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Ein Konzertbericht mit Fotos von Jens Kurze


Bässe und Kickdrums, die dir den Mageninhalt zurücksenden, unzählige Movingheads und Scheinwerfer, die dich in Sekunden erblinden lassen, hektisches Zappeln von Gobos auf riesigen Videowänden, Menschenmassen, die dich vor der Bühne fast erdrücken - all das gab es hier NICHT. KARAT AKUSTIK nennt sich die aktuelle Tour, Publikum und Band spielen brav im Sitzen (für beide Seiten ungewohnt).a 20151122 2015881716 Der Bühnenaufbau: ein minimalistisches Drumset rechts auf der Bühne, akustische Gitarren und Bässe in der Mitte, links die Keyboards, neben einigen sparsamen LED-Scheinwerfern gab es auf der Bühne alte Stehlampen wie die, die mein Vater einst in seinem Arbeitszimmer hatte. Schon all das deutete darauf hin, was uns erwartet. Neudeutsch nennt man das wohl Entschleunigen.

Vor dem Konzertbeginn hab ich die Techniker und den Ordner über meinen Rezensionswunsch informiert und die Zusage gegeben, dass ich kein Blitzlicht verwenden werde. So konnte ich mich - wenn auch eingeschränkt - während des Konzerts vor der Bühne und in der Stadthalle bewegen und wurde nicht wie andere Besucher gebeten, das Fotografieren mit den grellen Smartphones einzustellen. Die KARAT-Crew ermöglichte mir den Zugang hinter die Bühne. Ich traf auf sehr freundliche, entspannte Musiker, die schon mit den Hufen scharrend auf den Beginn der Veranstaltung warteten. Für den ersten Lacher in der Garderobe sorgte Claudius: auf meine Frage, ob ich vor dem Auftritt eine Setliste bekommen könnte, antwortete er mir, dass das nur nach dem Gig möglich sei, KARAT reise ohne Drucker und erledige das alles als Hausaufgabe im Vorfeld: "wir sind nämlich eine vorbereitete Band". Dem ist nichts hinzuzufügen. Aber Martin sagte mir zu, nach dem Gig seine Setliste zu ergattern - wenn ich schnell genug sei.

Auf meiner Uhr war es 19:58 Uhr, als die Band die Bühne betrat - nix mit der obligatorischen Viertelstunde Wartezeit! Claudius begrüßte die Gäste und erklärte die Bedeutung von "unplugged", das hieße nämlich "ohne Stecker". Bei diesen Worten trat er vom Mikrofon zurück und sprach einfach so weiter. Die Akustik in der Stadthalle macht das möglich - die Aufmerksamkeit des Publikums war sofort bei 100%. Und KARAT begann komplett ohne Stecker mit der "Lagerfeuervariante" vom "Schwanenkönig"b 20151122 1876603063 - drei akustische Gitarren, Shaker, und darüber die Stimme von Claudius. Das Flirren der Saiten, der unterschiedliche Charakter der verschiedenen Gitarren, das Rutschen der Finger auf den Saiten und das Klicken des Plectrums, jedes Detail war zu hören. Hut ab! Das hatte ich so nicht erwartet, und es sollte nicht die letzte Überraschung für mich werden. Mein letztes KARAT-Konzert liegt vier Jahre zurück - Claudius hat sich enorm weiterentwickelt, sowohl als Sänger, als auch als Moderator. Er führte unaufdringlich, ohne Anbiedern oder Selbstbeweihräucherung durch die folgenden 110 Minuten, war Solist und Teamplayer zugleich.

"Magisches Licht", "Gewitterregen" und "Blumen aus Eis" folgten, ehe wir mit einem Blues&Boogie-Thema auf eine falsche Fährte gelockt wurden. Aber das Publikum war textsicher und erkannte schnell, dass es sich um "Jede Stunde" handelte. Im zweiten Teil des Liedes kehrte die Band zum gewohnten Rhythmus zurück, auch die Keyboards wechselten die Klangfarbe. Claudius erzählte nun von seinem ersten Auftritt mit der Band als eines der KARAT-Kinder und einer meiner Lieblingstitel wurde gespielt: die "Abendstimmung". Das Sythesizerthema wurde von einer Gitarre übernommen - auch gut. Ich hatte mich nun schon darauf eingestellt, den letzte Refrain länger und gemeinsam mit dem Publikum zu singen, aber leider Fehlanzeige. Hey Leute - der Saal hat euch aus der Hand gefressen! Christine Daehn und Thomas Natschinski haben das bei ihrer Konzertlesung doch auch hingekriegt ;-) Vom aktuellen Album "Seelenschiffe" wurde einer der schönsten Songs ausgewählt: "Sie weiß nicht, was Liebe ist". Cello und Percussion wurde hier "eingeflogen" und wunderbar mit dem Live-Arrangement verwebt. Leichte Countryballaden-Anleihen gab es bei "Für mich" vom 2010-Album "Weitergehen" - Bernd Römers entlockte seiner geliebten rote E-Gitarre fast pedal-steel-ähnliche Klänge. Ich mag dieses Lied sehr. Nahtlos reihte sich die Erinnerung an Herbert Dreilich an. "Mich zwingt keiner auf die Knie" erzeugt nach wie vor Gänsehaut.

c 20151122 1767572194Der "Albatros" ist für mich eines des besten und anspruchsvollsten Lieder von KARAT. Das Arrangement bietet ja quasi schon eine Teilung an, und so wechselten die Musiker im Song von akustischen zu elektrischen Gitarren und Bässen - gut gemacht! Ich hätte nur ungern auf den Basslauf von Christian verzichtet. Ab jetzt wurde es insgesamt etwas rockiger. Beim "Falschen Glanz" durfte sich Martin Becker als Pianist austoben - Micha unterstützte als Rhythmusgeber - dämmte mit einer Handbewegung den aufkommenden Beifall, wollte unbedingt zu Ende spielen und erst nach dem befreienden Kichern nahm er seine Huldigung entgegen. Ich empfand ohnehin eine Leichtigkeit und ein geradezu fröhliches Miteinander auf der Bühne, lockere Sprüche, kein starres Runtermuggen der Setliste.

Der Titelsong vom aktuellen Album "Seelenschiffe" folgte. Tut mir leid, ich mag diesen Song einfach nicht. Für mich ist er eine uninspirierte Mischung des Gitarrenintros von James Bay "Hold back the river" und Silly "Dein Atlantis". Also wenn wir schon aufs Wasser gehen, dann bevorzuge ich das Karat-Schiff, dass mit knarzigem Bass schon seit vielen Hundert Jahren durch die Meere fährt. Geschmackssache eben. Entschädigt wurde ich sofort darauf, denn "In deiner Gallerie" vom Album "Fünfte Jahreszeit" aus dem Jahr 1986 hatte ich schon länger nicht mehr gehört. Und der "Blaue Planet" wurde ebenfalls im Rock-Arrangement gespielt. Claudius erklärte auch, warum sich die Band in der Vorbereitung des AKUSTIK-Programms für diese Art der Umsetzung entschieden hat: "Es gibt Songs, die kann man zwar verändern, aber nicht unbedingt verbessern." - klare Ansage, unterschreibe ich sofort. Zurück zur akustikorientierten Variante. Logisch, es fehlte ja noch "der eine" Song, den die Band nach eigenen Angaben immer noch liebt und ihn als "Glücksfall" bezeichnet.d 20151122 1811161097 Die Beatles hatten ihr "Yesterday", Deep Purple "Smoke on the water", City "Am Fenster", die Puhdys "Alt wie ein Baum" und KARAT hatten und haben "Über sieben Brücken". Der Refrain wurde mit dem Publikum einmal kurz geprobt, prophylaktisch versteht sich, Martin am nord-Stage-Piano, ehe es am Roland-XB und mit der kompletten Band "zur Sache" ging.

Das wars. Oder eben auch nicht. Die Musiker waren gut gelaunt, verzichteten auf das endlose "Wir lassen uns noch mal rausklatschen" - macht sich bei einem Sitzkonzert, bei dem es spätestens jetzt niemanden mehr in den weichen Sesseln der fast komplett gefüllten Stadthalle hielt - auch nicht so gut. Ich habe mich sehr gefreut, dass sich die Band im Zugabenblock für "Weitergehn" entschieden hat. Als die Glöckchen den "König der Welt" einleiteten war ich rundum beseelt. Es ist mir völlig egal, ob manche das als Kitsch abtun - Komposition und Arrangement sind zeitlos gut! Und als ob das nicht schon genug wäre, gaben Claudius und Martin die "Sieben Leben" hinterher - ein Song vom Album "Die geschenkte Stunde" aus dem Jahr 1995, als ich die Band echt nicht mehr auf meinem Zettel hatte. Puh, durchatmen, mehr geht nicht.

Als KARAT am 20. Juni 2015 auf der Waldbühne das Jubiläumskonzert 40 Jahre KARAT spielte stand ich gemeinsam mit den Ladies von Claudy Blue Sky beim Stadtfest in Cottbus auf der Bühne. Ebenso wie in Berlin hat es wie aus Eimern gegossen, doch die Leute haben mit Regenschirmen vor der Bühne getanzt. Und genau das ist es doch, warum wir Musik machen: um Leute zu begeistern, um ihnen ein paar Minuten zu schenken, an die sie sich gern erinnern. Mein Dank an die KARAT-Musiker: das ist euch gestern ohne Abstriche gelungen.e 20151122 1952024748 Ihr habt euch mit Herzblut und ohne Showmätzchen auf das Wesentliche konzentriert. Ich habe Songs wiederentdeckt, die auch ohne ein dickes, vollflächiges Arrangement funktionieren. Das ist ein Gütesiegel. Ein Dankeschön an die Ton- und Lichttechniker, die den Charakter dieses AKUSTIK-Abends unaufdringlich und sehr subtil umgesetzt haben. Danke auch an die Bühnencrew für ihre Unterstützung bei der Umsetzung meines "Besucherauftrages". Allen Lesern empfehle ich dieses AKUSTIK-Konzert mit Nachdruck. An die Zauderer: springt über eure Schatten!

An die Band: ich wünsche euch einen würdigen Abschluss dieses für euch so wichtigen und erfolgreichen Jahres 2015 - wir sehen uns 2016 wieder bei einem KARAT-Rockkonzert. Micha und Christian, ich hoffe, ich habe meine Zusage - die Rezension betreffend - eingehalten. Martin & Hannes - danke für die Setliste. Claudius - 2016 musst du hoffentlich nicht selbst fahren und wir holen das Bierchen nach, Bernd trainiert das mit dem Flaschenbier inzwischen weiter ;-) Grüße an alle aus der Lausitz!


KARAT akustik:
• 27.11.2015 - Magdeburg - Johanniskirche
• 28.11.2015 - Neubrandenburg - Konzertkirche
• 11.12.2015 - Gera - KuK

Alle Angaben ohne Gewähr. Weitere Termine und Infos auf der KARAT Homepage


Bitte beachtet auch:
• Off. Homepage von KARAT: www.karat-band.com
• Portrait über KARAT auf Deutsche Mugge: HIER




 
 
 



   
   
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