Blondie am 23. Juni 2014 in Berlin

 


Ein Konzertbericht von Torsten Meyer mit Live-Fotos von Jens Lorenz.


Oldies but Goldies
Mir fiel in den letzten Wochen und Monaten beim Studieren der anstehenden Live-Gigs auf, dass das Konzert-Frühjahr 2014 besonders von Bands und Solisten dominiert wird, die bereits seit mehreren Jahrzehnten die Musikszene mitbestimmen, und die auch heute noch aktiv sind und ihren treuen Fanstamm haben. Manche von ihnen galten gar als Trendsetter ihres Genres. Liest man sich die Namen derer durch, die allein in Berlin zwischen März und Juni ihre Shows abzogen, läuft einem das Wasser im Rockermund zusammen: ROLLING STONES, CANNED HEAT, BARCLAY JAMES HARVEST, BLACK SABBATH, WESTERNHAGEN, YES, JOACHIM WITT, SWEET, STATUS QUO, ALICE COOPER, MIDGE URE, um nur mal die Bekanntesten zu nennen. Alle diese Herrschaften können über das in Deutschland viel diskutierte Thema der Rente mit 63 nur müde lächeln. Warum sollten sie sich auch zur Ruhe setzen, wenn sich mit den alten Schinken durchaus noch ein paar Taler verdienen lassen? Und man glaubt es kaum, einige von den Rock-Veteranen produzieren immer noch neue Songs und Alben, und stürmen damit selbst in schnelllebigen und musikalisch eher anspruchslosen Zeiten die heutigen Charts, wie es kürzlich am Beispiel BLACK SABBATH zu beobachten war. Das finde ich ebenso bemerkenswert wie die Tatsache, dass in die Konzerte dieser alten Haudegen zwar überwiegend ihre mitgealterte Fangemeinde pilgert, diese jedoch nicht selten ihre Kinder oder gar Enkel mitschleifen, so dass für Nachwuchs im Publikum gesorgt ist.

In diese Schar konzertierender, geschichtsträchtiger Namen reiht sich nun auch noch eine Band ein, die man ohne Übertreibung in die Reihe der Großen der Musikhistorie einsortieren darf, ja vielleicht sogar muss: BLONDIE. Debbie Harry, die wasserstoffblonde, sehr attraktive Sängerin der amerikanischen Band, war fraglos der absolute Star der Truppe, die es schaffte, in ihren erfolgreichsten Jahren zwischen 1977 und 1982 gleich in verschiedenen Genres Trends zu setzen. Als Punk-Ikone wird BLONDIE bezeichnet - nun ja, das galt höchstens für ihre Anfangszeit. Schon eher kann ich mich mit ihrer Rolle als Wegbereiter des New Wave anfreunden. Ja, das passt. Und als sie dann mit "Heart of glass" auch noch die Tanzflächen in den Discos füllte, wurde Frontfrau Debbie Harry endgültig zur Marilyn Monroe der Rock- und Popmusik erklärt. Nur gut, dass Debbie nicht so früh gestorben ist wie die gute Marilyn ...

40 Jahre "Traum in blond"
Man muss kein Mathematik-Genie sein, um zu begreifen, dass die 1974 von Debbie Harry und ihrem Gitarristen und langjährigen Lebensgefährten Chris Stein gegründete Band in diesem Jahr ihr 40-jähriges Jubiläum feiert. Auch wenn sie mittendrin einige Jahre BLONDIE-Pause einschoben, so ist das schon eine Wahnsinnszahl. Vier Dekaden im Musikzirkus, das schaffen nicht viele. Was lag also näher, als die immer noch sehr gut funktionierende Geldmaschine, die sich hinter dem Namen BLONDIE verbirgt, weiter klingeln zu lassen. Debbie Harry dazu in einem Interview: "Wir sind im Geschäft, um Geld zu verdienen". So erschien ein Jubiläums-Doppelalbum der besonderen Art, welches einerseits eine Best Of-Compilation mit Neuaufnahmen ihrer größten Hits enthielt. Als Bonbon packte man ein nagelneues Album mit dem Titel "Ghosts of download" dazu. Das war schon ein kluger Schachzug. Doch damit nicht genug, denn man entschied sich auch noch zu einer großen Tournee, die BLONDIE nach über zehn Jahren Abstinenz auch mal wieder nach Deutschland führte. Als ich erfuhr, dass u.a. Berlin im Tourplan stand, konnte ich es kaum erwarten, dass der 23. Juni.2014 endlich da ist, denn BLONDIE - das gestehe ich freimütig - waren schon immer so etwas wie eine unerfüllte Liebe von mir. Unerfüllt deshalb, weil ich sie einfach niemals live sehen konnte. Aber das sollte sich jetzt ja ändern. Ich freute mich wie ein kleines Kind auf den Abend. Doch leider verläuft es manchmal anders als gedacht.

Die Kluft zwischen Erwartung und Ergebnis
Das Drama begann bereits bei der Wahl der Location. Da hatte der Veranstalter wohl etwas zu optimistisch geplant, als er das Tempodrom anmietete. Man kann hier ganz flexibel arbeiten, was die Saalplanung angeht. Für den BLONDIE-Event richtete man den Innenraum als Stehplatz-Manege her, während natürlich der Ober- und Unterring den Sitzplatzfans vorbehalten blieb. Auf diese Art passen etwa dreieinhalbtausend Leute rein. Nur dumm, dass zwar der Innenraum recht gut mit stehenden Fans gefüllt war, dafür aber auf den Rängen beinahe gähnende Leere herrschte. Das wirkte schon peinlich, doch was soll's, es war nicht zu ändern. Lag es an den gepfefferten Eintrittspreisen zwischen 55 und 72 Euro? Oder am Montagabend? Es soll ja schon Konzerte gegeben haben, die gerade unter solchen Voraussetzungen unvergesslich wurden. Doch eins kann ich vorwegnehmen: dieses gehörte leider nicht dazu.

f 20140625 1527425738Pleiten, Pannen und Frechheiten
Schon beim Einlass gab es lange Gesichter, denn uns wurde erklärt, dass es zwar einen Fotograben gibt, dieser aber nicht benutzt werden darf. Sehr seltsam. Unser Fotograf Jens war schwer bedient, denn nun musste er sich mit seinem Equipment zwischen die Fans vor der Bühne quetschen, die natürlich genauso wenig begeistert davon waren.

Der nächste Stimmungskiller zeichnete sich (zumindest bei mir) ab, als es einfach nicht losgehen wollte. Mich nerven diese künstlichen Verzögerungen ohne Ende. Worauf hat man hier gewartet? Dass vielleicht doch noch fünf Zuschauer mehr eintrudeln? Geschlagene 30 Minuten vergingen, ehe es endlich dunkel wurde im Saal, und die Band zu russischen Partisanenklängen einmarschierte. Das war doch mal ein origineller Beginn, doch sogleich kam die nächste Keule geflogen. Man fühlte sich in die guten, alten Stummfilmzeiten zurückversetzt, als die Musiker wie wild ihre Instrumente bedienten, Debbie Harry kraftvoll zu singen begann, nur nichts von alledem beim Publikum ankam. Lediglich die Drums und ein paar dumpfe Basstöne drangen an mein Ohr. Scheinbar war die komplette Soundanlage tot, was aber auf der Bühne niemand registrierte. Debbie Harry wunderte sich über die Buhrufe und das Pfeifkonzert der aufgebrachten Fans, bis ihr am Ende des lautlosen ersten Songs ein Techniker die Lage erklärte. Kurz darauf war der Fehler gefunden, und man begann nochmals von vorn - sehr zur Freude des überschaubaren Auditoriums.

"One way or another", jener vielleicht typischster Song für BLONDIEs New Wave-Phase, hielt als Opener her. Simpel in der Machart, aber sehr eingängig und nachwirkend wie so viele andere Hits der Band. Nun hätte ja doch noch alles gut werden können. Hätte? Ja, hätte, denn so schön es auch war, dass man nun etwas hörte - man hatte keine Freude daran, denn der Sound glich dem eines drittklassigen Hinterhof-Probenkellers. Das passiert mir im Tempodrom nicht zum ersten Mal und ist für mich unverständlich. Sicher verlangt man beim Konzert einer Band, die mal für Punk und New Wave stand, keinen Supidupi-Hightech-Klang, der als Referenz für die nächsten hundert Jahre herhalten kann. Doch ein Mindestmaß an Hörgenuss darf man als Konzertbesucher ja wohl erwarten. Ich hätte nämlich überhaupt nichts dagegen gehabt, wenn ich hin und wieder auch mal ein paar Instrumente aus dem Brei hätte herausfiltern können, der aus den Boxen dröhnte. Das war hier absolut unmöglich.e 20140625 1560951747 Selbst die Einschläge der Drums waren die meiste Zeit kaum zu deuten, und auch sonst konnte ich keinerlei akustische Feinheiten ausmachen. Leider setzte sich das bis fast zum Ende des Gigs fort - es war furchtbar. Und damit das Fehlerprotokoll auch wirklich vollgeschrieben werden kann, gab nach dem zweiten Titel auch noch die Lichtanlage den Geist auf ...

