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Ein Konzertbericht von Christian Reder mit Fotos von Frank Süßenbach + Jim Rakete (Textillustration)



Eigentlich müsste man Nina Hagen dankbar sein. Hätte sie Ende der 70er nicht diesen riesengroßen verirrten Furz im Kopf gehabt, wären wir wohl nie in den Genuss der Gruppe SPLIFF gekommen. Die NINA HAGEN BAND war ja schon ein ziemlich heißes Unternehmen, aber die Gruppe SPLIFF, die nach der Sprengung der NHB durch Frau Hagen daraus hervor ging, setzte dem Wirken der vier Musiker Reinhold Heil, Manfred Praeker, Herwig Mitteregger und Bernhard "Potsch" Potschka dann doch noch eins, zwei oder - wenn nicht sogar - drei oben drauf. Der Sound, die Arrangements, die Texte ... das alles war der Zeit damals schon weit voraus. Jeder einzelne Musiker stand nun - statt einer Frontfrau - im Vordergrund, hatte seine ganz eigenen Anteile am und im Programm und stand mit seinen Ideen für Innovation und Kreativität. Innerhalb von nur fünf Jahren setzte sich die Band selbst ein musikalisches Denkmal. Wer heute über die 80er und die damalige Musik aus Deutschland spricht, erwähnt garantiert auch den Namen SPLIFF.b 20151030 1213739440 Zwischen 1980 und 1985 wurden vier Alben veröffentlicht, und die Single-Auskopplungen sind heute teilweise schon zum deutschen Volkslieder-Gut zu zählen. Songs wie "Carbonara" oder "Das Blech" kennt heute noch jeder, der sich auch nur in Ansätzen mit Musik beschäftigt. Lieder wie z.B. "Deja Vu" wurden sogar schon im Musikunterricht an Schulen als Lehrmittel herangezogen. Dass NENA ihren Erfolg und Durchbruch der Gruppe SPLIFF zu verdanken hat, und dass selbst Bands wie DIE ÄRZTE ihre Platten von Mitgliedern der Band haben produzieren lassen, sei hier nur am Rande erwähnt. Seit nunmehr 30 Jahren warten die Fans dieser Band vergeblich auf eine Reunion, die es leider inzwischen auch nicht mehr geben kann. Reinhold Heil lebt schon seit Jahren in den USA und arbeitet als Filmmusik-Komponist. Herwig Mitteregger ist - mit einer längeren Unterbrechung - seit Jahren als Solist aktiv. Manne Praeker hat die Welt leider bereits im Jahre 2012 schon verlassen, und Bernhard "Potsch" Potschka als vierter SPLIFFer, ebenfalls seit dem Ende von SPLIFF musikalisch als Solist und in diversen Projekten aktiv, hatte als einziger vor Jahren einen Versuch unternommen, die Gruppe bzw. ihre Musik unter dem Namen BOCKX AUF SPLIFF wiederzubeleben. Dieses Unternehmen verlief aber irgendwie im Nichts. In diesem Jahr startete Potsch einen weiteren Versuch: Im September veröffentlichte der Gitarrist mit "In Rock" ein neues Studioalbum. Es ist sein erstes Rock-Album seit 22 Jahren. Um dieses Album zu präsentieren, ist Potsch derzeit auf einer kleinen Tour quer durch Deutschland unterwegs und nutzt dabei die Gelegenheit, neben den neuen Liedern auch die alten Songs seiner Band SPLIFF wieder auf eine Live-Bühne zu bringen. Darum trägt seine Tour auch den Zusatz "Spliff Reloaded".

