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Bericht:
Steffen Huth

Fotos:
Steffen Huth





"Vor einigen Jahren wurden vier Männer einer musikalischen Spezialeinheit wegen eines Verbrechens verurteilt, das sie nicht begangen hatten. Sie brachen aus dem Gefängnis aus und tauchten in Rostock unter. Seitdem helfen sie anderen, die in Not sind."

Mit diesen Worten wird der 18. Schmadebecker Dorfrock am 5. Juli 2013 eröffnet. Die Überbringer dieser Botschaft sind die Musiker von SPASMODIC CREEP und sie machen mit dieser aus der Serie "Das A-Team" entliehenen und leicht veränderten Einleitung sofort klar, dass der Berliner Geist von Hausbesetzung und Revolte der TON STEINE SCHERBEN in Rostock weiterlebt. Songs wie "Sklavenhändler", "Keine Macht für Niemand" oder "Allein machen sie dich ein" senden einen kämpferischen Gruß von Schmadebeck nach Fresenhagen, dem Dorf, in dem die Scherben in einer Landkommune lebten und wo Rio Reiser seine letzte Ruhe fand. Und genauso wie in den siebziger Jahren die Landbevölkerung den anarchischen Revoluzzern in Fresenhagen Vertrauen schenkte, genauso bringen die Schmadebecker Dorfrockbesucher den vier Mannen um Frontmann Schwaddi Applaus für jeden gespielten Song entgegen.

SPASMODIC CREEP, was so viel wie krampfhaftes Zucken heißt, hat neben der klassischen Punkbandbesetzung Schlagzeug (Lenzen), Bass (Digger) und Gitarre/Gesang (Schwaddi) ein weiteres Mitglied am Schellenkranz und Gesangsmikro. Angelo gibt der Band und den Songs das Alleinstellungsmerkmal, die Farbe und die zweite Stimme. "Zeit bleib stehen" von Dritte Wahl wird gecovert, aber auch humorvolle eigene Songs, wie "Pflaumbaum" und "High sein" brettern von der Bühne. Und wer wissen will, wie Heinz Erhards "Immer, wenn ich traurig bin" von einer Punkband klingt, muss unbedingt ein Konzert des Quartetts besuchen. Zum Schluss spielt SPASMODIC CREEP den Dorfrockpogo, einen Song, den sie extra für Schmadebeck umgeschrieben haben. Danach geht es in die Pause.

b 20130707 1570705467Da ist sie nun also wieder, die Dorfrockatmosphäre in der kleinen Ortschaft zwischen Satow und Kröpelin, die nun schon am 18. Freitag die Dorfwiese mit Rockmusikfreunden füllt. "Ich sehe", ruft Cheforganisator Rüdiger Kropp von der Bühne auf das Festgelände blickend, "es rechnet sich auch dieses Jahr." 850 Zuschauer bringen auch 2013 die schwarze Null, auf die die Veranstalter jedes Jahr hoffen. Ohne öffentliche Mittel und eigenem finanziellen Risiko stellen die Dorfrock-Organisatoren eine Musikveranstaltung auf die Bühne, die weit über die Mecklenburger Landesgrenzen hinaus eine immer größere Bekanntheit erlangt. "Man kann den Sponsoren, allen Helfern und dem Publikum gar nicht genug danken. Mittlerweile ist schon eine richtige familiäre Situation entstanden, die uns jedes Jahr immer wieder neu motiviert", sagt Rüdiger Kropp in der Umbaupause, die nun im bunten Bühnenlicht endet.

PANKOW betritt die Bühne. PANKOW spielt. PANKOW singt. PANKOW sagt der Rock'n Rollgitarre: "Guten Tag". PANKOW fühlt sich zu Haus. "Bessere Zeiten" ist der Opener der fünf Musiker, die nunmehr seit 30 Jahren erfolgreich das Wort Punk in ihrem Namen und ihrer Musik verstecken. Das Publikum kommt an den Bühnenrand um zu erleben, wie es ist, wenn man "Am Rande vom Wahnsinn" spielt. Es gibt sie also noch, die geile Band aus dem Osten der Republik, die in den achtziger Jahren eine rockmusikalische Kulturrevolution einläutete. Oder es eben nur versucht hat? Die ehemalige Begleitband von Veronika Fischer verwandelte sich über die Umbenennung in 4PS zu PANKOW, und André Herzberg wurde Sänger der Band. Jetzt war der Frontmann ein Gaukler, ein Geschichtenerzähler mit Hang zum Theatralischen. Es entstand die Rockoper "Paule Panke". Sie erzählt vom Leben des Schlosserlehrlings Paule in der DDR. Doch so wollten die Kulturfunktionäre die Realität im real existierenden Sozialismus nicht auf der Bühne haben, und prompt wurde die Veröffentlichung des Rockspektakels auf Schallplatte verboten. Trotz aller Reibereien und Kompromisse mit staatlichen Bedenkenträgern kam PANKOW in die erste Liga der DDR-Rockmusik. Es gelang ihnen auch immer wieder, manch kritische Textzeile an der Lektoratenkontrolle der einzigen DDR-Plattenfirma Amiga vorbei zu schmuggeln. So sind die Texte, die bei PANKOW gleichberechtigt zur Musik stehen, über die Jahrzehnte zum Zeugnis eines untergangen Landes geworden. Übrigens, die Rache über das Verbot von "Paule Panke" war süß. 1997, auf dem 50. Geburtstag von Amiga, schleuderte Herzberg dem ehemaligen Plattenchef eine Torte ins Gesicht. Genau dieser Aufruhr macht PANKOW heute noch aus und ist nun livehaftig in Schmadebeck zu erleben.

