Heinz Rudolf Kunze & Verstärkung live am
09. Mai 2009 in der "Große Freiheit 36" zu Hamburg

 

Bericht: Holger Stürenburg
Foto: Pressefotos

 


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Im Februar 2009 veröffentlichte der hochbegabte Kreativchaot HEINZ RUDOLF KUNZE bei Ariola/SONY den brillanten‚ klanglichen Wutausbruch "Protest" (Rezension HIER); ein schieres Feuerwerk genialischer Wortspiele, zynischer Statements und eingängiger Melodien mit Widerhaken. Fraglos eine der besten, drastischsten und vielseitigsten Produktionen, die der sprichwörtliche "Vertriebene" jemals vorgelegt hat.
Mit dem Programm von "Protest" und unermüdlichen "Greatest Hits", begab sich HRK dieser Tage auf eine ausgedehnte Deutschland-Tournee. Am vergangenen Samstag (09.05.09) gastierte der Großmeister der anspruchvollen teutonischen Rockmusik in der restlos ausverkauften "Großen Freiheit 36", nahe der Hamburger Reeperbahn, vor 1500 begeisterten Zuschauern, überwiegend der 70er- und 80er-Generation entstammend.
Begleitet von seiner Backing Band "Verstärkung", die diesmal aus Jörg Sander (git), Leo Schmidthals (b), Jens Carstens (dr), Zoran Grujowski (git - Ex-"Rosenstolz") und dem alten Bekannten Matthias Ulmer (key), der inzwischen seit rund zehn Jahren dabei ist, bestand - nein, Heiner Lürig war 2009 nicht mit von der Partie... -, zelebrierte der studierte Brillenträger eine rund zweistündige Supershow, welche uns Alt-80er zweifellos in hellste Verzückung versetzte.
Mit der bitterbösen, hardrockigen George-W-Bush-Anklage "Astronaut in Bagdad" (versehen mit der unübertrefflichen, so gelungenen, wie traurig machenden Textzeile "Joe sang ein Lied / aus den 60er Jahren / als es ihn zerfetzte"), begann HRK, gemeinsam mit seiner deutlich verjüngten "Verstärkung", seinen "Protest" gegen Oberflächlichkeit, Mainstream, Dummheit und Ignoranz. Es folgte der surreale Bluesrocker "Warum?" - eine bizarre Geschichte von Heinz' - wie er mal formulierte - "neuen Freuden", die da heißen "Fetti Müller", der "Klarsichthüllen-Mann", "Krüppel Wutzke" und das "Blonde Gift". Ein Titel, der zwar beweist, daß Heinz stets in seiner eigenen, so intellektuellen, wie verschrobenen Welt lebt, aber zugleich seine überwiegend akademischen Fans mit derlei "chaotischen" Texten ein ums andere Mal zum Nachdenken anregt.
"Aber Menschen?"... ein auf den ersten Blick bzw. das erste Hören locker-luftiger Gitarrenpopper voller sommerlicher Frische zeigt dessen Interpreten - ob er dies zugeben mag, oder nicht - als bekennenden "Misantrophen" per Excellance. Die bitterbösen Reime konterkarieren die herrlich ohrwurmträchtige Melodie. Einer der vielen Höhepunkte von "Protest", der auch im Live-Gewand beißt, packt, eben überzeugt.
Nun war der erste "Greatest Hit" des Konzertabends angesagt: Die dramatische Ballade "Brennende Hände", ein phänomenales Liebeslied, entstammt Heinz' erstem realen Hitalbum, "Dein ist mein ganzes Herz", welches im Herbst 1985 das in Hannover lebende Multitalent vom Geheimtip für vergeistigte Kopfmenschen zum bis heute überaus angesagten Deutschrocker hat avancieren lassen. Dieses bahnbrechende Opus wurde übrigens kürzlich, um diverse Bonustracks angereichert und zudem "remastered", wieder veröffentlicht. Sobald mir Heiner Lürig oder Heinz' aktuelles Management diese CD-Neuauflage wird zugesandt haben, äußere ich mich an dieser Stelle auch hierzu. "Brennende Hände" stellt nicht mehr und nicht weniger dar, als eine grazile Hommage an eine Traumschönheit, bei der "eigentlich" alles stimmt... "eigentlich"...
Nicht nur HRK, sondern auch manch anderer Mensch, der mit dem hektischen Getue auf unserem Planten so seine Probleme hat, wünscht sich, "Auf einem andern Stern" (Songtitel) ENDLICH (!) mal auf diejenige Art und Weise leben zu können, wie er sein Dasein schon immer genießen wollte. "In einem Zustand / wie Gorbatschow am Ende der Sowjetunion / war ich schon immer"… bei mir hieß es damals, 1998, in meiner deutschsprachigen Bearbeitung von Springsteens "No Surrender": "Wie Erich Mielke / kurz vorm Mauerfall / als er wusste / jetzt ist alles zu Ende". Dies sind Textzeilen, die nicht nur Musik-, sondern auch Zeitgeschichte schreiben.
Nach der melancholischen Mid-Tempo-Gitarrennummer "Einmal noch und immer wieder" aus "Protest", intonierten Heinz & Verstärkung die aktuelle (Radio-)Singleauskoppelung daraus: "Ein besonderer Tag", ein aufmunternder, mutmachender Popschlager bester Güteklasse, wiederum mit phänomenalen Textzeilen der Sorte "Der Frühling hat die erste Hochrechnung präsentiert / es scheint / es wird so werden / wie es soll" ausgestattet. Einfach nur Klasse!
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"Ich geh meine eigenen Wege / eigene Wege sind schwer zu beschreiben / sie entstehen ja erst beim Gehen"… Heinz' Lieblingslied meiner in München lebenden Frau Mama und Cheflektorin (74), im Studiooriginal aus dem (nicht unumstrittenen) 1988er-Album "Einer für alle", besticht durch seine Ehrlichkeit, Abgeklärtheit und Authentizität und hat seitdem - immerhin 21 Jahre nach seiner Entstehung - auch rein gar nichts an Faszination und Eindringlichkeit verloren.
Auf diesen wundervollen Meilenstein deutscher Rockmusik, folgten die obligatorische Bandvorstellung, der stille, semiakustische Schleicher "Elixier" (aus "Protest"), eine bislang unveröffentlichte, deutsche Auslegung von Kris Kristoffersons "Help me make it through the Night" (hier: "Hilf mir es zu schaffen, durch die Nacht"), und ein Medley aus DER "Devoterie-Hymne" schlechthin, "Alles, was sie will" aus 1989 (Ja, die (sehr) junge Dame, für die ich dies jederzeit aus vollster Überzeugung täte, darf sich nun gerne angesprochen fühlen...) und der bitterbösen Vergackeierung des klassischen Spießers bzw. "Einfachen Mannes" (Songtitel, 1994).
Der Verfasser dieser Zeilen gesteht unumwunden ein, daß er mit Heinz' 1989er-Album seinerzeit nicht allzu viel anfangen konnte. Zuviel Pop, zu wenig kribbelnde Texte... Doch die enorm druckvolle Auslegung von "Heul mit den Wölfen" aus "Gute Unterhaltung" riß einfach mit. Hierbei handelt es sich um ein tönendes ‚Aufputschmittel' für sogenannte (!) "Versager". Erst sollen sie ruhig "mitlaufen" und mit den "Wölfen heulen" - aber dann… dann sollen sie ganz schnell zubeißen - und sich wehren… Echt unglaublich, wie es Heinz ein ums andere Mal gelingt, die Gefühle und Empfindungen des Verfassers dieser Zeilen in jederzeit zutreffende Worte zu verpacken :)))
"Meine Mutter war so treu / daß mir schwindlig wird / mein Vater war bei der SS / ich heiß Heinz / wie mein Onkel, der in Frankreich fiel / und Rudolf wie Rudolf Heß"... ohne DIESEN Titel wäre ich vermutlich niemals (Musik-)Historiker geworden, hätte ich mich nie so intensiv mit der deutschen Nachkriegsgeschichte und meiner eigenen Familienhistorie beschäftigt. Auch Holger S. ist im Grunde genommen ein "Vertriebener"... Mutter 1945 aus Pommern verjagt, Vater (vor genau 25 Jahren an den Spätfolgen stalinistischer Folter verstorben) nach dem Studentenaufstand 1956 unter widrigsten Umständen aus Ungarn geflohen… Nein, ICH bin kein "Deutscher"... "ich bin auch ein Vertriebener / ein nirgendwo gebliebener / zu Hause ist / wo man mich hört"...
Seit vielen, vielen Jahren zum ersten Mal kam nun DIE Depri-Ballade überhaupt, "Der Schwere Mut" (1983), zum Einsatz, gefolgt vom phantastischen, ersten Radiohit aus "Protest" "Längere Tage" - ein Lied für alle Selbstständigen dieser Welt, die 25 Stunden am Tag arbeiten und sich stets eben "Längere Tage" wünschen… ;)) - und einem weiteren HRK-Klassiker, in dem sich der Verfasser dieser Zeilen Eins zu Eins wieder findet: "Finden Sie Mabel" (1986). Ein absolut devotes, einer mystisch/umwerfenden Traumfrau gnadenlos verfallenes Lied-Ich fleht Raymond Chandlers sagenumwobene Romanfigur, den Privatdetektiv "Phillip Marlowe", an, seine Geliebte aufzutreiben… "Doch, wenn ich sterben muß / dann nur durch die Hand / dieser göttlichen Frau"… Lieber Herr Marlowe… Wo ist Editha? Wo ist Tina? Wo ist Millie? Wo ist Helene?
Nun war der "offizielle" Teil von Heinz' 2009er-Hamburg-Konzert beendet. Doch kurz darauf erschallte in der prallgefüllten "Großen Freiheit 36" nichts anderes, als der Refrain des drallen, schnellen 1991er-Hymnus "Wenn Du nicht wieder kommst" aus zigtausenden Kehlen. Heinz & Verstärkung ließen sich nicht lange bitten… Wir vernahmen nun den Singlehit "Mit Leib und Seele" (1986 - konzertäres Pflichtprogramm seit damals) und eben…. "Wenn Du nicht wiederkommst"... "mein Latein ist am Ende / mein Verstand ist zur Kur..." (Textzitat) - Wahnsinn!
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Zwar verschwanden die Musiker nun erneut von der Bühne… aber sie kamen NATÜRLICH wieder. "Regen in meinem Gesicht", eine einfach nur als wunderschön zu bezeichnende Abschiedsballade aus "Protest" leitete den zweiten Zugabenpart jenes Konzertabends ein. (Textzitat: "Das hat nichts zu bedeuten / Sorg Dich weiter nicht / Das sind keine Tränen / Nur Regen in meinem Gesicht"). Mit einiger Sicherheit eines der prägnantesten, genialsten Liebesdramen der "Nuller-Jahre"!
Ja, nun erklang SELBSTVERSTÄNDLICH das, was für Heinz gleichbedeutend ist, wie für den Kollegen Rex Gildo "Fiesta Mexicana": "Dein ist mein ganzes Herz" - für den Künstler 1985/86 ein Top-10-Hit, aber zusätzlich Segen und Fluch zugleich. Qualitativ bestimmt nicht sein bester Titel - aber eben nun mal ein Hit, weshalb er ihn ein ums andere Mal in sein Konzertrepertoire einbauen muß - ob er ad Personam dies nun mag oder nicht… Die Damen, denen derzeit jeweils ein Viertel meines Herzens ist, sind in diesem Artikel bereits (Vor)namentlich erwähnt...
Die zweite Singleauskoppelung aus ebenjenem 1985er-Album, "Dies ist Klaus", eine Geschichte über einen Polizeibeamten, der in seiner Freizeit mit der "PROTEST"kultur der mittleren 80er Jahre sympathisierte, und der graziöse, stille, gleichsam brodelnde Gefühlsausbruch "Ich hab's versuch" (1989) ließen einen wahrhaft grandiosen Auftritt von Heinz und den Seinen ausklingen.
HRK ist - sicherlich auch Dank seiner jungen "Verstärkung", deren Mitglieder mehrheitlich seine Kinder sein könnten - der rockigste und druckvollste HRK seit langem. Auch und gerade die älteren Titel ertönten wesentlich lauter, rabiater und intensiver als zuvor. Eben "Protestierender".
Meine Begleiter und ich waren jedenfalls begeistert und hochzufrieden, auf welche phantastische Art und Weise Heinz Rudolf Kunze und seine hoch talentierte Truppe am 09. Mai 2009 auf dem Hansetischen Kiez, musikalisch, lyrisch und hinsichtlich Umsetzung gegen all die Dummheit auf dieser Welt "Protest" einlegten!

 

 


   
   
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