Vielseitigkeit war Trumpf
Wie sagte Debbie Harry zu ihren Fans, bevor sie von der Bühne verschwand: "Sorry for the technical problems. But music is music." Ehe ich mich jetzt also noch weiter über diese Vergewaltigung meiner Ohren ärgere, erinnere ich mich lieber an das, was die Band ihren erstaunlich geduldigen Fans versucht hat zu präsentieren. Songmaterial war nach 40 Jahren zur Genüge vorhanden, so dass man auf die Setlist gespannt sein durfte. Selbstverständlich verzichtete man nicht auf die Gassenhauer wie "Hanging on the telephone" vom erfolgreichsten BLONDIE-Album "Parallel lines" (1978) oder "Call me", was wiederum aus der Zeit der Hinwendung zum Disco-Sound der 80er stammt. Durch Mark und Bein ging mir einer ihrer stärksten Songs, betitelt mit "Rapture", was man mit "Entzücken" übersetzen kann. Genau dieses Gefühl erzeugt die Nummer auch heute noch in mir. Erschienen auf dem 1980er Album "Autoamerican", welches als untypischtestes, weil sehr experimentelles BLONDIE-Album galt. "Rapture" ist funkig, soulig, jazzig, unglaublich groovig, einfach geil. Und es enthält eine Passage, in der Debbie sich im Rap-Style versucht. Das sorgte seinerzeit für mächtig viel Aufsehen. Überflüssig war allerdings der sich nahtlos daran anschließende Versuch, "Fight for your right" von den BEASTIE BOYS zu performen. Nein, das ging leider gar nicht! Ein weiterer gespielter Klassiker war "Atomic", und natürlich fehlte auch der 1999er Comeback-Hit "Maria" nicht.

g 20140625 1834569658Im Vergleich zu den ihr nachfolgenden weiblichen Popsternchen wie MADONNA, LADY GAGA, BRITNEY SPEARS, oder wer immer sich noch dazu zählt, brauchte Debbie Harry zu keiner Zeit dreißig Tänzer auf der Bühne, keine overstylten Outfits - Debbie glänzte einfach nur mit ihrem Gesang und ihrer unterkühlten Art. Doch auch an der größten Stimme gehen die Jahre nicht spurlos vorüber, und so klang neben dem unverändert grässlichen Instrumentalsound auch Debbies Sangeskunst nicht mehr so vollkommen wie einst. Vor allem die Songs, die eine höhere Stimmlage erforderten, erinnerten eher an den schiefen Gesang eines Kindes. Na gut, das kennt man auch von anderen prominenten, in die Jahre gekommenen Frontleuten, weshalb ich das in Kauf nahm. Viel entscheidender war, dass die Damen und Herren Akteure sich trotz der enttäuschenden Besucherzahl glaubhaft Mühe gaben, ihr Publikum zu unterhalten. Vor allem Gitarrist Tommy Kessler war ein ständiger Blickfang. Ich hatte dennoch das Gefühl, der Funke wollte (beiderseitig) nicht gänzlich überspringen.

Das neue Album "Ghosts of download" war gleich mit fünf Titeln präsent. Mit mancher dieser Nummern wurde ich nicht warm, aber beispielsweise "Rave" klingt so, wie man sich BLONDIE im Jahr 2014 vorstellen möchte. Und auch "Mile high" knüpft mit seinem Mix aus Diskorhythmen und New Wave-Passagen wunderbar an alte Zeiten an. Schade, dass bei "A rose by any name" die auf dem Album diesen Titel featurende Beth Ditto (GOSSIP) in Berlin nicht dabei war. Das hätte sicher einige der Pannen vergessen lassen.

Großer Jubel brandete auf, als nach einer knappen Stunde das vertraute Intro zum wohl größten BLONDIE-Hit "Heart of glass" den bisherigen Höhepunkt des Abends einläutete. Die Nummer erschien 1979, passenderweise zur gerade erwachenden Diskowelle. Interessant ist, dass Chris Stein und Debbie Harry bereits 1974 begannen an dem Song zu schreiben. Produzent Mike Chapman wollte zwischenzeitlich sogar mal eine eher elektronische Nummer a la KRAFTWERK daraus machen,h 20140625 1365575419 doch letztlich setzte sich die allseits bekannte Disco-Version durch. Jetzt endlich schwappte dieses damals so geliebte BLONDIE-Lebensgefühl auf das Publikum über. Es wurde gewippt, getanzt, geschunkelt, mitgesungen.

Kurzarbeit
Und wieder keimte in mir Hoffnung auf, jetzt könnte doch noch ein versöhnlicher Abend daraus werden - doch oh weh! Nach dem letzten Takt legten die Musiker ihre Klampfen, Drumsticks und Mikrofone beiseite, winkten nochmal kurz und verschwanden von der Bühne! Ungläubiges Staunen überall. "Wie? Was? Ist schon Schluss?" Mein Blick wanderte zur Uhr, es lagen gerade mal 65 Konzertminuten hinter uns! Die ersten Unmutsäußerungen wurden laut, begleitet von bösen Witzen in Richtung Bühne wie "Die alten Leute müssen los, das Heim schließt um 22:00 Uhr". Dennoch überwogen die "Zugabe!"-Rufe, und tatsächlich erschienen Debbie und ihre Jungs noch zu einem Nachschlag, der aus vier Titeln bestand und mit "Hollywood Babylon", einem Cover der US-Punkrockband THE MISFITS, an BLONDIEs Anfänge erinnerte. Eine coole Nummer! "In the sun" vom allerersten BLONDIE-Album (1976) fand im Anschluss daran ebenso meine Zustimmung wie der Rausschmeißer "Dreaming", den wohl auch jeder kennen dürfte. Tja, und dann war wirklich Feierabend. Mit Hängen und Würgen wurden 80 Minuten Spielzeit daraus - das nennt man dann wohl Kurzarbeit.

Ein enttäuschender Abend
Beim Gang aus dem Saal, der sich aufgrund der wenigen Zuschauer schnell leerte, schnappte ich zwangsläufig viele Stimmen auf, die sich mit meiner Meinung zum Erlebten deckten. Warum ist es in einem so tollen Haus wie dem Tempodrom nicht möglich, einen passablen Sound hinzubekommen? Was da zu hören war, grenzte an akustische Körperverletzung. Ebenso traurig gestaltete sich die nicht vorhandene Lichtshow. Mich würde mal interessieren, inwieweit die Band auf der Bühne so etwas mitkriegt. Mir wird in diesen Momenten der Spaß an der Performance genommen, auch wenn es natürlich herrlich war, viele von den alten, zeitlosen BLONDIE-Songs endlich mal live hören zu können. Allerdings verspielte die Band, so schuldlos sie an den technischen Unzulänglichkeiten auch war, nicht nur bei mir eine Menge Kredit durch die reduzierte Spielzeit. Es kann nicht sein, dass bei Ticketpreisen von bis zu 72 Euronen der Gig nach einer Stunde wortlos beendet wird. Auf einem Festival mit mehreren Acts mag das normal sein, aber ein Einzelkonzert sollte doch bitte wenigstens über die üblichen 90 Minuten (ohne Zugaben) gehen. Die bösen Worte "Verarsche" und "Abzocke" machten die Runde unter einigen erbosten Zuschauern, was ich durchaus nachvollziehen kann. Da konnten selbst die vier Zugabenummern nicht trösten, zumal diese ja auch BLONDIE-typisch kurz waren. Wenigstens kam ich dadurch relativ zeitig ins Bett.

Bei allem Ärger ist Debbie Harry immer noch eine coole Frau. Natürlich ist die Zeit an ihr nicht spurlos vorübergegangen, doch auch mit 68 Jahren vermittelt sie noch jede Menge Freude und Spaß an ihrem Job. Und auch wenn die goldenen und besten Jahre der Band BLONDIE längst Geschichte sind, so bekam man doch einen hervorragenden Eindruck davon, wie vielseitig ihr Repertoire war und ist. Schön anzusehen war auch, dass neben Debbie Harry mit Drummer Clem Burke und Gitarrist/Songschreiber Chris Stein im Tempodrom zwei BLONDIE-Gründungsmitglieder auf der Bühne standen. Warum der Abend für mich trotzdem enttäuschend war, habe ich hinreichend beschrieben. Mir bleibt die Hoffnung, dass BLONDIEs Auftritte in Hamburg und Köln erfolgreicher verlaufen, und Berlin vielleicht eines Tages noch einmal die Chance auf Wiedergutmachung in Form eines in jeder Hinsicht gelungenen BLONDIE-Konzertes erhält.

Setlist:
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Termine:

• 25.06.2014 - Köln - e-Werk - letzter Deutschlandtermin der Tour 2014!!!

Alle Angaben ohne Gewähr.



Bitte beachtet auch:

• Off. Homepage von Blondie: www.blondie.net
• Homepage des Veranstalters LB Events: www.lb-events.de




Fotostrecke:



 
 

   
   
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