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incl. Interview
 
 
 
Im Postbahnhof geht die Post ab - mit Expresszuschlag
Auftakt zur SILLY-Herbsttour in Berlin

Der Berliner Postbahnhof gilt manchen Musikern als ganz besonderer Veranstaltungsort - so auch SILLY. Schließlich hat am 20. Januar 2010 hier Teil 2 der SILLY-Story quasi offiziell begonnen, als es bei der Live-Preview erstmals einige Songs des brandneuen "Alles Rot"-Albums zu hören gab. Am 5. Mai 2011 trafen wir uns zum Benefizkonzert zugunsten der José Carreras Leukämie-Stiftung. Heute ist wieder so ein besonderer Abend und wieder ist das Konzert mit einer ganz besonderen Aktion verbunden.a 20131123 1281141076 Diesmal starten wir gemeinsam in die Herbsttour, mit der sich die SILLYs auf den Weg machen, um "Kopf an Kopf" und das besondere SILLY-Feeling weiter durch das Land zu tragen. Mit dem aktuellen Album haben sie bereits im August Gold-Status erreicht, aber noch faszinierender ist für mich die Live-Atmosphäre. Die unmittelbaren Reaktionen des Publikums sorgen dafür, dass kein Konzert wie das andere ist. Die Eigendynamik führt zu Spannung, zu Überraschungen und vor allem zu einer besonderen Intensität der Musik.

Das Konzert ist ausverkauft und da für heute kein Support angekündigt ist, füllt sich der Postbahnhof zügig. Schon nach kurzer Zeit ist klar, es wird kuschelig. Die Wartezeit wird wie so oft mit Geschichten und Erlebnissen der konzertreisenden Fans überbrückt. Plötzlich tönen aus den Boxen die schon vertrauten Klänge des Intros - die Reise beginnt. Wem in Verbindung mit dem guten alten Beförderungsunternehmen Post zuerst die Attribute langsam und altmodisch einfallen, der wird heute eines besseren belehrt. Mit "Verkehrte Welt" geht von Anfang an die Post ab - mit Expresszuschlag. Der Funke springt direkt auf das Publikum über und das liegt nicht nur an der Nähe zwischen Bühne und Zuschauern. Sich aufeinander einlassen, die Sichtweise des anderen einnehmen und so Nähe zueinander und Verständnis füreinander zu schaffen, das scheint heutzutage eher unpopulär. Dabei ist es hier und heute ganz einfach. Musiker und Publikum lassen sich aufeinander ein und so gibt es weder Startschwierigkeiten noch Schüchternheit. Der Publikumschor funktioniert von Anfang an und sorgt für Begeisterung auf beiden Seiten.

Die Reise führt uns über zahlreiche Stationen zwischen Gegenwart und Vergangenheit. Der erste Teil des Konzerts ist vor allem durch die Titel des aktuellen Albums geprägt. Dabei haben die SILLYs ihre Botschaften in satten, rockigen Sound verpackt, der uns mitreißt.b 20131123 1442354435 Seien es die direkten und provokanten Zeilen von "Blinder Passagier", der eindringlich fragende Text von "Wo fang ich an" oder das philosophisch und traumverloren klingende "Die Welt wird hell sein". Für mich sind es einerseits sehr persönliche Songs, die - je nach Typ und Situation - sehr vielfältige Interpretationen zulassen. Und andererseits auch ein Beispiel dafür, wie sich der Stil so unterschiedlicher Texter wie Tamara Danz, Anna Loos & Alexander Freund sowie Werner Karma zueinander fügen und ergänzen kann. Dabei können die Jungs ihre Leidenschaft und Brillanz an den Instrumenten ausleben. In wilder Folge wechselt Uwe die Gitarren, um ihnen ihre Seele zu entlocken und uns zu präsentieren. Erst später verrät uns Anna, dass er quasi nur neun Finger einsetzen kann, da er sich den linken Zeigefinger an einer Saite aufgeschnitten hat. Was ihn natürlich nicht davon abhält, in seiner unvergleichlichen Art den SILLY-Sound voranzutreiben. Auch der Meister der Tasten ist bestens aufgelegt. Unglaublich virtuos, gefühlvoll und präzise gleichermaßen fliegen Ritchies Finger über die Keyboards und vermitteln uns das Gefühl, dass er nichts lieber tut als das. Außer vielleicht Luftgitarre zu spielen, denn davon hat er heute etliche Exemplare dabei, die er mit voller Power bearbeitet. Nicht zu vergessen natürlich Jäckis sattes Bassspiel, das dem Sound neben der typischen Wärme und Tiefe vor allem den stabilen Groove gibt. Zur großen Freude der Fans spiegelt sich seine eigene Begeisterung nicht nur im Wechsel der Arbeitsgeräte, sondern auch in dem von Posen und Mimik.