"Ich mach 'ne Liste" dröhnt es aus den Boxen. Wild gestikulierend macht André Herzberg klar, dass heute im Lande mindestens genauso viel schief läuft, wie früher. "Es gibt keine besseren Zeiten" von der aktuellen CD und "Ein neuer Tag in Pankow" von der gleichen Scheibe erzählen auch davon, und doch wird das ganze wieder konterkariert mit "Bleib mir mit Politik vom Hals". An der Gitarre Jürgen Ehle, einer der Besten seines Faches und der zweite Kopf der Band, zeigt nun auch am Mikro seine Qualität beim Song "Staub im Wind". Kulle Dzuik am Keyboard und ein super aufgelegter Stefan Dohanetz an den Drums bringen den nötigen Druck von der Bühne. Am Bass... nanu?! Ein neues Gesicht? Moe Jaksch, der im "richtigen Leben" in Berlin ein Musikstudio betreibt, vertritt Ingo 'Inge' York am Bass hervorragend.d 20130707 1112603420 Für einen Basser sehr beweglich, lässt Moe die dumpfen Töne auf ein nun immer mehr mitgehendes Publikum los. Es ist schön zu sehen, wie es PANKOW gelingt, die Zuhörer immer weiter auf ihre Seite zu ziehen. "Er will anders sein" - Herzberg glaubt man dies. Der streitbare Frontmann, der auch am Rande seiner Musik einen deutlichen Standpunkt vertritt, überlässt heute mit sehr wenigen Ansagen der Musik die Botschaft. "Das selbe Land zu lange gesehn. Dieselbe Sprache zu lange gehört. Zu lange gewartet, zu lange gehofft. Zu lange die alten Männer verehrt" - die berühmteste aller Pankow-Textzeilen wurde lautstark mitgesungen. André schwitzt, die Haare sind grauer, das Hemd spannt, doch er lässt nicht locker. "Wetten Du willst", alle wollen wetten, alle wollen Zugabe und alle wollen nur das Eine; zu "Inge Pawelczik" ins Hinterhaus. "Dass ihr Euch einen so komplizierten Namen merken könnt", wundert sich André. Dabei hat es in Berlin tatsächlich eine Lehrerin mit diesem Namen gegeben, was der Band früher weitere Unannehmlichkeiten einbrachte. PANKOW verlegt sich alsdann in ihren Texten mehr auf die Vornamen. "Doris", "Gabi" und im Zugabeteil "Isolde" komplettieren die Schmadebecker Setliste bevor es dann heißt: "Gut Nacht". Alle Lichter gehen aus, das Publikum jubelt und PANKOW hat einmal mehr bewiesen, was für eine gute Liveband sie sind.

"Pankow ist einfach große klasse", schwärmt Andreas Herrmann aus Rerik, der die Band von früher nicht kennt. "Es ist mir egal ob es Ostrock ist, oder nicht. Es ist einfach gut!" Wie wahr, denn ca. die Hälfte aller hier von PANKOW gespielten Titel wurden nach 1989 veröffentlicht. Und Thomas Quaas, ein PANKOW-Fan der ersten Stunde, der extra aus Sachsen zum Dorfrock angereist ist, lässt sein 30 Jahre altes PANKOW-Shirt unterschreiben. "Hier ist sogar noch die Unterschrift des verstorbenen Schlagzeugers Frank Hille drauf", erzählt er stolz.

Nach guter Tradition tritt in Schmadebeck zum Abschluss eine Coverband auf, um das internationale Flair bis ins Mecklenburger Dorf zu tragen. Die Veranstalter vertrauen zum zweiten Mal mit der AC/DC-Coverband BLACK ROSIE darauf, die Schmadebecker Nacht zum Kochen zu bringen. Und sie werden nicht enttäuscht. Lecker aussehend spielen Karo, Dörte, Gabi, Angie und Phoebe mit viel Dampf die Musik der australischen Metal-Blueser zum abrocken auf die Festwiese. Schmadebeck tanzt! Wer wissen will, wie es klingt, wenn fünf lebenslustige Frauen AC/DC spielen, wie es sich anhört, wenn "Touch too Much" aus fünf Frauenkehlen kommt, der sollte sich einmal im September auf den Webseiten des Internetradios "Rockradio" umsehen. Der Sender hat das Konzert mitgeschnitten und somit erstmals ein Schmadebecker Dorfrock tontechnisch in voller Länge erhalten. Die Gitarrenriffs von "The Jack" und "Thunderstruck" hallen durch die Nacht und liefern für die zahlreichen Dorfrockbesucher den Soundtrack für den Heimweg.

Ein toller Musikabend geht zu Ende. Doch ein kleiner Wermutstropfen mischt sich nun in den Wein der Glücksgefühle eines gelungenen Konzertabends bei den Veranstaltern. Wer soll nun nächstes Jahr kommen? So ziemlich alle Bands des Ostens waren nun hier und was kommt jetzt? Oder hörte der Ostrock im Jahre 1989 gar nicht auf zu existieren? Die Antworten auf diese Fragen wird es am ersten Freitag im Juli 2014 geben. Bis dahin, frei nach PANKOW: "Gut Nacht!"



Bitte beachtet auch:
- off. Homepage von PANKOW: www.electrocadero.de/pankow
- off. Facebook-Seite von Spasmodic Creep: HIER
- off. Homepage von Black Rosie: www.blackrosie.de
- Facebook-Seite vom Dorfrock Schmadebeck: HIER




Live-Impressionen

Spasmodic Creep:
PANKOW:
Black Rosie: