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Ein Bericht mit Fptos von Hartmut Helms


 

 

 

János Bródy: Poet und singender Dichter
"Versuch einer Erinnerung" im Berliner .CHB
 

Es gibt Worte und Namen, die - wenn man sie ausspricht - von jedem sofort verstanden oder richtig eingeordnet werden können. Man versteht die Bedeutung und den Wert, ohne dass ein zweites Wort oder eine weitere Erklärung nötig wären. Das ist sicher in allen Kulturkreisen und Völkern so, und sehr oft werden dann damit ganz bestimmte Gedanken, Stimmungen und Sehsüchte verbunden. Gerhard Gundermann ist so ein Name, der hierzulande von vielen sofort in gleicher Weise verstanden wird und Rock'n'Roll so ein Begriff, der gar weltweit und überall das gleiche bedeutet. Für viele Menschen in Polen ist Czeslaw Niemen ein Synonym für etwas ganz Großes und sehr Außergewöhnliches und sagt man in Ungarn János Bródy, dann bedeutet dies das gleiche, und es bedarf keine Silbe zur weiteren Erklärung. Sicher ist es so, dass der Musiker, Texter und Komponist János Bródy für die ungarische Kultur und insbesondere deren Rockmusik eine Bedeutung hat, die wir aus unserer eingeschränkten Sicht nicht wirklich überschauen können.

 

János Bródy, der gemeinsam mit Levente Szörenyi ab 1964 die Faszination von ILLÉS, den "Ungarischen Beatles", begründete und dem ab 1973 bei FONOGRAF erfolgreich eine einmalige Synthese von Country & Western mit ungarischer Folklore gelang, hat in seinem Heimatland Ungarn nicht nur den Ruf, ein Ausnahmemusiker und Komponist für Illés, Fonograf und Zsuzsa Koncz zu sein, sondern vielleicht noch eher den eines Poeten, kritischen Denkers und Volksdichters. Ihm geht der Ruf voraus, das formulieren und geschickt in Worte packen zu können, was die Seele und das Denken der Menschen in diesem Land seit Jahrzehnten bewegt, was sie in ihren Herzen tragen. Neben der Musik, die sehr oft Levente Szörenyi schrieb, war der Poet János Bródy der Garant, das diese Musik auch stets die Herzen und Hirne aller Altersgruppen erreichte. Das bedeutete bis zum Ende der 80er Jahre für Illés und Fonograf in etwa die gleichen Schwierigkeiten, wie wir sie hierzulande aus der Historie vieler kritischer Bands und Künstler kennen.

 

Für mich hatte und hat das Gespann Szörenyi & Bródy stets einen Hauch von Lennon/McCartney, nur eben typisch ungarisch und gepaart mit fremder Faszination, die ich nie zu formulieren vermochte. Als ich zum ersten Mal "Sarika" hörte und ich aus Ungarn die "Farbstifte" mit Zsuzsa Koncz als Single bekam, berührte mich die Musik von Illés eher noch intensiver, als die von Omega. Letztere konnte ich inzwischen wenigstens live erleben, bei Illés blieb mir dieser Wunsch stets verweigert und hat sich seit dem Tod des Bandgründers Lajos Illes auf ewig in Luft aufgelöst. Im Oktober 2007 wollte es der Zufall, dass ich László Tolcsvay, einen der drei kreativen Köpfe von Fonograf, live erleben und treffen konnte. Damals keimte der Wunsch, vielleicht auch Szörenyi und Bródy in gleicher Weise begegnen zu können oder gar Fonograf als Band auf der Bühne, statt nur mittels DVD. Das Vinyl von Illés und Fonograf, einschließlich der Solo-Scheiben von Bródy, "Hungarian Blues" (1980) und "Ne Szolj Szam..." (1985), steht in meinem Regal und den Klang der Lieder nahm ich gestern gedanklich mit auf eine Reise in die Hauptstadt.

 

Am Haus in der Berliner Dorotheenstraße mit der Nummer 12 wäre ich in der abendlichen Dunkelheit beinahe vorbei gelaufen. Die Seitenstraße der "Linden" erinnert um diese Zeit so ganz und gar nicht an Berlin, höchstens an das Dorf, das in der Stadt steckt. Die "Agentur zur Verbreitung ungarischer Kultur" und vor allem deren umtriebiger und schneeweiser Kopf, József Robotka, haben es geschafft, János Bródy nach Berlin zu holen. Wieder einmal, doch diesmal bin ich auch hier. Die andere Zeit hat dafür gesorgt, dass inzwischen mehr Verständnis als gefühlte Ahnung für Rockmusik "Made in Hungary" bei mir gewachsen ist. Das Verstehen der Sprache ist mir bis heute nicht vergönnt, aber dank Internet und neuer Freunde konnte ich vorher schon mal Übersetzungen der neuen Texte lesen. Deshalb und auch wegen der Vorfreude auf neue Musik, habe ich mich mal wieder in diesen Großstadtmoloch gezwängt und am Ende der Dorotheenstrasse das Haus mit den supergroßen Frontfenstern gefunden.

 

Viel zu früh stehe ich davor. Von oben klingen Gitarrenakkorde. Innen sieht's mit dem ersten Blick ein wenig kühl aus und erst in den hinteren Räumen, wo man eine Ausstellung sich bewegender "Bilder" bestaunen kann, spürt man einen Hauch von anderer Kultur, die kühne Blicke durch die Augen anderer möglich machen. Zwei Stockwerke höher dann der zu einem Konzertsaal umfunktionierte Konferenzraum, zumindest macht er diesen Eindruck auf mich. Vor den zu dieser Stunde noch leeren Stuhlreihen reckt sich ein einsamer Mikrofonstände vor einem Leinwandhintergrund, der das riesige Fenster zur Straße verdeckt, wartend nach oben. Eine Stunde später sitze ich in der zweiten Reihe eines prall gefüllten Raumes und lausche den Worten und Stimmen um mich herum, deren Bedeutung mir fremd sind. Schade, denn Ungarisch stand damals nicht mal fakultativ auf meinem Stundenplan.

 

Einige wenige einführende Worte vom Direktor des Hauses und von József Robotka und dann steht er vor uns vor dem Mikrofon, ganz dem Zeitgeist entsprechend, von Kopf bis Fuß in schwarz gekleidet und eine schlichte rotbraune Gitarre umgehangen. János Bródy schafft es schon mit den ersten Tönen, mich erschaudern zu lassen. Der Mann beginnt den Abend tatsächlich mit zwei Lieder aus dem "Blues"-Album, von denen mir "Mama Kerlek" über all die Jahre im Ohr geblieben ist. Vielleicht auch deshalb, weil dieses "Liebeslied für Mama" auch durch Zsuzsa Koncz zu großer Popularität gelangte. Bródy singt es leise, sehr leise und eindringlich, nur von sparsamen Tönen seine Gitarre unterstützt. Beim Hören verlasse ich mich auf mein Gefühl, um den Inhalt zu erahnen. "Reg elmultan 60", ein kleiner Song mit Touch von Ballhaus, Swing und Jazz erschließt sich mir mit Hilfe eines netten Nachbarn, der mich darauf hinweist, dass ein Herz mit 20 vielleicht ein klein' wenig anders Gefühle aufnimmt, als eines, dass die Erfahrungen und Mühen von 60 Jahren Herzschlag kennt.

 

Ich hab' völlig vergessen, dass da vorn ein Rocker steht. Mir ist wie in einem Liederabend. In Amerika sagt man Storyteller dazu, denn János Bródy verbindet die Lieder mit Geschichten und Anekdoten, die je nach Stimmung von zustimmenden Kommentaren oder lautem Lachen und Zwischenrufen aus dem Hintergrund beantwortet werden. Wenn er dann wieder singt, hat er die Augen meist geschlossen und seine Fingern wandern sicher und meist dezent zupfend über die Saiten. Nichts ist aufgesetzt, keine Posen oder Anmache. Mir scheint, diese stille Erscheinung da vorn wirkt nur durch die Musik und seine Worte, die sie begleiten. Dass seine Melodien offensichtlich auch zweideutiges transportieren, bekomme ich bei "Ahogy allnak a Csillagok" zu spüren. Bródy unterbricht sich selbst, um Zurufe aus dem Auditorium zu provozieren, die dann auch prompt und lachend kommen. Die Körper wippen im Takt und hinter mir wird fleißig mitgesungen.

 

In Ungarn vermag János Bródy mit seiner Version vom Bärchen Winnie Pooh, den es zu Zeiten des 1. Weltkrieges wirklich gab und Alan Milne letztlich zu seinen weltberühmten Geschichten und Gedichten um "Winnie The Pooh" inspirierte. Bródy benutzt die Figur vom Bärchen, um mit dem Song "Micimacko" seine ganz eigene Geschichte voller Gleichnisse, Anspielungen und Seitenhiebe zu erzählen. Der Song vermag Tausende zum Singen zu animieren. Der Sänger vor uns unterbrach die Liedgeschichte immer und immer wieder und an den Reaktionen des Publikums war unschwer zu erkennen, dass hier spitzfindig und lächelnder Weise ziemlich starker Toback verteilt wurde, wie mir wieder mein Nachbar flüsternd versicherte. In unserem ehemaligen Bruderland scheint es auch genügend Angelas, Kühne-Äste und andere "Personen der Zeitgeschichte" (Selbstbezeichnug von Jürgen Trittin) zu geben. Da hilft es natürlich, ein kleines Bärchen, gleich ob man ihn "Micimacko" nennt oder ob er einfach nur Knut heißt, um einerseits seinen Unmut spöttisch äußern zu können und andererseits, ein kleines Etwas für die Zuneigung und zum Kuscheln zu haben. Es ist wohl die einsame Meisterschaft eines János Bródy, dem Volk auf sein Maul schauen und daraus Volkslieder zaubern zu können, die auch einer mit deutscher Denke versteht und sofort mitsingen kann. Ich hab's einfach nur genossen, inmitten von fröhlich singenden Ungarn sitzen und trotz meiner sprachlichen Blindheit dazu gehören zu dürfen.

 

Zu später Stunde hören wir den Titelsong des aktuellen Albums "Kockazato es Melekhatasok" (Risiken und Nebenwirken), ein Wortspiel, mit dem Brody Machenschaften und Medienspiele auf's Korn nimmt, die einem das Leben schwer und mitunter unerträglich machen können, wenn man deren Nebenwirkungen vergisst und sie dann doch ziemlich brachial zuschlagen. Als sich die zwei Stunden Musik ihrem Ende zu neigen, schließt sich für mich der Kreis, denn Janos Brody singt aus seiner zweiten Solo-Scheibe von 1985 das wunderschöne "Ha en Rosa Volnek" (Wenn ich eine Rose wär'). Es ist schon ziemlich ergreifen, nur weil hier die Rose als eines von vielen Symbolen neben anderen steht (Zitat: "Wär' ich eine Fahne, würd' ich mich nicht wenden", deutsch: Atila Ducsay), bin ich im Gedanken bei der anderen "Rose" und spüre, dass beide das gleiche ausdrücken wollen. Wie klein doch auch die große musikalische Welt sein kann.

 

János Bródy versucht, das Konzert zu beenden, doch immer wieder klatschen und rufen wir ihn wieder auf die Bühne und so habe ich dann auch noch das Glück, die kleine "Sarika", die meine Begeisterung für Illés und all die anderen Ungarn auslöste, in der Minimal-Version von Bródy zu hören. Jetzt habe ich wieder die gefürchtete Gänsehaut und bin froh, dass ich sie mir schnell wieder wegklatschen kann.

 

Wenig später finden wir uns beinahe alle zwei Etagen tiefer im kleinen Cafe wieder. In kleiner Runde wird aufgeregt gequasselt, bis der Mann, der tatsächlich ganz bescheiden Zeitgeschichte verkörpert, sich an einen Tisch setzt, sich auf Gespräche einlässt, geduldig ganze Stapel von Plattenhüllen und Fotos signiert und sich fotografieren lässt. Wenn der Vergleich zu McCartney zutrifft, würde ich mir eine solche Begegnung auch mit "Makka" wünschen. Vor fünf Jahren hätte ich mir einen solchen Abend mit Bródy und vielen anderen bekannten Gesichtern, die mir inzwischen vertraut sind, auch noch nicht vorstellen können. Wer weiß schon, was uns der nächsten Morgen bringen wird.

 

Die Mitternachtsstunde habe ich mit der S-Bahn überfahren und dann im Auto Richtung Süden ging mir die Melodie vom "Micimacko" nicht aus dem Sinn. Mein Körper hatte den Rhythmus gespeichert und immer wieder hörte ich mich leise "zeg zeg" oder so ähnlich singen. Irgendwie war mir, als würden "Sarika" und "Micimacko" fröhliche Spiele treiben, die man auch noch mit sechs Jahrzehnten im Gebälk mitspielen und -tanzen kann. Köszönöm Janos!


Bitte beachtet auch:
- Homepage über János Bródy: HIER


 

 

Live-Impressionen:
 
 

   
   
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