Jonathan Blues Band & Gäste am
10.01.2009 in der Berliner "Wabe"

(Mit Christiane Ufholz, Bernd Kühnert und Reinhard Lakomy)

 

Bericht: Andreas Hähle
Fotos: Patricia Heidrich + Fotorarität von www.ostbeat.de

 

Blues ein Konzert?
Wo der Blues lebt, da ist Sonderzone. Da wird geschwitzt, da riecht es nach Tabak und Bier, nach Pheromonen und Testosteron. Da kann man nicht mal mehr stehen, manchmal auch nicht mehr beim Pinkeln. Da werden die Seele und die Sau raus gelassen und jedem gezeigt, dass man eine hat.
Das unvergesslichste Erlebnis im Zusammenhang mit dem Blues hatte ich vor ca. 30 Jahren in Stralsund, als das Trio "Yatra" indische Musik spielte und ein von Musik und Bier betrunkener uns allen als Rockfan bekannter Rügener sich nach der ersten Zugabe erhob und brüllte: "Das war ein 1a-Blues". Was ich am Blues auch eigenartig finde ist, dass die bedeutendsten Bluesmusiker angeblich wohl entweder schon sehr früh verstarben oder ganz ganz alt geworden sind. Bei Bluesmusikern, welche ihre Jugend überlebt haben, würde sich demzufolge also erst in einigen Jahrzehnten erweisen können, ob sie bedeutend sind oder nicht. Ausnahmen bestätigen natürlich jede Regel, so wohl auch diese. Die internationale und nationale Musikszene weist immens viele dieser Ausnahmen auf. Die "Jonathan Blues Band" ist eine davon. Nun spielte diese auf zum 14. Neujahrsblues in der Berliner "Wabe". Peter Pabst äußerte gleich zu Beginn, die Band müsste für den 15. Neujahrsblues (also für Anfang 2010) etwas mehr tun. Ich habe keine Ahnung, was er meinte, aber in einem Jahr werden wir dann alle schlauer sein.
Die "Wabe" war angenehm gefüllt, die Biergläser waren es auch. Manche tranken Rotwein. Oft erkennt man bei Blueskonzerten daran die Frauen. Glaube ich jedenfalls. Der musikalische Einstieg war klassisch, wie man so schön sagt. Gitarre, Bass, Schlagzeug, Mundharmonika (Peter Pabst, Hagen Dyballa, Mathias Fuhrmann, Matze Stolpe). Getragener Blues, handwerklich sauber vorgetragen. Solide, sagen die Bluesfans dazu. Wie solides Handwerk eben. Das Schönste am Blues ist, finde ich, die erkennbare Rhythmik und dass jeder Song wie auf einer Session klingt, wenn die Musiker ihr Handwerk solide beherrschen und solidarisch miteinander teilen und mitteilen. Und trotzdem sind und bleiben es für sich stehende Titel. Und die werden auch mit jedem Bier schöner. Ich glaube, das träfe auch zu, wenn man ein ganzes Konzert aus einem einzigen Song gießen würde.
Bei der "Jonathan Blues Band" haben sich von Anfang an Handwerk und Herz vereinigt. Der zweite Titel war absolut mundharmonikaorientiert bzw. dieses Instrument bedienend angelegt. Das ist ja eben das Solidarische am Blues. Beim dritten Song kam ein weiterer Gitarrist hinzu: Bernd "Kuhle" Kühnert (von "Monokel"). "Keiner kann raus aus seiner Haut". Mit dem Farbthema von Schwarz und Weiß, bezogen auf die Häute und das Blues-Spielen. Man ist wer man ist, will uns dieser Titel vermitteln. Und dass es sehr sehr gut klingt, wenn man ist wer man ist, vermittelte er uns auch. Ich stellte dabei fest, dass mein erstes Bier bereits zur Neige ging, weil die Band nicht ganz pünktlich angefangen hatte. Ich hätte ja raus gehen können, aus meiner Haut, oder mich teilen. Ein Teil würde dann weiter der Musik zuhören und den Musikern zusehen und ein anderer Teil würde Bier holen gehen. Aber dann fiel mir ein, auch etwas Schönes am Blues ist, dass man einfach Bier holen gehen kann, ohne dass jemand Anstoß daran nimmt. Oder eine rauchen gehen kann. Blueskonzerte ohne dabei rauchen zu können empfinde ich schon als ein wenig traditionsvernichtend.
"Doktor, Doktor" hielt mich vom Bierholen ab. Der Song hatte einen sehr witzigen Text, auch wenn die mit Zappa durch Warnemünde spazierende Frau Holle die Möglichkeiten meiner Phantasie zur visuellen Vorstellung doch ein wenig übersteigerte. Aber genau darum geht es ja. Der Blues macht uns alles möglich und bringt uns alle zusammen. Und vereint skurrile Typen mit skurrilen Situationen. Der Blues kann so etwas eben und er macht so etwas. Den Text zu diesem Song schrieb Wolfram Bodag von der "Engerling Blues Band", die Musik stammt vom "Jonathan"-Schlagzeuger Mathias Fuhrmann. Solide Solidarität, blues-band-übergreifende. "Ich bin ein Katzenfreund und hab´ vom Wolf geträumt". - "Frag mich, wer ich wirklich bin." Ein echter und immer noch supertoller "Jonathan"-Klassiker. Ich mag dieses Lied, welches auf legere Art Identifikationssuche thematisiert, nicht ganz ohne Humor. Natürlich, Blues macht ja auch unheimlich viel Spaß. Spätestens hier störte mich das etwas verhaltene, wenn auch sehr positiv gestimmte Publikum, und ich stellte mir die Frage, woran das liegen könnte. Ich habe das an diesem Abend nicht herausgefunden, aber alles eben zu seiner Zeit...
Peter Pabst wechselte die Gitarre und schon beim nächsten Song ("Gehst du allein") merkte ich, dass ich mich einen Titel zu früh an der Verhaltenheit des Publikums rieb. Blues ist aber eben Reibung auch und nicht nur die mit der Hand übern Bauch. Nebel zog auf der Bühne auf. Erst verhalten, dann etwas stärker. Oh, dachte ich, sogar Bühnennebel vermag sich an die Stimmung des Publikums anzupassen. Denn nach diesem Song begann dieses zu johlen, zu pfeifen und mitzusingen. Vielleicht hat das aber auch daran gelegen, dass Patti in der ersten Reihe, in welcher wir saßen, aufstand um unser zweites Bier zu holen, nachdem ich mich der Musik wegen einfach nicht dazu aufraffen konnte. Aber gegen Durst ist kein Blues gefeit. Vielleicht lag es aber auch daran, dass Kuhle diesmal die Gitarre wechselte. Ich habe das selbst nicht genau gesehen, aber ich glaube nicht, dass Gitarren von alleine schrumpfen wie einige andere Dinge auf dieser Welt (was auch eine Art Blues erzeugen kann). Außerdem habe ich wiederum zumindest selber sehen können, wie Kuhle die kleine Gitarre wieder, mitten im Titel, gegen eine größere eintauschte.
Der Blues wurde nun zur Party. Auch und vor allem musikalisch. Der Sound wurde hammerartig (typisch für Dyballa-Fuhrmann-Groove). "Rammstein" sind ein Scheißdreck dagegen, aber die können bestimmt auch gar keinen Blues. Glaube ich. Deswegen machen die ja auch immer so einen Krach. Man kann aber auch mit einer angemessenen Lautstärke eine Musik machen, die eine Woge ist, welche die Menschen mit sich trägt. Nun gut, man kann es, aber es kann ja nun mal nicht jeder.
Ich musste nun ganz schnell mal dorthin, von was man nicht sagen tut, dass man dort hingegangen ist. Aber dass jemand sein volles Bierglas mit aufs Klo nimmt, das habe ich noch nie erlebt und über die tiefere Bedeutung dieses Erlebnisses werde ich wohl noch sehr lange nachdenken müssen. Als ich zurückkam, war der Saal schon kurz vorm Kochen und ich habe gelernt: Blues ist Ale on the Spülung, auch das.
Hagen Dyballa heizte mit seinem Bass den Saal noch weiter an und eine Lady begann zu tanzen, wenn auch etwas verschämt oder aus Angst vor der Polizei (aber wir waren ja nicht auf einem "Renft"-Konzert) gleich neben der Eingangstür. Die beiden Gitarristen duellierten sich zwar gerade auf exzellenteste Weise, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass das jemand strafrechtlich jemand ahnden wollen würde. Ja, Blues ist wohl auch, wenn sich zwei Menschen duellieren, weil sie sich hervorragend verstehen. Doch leider war die so genannte "erste Runde" schon beendet nach einem wundervollen Song von Peter Green. Darin war er absolut, der Blues im Blues. Der, den man hat oder eben nicht. Ich denke, wer solche Musik so dargeboten hören darf, der hat ihn auch, der kriegt ihn auch, der behält ihn auch, den Blues. Und darf aber trotzdem endlich mal eine rauchen gehen. Wie ich schon schrieb, ein Blueskonzert ohne zu rauchen, das ist schon mehr als gewöhnungsbedürftig. Fast genauso wenig wie ein Jazzkonzert ohne Tabak.
"Lacky macht entweder richtig gute Musik für und mit Kindern oder er spielt mit uns.", sagte Peter Pabst den zweiten Teil des Abends an. Ich habe mich ohnehin den gesamten ersten Teil des Konzertes über gefragt, was ein Keyboard auf der Bühne soll, wenn keiner damit spielt. Aber schon betrat Reinhard "Lacky" Lakomy die Bühne und meinte: "Spielen kann ich noch. Aber ob ich noch singen kann, weeß ick nich." Und sang doch. Unterstützt von so genannten Pattern aus dem Keyboard, welches er klavieresk bediente. Nämlich das alte Lied "Heute bin ich allein". Ich habe dieses Lied als kleines Kind sehr geliebt, obwohl ich als kleines Kind nie wirklich allein gelassen wurde und überhaupt keinen blassen Schimmer davon hatte, wovon dieser Sänger da eigentlich sang. "So schön ist die Liebe im Wald". Den Song habe ich erst geliebt, als ich körperlich erfuhr, was damit gemeint war. Aus heutiger Sicht sind diese Lacky-Oldies ja fast Schlager, aber wer würde das bei diesen herrlich schönen schmonzettig eigenwilligen Chansons gelten lassen wollen. Ich kenne auch keinen einzigen Schlager mit so einem schönen Hammond-Orgel-Sound.
Den nächsten Song spielte "Lacky" gemeinsam mit der "Jonathan Blues Band" und mit einer, wie Peter Pabst sie ankündigte, kleinen und an diesem Tage auch sehr kranken Frau. Gemeint war die von Grippe und Fieber geplagte Sängerin Christiane Ufholz. "Coming down to the crossroads". Blues ist auch, wenn andere Stilistiken und andere Musiker sich kreuzen. Also jetzt nicht im Sinne von Pflanzen- und Tierzucht, obwohl es etwas sehr Natürliches und partiell auch etwas Animalisches in sich trägt, wenn solches geschieht. Zwangsläufig folgte in dieser Besetzung "Rock me baby". Ja, was denn sonst. Kalt war es ja nur draußen an diesem Tag. Und Blues ist wohl auch, wenn es drinnen oder innen drin warm wird. Für das Publikum gab es nun auch überhaupt kein Halten mehr, und ich kann mir nicht vorstellen, dass es nur an diesem tollen und voller instrumentaler Spontanität vorgetragenem Song gelegen haben kann. Blues ist vermutlich auch, wenn jeder macht, was er will oder was ihm gerade einfällt und am Ende haut es doch immer hin.
Das war beim nächsten Titel nicht viel anders und im Grunde fehlten nur noch die überquellenden Aschenbecher und die dicht aneinander gedrängten, winterlich schwitzenden Leiber an einem Tresen.
Christiane Ufholz ging es überhaupt nicht gut und sie sang wie eine Göttin. Wie das geht, muss sie mir auch mal irgendwann bei nächster Gelegenheit verraten. Patti war so hin und weg, dass sie die Seite wechseln musste. Es kann aber auch daran gelegen haben, dass mein Bier, das zweite, noch voller war als das ihre und nach dem Seitenwechsel saß sie ja nun näher an meinem Bier als an ihrem, also am vollen. Gesagt hab ich nichts, aber sie soll blues nicht denken, ich hätte nichts gemerkt. Blues ist nämlich auch, dass man trotz eines genialen Konzertes immer weiß, wo sein Bier ist. Selbst dann, wenn man es mit aufs Klo nimmt (eigentlich ohnehin der Weg allen Bieres, worauf Gundermann bereits einmal hinwies). Peter Pabst erzählte, dass er und Christiane sich telefonisch absprechen wollten, welche Titel sie an diesem Abend spielen wollten. "Little red rooster", schlug Christiane vor. "Little red rooster?", stellte Pabst sich kenntnislos. "Sing doch mal bitte vor." Ja, und so kam er zu dem sicherlich wahrhaftigem Vergnügen, sich diesen Titel von Christiane Ufholz am Telefon vorsingen zu lassen. Nun, wir erlebten ihn gemeinsam mit der "Jonathan Blues Band", natürlich dem Gesang von Christiane Ufholz und dem Keyboardsound von Reinhard Lakomy.
Blues ist vielleicht auch, wenn immer mal ein anderer Mensch den Schluss eines Titels verpasst und dieser dann nie aufzuhören scheint. Ich verrat jetzt aber nicht, wie ich darauf komme. Nur so viel vielleicht: "My life is the boogie" hieß der nächste Song. Als danach ein Song von Wilson Pickett angekündigt wurde, kommentierte Christiane das trocken mit: "Der arme Kerl". Und als Peter Pabst im Zusammenhang mit diesem Titel erläuterte, man hätte anlässlich "40 Jahre Modern Soul Band" mit eben jener zusammen gearbeitet, konterte sie wiederum: "Ich hab da gar nicht gearbeitet, ich hab da bloß gesungen." Habe ich das mit dem Blues und den in ihm auch enthaltenen unterschiedlichen Sichtweisen schon erläutert?
Obwohl Christiane, wie bereits erwähnt, wirklich gesundheitlich stark angeschlagen war und ihr die Anstrengung an diesem Abend doch sehr anzumerken war, zog sie das Konzert bravourös, als würde sie gesanglich über sich selbst zu stehen vermögen und eisern diszipliniert durch. Unschlagbar wohl ihr mittlerweile berühmtes a cappella vorgetragenes Janis Joplin Cover "Mercedes Benz". Ist auch Disziplin zum Blues gehörig? Vielleicht schon, auch wenn es seltsam klingt. Ich habe ja, wie nun sicherlich alle bereits gemerkt haben, nicht wirklich einen Plan darüber, was Blues wirklich ist und was nicht. Aber ich glaube, der letzte "offizielle" Titel war ein Rock-Song. Kein bluesiger Rock´n Roll, sondern ein echter Rock-Song. Mit New Wave und HardRock-Ansätzen. Ja, ich glaube, ich muß noch sehr viel lernen über den Blues. Ich werde wieder hingehen, spätestens im nächsten Jahr, zum dann 15. Neujahrsblues in der "Wabe" zu Berlin. Selbstverständlich auch in der Hoffnung, Christiane singt als Zugabe wieder "Mercedes Benz". Denn mit Gebeten dieser Art kenne ich mich nun wieder sehr gut aus. So ist das eben. Blues ist alles. Alles ist Blues. Vielen Dank der "Jonathan Blues Band" und ihren Gästen, die mir das auf so kräftige und wundervolle Weise nahe zu bringen vermochte.

 


 

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