Natürlich führt uns unsere Reise zu einigen Abstechern in die Vergangenheit. Verbindendes Element dabei ist immer Annas Stimme, die mir live noch gefühlvoller und authentischer klingt - melancholisch und enthusiastisch, zart und energisch. Bei "Erinnert" ziehen mir spontan Bilder und Filmschnipsel durch den Kopf, die auch, aber nicht nur die Konzerte der vergangenen Jahre spiegeln. Dann erklingen aus Ritchies Tasten die einzelnen, klagenden Klaviertöne, die durch Uwes aufsteigende Gitarrenklänge verstärkt und zu der Melodie verwoben werden, die so untrennbar mit der Bandgeschichte verbunden ist. Erfahrene SILLY-Fans erkennen "Asyl im Paradies" sofort.c 20131123 1900405169 Die Kombination mit "Vaterland" und "Blutsgeschwister" ergibt einen emotional außerordentlich starken Konzertteil, bei dem sich die Bilder völlig wandeln und unglaublich intensivieren. Ganz unterschiedlich in Ansatz und Umsetzung, aber absolut ebenbürtig in der Wirkung. Anklage, Trauer, Hilflosigkeit, Wut, Kraft und Zuversicht liegen manchmal ganz nah beieinander - absolute Gänsehaut, gelöster Optimismus und die eine oder andere Träne im Augenwinkel sind der Beweis.

Einige Fans nutzen die kurze Pause vor der folgenden Akustik-Session, um ein nachträgliches "Happy Birthday" für Uwe und Anna anzustimmen. Ohne die Animation von der Bühne erreicht der Chor allerdings nicht die gewünschte Lautstärke und endet daher ziemlich schnell. Von Anna mit dem lächelnden Kommentar quittiert: "Naja, eigentlich sind wir ja dafür da, für euch zu singen und nicht andersrum." Das tut sie denn auch und setzt die emotionale Achterbahnfahrt beim Stöbern in der SILLY-Schatzkiste fort. Zwischen damals und heute finden sich so viele dieser wunderbaren Song-Perlen, was die Auswahl für die Setlist keinesfalls leicht macht. Dass Jäcki dabei den E-Kontrabass und Uwe neben der Akustikgitarre auch zur Geige greift, sorgt für zusätzliche Klangfarben und Begeisterung im Publikum.

Auf den ruhigeren Ausflug mit der Postkutsche in die Vergangenheit folgt der Umstieg in den neuzeitlichen ICE, der mit "Kopf an Kopf" volle Fahrt aufnimmt. Dazu tragen ganz wesentlich die Live-Verstärker Daniel Hassbecker an Keyboard, Cello und Gitarren, Ronny Dehn am Schlagzeug und Herr Petereit an den Gitarren bei, ohne die dieser geniale Live-Sound nicht denkbar wäre. Bei "Mont Klamott" legen sie ordentlich nach und unterziehen den über 100-jährigen Postbahnhof einem echten Belastungstest. Für Musiker und Publikum kein Problem - wo sonst könnte der Klassiker so kraftvoll und überzeugend gerockt werden, wie hier in Berlin. Der Sound wird noch dynamischer, die Beats noch stärker und die Atmosphäre noch heißer.e 20131123 1239398873 Irgendwann kann Anna nicht mehr anders, als sich kurzerhand die Haare zusammenzudrehen. Hier unter im Publikum wäre nicht einmal dafür ausreichend Platz. Derweil verlängert Herr Petereit einfach das Intro zu "Atlantis". Uns ist das Recht, denn gemeinsam geht es weiter: "Wir sind gekrönt von der Sonne ins Weltall geflogen ..." Der Flug führt unsere musikalischen Helden zu weiteren Höchstleistungen und vor allem zu den Zugaben, die lautstark eingefordert werden, kaum dass sie erstmals den Versuch unternehmen, die Bühne zu verlassen. Es ist einfach ein Traum, wie Uwe, Jäcki und Herr Petereit bei "Hass(becker)" mit Ihren Instrumenten über die Bühne fegen. Ritchie tut es ihnen gleich, er schwingt seine Luftgitarre und einzig die Pflicht an den Tasten hält ihn halbwegs an seinem Platz.

Auch bei "Alles rot" werden sie ihrer Maxime und dem Titel mehr als gerecht. Das Publikum lässt sich davon anstecken und singt beim Refrain lauthals mit. Als Jäcki und Uwe imaginär die Hand ans Ohr legen und mehr Einsatz fordern, legt der Chor noch einen Zahn zu. Kein Wunder, dass sich die Jungs beim Instrumentalteil dann so richtig austoben - der erwartete Abflug kommt beim Finale mit voller Schubkraft. Zum Glück landen sie wieder unbeschadet auf der Bühne und nicht in irgendeiner anderen Dimension. Mit funkelnden Augen und selig strahlenden Gesichtern danken sie dem Publikum und irgendwie können und wollen sich die Beteiligten nicht so recht voneinander trennen. Der Schlussapplaus geht abermals nahtlos in unüberhörbare Zugabe-Rufe über und abermals tun sie uns den Gefallen. Zumindest der eine ganz besondere SILLY-Klassiker fehlt noch, ohne den wir nicht nach Hause gehen.f 20131123 1873908404 Mit "Bataillon d'Amour" und "Leg mich fest" setzen sie ihren gefühlvollen und warmherzigen Schlusspunkt unter diese heiße Posttour. Obwohl noch etliche alte und neue Songs in der Schatzkiste schlummern, die ich gar zu gern live hören würde, ist es nicht das, was für mich am meisten zählt. Es ist eines dieser wunderbar berührenden Erlebnisse, bei denen mir Emotion mehr gilt, als Perfektion. Musik, in die ich mich vor allem live tief fallen lassen kann und die mich doch wieder auffängt.

Auffangen und unterstützen wollen die SILLYs auch Menschen, die es nicht ganz so gut getroffen haben im Leben. Mit ihrer Aktion "SILLY & deKern - Kunst trifft Musik" sind Noten zu Farbe geworden. Thomas Kern mag SILLY, ihre Musik und die Kunst. Er hat "Kopf an Kopf" auf seine Art interpretiert und entstanden sind 16 ganz spezielle Bilder zu den Songs des Albums. Bis Mitternacht haben wir das beeindruckende Finale der Versteigerung im Postbahnhof verfolgt. Das Ergebnis ist der stolze Betrag von 16.685 Euro, der dem Kindernothilfefonds des Deutschen Kinderhilfswerk e.V. zugute kommt und somit individuelle Hilfe für finanziell benachteiligte Familien und Kinder in Deutschland ermöglicht. Und hier schließt sich für mich - wieder einmal - der Kreis.




