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Ein Konzertbericht mit Fotos von Torsten Meyer




 
Der Blues existiert, seit die Welt existiert. Der Blues ist die Wurzel der Musik,
der Ursprung von Rock 'n' Roll und Punk oder was sonst noch. Blues und Kirche -
alles ist darum herum gebaut, und alles hat seinen Ursprung dort: Blues ist die
Geschichte von Mann und Frau. Der Beginn der Welt. Adam und Eva im Paradies.

John Lee Hooker (1917 - 2001)


Blues zum Geburtstag
Was waren das noch für Zeiten, als man sich Wochen und Monate vorher um die Erfüllung von Geburtstagswünschen kümmern musste, weil es in der Mangelwirtschaft des nicht mehr existenten Landes namens DDR schwierig war, mal eben so und auf die Schnelle etwas zu kaufen, was man gerade brauchte oder wollte. Heute ist alles anders. Man kann jederzeit und überall erwerben,a 20151125 1048478793 was das Herz begehrt und braucht dazu dank des Internets nicht einmal mehr das Haus zu verlassen. Das führt allerdings auch dazu, dass man auf die Frage: "Was wünschst Du Dir zum Geburtstag?" kaum noch eine Antwort findet. Eine von mir sehr geschätzte junge Frau namens Heike Nestler umschifft seit einigen Jahren diese Klippe auf ihre ganz eigene Weise: sie beschenkt sich nämlich zum Geburtstag einfach selber.

Die ständig unter Starkstrom stehende Lady aus dem Kabelsketal organisiert seit 2008 gemeinsam mit ihrem Mann Tom vor den Toren von Halle/Saale Konzerte, mit denen sie in erster Linie ihrer Liebe zum Blues Ausdruck verleihen. Aber auch ähnlich gelagerte Musikrichtungen erhalten die Chance, sich dem interessierten Publikum der Region zu präsentieren. Die Exklusivität des Ganzen wird durch die Location unterstrichen, in der die Bluesmessen stattfinden. Ein Schloss muss es schon sein, noch dazu eines der schönsten und bedeutendsten Renaissanceschlösser in ganz Sachsen Anhalt: das Schloss Dieskau. Schlossherr Thymo von Rauchhaupt und Familie Nestler haben den Spaghat hinbekommen, einen gelungenen Mix aus Gastronomie und Kultur zu schaffen, zu dem seit mittlerweile acht Jahren im Sommer wie auch im Winter ganz wunderbare und mittlerweile fast schon legendäre Bluesveranstaltungen gehören.

An einem dieser ca. zwanzig Konzertabende im Jahr gönnt sich Heike Nestler den Luxus, sich - wie oben bereits erwähnt - selber zu beschenken, nämlich immer Ende November anlässlich ihres Geburtstages. Die Veranstaltung steht dann unter dem Motto "Geburtstagsblues" und lässt erahnen, was passiert. Wer nämlich an diesem speziellen Abend auf der Bühne des Schlosses Dieskau steht, gilt als handverlesener Favorit des Geburtstagskindes. Genau vor einem Jahr erfüllte sich Veranstalterin Heike z.B. den Wunsch, das CAPITAL BLUES DUO für dieses eine Konzert wiederzubeleben (Bericht siehe HIER). Es war ein grandioses, unvergessliches Fest für die Sinne eines jeden Liebhabers authentischer Bluesmusik.

Wunschbesetzung
Für Heikes diesjährigen Geburtstag stand am 20. November 2015 wieder ein ganz spezieller Leckerbissen auf ihrem Wunschzettel: ALEXANDER BLUME. Zu Ruhm gelangt als Pianist in der STEFAN DIESTELMANN FOLK BLUES BAND, gilt er seitdem als Boogie Woogie-König in deutschen Landen. Doch auch im Blues und Jazz ist der Eisenacher zuhause, was sich in seinen vielfältigen Projekten und Aktivitäten zeigt. Entsprechend variabel sehen auch BLUMEs Konzerte aus, deren Stil sich letztlich nach den Wünschen des Veranstalters richtet. Die Richtung für den 2015er "Geburtstagsblues" in Dieskau steckte nicht nur bereits im Namen, sondern wird auch mit Blick auf den Special Guest nochmals unterstrichen, den sich Heike als Begleitung für ALEXANDER BLUME gewünscht hat: BERND KLEINOW, dem also erneut die Ehre zuteil wurde, als musikalischer Gratulant dabei sein zu dürfen. KLEINOW und BLUME verbindet dabei noch etwas Besonderes, doch dazu im Laufe des Berichtes mehr.

