nach Griechenland, als ihn der Weg noch über das damals existierende Jugoslawien führte, über den Wahlkampf in Berlin, über die Jagd nach Pokemon, über die Gegend in der er aufgewachsen ist oder die Geschichte über die zwei Fische im Meer, die einen anderen und älteren Fisch treffen ... er brachte sein Publikum oft zum Lachen aber immer wieder auch zum Nachdenken. Letzteres gelang ihm hauptsächlich aber über seine Lieder, die allesamt Botschaften in sich tragen und beim Hören ein Mitdenken einfordern. Dabei geht es dann tatsächlich um Reisen in all seinen verschiedenen Formen.

Aus all seinen kleinen Geschichten und Erzählungen möchte ich an dieser Stelle aber nur zwei wirklich herausheben. Für die anderen sollte sich der Leser die Zeit nehmen und dem Künstler selbst bei einem seiner Konzert zuhören. Da wäre zum einen die Geschichte über das Lied "Das Land", das im Jahre 1990 kurz nach dem Fall der Mauer entstand.c 20170430 1318949721 Im September 1989 ist sein Sohn zur Welt gekommen und im November öffnete sich die innerdeutsche Grenze. Er war damals auf der einen Seite so voller Liebe zu seinem kleinen Sohn und auf der anderen Seite so tierisch genervt, dass er trotz großem Wissensdurst wegen dem frisch eingetroffenen Nachwuchs' nicht einfach mal eben "rüber" fahren konnte, wie es alle anderen in seinem Berliner Umfeld taten. Etwas später habe er sich dann einen fast neuen Lada gekauft, der erst 1.000 Kilometer auf dem Tacho hatte und mit dem er sich den Unmut von LKW-Fahrern zuzog. Warum? Das erzählt Mauri sehr amüsant auf der Bühne. Mit diesem Lada habe er jedenfalls in der Wendezeit mit Familie die DDR bereist und sich die schöne Landschaft speziell an der polnischen Grenze angeschaut. Und weil die Situation heute wieder so ähnlich wie damals ist, habe er den Song wieder ins Programm genommen und spiele ihn wieder live. Eine weitere Geschichte war die darüber, dass er 1988 den im vergangenen Jahr verstorbenen Sänger Leonard Cohen in Berlin treffen durfte. Dies sei vor dem Konzert Cohens im Internationalen Congress Centrum Berlin (ICC Berlin) gewesen - übrigens eine scheußliche Architektursünde, deren Hässlichkeit er bei der Gelegenheit ausführlich und begründet beschrieb. Er habe damals Kontakt mit seiner Konzertagentur aufgenommen, sich als deutscher Kollege Cohens vorgestellt und gefragt, ob er ihn treffen könne. Man traf sich also, trank zusammen Rotwein und hatte über eine halbe Stunde Zeit, miteinander zu plaudern. Das Lied "Rotes Tuch", das seinem aktuellen Album nicht nur den Namen gibt, sondern schon aus dem Jahr 1988 stammt, wäre ohne die Begegnung mit Cohen so wohl nie entstanden. Und ganz im Stile Leonard Cohens trug Maurenbrecher das Stück dann auch vor ... allein und sich selbst am Klavier begleitend.

Was die Arrangements betrifft, so zauberte uns das Trio richtig viel Abwechslung in den Saal. Marco Ponce Kärgel spielte über die gesamte Länge des Konzerts auf einer einzigen Gitarre, nämlich einer roten Epiphone, Modell Gibson Korea. Der Gitarrist entlockte seinem Instrument die verschiedensten Töne und Stimmungen. Mal brachte er die Karibik nach Bochum ("Der Fuhrmann"), kurz darauf schickte er uns nach Griechenland und ließ Bouzouki-Töne erklingen ("No Go"), und an einer anderen Stelle packte er den "funky Sound" aus ("Morgen is'n neuer Tag").d 20170430 1743485589 Beim Song "Wie weit kann man gehen" spielte er sein Instrument mit einem Schlitten, mittels dem er seine Gitarre zum Singen brachte. Gelegenheiten für das eine oder andere Solo hatte er außerdem. In der Bühnenmitte hatte sich Andreas Albrecht mit seinem als Sitzgelegenheit dienenden Cajon und seinen anderen Percussion-Instrumenten platziert. Neben dem Rhythmus lieferte Albrecht zudem bei manchen Songs den Chorgesang, bzw. die zweite Stimme. Wenn es darum ging, diesem oder jenem Lied eine ordentliche Portion Druck zu verleihen, so war Albrechts Einsatz ebenfalls gefragt. Diese Aufgabe löste er mit dem nötigen Fingerspitzengefühl, wie z.B. beim Finale von "Meine Nachbarin" oder "Ihr verdient uns nicht". Für die Klaviertöne und den Hauptgesang war natürlich der Mann des Abends zuständig. Wobei es Lieder im Set gab, bei denen weniger von Gesang und mehr vom "mit Musik unterlegtem Vortrag" die Rede sein kann, wie z.B. bei "Wie weit kann man gehen", das von Maurenbrecher mehr in Erzählform umgesetzt wurde. Ebensolche Wechsel wie bei der Vortragsform gab es auch in der Musik. "Welt ist am Durchdrehen" z.B. ließ das Trio recht bluesig beginnen und verpasste dem Titel im Verlauf eine Steigerung bis hin zur aufgewühlten Stimmung zum Finale. Dass der Song trotz seiner nicht so positiven Geschichte am Ende doch eine gehörige Portion Optimismus enthält, sei übrigens unbeabsichtigt und einfach so passiert, merkte Maurenbrecher hinterher an. Das komplette Gegenteil dazu war das Lied "Nah und wichtig", zu dem man gut und gerne einen Klammerblues hätte tanzen können. Dieses Stück stammt übrigens aus einem Musical und wurde für zwei schwule Schultheiss-Flaschen, die zusammen mit anderen Lebensmitteln in einem Kühlschrank wohnen, geschrieben. Den Song habe etwas später Klaus Lage gecovert, dem Maurenbrecher aber von der Sache mit den Bierflaschen nichts erzählt habe, wie er uns in seiner Ansage augenzwinkernd wissen ließ. Und mit "Dickes Ding" hatte der Musiker auch einen Song im Gepäck, bei dem das Publikum tatkräftig mitwirken konnte. Der Refrain dieser recht flott arrangierten Nummer wurde am Ende vom Publikum komplett allein gesungen. Stadionatmosphäre kann Herr Maurenbrecher also auch erzeugen ... Seine Songs würzte Maurenbrecher zudem immer wieder mit toll gespielten Klavier-Passagen. Auch hier steckte viel Abwechslung drin, und am Ende des Konzerts - in den Zugaben - ließ er bei "Morgen ist ein neuer Tag" sogar den Barpianisten durchblicken.

Das Konzert war von einer kurzen Pause unterbrochen, in der das Publikum neben dem Ausgleich des Flüssigkeitshaushalts auch dazu Gelegenheit hatte, von Maurenbrecher extra aus Berlin mitgebrachte CDs und Bücher zu erwerben, die "überhaupt keinen Bock dazu hatten" mit ihm wieder zurück nach Berlin zu reisen.f 20170430 2011566510 Schon beim Betreten des Vorraums am frühen Abend fiel mir eine Collage aus gerahmten Fotos des Fotografen Eugen Zymner und Lithografien der Künstlerin Ulla Zymner auf, die die komplette hintere Wand des Raums einnahm. Sie waren extra dort für diesen Tag aufgehängt worden, denn darauf zu sehen waren Bilder mit Manfred Maurenbrecher als Motiv und zum Thema passende Schriftdrucke. Beide Künstler weilten zudem auch unter den Konzertgästen. Vorbei am Tresen, an dem der Verein wieder Getränke und kleine Snacks für einen absoluten Freundschaftspreis ausgab, konnte man außerdem diverse Reliquien der Zechen-Ära in Augenschein nehmen. Ein alter, noch mit Kohlestaub bedeckter, Arbeitsanzug eines Kumpel, Grubenlampen und andere Bergbau-Utensilien hängen dort an der Decke und an den Wänden.

Der zweite Teil des Konzerts war gefüllt mit weiteren Höhepunkten in Lied- und Vortragsform. Vom Abschiednehmen und Wegfahren handelte das letzte Stück des regulären Sets, "Flüchtig". Abschied und seine Garderobe nehmen wollte zu diesem Zeitpunkt aber noch niemand, und so brachte das laut klatschende Publikum im Bochumer Kulturrat das Trio dazu, mit "Geiles Teil" und "Morgen is'n neuer Tag" noch zwei Songs als Dessert nachzulegen. Um 22:30 Uhr war dann endgültig Feierabend und die "Nachtschicht" beendet. Den Leuten hatte es gefallen, was ihnen geboten wurde. Die über zweistündige Show in allen Teilen in einem Bericht wiederzugeben geht bei Manfred Maurenbrecher nicht. Da steckt zu viel im Detail und vieles von dem, was man sehen und hören kann, muss man eben auch selbst gesehen und gehört haben. Allein die spontanen Gags, die gesetzten Pointen und das Zusammenspiel der einzelnen Musiker lässt sich nicht so einfach in Worte verpacken. Ich hoffe aber, dass ich Euch mit diesem Bericht trotzdem auf einen Besuch bei Manfred und seiner Band habe neugierig machen können.

Während einer seiner Ansagen erzählte Maurenbrecher, dass er immer einen Beruf ergreifen wollte, bei dem er nicht früh aufstehen musste. Das sei ihm als Schüler schon immer ein Graus gewesen, um 7:00 Uhr aufzustehen um zum Unterricht zu gehen. Er habe damals stets schlechte Laune gehabt. Wenn ihm das heute passiere und er früh mit schlechter Laune erwache sage er sich,e 20170430 1880210667 "Mal sehen, wie es in zwei Stunden aussieht", dreht sich um und schläft weiter. Das sei ein Luxus, der mit Geld nicht zu bezahlen sei. Da hat er recht. Gut für ihn, dass er Dank gelungener Berufswahl zu ausreichend Schlaf kommt und gut für uns, dass er Musiker geworden ist und wir in den Genuss solcher Abende wie dem in Bochum kommen. Neue Lieder sind auch schon in der Mache, das Trio sei schon zusammen mit einem Bassisten im Studio gewesen, um am neuen Album zu arbeiten. Es kommt also Nachschub für daheim und ganz sicher auch neue Termine für Live-Shows, für deren Besuch man das Haus dann aber tatsächlich verlassen muss. Wer sich den Konzertabend vom Samstag in Bochum anhören möchte, kann dies am 14. Mai 2017 und am 18. Juni 2017, jeweils um 21:05 Uhr, im Radio des Westdeutschen Rundfunks (WDR 5) in der Sendung "Liederlounge" tun. Das solltet Ihr ebenso wenig verpassen wie den Besuch eines von Maurenbrechers Konzerte. Gelegenheiten dazu findet Ihr auf seiner Homepage und hier ...


Setlist:
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Termine:
• 09.05.2017 - Delitzsch - Altstadtkneipe No.2 (solo "Flüchtig")
• 10.05.2017 - Leipzig - Alte Schlosserei (solo "Flüchtig")
• 11.05.2017 - Goseck - Burgschenke (solo "Flüchtig")
• 12.05.2017 - Wachau - Kirche Schönborn (solo "Flüchtig")
• 13.05.2017 - Bad Schmiedeberg - Pfarrhof (solo "Flüchtig")
• 14.05.2017 - Leipzig - Kirche Zuckelhausen (solo "Flüchtig")
• 15.05.2017 - Querfurt - KUlinarium vom Querfurter Hof (solo "Flüchtig")
• 16.05.2017 - Breitungen - Burg Herrenbreitungen (solo "Flüchtig")
• 17.05.2017 - Tröchtelborn - Kulturhof (solo "Flüchtig")
• 18.05.2017 - Witzenhausen - Bistro Ringelnatz (solo "Flüchtig")
• 20.05.2017 - Hoyerswerda - Kulturfabrik (solo "Rotes Tuch")
• 01.06.2017 - Unteruhldingen - Alte Fabrik (Mix-Show mit Martina Brandl)

Alle Angaben ohne Gewähr. Nähere Infos und weitere Termine auf Maurenbrechers Homepage



Bitte beachtet auch:
• off. Homepage von Manfred Maurenbrecher: www.maurenbrecher.com
• Homepage des Veranstalters: www.kulturrat-bochum.de




 
 
 
 
 
 



   
   
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