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Der Start zur Herbsttour war für uns eine günstige Gelegenheit. Nicht nur weil die Konzerte in Berlin immer speziell sind, sondern auch weil der Berliner Postbahnhof für SILLY eine ganz besondere Location ist. Und deshalb haben wir die Chance genutzt, uns nach dem Konzert mit Anna, Uwe, Ritchie und Jäcki zu unterhalten.

d 20131123 1342280512Zuerst einmal: Besten Dank dafür, dass es geklappt hat und Ihr Euch die Zeit für das Gespräch nehmt. Und als nächstes herzliche Glückwünsche in die Runde. Speziell an Uwe und Anna nachträglich zum Geburtstag! Und an Euch alle zu diesem Album und dazu, dass "Kopf an Kopf" so gut läuft! Was ist Euch dabei - vor allem emotional - eigentlich wichtiger: Dass sich das Album gut verkauft oder dass die Konzerte live so gut ankommen, wie heute hier im Postbahnhof?
Ritchie: Die Konzerte haben schon immer etwas ganz besonderes durch den persönlichen Kontakt mit den Leuten. So eine Platte, die in den Verkauf geht, erzeugt natürlich auch eine Reaktion. Wenn es gut läuft, ist es so ähnlich wie Applaus ...
Anna: ... das ist ja auch eine Art von Erfolg, aber das sind letztendlich unheimlich viele Zahlen. Aber wenn man dann live auf der Bühne steht, mit den vielen Menschen, ist es etwas ganz anderes. Da zählt vor allem das gemeinsame Erlebnis, auf der Bühne Musik zu machen und zu sehen, was macht der eine und wie reagiert der andere. Ich würde sagen, das macht auf jeden Fall erstmal mehr Spaß.
Uwe: Das hängt auch nicht unbedingt miteinander zusammen. Es gibt ganz viele Bands, die ganz viele Platten verkaufen und nicht ein Konzert spielen. Und andersrum gibt es viele Bands, die ganz viele Konzerte geben und überhaupt keine Platte verkaufen. Also das hängt ja nicht unmittelbar zusammen. Bei uns ist es schon miteinander verquickt und das ist auch gut so. Wir freuen uns natürlich, dass wir so viele Platten verkaufen, aber die Konzerte sind das Eigentliche - ganz ehrlich.

Vor einiger Zeit hat Ritchie in einem Interview darüber gesprochen, man hätte Euch immer nachgesagt, dass Eure Live-Atmosphäre noch einen Zacken schärfer sei, als es auf dem Studio-Album rüberkommt. Glaubt Ihr, dass es Euch jetzt mit "Kopf an Kopf" gelungen ist, das zu ändern oder umzudrehen?
Ritchie: Am Anfang haben wir schon geglaubt, dass uns das jetzt gelungen ist. Das wurde uns bei einem der ersten Interviews von einemg 20131123 1487517796 Journalisten auch so ein bisschen in den Mund gelegt. Und dann haben wir gedacht: Stimmt, diesmal haben wir das besser hinbekommen. Aber inzwischen hat sich das relativiert. Wir spielen das "Kopf an Kopf"-Programm jetzt schon fast ein Dreivierteljahr und dann spielt sich das natürlich ein. Und der Druck, der da live reinkommt, der ist besonders.
Uwe: Du kannst ja einfach mal versuchen, so eine Platte in der gleichen Lautstärke wie ein Konzert anzuhören. Dann hast du die Antwort ... (lautes Lachen in der Runde)

Natürlich habe ich eine Meinung dazu. Ich wollte nur gern wissen, wie ihr das seht ...
Ritchie: So ein Studioeinspiel findet ja auch unter ganz anderen Bedingungen statt, als ein Konzert. Wir sind mit so viel Adrenalin vollgepumpt, wenn wir auf der Bühne sind. Das setzt natürlich Kräfte frei, die im Studio erstmal nicht da sind. Da zählen dafür andere Sachen.
Anna: Gerade das Adrenalin darf man echt nicht unterschätzen. Was da im Konzert von den Leuten zurückkommt, ist ja auch die Power von denen, die uns noch mal beflügelt.

Hat der Postbahnhof als Location eigentlich eine besondere Bedeutung für Euch? Schließlich hat im Januar 2010 hier die Live-Preview zu "Alles Rot" stattgefunden. Im Mai 2011 dann das Benefizkonzert für die José-Carreras-Stiftung. Und jetzt seid ihr wieder hier ...
Uwe: Ja, das ist schon ein besonderer Ort ...
Ritchie: Wir haben zuerst überlegt, ob wir überhaupt noch ein zweites Konzert in Berlin spielen sollen. Aber alles in allem haben wir dann doch entschieden, dass wir das machen.
Uwe: Das ist einfach ein schöner Veranstaltungsort, irgendwie schon ein geiler Club. Ich gehe auch selber gerne her, wenn ich mal eine Band erwische, die man in diesem Rahmen noch hören kann. Ich hab hier mal die Foo Fighters erlebt, die sieht man ja eigentlich nur in großen Stadien. Und als die hier gespielt haben, das war so geil. Das fand ich super cool.

h 20131123 1570017800Ihr sucht Euch also auch ganz gezielt Locations aus, die Euch gefallen?
Ritchie: Das machen teilweise sogar andere Leute für uns (lacht). Zum Beispiel eine Freundin, die uns die Haare macht ...
Anna: Ach, die sind nicht jeden Morgen von alleine so toll ...? (großes Gelächter)
Ritchie: Nee, wir waren heute Morgen dort. Und sie hat gesagt, dass sie auch in der Zitadelle war und alles ganz toll fand. Aber sie hat auch gesagt, dass sie sich ganz besonders auf diesen Club freut, weil die Atmosphäre hier eben doch anders ist. Im Prinzip mag sie Konzerte in dieser Größenordnung noch lieber, als in einer ganz großen Arena.

Wenn Ihr Euch jetzt gedanklich noch mal 26 Jahre zurückversetzt, ins Jahr 1987: Wenn Euch damals jemand gesagt hätte, dass Ihr in einem vereinten Deutschland mal Platin bzw. Gold für Eure Alben bekommen würdet, was hättet ihr dem gesagt?
Jäcki: Nee, nee. Das hätten wir nicht geglaubt ...
Ritchie: Das war gar nicht vorstellbar. Das war praktisch Spinnerei.
Anna: Aber warum? Ihr wart ja damals auch sehr erfolgreich und sehr beliebt ...
Ritchie: ... und auch in Dänemark komischerweise. Vor allem in den letzten drei Jahren der DDR sind wir ja auch ein bisschen rausgekommen.
Jäcki: Aber an ein vereintes Deutschland hat 1987 keiner geglaubt.
Uwe: Naja, alles ist möglich. Das haben wir damals zwar noch nicht gewusst, aber jetzt wissen wir viel mehr. Und wir wissen noch nicht alles ... (erneute Lachsalve)
Ritchie: Aber die Frage könnte man auch anders stellen: Hätten wir zum Beispiel im Jahr 2000 gedacht, dass wir noch einmal so etwas an den Start bringen, wie wir es jetzt geschafft haben? Das war in unseren Köpfen genauso als unmöglich eingeordnet.

i 20131123 1289453808Als "Alles Rot" rauskam, habe ich mit einer Freundin einmal beim Rotwein gesessen und wir haben ein bisschen rumphilosophiert. Wir haben uns gedacht, dass beim ersten Album, das Ihr nach so vielen Jahren neu rausbringt, bestimmt ganz, ganz viel Neugier dabei ist. So dass es viele Leute schon deshalb kaufen. Beim zweiten neuen Album hingegen wäre die Schwelle sicher viel höher. Das müsste dann von vornherein aus eigener Kraft überzeugen, weil es diesen "Bonus" nicht mehr gibt. Seht Ihr das auch so?
Ritchie: Ja, das ist schon schwierig. Aber das zweite Album nach einem solchen Erfolg ist immer schwieriger, das muss man schon realistisch sehen.

Hat das auch die Arbeit am neuen Album für Euch schwieriger gemacht? War das zum Beispiel für Dich, Anna, mehr Druck, als Du Dich beim Texte schreiben versucht hast?
Anna: Ja, na klar war das mehr Druck. Das ist ja immer so. Umso mehr man sich in die Bresche schmeißt, desto größer ist der Druck. Aber ich glaube, als Künstler darf man generell nicht so viel Angst haben vor all dem, was andere dazu sagen und was vielleicht einzelne dazu meinen. Es ist schon eine schwierige Sache, so ein zweites Album an den Start zu bringen. Aber wir hatten dabei so viel Output. Wir hatten, glaube ich, ungefähr 30 Songs. Davon ist ja nur ein Teil auf das Album gekommen. Da waren so viele tolle Sachen dabei und das hat einfach auch riesigen Spaß gemacht. Ich fand es eigentlich schön.
Uwe: Naja, man weiß halt nicht, was dann richtig ist. Da spielt Druck manchmal schon eine entscheidende Rolle. Geht man mehr in die Richtung oder in die? Verfolgt man mehr das oder lässt man das lieber sein? Das ist schon schwer ...
Ritchie: ... man hat dann so ein Gefühl ...
Anna: ... und viele Leute reden auf Dich ein in diesem Prozess ...
Uwe: ... und je mehr Leute mitreden, desto schwieriger wird es.
Anna: Und das macht es auch oft schwer. Die Meinungen von so vielen Leuten ...
Ritchie: Wobei wir uns eigentlich letztendlich - auch früher schon - immer mit dem durchgesetzt haben, was uns wichtig war. Dadurch gibt es im Grunde auch kein Album, das so ist wie ein anderes.

Das aktuelle Album ist ja ein gutes Beispiel dafür. Es ist komplett anders, als die Vorgänger. Und genau das haben Euch einige von den alten Fans vorgeworfen ...
Ritchie: Aber das war uns vorher klar. Das wussten wir wirklich vorher schon.

j 20131123 1917370354Letztlich geht Ihr dadurch auch ein höheres Risiko ein. Es wäre ja ein Leichtes für Euch gewesen, mit dem neuen Album weiter in die gleiche Richtung zu gehen - mal unabhängig davon, ob das künstlerisch und musikalisch für Euch befriedigend gewesen wäre. Aber Ihr gebt so viel mehr Persönliches preis ...
Ritchie: So ist es. Das ist ja letztlich eine Frage der Herangehensweise, des Konzeptes. Es war noch nie unser Konzept, nach einem erfolgreichen Album wie "Mont Klamott" zum Beispiel - wenn wir mal ganz weit zurückgehen - in der gleichen Art und Weise weiterzumachen. Das wäre ja ganz einfach gewesen. Aber wir haben uns gesagt, das machen wir nicht. Und dann kam "Liebeswalzer" raus - also eigentlich "Zwischen unbefahrenen Gleisen" und dann hieß das Album "Liebeswalzer". Und hier ist es nicht anders. Es ist jetzt das zweite Album, das ist praktisch vergleichbar. Und das nächste Album wird auch wieder anders, das kann ich jetzt schon sagen.
Anna: Zumal SILLY ja noch nie eine Band war, bei der ein Album klang wie das andere. Es war ja immer ein kleines Überraschungsei, was da letztlich rauskam.

Nervt Euch das eigentlich, manche dieser Reaktionen? Ich persönlich finde, dass manches, was da gesagt oder geschrieben wurde, ziemlich verletzend ist und unter die Gürtellinie geht. Dann frage ich mich immer, nervt einen das oder neigt man dann zu einer Reaktion nach dem Motto "jetzt erst recht"? Oder was passiert da?
Anna: Das ist natürlich alles eine Art Feedback. Ich finde Dissen ja nicht schlimm. Aber wenn ich Pädagoge wäre oder so, würde ich wahrscheinlich mal eine Rede dazu halten, welche Verantwortung man allein dadurch hat, dass man eben nicht nur Tante Frieda nebenan seine Meinung mitteilt sondern einfach etwas ins Internet schreibt. Und dieser Verantwortung sind sich viele Leute gar nicht bewusst. Aber im Prinzip ist das eben unsere heutige Zeit; damit muss man umgehen. Man versucht natürlich immer, das nicht zu wichtig zu nehmen. Und gleichzeitig ist es auch interessant zu sehen, wie die Leute reagieren. Es ist ja auch ein Vorteil, diese schnellen Reaktionen von vielen Leuten lesen zu können. Ich glaube, man muss eine gute Mischung finden und lernen, wie man damit umgeht. Wenn einen das völlig kalt lässt, bringt es nichts, aber man muss sich auch ein Stück weit davon lösen.
k 20131123 1331767716Uwe: Kritik soll ja immer auch etwas bewirken. Zumindest im besten Fall. Gut gemachte Kritik ist natürlich super. Aber es gab eben Sachen, die unter die Gürtellinie zielten und das ärgert einen natürlich auf der einen Seite. Auf der anderen Seite verfehlt es total seine Wirkung, weil es in der Art letztendlich an uns abperlt. Das muss quasi an einem abperlen, weil es einen sonst kaputt machen würde.
Jäcki: Also wenn eine Band harmoniert, ist das doch toll. Aber dass alles immer nur Friede-Freude-Eierkuchen ist, das gibt es ja quasi nicht. Die einen sagen, das und das gefällt mir nicht. Den anderen gefällt das gerade. Dann können zum Teil spannende Diskussionen losgehen.
Ritchie: Richtig, im Prinzip ist Feedback und Kritik super. Wobei ich mich aber manchmal frage, warum gehen einige Leute überhaupt auf die Seite? Interessieren die sich wirklich für uns? Wenn sie sagen, dass es SILLY für sie nicht mehr gibt, warum gehen sie dann auf die Seite?