Willkommen in der Familie
Hier in Dieskau ist die Welt noch in Ordnung. Wenn "Beginn 20 Uhr" auf den Plakaten steht, dann ist das auch wirklich so gemeint. Darüber bin ich voll des Lobes, da diese heutzutage üblichen Spätveranstaltungen bis in die Nacht hinein, noch dazu garniert mit ein oder zwei Vorbands und ewiger, künstlich heraus gezögerter Warterei auf den Hauptact, überhaupt nicht mein Ding sind.

Die Fahrt von Berlin an den südlichen Stadtrand von Halle gestaltet sich problemlos. Als ich gegen 19 Uhr eintrudele, fühle ich mich fast wie zuhause, denn auch wenn ich erst mein drittes Konzert hier erlebe, erkenne ich doch bereits einige bekannte Gesichter unter den Anwesenden und bin angezündet von der familiären Atmosphäre im Saal. Wie immer kann man vorab gegen einen kleinen Obolus am leckeren warmen Büfett seinen Hunger stillen. Und auch die Bar ist schon gut besucht. An selbiger sehe ich in entspannter Haltung die Herren BLUME und KLEINOW ein Schwätzchen halten und geselle mich dazu. Ich erfahre, dass man gerade erst gemeinsam die Setliste für die kommenden zweieinhalb Stunden aufgestellt hat. Ups, das ist ja mal eine nicht alltägliche Verfahrensweise. Zeugt aber andererseits von viel Professionalität und Vertrauen ins Können des Anderen. Dann taucht auch noch der dritte Instrumentalist der gleich beginnenden Show auf, ALEXANDERs Sohn MAXIMILAN, der hier und heute wie üblich seinen Papa am Schlagzeug begleiten wird. Irgendwann sind der Worte genug gewechselt, die Leute sind satt, nehmen ihre Plätze ein und freuen sich auf ein spektakuläres Konzert.

b 20151125 1874734074Boogie und Blues ohne Ende
20 Uhr. Das ohnehin nur spärliche Licht bleibt eingeschaltet, als ALEXANDER und MAXIMILIAN BLUME sowie kurz darauf auch BERND KLEINOW die provisorische Bühne betreten. Wie es sich für Künstler dieser Güte gehört, erhebt sich ihnen zu Ehren tosender Applaus. Da ich einen Platz in der Pole Position habe (und damit mal wieder die Sitzordnung der Stammgäste zerstöre), spüre ich die unmittelbare Nähe, ja fast schon den Atem der Musiker und es beginnt in mir zu kribbeln. Doch es bleibt keine Zeit, sich darum zu kümmern, denn schon fliegen ALEXANDERs Finger über die Tasten des KORG-Pianos und lassen zu seiner Eigenkomposition "Old Boogie" die Beine zucken. Yeah baby, deshalb sind wir heute Abend hier, dafür bin ich nach Feierabend 220 Autobahnkilometer gefahren! Wer vorher Zweifel an der Meisterschaft des Herrn BLUME hatte, begräbt diese umgehend. Verlernt hat der Mann gar nichts, ganz im Gegenteil. Angenehmer Nebeneffekt: So ein Boogie vertreibt auf der Stelle die Müdigkeit aus den von der Arbeitswoche geschundenen Knochen und bläst die Birne frei. Sohnemann Max greift nach zwei Minuten zu seinen Jazzbesen und verstärkt damit den Rhythmus des Songs, und schon erklingen auch die ersten Töne der von mir so geliebten KLEINOW-Harp. Zunächst nur begleitend, um die Lippen auf Betriebstemperatur zu bringen, doch gegen Ende des Songs fliegt uns bereits das erste Solo entgegen. Dieser Beginn macht Laune, so kann es weitergehen. Nach einer kurzen Begrüßung des Publikums darf der wohl großartigste Mundharmonika-Zauberer unseres Breitengrades dann auch gleich zeigen, dass er mehr als nur den "Featuring"-Part erfüllt. "I'm so tired" von BERND KLEINOWs (leider immer noch einzigen) Solo-CD lädt zum Tanzen ein und lässt auch erstmals die Felle von Maximilians Snare Drum beben. Was hat der Junge für einen Bums!

ALEXANDER BLUME ist erstmals in Dieskau zu Gast, hat aber bereits jetzt die Herzen des sehr sachkundigen Publikums gewonnen. Das will etwas heißen, denn dieses Publikum ist nun wahrlich an musikalische Gourmetkost gewöhnt. Und sie werden nicht enttäuscht. "Key to the Highway" beispielsweise, der zu meinen absoluten Lieblingsevergreens aus der Mottenkiste des Blues zählt, wird - obwohl es ja eigentlich schon ein Schleicher ist - nochmals runtergebremst und klingt so verdammt slowly und dennoch bluesig, wie ich es in dieser Form noch nicht gehört habe. ALEXANDER streichelt seine Tasten als wären sie zerbrechlich, und Mr. BK lässt seine Harp regelrecht wimmern. Mir kriecht irgendwas von den Beinen hoch bis in den Nacken - es ist eine wohlige Gänsehaut. Wow! Es sollte an diesem Abend nicht das einzige Mal bleiben.

Neben allen musikalischen Qualitäten gibt ALEXANDER BLUME auch gerne mal den Entertainer. Herrlich unaufgeregt, beinahe schon sachlich wie ein Buchhalter, aber gespickt mit viel hintergründigem Humor erzählt er zwischendurch seine Geschichten zu den Songs. Selbst eigentlich weniger lustige Ereignisse wie die Story zu "Chicago breakdown" werden durch seine Erzählweise zu einem Schenkelklopfer.c 20151125 1525146122 Der absolute Knaller war jedoch sein Ausflug ins Leben von Robert Johann, dem gebürtigen Göringer (Anm. d.Verf.: Göringen ist ein Stadtteil von Eisenach und Wohnort der BLUMEs). Man muss es selber hören, wie aus dem Dorfjungen Robert Johann einige von diversen Wirrungen und Irrungen durchzogene Jahre später die Blueslegende ROBERT JOHNSON wurde. Das ist ein dermaßen intelligenter Blödsinn, dass man es fast glauben könnte, was der Meister uns da auftischt. Herrlich!

Aber natürlich wird weiterhin in erster Linie dem Blues gefrönt. Standing Ovations ernten die drei Virtuosen nach ihrer begeisternden "Riders on the storm"-Version. Genau das ist es eben: wenn BLUME covert, wird nicht nur simpel kopiert, sondern es wird eine eigenständige Nummer daraus, die aber zu jeder Zeit das Original respektiert. Dieses Gütesiegel klebt im Laufe des Abends noch auf mehreren Nummern.

Erinnerungen werden wach
Der zweite Teil des Abends beginnt mit der Ehrung des größten Bluesmusikers, den die DDR hatte: STEFAN DIESTELMANN. 2014 wäre er 65 Jahre alt geworden, was BLUME seinerzeit zum Anlass nahm, ein "DIESTELMANN Remember"-Programm zu gestalten, welches in einem einzigen, sehr erfolgreichen Konzert während des Rock- und Bluesfestivals in Altzella am 29. Mai 2014 zur Aufführung kam. In Altzella mit auf der Bühne stand BERND KLEINOW, der wie BLUME ebenfalls in der DIESTELMANN FOLK BLUES BAND spielte. Interessanterweise spielten die beiden aber zu keiner Zeit gemeinsam bei DIESTELMANN, sondern standen erst später bei ZENIT zusammen auf einer Bühne. Doch beide legten während ihrer Zeit in der DIESTELMANN-Combo den Grundstein für ihre bis heute anhaltende Popularität. Ich erinnere hier nur an den "Reichsbahn Blues".

Für diesen Auftritt in Dieskau entschied man sich dankenswerterweise, zwei Songs der DIESTELMANN-Ära ins Programm einzubauen. Als die ersten Töne der "Bluesgeschichte" erklingen, geht ein erfreutes Raunen durch die Reihen. MAXIMILIAN BLUME tritt ans Mikrofon und beginnt zu singen: "Gestern Abend nach der Mugge kam ein Tramper zu mir ran ...". Ein Schwall Erinnerungen, gepaart mit einer gewissen Portion Wehmut schwebt durch den Saal und nimmt Besitz von mir und sicher auch vielen anderen. Die Gesichter um mich herum sprechen jedenfalls Bände. Im Anschluss wird es totenstill, denn nun intoniert MAXIMILIAN "Der Alte und die Kneipe" auf eine Weise, wie man es besser und ergreifender nicht machen kann. Ich höre diesen Programmteil nach Altzella und Erkner heute zum dritten Mal und ziehe meinen imaginären Hut vor dem jungen Kerl, der diese Songs aus einer Zeit, die er selber nicht erlebt hat, von Mal zu Mal überzeugender an den Mann bringt. Nicht enden wollender Applaus ist die Belohnung für diese reife Leistung.

d 20151125 1844330944Doch auch als Drummer zieht BLUME jun. das Auditorium in seinen Bann. Wenn man ihn in Aktion erlebt, bekommt man einen Eindruck davon, warum er 2014 bereits zum zweiten Mal den Thüringer Landeswettbewerb "Jugend jazzt" gewann. Mit einer unglaublichen Meisterschaft bearbeitet er die Felle seines Schlagzeugs, kann laut wie leise, auch gefühlvoll und dann wieder mit unendlicher Power - ein Hochgenuss!

Höhepunkte gibt es eine Menge im zweiten Konzertteil. Herausheben muss ich auf jeden Fall einen der meistgecoverten Songs aller Zeiten, den "Stormy Monday Blues". Längst habe ich meinen Notizblock weggeworfen und höre einfach nur noch zu. Jetzt jedoch folge ich vielen der anderen faszinierten Zuschauer und schließe auch noch die Augen, um dieses Highlight des Abends aufzusaugen. Immer wenn man denkt, besser geht es doch nicht, setzen die BLUMEs und KLEINOW noch einen drauf. Die mehrfachen, sich abwechselnden Soli an Piano und Mundharmonika sind so intensiv und großartig, dass einem beinahe ein wenig Pipi in die Augen schießt. Und "Stormy Monday" nimmt kein Ende, sie spielen und spielen ... Irgendwann ertönt dann doch der letzte Takt, einige Leute springen auf und schreien ihre Begeisterung heraus.

Mit dem furiosen "Slim Slam Boogie" nähert sich das Konzert nach fast zwei Stunden dem Ende, was aber natürlich auf wenig Gegenliebe des Publikums stößt. Also lässt man sich nicht lange bitten und haut noch einige Songs raus, wobei sich BLUME jetzt mehr auf sein geliebtes Jazz-Terrain begibt. Spitzenmäßig und unbedingt eine Erwähnung wert ist der standardmäßige Rausschmeißer "Cast your fate to the wind", geschrieben von Vince Guaraldi. Sanft und gefühlvoll lässt ALEXANDER nochmals seine Finger über die Tasten gleiten. Nur schade, dass er aus Platzgründen diesmal nicht am Flügel sitzt, was den Klang nochmals veredelt hätte. Da aber der Jubel noch immer nicht abebbt, erscheinen ALEXANDER und BERND für ein letztes Instrumental, den wunderschönen Slowblues "Blues für Stefan".

Lohnenswert
Meine Ahnung hat mich nicht getrügt, der Trip nach Dieskau war absolut gerechtfertigt. Drei exzellente Musiker, fast drei Stunden allerfeinster Blues unterschiedlicher Couleur - mehr geht nicht. ALEXANDER BLUMEs Pianospiel bewegt sich übergangslos zwischen Blues, Boogie Woogie, Jazz und Funk, wobei die Nähe zu seinem Steckenpferd, dem Jazz, unüberhörbar ist. Sein Sohn MAXIMILIAN hat vermutlich eine glänzende Karriere als Drummer vor sich, wenn er denn die richtigen Knöpfe für seine Zukunft drückt.e 20151125 1518017141 Und was will man über BERND KLEINOW noch sagen, was in unseren Berichten auf Deutsche Mugge nicht schon erwähnt wurde? Vielleicht dies: Er ist und bleibt das Maß der Dinge in Sachen Bluesharp. Punkt. Auch wenn BERND jetzt offiziell Rentner ist, wird er seinen Ruhestand hoffentlich weit rausschieben und stattdessen den Bühnen und Bands dieses Landes noch lange erhalten bleiben. Alles in allem kann ich den Veranstaltern nur herzlichst danken für diesen tollen Abend. Man darf gespannt sein, was sich Heike im nächsten Jahr zum Geburtstag wünscht ...


Termine:

Alexander Blume live ...
• 12.12.2015 - Eisenach - Reuter-Wagner-Museum (18:00 Uhr: "Jazz im Advent")
• 12.12.2015 - Eisenach - Reuter-Wagner-Museum (20:00 Uhr: "Jazz im Advent") AUSVERKAUFT!

Bernd Kleinow live ...
• 27.11.2015 - Trebsen - Rittergut (Thomas Stelzer & Friends)
• 28.11.2015 - Pößneck - Bilke Saal (Thomas Stelzer & Friends)
• 11.12.2015 - Dessau - Café Bistro im Bauhaus (Jam Session)
• 12.12.2015 - Bannewitz - Eutschützer Mühle (Thomas Stelzer & Friends)
• 13.12.2015 - Freiberg - Brauhof (Capital Blues Duo)
• 23.12.2015 - Pirna - Q24 (Thomas Stelzer & Friends)
• 25.12.2015 - Luckenwalde - Stadttheater (mit der TB-Session-Band)

Alle Termine ohne Gewähr. Weitere Termine und nähere Infos auf der jeweiligen Künstler-Homepage.



Bitte beachtet auch:
• off. Homepage von Alexander Blume: www.alexanderblume.de
• off. Homepage von Bernd Kleinow: www.berndkleinow.de
• Homepage von Schloss Dieskau: www.schloss-dieskau.de
• Portrait über Alexander BlumeHIER





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