Nun hat "Spliff Reloaded" nur noch in Ansätzen was mit SPLIFF zu tun. Wie oben bereits erwähnt, ist ein Konzert in der Originalbesetzung nicht mehr möglich. Darum spielen die Lieder von einst heute andere Musiker. Nur Potsch ist das einzige SPLIFF-Original auf der Bühne. Die neuen Lieder von Potschs Album sind natürlich von anderen Musikern eingespielt und eingesungen worden. Aber wer soll die Klassiker von SPLIFF bei den Konzerten singen? Wer bitteschön soll Herwig Mitteregger ersetzen? Oder Reinhold Heil bei "Das Blech" und "Carbonara"? Undenkbar, wenn man mich fragt. In vielen Ankündigungen zur Tournee stand immer wieder der Name David Hanselmann zu lesen. Er sollte den Part des Sängers übernehmen, erkrankte aber schwer und konnte sich deshalb nicht an Potschs Projekt beteiligen. Für ihn kam Walter Batzler in die Band, der die neuen Lieder des Albums "In Rock" einsang und jetzt mit auf Tour ist. Eigentlich ist Batzler nur Insidern der süddeutschen Szene und als Sänger der "Classic Rock und Party-Band" ZAP-Gang ein Begriff. Und wer ist noch dabei? Den Job des Bassisten in Potschs Live-Band übernahm Wolfy Ziegler und am Schlagzeug trommelt der erst 26-jährige Johannes Zeiss.c 20151030 1719585373 Auf den Einsatz eines Keyboarders wurde seitens Potsch verzichtet. Die Parts der Tasteninstrumente wurden von ihm geschickt in Gitarrenparts umgewandelt. Vorab festgelegt war bereits, dass alle SPLIFF-Songs, egal ob im Original von Mitteregger, Heil oder Praeker gesungen, vom neuen Sänger Walter Batzler ins Mikro gehaucht werden würden. Ich war neugierig, aber auch sehr sehr skeptisch. Für den 27. Oktober hatte sich das Quartett für ein Konzert in der Lindenbrauerei zu Unna angekündigt und für mich als alten SPLIFF-Fan war das natürlich ein Pflichttermin.

Um 20:10 Uhr erlosch das Licht im Saal der Lindenbrauerei. Regenplätschern war zu hören. Auf der noch dunklen Bühne nahmen die Musiker ihre Plätze ein und mit dem Grollen eines kräftigen Gewitters krachte der erste Song "Love's A Dinosaur" los. Der Abend startete also mit einem neuen Stück vom Album "In Rock". Ein immenser Druck kam da von der Bühne geweht und der Bass sorgte erst mal dafür, dass die Frisur wieder in die richtige Richtung gelegt wurde. Da hatte Potsch nicht zu viel versprochen, als er vorab sagte, dass die Stücke seiner neuen Scheibe - aber auch die alten Klassiker von Spliff - einen enormen Rockeinschlag haben würden. Dies sollte sich im Verlauf des Abends noch weiter bestätigen. Nach der ersten Nummer begrüßte Potschka zuerst das Publikum und kündigte mit "Lifeboat" einen weiteren neuen Titel an. Die Setlist des Abends (siehe unten) war eine gut gemischte Zusammenstellung aus Liedern der neuen CD und alten Songs der Gruppe SPLIFF. Wie schon erwähnt, ging es mit neuem Material los, aber schon als drittes Lied hatte man "Deja Vu" aus dem 1982er Album "85555" ins Programm eingebaut. Die Stellen des Programms, an denen Potsch und seine Kollegen einen alten SPLIFF-Titel auf ihrem Zettel hatten, wurden mit den Jingles vom Album "Spliff Radio Show" (CBS, 1980) eingeläutet, die man "vom Band" einfach vorweg einspielte. Der erste Jingle war gelaufen, da rockte die Band mit "Deja Vu" los. Die Veränderung in der Musik und im Arrangement war unüberhörbar. Im Vergleich zum Original, das bekanntlich ja auch nicht gerade zimperlich daher kommt, wurde nochmals an der Stellschraube in Richtung Hardrock gedreht. Der wummernde Basslauf und das kräftige Schlagzeugspiel gruben sich tief in die Magengegend und Potschs Gitarre setzte das Pünktchen aufs "i".a 20151030 1296940086 Was für eine Hammer-Version! Was die Band einem da erstklassig um die Ohren blies, wurde nur getrübt durch die Textunsicherheit des Sängers Walter Batzler, der mitten im Lied zuerst leiser wurde und dann komplett aussetzte, um wenig später an irgendeiner Stelle wieder einzusetzen. Das war schwach, aber leider nicht das einzige Mal, dass Batzler dies am Dienstagabend passierte. Meine anfängliche Skepsis wurde schon recht früh vom Sänger fleißig mit Futter versorgt.

Weiter ging der muntere Ritt durch die neue Platte und die alten Zeiten. Eine Achterbahn der Gefühle, die die Kapelle in einem auslöste. Die Lieder des neuen Albums überzeugten in der Live-Version allesamt durch ihre Arrangements und die vielen kleinen Feinheiten, die darin eingebaut wurden. So endete das schon zum Heavy-Metal-Genre zählende "Active Shadow" z.B. wie eine Maschinengewehr-Salve. "Did I Find Love" startete eher wie ein Pop-Song, um später im Verlauf mehr in Richtung Artrock abzudriften. Die Ballade "Patience" erinnerte mit seiner anfänglichen Gitarrenfigur an einen Rock-Klassiker aus den 70ern und hatte insgesamt etwas von einem SCORPIONS-Song ... nur eben besser. In zwei Liedern spiegelte sich auch das wider, womit sich Potschka in den Jahren zuvor intensiv beschäftigt hat, nämlich Einflüsse von arabischer Musik. Warum auch nicht? Die von ihm verwendeten Elemente passen hervorragend zum satten und erdigen Sound seiner Rocksongs. "Yesterday" kommentierte Sänger Batzler gar als "schweren Anschlag auf die Ohren", aber wem das beim Konzert in Unna wirklich zu laut war, der ist inzwischen definitiv zu alt. Das hat ordentlich gerockt und für Frohsinn gesorgt. Gewürzt wurde das Ganze immer wieder durch kleine und größere Soli von Potsch oder Ziegler. Einzig ein Solo des jungen und sehr agilen Drummer habe ich vermisst. Insgesamt bleibt festzuhalten, dass die Lieder des neuen Albums durchweg abwechslungsreich und voller guter Ideen sind. Die Live-Umsetzung machte alleine schon durch den gut abgemischten Ton und die vielen krachenden Momente irre viel Spaß.

Bei der Auswahl der alten SPLIFF-Titel hielt man sich nicht strikt an deren Erfolge in den Charts. Natürlich fehlten Hits wie "Carbonara", "Das Blech" oder "Radio" nicht, aber auch Titel, die in den 80ern nicht als Single ausgekoppelt wurden, wie z.B. "Rand der Welt" (incl. des tollen Solo von Potsch) oder "Notausgang", fanden ihren Platz auf der Setlist. Musikalisch steckten die 10 gespielten SPLIFF-Songs in einem neuen Gewand. Das Fehlen eines Keyboards war stellenweise sehr auffällig,d 20151030 1141243068 wurde aber (fast) immer sehr gut durch Gitarre oder Bass ersetzt. Ich erwähnte es bereits am Anfang: Für mich persönlich sind die Originalen nur schwer mit einem anderen Sänger vorstellbar. Die von Heil, Praeker und Mitteregger in den 80ern sehr hoch gelegte Messlatte ist eigentlich nicht erreichbar. Leider fiel bei den SPLIFF-Songs am Dienstagabend dann auch immer wieder die Art des Vortrags und die Textschwäche von Sänger Walter Batzler auf. Was bei den Liedern des neuen Albums "In Rock" super klappte, ging bei den SPLIFF-Songs überhaupt nicht. Wenn man sich auf eine Bühne stellt und die Lieder einer Legende singen darf, sollte man wirklich besser vorbereitet sein. Batzler verfiel mehrfach in leises Stammeln, hatte komplette Aussetzer und schaffte es (z.B. bei "Heut Nacht") sogar in einen Musical-mäßigen Sing-Sang zu verfallen. "Das Blech" und "Herzlichen Glückwunsch" wurden für meinen Geschmack komplett versemmelt. Das war schade, hatten doch gerade seine Bandkollegen bei jedem (!) Titel super Arbeit und für ihn einen erstklassigen Teppich geliefert, auf dem er sich als Sänger hätte gut in Szene setzen können. Dies gelang Batzler leider bei den für ihn viel zu großen Vorlagen überhaupt nicht. Einzig seine Gestik und der körperliche Einsatz funktionierten durchweg gut - ob man diese nun gut finden soll oder nicht, steht aber auf einem anderen Blatt. Vielleicht hat er ja auf den Reisen zu den Konzerten der letzten Tage im Tourbus oder Auto die Gelegenheit gefunden, sich nochmals intensiv mit den Texten zu beschäftigen, um beim Heimspiel in Berlin am kommenden Sonntag nicht wieder so eine Leistung abzuliefern.

Bernhard Potschka auf der Bühne zu beobachten und ihm zuzuhören war ein echter Genuss. Dass der Mann nach all den Jahren noch Bock auf Musik und insbesondere auf Rockmusik hat, war in Unna sicht-, hör- und spürbar. Auch in den Gesprächen mit ihm vor und nach dem Konzert merkte man ihm die Begeisterung für seinen "Job" an. Und das kauft man ihm auch sofort ab. Mit dem scheinbar nicht kaputt zu kriegenden Johannes Zeiss und den ruhig vor sich hin wirkenden Wolfy Ziegler stehen ihm zwei erstklassige Kollegen zur Seite, die die Live-Umsetzung seiner Songs wahrlich zu einem Genuss machten. Stolze 20 Lieder (incl. Zugaben) gaben uns die vier Musiker zum Besten, und keins davon wies einen Makel auf. Die neuen Lieder vom Album "In Rock" reißen einen förmlich mit und bringen zahlreiche Spielarten des Rock und Einflüsse anderer Genres mit. Und bei aller Kritik aus dem letzten Absatz: Walter Batzler zeigte hier keinerlei Schwächen und Texthänger. Er präsentierte die Songs sehr gut und hier traute er sich auch, die Texte laut und deutlich zu singen. Trotz der Mängel beim Gesang war es ein echter Genuss, die SPLIFF-Songs nach so vielen Jahren mal wieder live zu hören. Auch die Bearbeitungen durch Potsch ergeben nicht nur Sinn, sondern passten wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge.e 20151030 1181600661 Eine Kopie des Sounds aus den 80ern hätte sicher auch nicht funktioniert. Die Musik hat sich zum einen einfach auch weiterentwickelt, und zum anderen ist Potsch "Back To The Roots" gegangen. Er spielt den Rock wieder pur und unverfälscht. Wen interessiert schon der Mainstream oder andere Fisimatenten?

Etwas enttäuschend war der Publikumszuspruch. Walter Batzler kommentierte das am Ende des Konzerts sinngemäß so, dass es Bandproben gegeben habe, bei denen genauso viele Leute wie in Unna dabei gewesen wären. Das Publikum quittierte den Gag zwar mit Lachen, mir tat die Band aber leid. Da wird sich über Wochen oder gar Monate die größte Mühe gegeben, viel Zeit, Lust und Energie in die Vorbereitung gesteckt, und am Ende bleiben die Leute zu Hause auf der Couch. Dort gucken sie lieber irgendeinen Unsinn im Fernsehen, lassen sich von RTL und Co. eine falsche Musikwelt vormachen und tauschen Qualität gegen Mumpitz, statt den echten Künstlern des Landes ein Ohr und etwas Aufmerksamkeit zu schenken. An den Eintrittspreisen, der Location (sehr zu empfehlen) oder der Musik lag es jedenfalls nicht. Ganz im Gegenteil, hier gibt es durchweg nur gute Noten!


Setlist:
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Letzter Termin:
• 01.11.2015 - Berlin - Postbahnhof

Alle Angaben ohne Gewähr. Nähere Infos auf Potschs Homepage.


Bitte beachtet auch:
• off. Homepage von Potsch Potschka: www.potsch-potschka.de
• Fantreffpunkt "Das Spliff Forum": www.forum.spliffco.de
• Homepage der 'Lindenbrauerei' in Unna: www.lindenbrauerei.de
• Rezension zum Album "In Rock": HIER klicken




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