Da kann ich nur zustimmen. Wenn mich etwas nicht interessiert oder absolut nicht anspricht, dann verbringe ich meine Zeit nicht damit, mich immer wieder dazu zu äußern.
Ritchie: Manche wollen einfach nur stänkern. Und manchmal zuckt es mir schon in den Fingern, etwas dazu zu schreiben. Aber dann sage ich mir: Komm, das bringt doch nichts.
Jäcki: Gute Kritik ist wichtig und toll. Aber wenn es unter die Gürtellinie geht, finde ich das furchtbar.
Ritchie: Kritik üben wir ja unter uns auch. Wir kritisieren und werten auch aus, was da läuft ...
Anna: Aber ich muss auch dazu sagen, dass wir jede Menge positives Feedback zu unserem Album bekommen haben. Wir haben so viele Leute erreicht und berührt. Ganz ehrlich: Kunst und Musik, das ist immer Geschmackssache. Man will ja niemanden damit bekehren. Entweder man mag es, dann soll man es kaufen oder anhören oder zum Konzert kommen. Und wenn man es nicht mag, dann soll man es einfach lassen. Jedem Tierchen sein Pläsierchen. Da ist doch für jeden etwas dabei in der großen weiten Welt.
Jäcki: Du kann es doch sowieso nicht jedem recht machen. Die Geschmäcker sind doch total verschieden ...
Anna: Du kannst doch nur das machen, was dir gefällt und woran du glaubst. Etwas anderes kann ein Künstler eigentlich gar nicht machen. Ein Künstler kann doch nicht die Meinungen einsammeln und sich nur danach richten. Das wird doch nicht überzeugend. Du kannst nur das machen, was Du gut findest, was Du kannst und woran Du glaubst. Und alle Leute, die sich daran ankoppeln, die das mögen, das sind dann Deine Fans. Und die, die es nicht tun, die gehören eben nicht zu diesem Kreis. Die suchen sich eben in dieser großen weiten Welt etwas anderes. Und das finde ich auch voll ok.

Stimmt genau. Jeder muss für sich entscheiden, was er mag oder nicht mag und was er da heraushören oder hineininterpretieren will.l 20131123 1238765389 Für mich gibt es etliche Songs auf dem Album, aus denen ich politische oder andere tiefer gehende Botschaften heraushöre. Aber wer sich dagegen verwehren oder sich nicht darauf einlassen will, der wird die auch nicht finden.
Ritchie: Das ist auch das, was mich ganz am Anfang bei manchen Leuten so gewundert hat. Dass sie behauptet haben, das wäre alles nicht mehr dieser Anspruch, den wir früher thematisch gehabt haben. Das stimmt ja so nicht. Da habe ich mich ernsthaft gefragt: Hören die überhaupt zu?
Jäcki: Ja, manche haben nur einen Song gehört und sich gesagt, das ist alles gleich. Dabei hatten wir diese Mischung bei SILLY schon immer, es gab immer auch so normale Songs.

Beeinflusst Euch das, z.B. bei der Auswahl der Songs für die Konzerte? Wovon lasst Ihr Euch da leiten? Ich stelle mir das bei der Fülle an Songs ja unglaublich schwierig vor, daraus ein Konzert zusammenzustellen.
Anna: Also die Auswahl ist wirklich schwierig, weil es eben so viele Songs sind. Und weil man so viele noch gerne spielen würde. Aber das geht ja nicht ...

Also an uns soll es nicht liegen ...
Jäcki: Aber an uns ... (großes Gelächter)

Wie war das noch, Jäcki, das nächste Konzert spielst du im Sitzen?
Jäcki: Im Liegen ... (erneute Lachsalve)
Ritchie: Wir haben zwar im Sommer überlegt, am Programm noch mal etwas zu ändern ...
Uwe: ... wir haben auch eine ganze Reihe mehr geprobt, als wir jetzt live spielen ...
Anna: ... aber dann haben wir gemerkt, dass das viel zu lang wird.
Ritchie: Wir haben beispielsweise auch "Spring" geprobt. Das klang auch toll. Aber das war einfach zu viel.

sillydvd2013 20131116 1002358626Habt Ihr schon konkrete Pläne für das nächste Album, ein bestimmtes Konzept? Die Frage ist, sammelt Ihr einfach Ideen, schreibt Songs und puzzelt dann zusammen, was für Euch zusammen passt? Oder überlegt Ihr Euch schon vorher, dass Ihr in eine bestimmte Richtung gehen wollt?
Jäcki: Nee, das haben wir noch nie gemacht.
Uwe: Nee, dann würde sich ja nichts entwickeln. Diese Mischung, die so ein SILLY-Album immer ausmacht, entsteht genau dadurch, dass wir anfangen rumzuspinnen.
Ritchie: Das machen wir ja eigentlich ständig ...
Uwe: Ja, das ist schon ein ständiger Prozess. Das lebt auch davon, dass wir Dinge probieren, die eigentlich nicht so richtig denkbar sind oder von denen man anfangs denken würde, die passen überhaupt nicht ins Konzept. Aber genau das ist es vielleicht manchmal.
Anna: Das ist ja auch das, was ich so genial finde an unseren Fans. Die Leute, die sich für SILLY interessieren, sind Leute, die gerne zwischen den Zeilen lesen und die gerne gut hinhören. Das war früher auch schon so, nur unter den anderen gesellschaftlichen Bedingungen war die Glut einfach stärker, sich so etwas zu suchen, weil es so stark limitiert war. In unserer heutigen Zeit gibt es das gar nicht mehr so oft. Heute muss alles nur schnell, schnell, schnell gehen. Und bei SILLY muss man eben gut hinhören - sowohl musikalisch als auch textlich - und sich damit auseinandersetzen. Und wer macht das heute noch? Bei manchem, was ich gelesen habe, habe ich mich auch gefragt, ob derjenige überhaupt zugehört hat. Aber bei den Leuten, die uns mögen, weiß ich, die machen das bewusst und hören sich auch die Feinheiten an. Und das finde ich genial, dass es solche Leute noch gibt. Es gibt noch Leute, die nicht diese Nachmittags-Talkshows gucken wollen, sondern sich lieber eine SILLY-Platte kaufen.

Na das ist doch ein passender Abschluss. Also noch einmal vielen lieben Dank für das Gespräch! Und natürlich viel Spaß und viel Erfolg auf der Tour! Wir sehen uns ...

Bericht + Interview:
Grit Bugasch

Fotos:
Grit Bugasch (Fotostrecke 1),
Marcel Meyer (Fotostrecke 2),
SILLY-Fanclub und
Pressematerial (Textillustration)

 



Fotostrecke:

 
 
Fotos von Grit Bugasch:
 
 
 
 
 
 
 
Fotos von Marcel Meyer: