Fermata

 

live am 26. März 2009 in Dresden

 

Bericht: Hartmut Helms
Fotos: Hartmut Helms
 


Ein pulsierender Traum in Tönen - FERMATA aus Bratislava

FERMATA, das klingt wie ein mystischer Begriff, ein wenig wie Zauberei oder Magie und musikalisch gesehen, ist dieses Gefühl ist gar nicht so abwegig...
Es ist immer wieder die gleiche Erinnerung: Mit ein paar gesparten Geldscheinen fahre ich mit dem Zug von Elsterwerda nach Berlin und komme mit einer großen Tüte voller Schallplatten zurück nach Hause. In den Kulturzentren von Ungarn, Polen und der CSSR gab es jene Auswahl an guten Rock-Platten, die in heimischen Plattenläden nicht zu entdecken war. Im Beutel befand sich dann meist Vinyl von Niemen, Anawa und den Czerwone Gitary, von LGT, Omega oder East und vom Collegium Musicum, Blue Effect oder FERMATA. FERMATA galt als Geheimtip und wer was zu John McLaughlin's Mahavishnu Orchestra oder Al di Meola zu sagen wußte, wer sich "Bitches Brew" von Miles Davies von der Westverwandschaft schicken ließ, der sollte schon auch FERMATA kennen. Die Kombination aus Rock, Jazz, Improvisation und Klassikstrukturen war damals das Non-Plus-Ultra, die Hohe Schule vom Rockverständnis unter Rock-Fans. Der Slovakische Ausnahmegitarrist Frantisek Griglak, der mit seinem Können schon das berühmte Doppelalbum "Konvergencie" vom Collegium Musicum verziert hatte, gründete FERMATA 1973 gemeinsam mit dem Keyboarder Tomas Berka, um eigene musikalische Wege zu finden und zu gehen.
Ganz sicher war es auch so, daß Griglak sein ausgefeiltes Gitarrenspiel neben dem Über-Organisten Marian Varga beim Collegium Musicum nicht voll zur Geltung bringen konnte und er sich deshalb in ein musikalisches Korsett gezwungen fühlte. Mit der Gründung von FERMATA folgte von daher der konsequente Schritt, diese eigenen Vorstellungen frei verwirklichen zu können. Vor allem die ersten drei LP's der Band hatten (und haben) Kultstatus und wenn ich sie mir heute auflege, weiß ich auch wieder warum. Da läßt einer auf den 6 Saiten der Gitarre seinen Eingebungen einerseits freien Lauf und läßt sie andererseits zur Verwirklichung eines inhaltlichen Ganzen, einem Konzept folgend, gestalterisch wirken. So etwas findet man selbst international selten, aber weil diese Musik "aus dem Osten" - also "from behind the iron certain" - kam, blieb die Band und deren Musik stets ein Insidertip. Wer weiß, wozu das gut war, der Kommerz hat schon ganz andere Heroen aus der Bahn geworfen.
FERMATA war es nie vergönnt, anders als Omega, Niemen oder Collegium Musicum, in der DDR live zu spielen. Deshalb ist es wohl eine kleine Sensation, daß FERMATA gestern im Rahmen der 5. DRESDNER JAZZWELTEN in der Sächsischen Elbmetropole live zu erleben war. Für mich persönlich war es außerdem ein Wiedersehen mit Fedor Freso, dem damaligen und auch heutigen Bassisten des Collegium Musicum aus Bratislava nach über 30 Jahren. Wer verdammt hat nur Zeit erfunden?
Ein Hörsaal im Uni-Komplex, steil nach oben aufragende Klappstuhlreihen und unten auf dem "Podest" die Alltagstechnik einer Rockband. Es sieht nach einer Vorlesung für ältere Semester aus, als Matthias Bäumel im Namen der "Tonne" die Anwesenden und dann auch die Band begrüßt. Fast zaghaft betreten Frantisek "Fero" Griglak und seine drei Musiker das Podest. Von nun an beginnen Klang und Töne den Raum zu beherrschen und dies scheint aus allen Ecken zu kommen - ein Supersound. Ich fühle mich in eine Klangwelt versetzt, die ich so nicht mehr kannte, 70er Jahre-Feeling.
Vor mir steht einer, der genußvoll in virtuoser Weise die Saiten seiner Gitarre streichelt. Nach und nach entstehen die Motive, schleicht sich Slovakische Folklore in die Themen. "For Huascaran" ist eine Essenz der dritten LP von 1977. Griglak komprimiert den damaligen Platten-Höhepunkt und entführt musikalisch wie inhaltlich auf eine Entdeckungsreise. Die Platte war einer Slovakischen Expedition zum höchsten Berg Perus gewidmet, die dort Dramatisches bei und nach einem Erbeben erleben mußte.
Der Gitarrist bleibt auch mit "Da Gama" doppelsinnig in der Historie. Die LP "Biela Planeta" ("Weißer Planet") war all jenen gewidmet, die noch unbekannte "weiße" Regionen der Erde erkundeten und der Komponist Griglak setzte mit der Platte seine eigene Reise in neue musikalische Gefilde fort. Er ist in seinem Element, entführt mit Tönen und läßt sich selbst in die Klänge sinken, streckenweise meditierend, dann wieder wild aufbäumend, expressiv.
Erst in diesem Augenblicken bemerkt man, daß ohne die drei anderen diese Faszination nur eine halbe wäre. Fedor Freso, der Kolloß am stampfenden Baß sowie Igor "Teo" Skovay, eine Slovakische Kopie von Keith Moon scheint mir, weben oder hämmern wahlweise ein Rhythmusgeflecht, auf dem sich Fero Griglak ganz und gar frei bewegen kann. Der eher unauffällige Peter Preloznik an den Tasten umhüllt die Töne und Läufe des Saitenzauberers meist mit einem zarten Soundgeflecht oder folgt ihnen. Nur in den fulminanten Phasen, wenn dem Gitarristen die Finger am Gitarrenhals auszubrechen und flick davonzurennen scheinen, dann explodiert der Mann mit dem Kopftuch und hackt sein Stakkato dem tausend-finger-flinken Griglak hinterher, so als wolle er seine Töne zurückholen. Das alles passiert zwei, drei Meter vor mir und trotzdem kann ich nicht verstehen, wie einer mit 4 plus 2 Fingern derartig Musik zelebrieren kann. Für Sekunden denke ich an ein Frank Zappa-Video, das diese Zauberei einst visuell und comic-like umgesetzt hatte. Die vier Musiker verstehen sich blind, spielen gekonnt und traumhaft sicher miteinander. Der Mann hinter den Schlagwerk kommt außerdem 2 Stunden lang ohne kleine Gags und Humoreinlagen nicht aus, dem steht der Spaß ins Gesicht geschrieben.
Der Sprung in die Jetzt-Zeit und damit zu aktuellen Titeln erfolgt nur per Ansage. Fedor Freso moderiert kurzweilig das Geschehen und weist freundlich auf die neuen Stücke hin. Was mich bei anderen Bands manchmal schaudern läßt, findet hier nicht statt. Der Gitarrenzauberer ist sich treu geblieben, keine Zugeständnisse, keine Modemätzchen - nur die Band und ihre Musik! Auch die neuen Stücke leben vom Ideenreichtum und der Vituosität des "Saitenhexers" sowie vom Reichtum Slovakischer und anderer Folkloreeinflüsse sowie jazz-naher Gitarren- und Keyboardeinlagen.
Da erklingt dieses zauberhaft schöne "Rendez-Vous", eine Melodie zum Dahinschmelzen und ich ertappe mich bei dem Wunsch, die Zeit möge einen Aussetzer haben. Griglak versteht es, Geschichten zu erzählen und Bilder zu malen, indem er seine Finger wie neugierige kleine Kobolde über die Gitarrenbünde und Saiten tanzen und manchmal süffisant grinsend Töne entstehen läßt, mal im Reigen irgendwo im Slovakischen, auf einer Dorfwiese vielleicht, mal in wilder Hatz durch den Großstadtmoloch wie im Stück "City" oder bei "You And Me".
An diesem Abend kommt wohl jeder ins Schwärmen und wird unwillkürlich von seiner Fantasie getrieben. Nur manchmal kann ich Griglak vor mir direkt in die Augen sehen und ganz selten huscht ein dankbares Lächeln über sein Gesicht und da denke ich, dieser Mann weiß ganz genau was er kann und wie sehr er diese Augenblicke genießt.
Der heutige Sound der Band ist rockiger als der von den Platten. Die Gitarre ungemein souverän und Griglak traumwandlerisch sicher in den Stilmitteln, sein Markenzeichen sind elegant fließende Gitarrensoli, egal ob langsam oder explosiv schnell. Seine Finger gleiten kleinen zarten Katzenpfoten gleich über die Saiten, lassen das Instrument in vielerlei Klangfarben und Nuancen singen. Ich nenne seine Musik noch immer Jazz-Rock vom Feinsten, obgleich mir scheint, daß sie heute nachdenklicher klingt und eine intensive Sehnsucht nach Harmonie versprüht, die schon fast benommen macht. Immer, wenn der Gitarrist sich selbst zu einem Solo verleitet, ist auch Improvisation im Spiel und den virtuosen Zauberer zeichnet aus, daß man die Grenzen nicht erkennt. Irgendwann und ab und zu merke ich, daß mal wieder eine "Entführung" stattgefunden hat. Dann lächelt der Slovake vor mir wieder - seine Emotionen sind so faszinierend frei von Attitüden.
Der absolute Höhepunkt ist "Vina del Mar", ein neueres Stück, das Fero Griglak genüßlich zelebriert und, wenn man genau hinhört, von grandiosen Emotionen getragen wird. Zum "auf die Knie sinken" schön (und dort könnte ich auch bleiben, wäre es nicht so eng zwischen den Klappstühlen).
Als ich mich umdrehe, sehe ich ein paar Reihen über mir das breite Grinsen im Gesicht von Micha - meinen Sohn habe ich überreden können (wie bei PANKOW), einfach mit in den Hör-Saal zu kommen. Irgendwer muß doch später mein kleines privates Platten- und Raritäten-Archiv übernehmen und wenn möglich, auch was damit anfangen können!
Der Abend war ein Konzerterlebnis, keine Vorlesung, allerdings eine Lehrstunde in Sachen Musik - zeitlos und unsterblich - DANKE Professor "Zauberfinger" Fero Griglak. Dank auch seinen drei Assistenten Fedor, Peter Und Igor, Danke FERMATA.
Sollte der interessierte Leser jemals einen Urlaubstrip mit einem Konzerterlebnis für die Ewigkeit verbinden wollen - Bratislava und FERMATA wären eine tolle Adresse sowie ein liebevoller gemeinter Tip!
Ich hab' nach 35 langen Jahren den Griglak und FERMATA gehört und den Fedor wieder getroffen und eine Band erlebt, die auch Konzerte hierzulande verdient hat. Die Musik versprüht noch immer einen einfühlsamen Zauber. Mindestens durch Ostdeutsche Gefilde müßte eine Tour möglich sein, denn hier waren FERMATA-LP's Kult, hier sind die leicht ergrauten Fans und hier warten WIR ! Wie lange eigentlich noch ?


Foto Impressionen:

 


   
   
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