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Ein Konzertbericht mit Fotos von Torsten Meyer





Konzerte gibt es nicht nur in Berlin
Wenn eine Berliner Pflanze, wie ich es bin, sich an einem Freitag frei nimmt und 220 Autobahnkilometer runter schrubbt, um ein Konzert zu sehen, dann muss es sich wahrlich um ein besonderes Event handeln. Und das war es tatsächlich! Mein Weg führte mich ins schöne Kabelsketal, genauer gesagt nach Dieskau. Nie gehört? Ich bis dahin auch nicht, zumindest nicht bewusst.a 20141126 1674108326Heute weiß ich, Dieskau liegt am südlichen Stadtrand von Halle/Saale. Nein, im Reiseführer wird das kleine Dörfchen vermutlich nie erwähnt werden, denn die touristischen und sonstigen Highlights sind eher überschaubar. Aber eine Sache macht den Trip in die Provinz Sachsen-Anhalts dann doch lohnenswert: das wie eine Filmkulisse dastehende Schloss Dieskau, welches umgeben wird von einer wunderschönen Kirche sowie einem herrlichen Landschaftspark. Schlossherr Thymo von Rauchhaupt erwarb das Bauwerk, dessen Baubeginn nachweislich bis ins 15. Jahrhundert zurückreicht, im Jahr 1997. Dafür brach er sogar mit seinem bisherigen Leben im bayerischen Aschaffenburg und zog mit Kindern, Frau und Hund nach Dieskau. Die Geschichte um die schrittweise, von unzähligen Problemen und Sorgen, aber auch unendlich viel Enthusiasmus und Idealismus begleitete Restaurierung des wunderschönen Renaissance-Schlosses ist beeindruckend, würde jedoch hier den Rahmen sprengen. Erwähnt sei aber unbedingt, dass es seit mittlerweile acht Jahren in den warmen Monaten im Schlosshof, und im Herbst/Winter im Innern des Schlosses eine ganz wunderbare Konzertreihe unter dem Motto "Blues im Schloss" zu erleben gibt, die in liebevoller und selbstloser Freizeitarbeit von einem Ehepaar aus der Region organisiert wird, nämlich von der quirligen Heike Nestler und ihrem Mann Tom. Anfangs war es unvorstellbar, dass sich hier in der Pampa (sorry!) mal eine derartig namhafte Schar an Musikern einfinden wird, wie es inzwischen der Fall ist. Ja, heute rufen die Künstler schon von sich aus an und fragen nach, wann denn noch ein Konzerttermin frei ist. Gibt es ein schöneres Kompliment für die Veranstalter?

Ich wurde auf dieses Kleinod in Sachen Blueskonzerte aufmerksam, als ich Heike im Januar 2014 beim Berliner Neujahrsblues in der WABE kennenlernte und sie mir von "ihrem" Schloss erzählte, ja regelrecht davon vorschwärmte. Kurz darauf liefen wir uns anlässlich des Rock- und Bluesfestivals in Altzella erneut über den Weg, und seitdem wartete ich auf eine Gelegenheit, diesen Veranstaltungsort einmal selber in Augenschein nehmen zu können. Nun war es endlich soweit. Auf dem Programm stand mit dem CAPITAL BLUES DUO eine Band, deren Auftritt man aus zweierlei Gründen als eine kleine Sensation bezeichnen konnte, denn erstens gibt es die Truppe eigentlich schon seit 14 Jahren nicht mehr, und zweitens ist es ihr einziges Konzert in diesem Jahr! Ein Widerspruch? Keineswegs, das eine schließt das andere ja nicht aus.

b 20141126 1208344524THE CAPITAL BLUES DUO
Während sehr viele Musiker aus dem vor 25 Jahren von der politischen Landkarte verschwundenen kleinen deutschen Staat namens DDR quasi über Nacht die Arbeitsgrundlage verloren, weil mit dem Ende der DDR gleichzeitig einer kompletten Kulturszene der Todesstoß versetzt wurde, gelang einigen wenigen der relativ nahtlose Übergang in die gesamtdeutsche Musikwelt. Einer von ihnen war "Mr. Mundharmonika" BERND KLEINOW, der dank seiner Kontakte zur Westberliner Bluesszene plötzlich sein herausragendes Können jenseits der nicht mehr existierenden Mauer unter Beweis stellen durfte. Und da das Schicksal scheinbar auch ein Musikfan ist, liefen sich 1990, also noch während der Wendezeit-Wirren, in der Nähe von Hannover jener BERND KLEINOW und ST, welcher ein Urgestein der "anderen" Berliner Blueswelt war, über den Weg. Die beiden spürten ihre gegenseitige Affinität zum urwüchsigen Root-Blues und gründeten umgehend das erste gesamtdeutsche, zehn Jahre lang äußerst erfolgreiche Bluesduo. Nun ist der dafür gewählte Name THE CAPITAL BLUES DUO zwar nicht sonderlich originell, taugt aber allemal als Hinweis auf ihre Herkunft. Aber bei allem Erfolg waren und sind auch ST und BERND KLEINOW nur sterbliche Wesen. Und so unterlagen sie eines Tages dem durchaus nachvollziehbaren menschlichen Bedürfnis, sich künstlerisch weiterzuentwickeln bzw. sich anderweitig orientieren zu wollen, was im Jahr 2000 nach zehn glamourösen Jahren zur Trennung des CAPITAL BLUES DUO führte.

Reunion auf Zeit
An Langeweile litt nach dem Ende des CAPITAL BLUES DUO niemand der beiden Ausnahmemusiker. Zu gut und begehrt waren und sind sie, als dass die deutsche Musikszene auf sie verzichten könnte. Und trotz aller Verpflichtungen in ihren jetzigen Bands und Projekten erfreuten KLEINOW und ST (der sich übrigens ST nennt, weil er das so will, weil er als Künstler wahrgenommen werden und sein Privatleben aus allem heraushalten möchte) die Blueswelt im Jahr 2013 mit einem Comeback-Konzert - und wo? Genau, im Schloss Dieskau! Das Ding wurde ein furioser Erfolg, ein Selbstläufer, so dass Heike und Tom Nestler keine großen Überredungs- und Verhandlungskünste brauchten, um die beiden Musiker auch 2014 wieder für ein gemeinsames Konzert nach Dieskau zu locken. Und diesmal war ich dabei.

Back to the roots - Blues in seiner schönsten Form
Das Publikum im Schloss Dieskau besteht zu großen Teilen aus Stammgästen, die sich wirklich keins der großartigen Konzerte entgehen lassen. Da bilden sich zwangsläufig gewisse Regularien heraus. Eins davon ist eine ziemlich feste Sitzordnung in den ersten Reihen, die ich ungewollt,e 20141126 1794263657aber deutlich spürbar durcheinander brachte, weil mich Veranstalterin Heike dankenswerterweise in der Pole-Position-Reihe platzierte. Aber was in einer Berliner Location vielleicht zu Unmut und Zoff geführt hätte, wurde hier mit einem Lächeln und netten Unterhaltungen quittiert. Ländliche Gemütlichkeit halt. Willkommen in der Familie!

Pünktlich um 20:00 Uhr, nachdem sich alle Gäste am hervorragenden warmen Büffet gestärkt hatten, kamen unter tosendem Applaus die beiden Objekte der Begierde auf die Bühne. Wobei "Bühne" maßlos übertrieben ist, denn für eine solche ist hier gar kein Platz. Sie bauten sich also unmittelbar vor der ersten Reihe auf und begannen zu spielen. Dichter dran kann man als Zuschauer nicht sein!

Wer mit "Better world" die einzige CD des CAPITAL BLUES DUO kennt, der weiß auch, welch ehrliche, ungekünstelte Musik diese beiden Herren zu spielen im Stande sind. Und auch wenn zunächst über weite Strecken Songs aus dem aktuellen Repertoire von ST zu hören waren, die mir völlig unbekannt waren, fühlte man sich sofort mitgenommen und in vertrauten Gefilden. ST brillierte vom ersten Ton an mit seiner gefangen nehmenden Bühnenpräsenz. Mal ließ er die knallrote Gibson den Teppich für seine unter die Haut gehende Baritonstimme auslegen, mal tanzten seine rastlosen Finger zu erregenden Sololäufen über die straff gespannten Saiten. Es ist ein ganz besonderer Blues, den er spielt, mit nichts anderem vergleichbar und deshalb auch nur schwer in Worte zu fassen. In seinen selbstgeschriebenen Songs, von denen es weit über einhundert gibt, finden sich diverse Stilistiken und Variationen des schwarzen Blues und Soul wieder, weshalb der geneigte Zuhörer auch zu keiner Sekunde Langeweile verspürt. Zumal der in seinem weiß-gelben Outfit ganz unschuldig wirkende ST von einer Sekunde auf die andere förmlich explodieren kann, wenn sein ohnehin schon eindringlicher Gesang plötzlich anschwillt und dem gebannt dasitzenden Publikum durch Mark und Bein geht. Besonders auffällig sind die Themen, die in den Songs behandelt werden. ST singt nämlich selten von Sommer, Strand und Liebelei, sondern der ohne Fernseher, Radio und Internet lebende ST macht Dinge wie Menschlichkeit, Respekt, friedliches Miteinander, Krieg und Frieden zur Hauptaussage seiner Lieder. Jedoch wirkt das bei dem einstigen Lehramt-Studenten keinesfalls oberlehrerhaft. Nein, man glaubt ihm jedes Wort, man nimmt ihm ab, dass sein Traum von einer "Better World" absolut ehrlich gemeint ist.

Natürlich funktioniert das Ganze erst in Einheit mit dem Duo-Partner BERND KLEINOW. Über dessen brillantes und unverwechselbares Mundharmonikaspiel muss man nicht mehr viele Worte verlieren. Und doch ist es auch diesmal wieder ein Hochgenuss,d 20141126 1058029428BERND bei seinem konzentrierten Spiel auf und mit diesem kleinen, kaum sichtbaren Instrument zuzuschauen. Egal, ob er nun zu STs Melodien mit einer seiner Harps eine ganze Rhythmusfraktion imitiert oder eigene Akzente einbringt, in dem er in sich versunken zum Solo ansetzt - es ist schlicht und einfach begeisternd. Wenn dann noch solche Feinheiten dazu kommen, wie der fliegende Wechsel zwischen zwei Mundis innerhalb von Sekundenbruchteilen, ohne dass der Melodiebogen hörbar unterbrochen wird, dann zeugt das schon von enormer Meisterschaft. Singen kann "The Harp" KLEINOW natürlich auch, was in jedem seiner Konzerte ein Highlight darstellt.

Drei Stunden Musik, hoher Unterhaltungswert
Das altersmäßig bunt durchmischte Publikum ist total happy, spendet immer wieder Szenenapplaus und laute Begeisterungsrufe. Kein Wunder, denn diese explosive Mischung aus dem Mundharmonika-Zauberer BERND KLEINOW und seinem Partner, dem positiv verrückten und sehr emotional und feurig agierenden Gitarristen und Sänger ST sucht ihresgleichen. Wer vielleicht denkt, den ganzen Abend lang nur Gitarre und Mundi, das wird schnell langweilig, der irrt gewaltig. Zieht man die 20 Minuten Pause ab - in denen übrigens der englische Straßenmusiker RICHARD SMERIN eine Kostprobe seines überzeugenden Könnens, bestehend aus feinem Gesang und exzellentem Fingerpicking auf der Klampfe, gab - so beschallten uns die beiden Berliner sage und schreibe drei (!) Stunden lang mit wunderbarer, naturbelassener und sich zu den Wurzeln des Blues bekennender Musik. Ich fühlte mich lange nicht mehr dermaßen gut unterhalten, und das will etwas heißen.

c 20141126 1569065679Highlights gab es viele, z.B. "Westberlin Highway", in welchem ST die Erinnerung an seine frühere Reisen über die Transitautobahnen der DDR Revue passieren lässt. Oder das treibende "Acid H", mit dem ST seinem verstorbenen Bruder gedachte. Die Klassiker "Hoochie Coochie Man" und "Let the good times roll" sorgten für ausgelassene Stimmung sowohl auf der Bühne als auch im Auditorium, während "Better world", "Peace to the world" oder die Ode an die Liebe "We are ambassadors of love" den hochwertigen textlichen Anspruch der Songs unterstrichen. Diverse Slowblues-Nummern gehörten selbstverständlich auch zum Programm.

Ich könnte noch endlos weiter schwärmen über diesen gelungenen Abend im Schloss Dieskau. Zwei herausragende, ihre Musik fühlende Akteure spielten bis zur Erschöpfung für ihr sehr sachkundiges Publikum, das diese Leistung zu schätzen wusste und mit viel Applaus dankte. Das Gebotene ist umso bemerkenswerter, wenn man weiß, dass KLEINOW und ST vorher überhaupt nicht miteinander geprobt hatten, und - vom letztjährigen Auftritt an gleicher Stelle mal abgesehen - seit der Trennung im Jahr 2000 kein gemeinsames Konzert mehr gespielt haben. Eine Tüte Extra-Respekt verdient BERND KLEINOW noch dafür, dass er viele der neuen Songs aus dem ST-Repertoire gar nicht kannte und diese trotzdem intuitiv und erstklassig begleitete.

Abschließend bedankte sich der Schlossherr Thymow von Rauchhaupt noch mit herzlichen Worten bei Heike und Tom Nestler für ihre aufopfernde Arbeit in den letzten acht Jahren, durch die diese wunderbaren Konzerte im Schloss-Ambiente erst möglich wurden. Dem kann ich mich nur anschließen und weiß ganz genau, das war nicht mein letzter Besuch in Dieskau, denn, und da wiederhole ich mich gerne, gute Konzerte gibt es nicht nur in Berlin.



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Bitte beachtet auch:

• Off. Homepage von Bernd Kleinow: www.berndkleinow.de
• Homepage des Veranstalters: www.mississippikabelske.jimdo.com
• Homepage vom Schloss Dieskau: www.schloss-dieskau.de




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