ELECTRA und KARUSSELL live am 17. November 2009
in Naunhof
(Teil 2)

 

Bericht: Fred Heiduk
Fotos: Casus Campari, Matthias & Sebastian Ziegert

 


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Sachsen hat einige Besonderheiten, das ist sicher hinlänglich bekannt. Auf Details möchte ich weitgehend verzichten, bis auf die Erwähnung des Fakts, dass Sachsen das einzige Bundesland ist, das den "Buß- und Bettag" als offiziellen Feiertag begeht. Der Feiertag fällt immer auf einen Mittwoch (11 Tage vor dem 1. Adventsonntag) und der Vorabend bietet sich daher in Sachsen irgendwie geradezu für Veranstaltungen an. So geschehen auch in Naunhof, dem Heimatort der Gruppe Karussell. Dort erinnerte sich Wolf Rüdiger Raschke, Bandleader von Karussell, an eine Veranstaltungsreihe, die es vor über 20 Jahren in Naunhof mehrfach gab. Karussell lud in den 80ger Jahren verschiedene befreundete Bands nach Naunhof ein, um gemeinsam zu musizieren. Nun kamen mehrere Dinge zusammen. Zum einen der benannte Feiertag und zum anderen ein Bandjubiläum. Der 100. Auftritt der Karusseller nach ihrem Comeback am 18.02.2008 in Grimma. Beides war Grund genug, zur 4. Naunhofer Rocknacht einzuladen, und damit zugleich eine Tradition wieder aufleben zu lassen, bzw. neu zu begründen. Wie in der Vergangenheit hatte sich Karussell eine befreundete Band eingeladen: Electra, selbst auf Jubiläumstour, gastierte so auf Einladung Karussells neben den Lokalmatadoren in der Naunhofer Parthenlandhalle. In der Halle, bisher vor allem für Sportveranstaltungen genutzt, war eine große Bühne aufgebaut und jede Menge Technik installiert. Links und rechts gab es Zuschauertribünen und hinter dem riesigen Mischpult waren einige Tische und Bänke aufgebaut. Mehrere Tresen waren für das leibliche Wohl der Gäste zuständig. Kurz: alles war für einen tollen Ostrockabend vorbereitet. Und der wurde es.
Gegen 19:45 betrat der Moderator des Abends, der DJ der R.SA Diskothek, die Bühne und kündigte an, dass es ab 20:00 Uhr mit Electra losgehen würde. Zuvor würde es jedoch noch ein paar Worte zur Veranstaltung geben, und dann wolle ein guter, alter Bekannter kurz vorbeischauen. Beides fiel erfreulich kompakt aus. Zunächst gab es einige Worte zur Veranstaltung, verbunden mit dem sicher berechtigten Lob für einige gute Geister. Das wichtigste aber war, dass Karussell plane, die Naunhofer Rocknacht auch im kommenden Jahr wieder aufzulegen und dafür erneut den Vorabend des "Buß- und Bettages" nutzen möchte. Die 5. Naunhofer Rocknacht würde demnach am 17.11.2010 stattfinden. Diesem Informationsteil folgte der Auftritt eines Udo Lindenberg-Imitators. Dessen erster acapella intonierte Song zeigte, dass der junge Mann nahe am echten Udo agieren kann. Dass er sich auch nicht durch ein technisches Problem aus der Ruhe bringen ließ, sprach ebenfalls für ihn. Als dann allerdings ein sächselnder "Erich Honecker", ausgestattet mit hellem Anzug, Hut und schwarzer Hornbrille zum überdudelten "Sonderzug nach Pankow" auftrat, wurde der Auftritt allerdings eher Karneval als Rocknacht. Fast peinlich empfand ich die Aufforderung an das Publikums alte Schlachtrufe von Freundschaft über "Seid bereit - immer bereit" und ähnliches als Antwort auf die Animationen des Honni-Doubels wiederzugeben. Mir entzog sich der tiefere Sinn seines Auftritts, denn eigentlich erwartete ich zwei Ostrockgiganten live. Doch sei nicht verkannt, dass "Udo" sein Publikum zu unterhalten wusste.
Nach ein paar Minuten war der erste Auftritt des Doubles beendet und Electra betraten die Bühne, um sofort mit einem Klassiker zu starten - Bernd Aust mit seiner Querflöte und eine Bachadaption. Nach den ersten Tönen füllte sich der Raum vor der Bühne dann auch zusehens. Mittlerweile dürften es fast 800 Menschen in der Halle gewesen sein, die sich zur Rocknacht eingefunden hatten. Das Groß des Publikums bildeten dabei Personen zwischen 40 und 60, die die Bands und ihre Titel bestens kannten. Ein gehöriger Teil war allerdings deutlich jünger. Auch die sollten sich im Verlauf des Abends als sehr textsicher herausstellen. Electra setzte nach dem Intro ohne große Worte mit dem Säbeltanz fort, bei dem Eckehard "Ecki" Lipske mit schneidend schrill gespielten Läufen auf seiner Gitarre ebenso glänzen konnte, wie im Zusammenspiel mit Austs Klarinette. Nach der zweiten Adaption begrüßte Bernd Aust nun das Publikum und avisierte die "volle Kapelle" was bedeutete: die drei Sänger, Gisbert Koreng, Mampe Ludewig und Stefan Trepte würden ihre Parts im Programm bekommen. Als erster war Koreng an der Reihe. Sein erster Titel war "Einmal ich einmal Du". Dabei gab es anfangs deutliche Tonprobleme mit dem Gesang. Es hörte sich an, als halle die Stimme extrem nach, doch bekam die Technik das souverän in den Griff. Ein kleiner Wermutstropfen blieb jedoch, da die Band etwas laut über die Anlage kam und so den Gesang permanent etwas überlagerte. Zumindest wenn man sich nicht mittig vor der Bühne zum Beispiel auf den Tribünen befand. Dennoch war die Akustik recht gut und die Technik machte einen richtig guten Job. Bei "Vier Milliarden in einem Boot", wobei Bernd Aust Saxophon spielte, zeigte die Band zwei weitere Pfeiler ihres Könnens. Sie profitiert ein Stück weit von einem hervorragendem Satzgesang und ein absolutes Markenzeichen, das sich durch viele Titel zieht, ist der brillante Satz der einzelnen Instrumente. Die sind zueinander oft so geschrieben und arrangiert, dass ein Instrument die Tonation des anderen aufnimmt und fortführt. Teilweise werden Töne erzeugt, die man den Instrumenten kaum zutraut. Electra beherrscht das Wechselspiel zwischen den Instrumenten einfach brillant, so dass es eine wahre Freude ist, immer neue Töne und Effekte zu entdecken. Die sind natürlich auch der individuellen Klasse der Musiker geschuldet, die als Band restlos überzeugen. Stürmischer Applaus brauste auf, als Stefan Trepte am Bühnenrand erscheint. Als er dann auf der Bühne steht hat er mit wenigen Worten sein Publikum fest im Griff, noch bevor er einen Ton gesungen hat. Trepte ist nicht nur Stimme der Band, irgendwie ist er in der Art wie er seine Auftritte zelebriert selbst ein Ereignis. Er hat eine Bühnenpräsenz wie nur wenige seiner Kollegen. Dass er auch singen kann, das zeigt er dann mit einem seiner Überhits "Wenn die Blätter fallen". Und Trepte ist an diesem abend richtig gut aufgelegt. Ob das Aust und Leuschner beeinflusst hat, weiss ich nicht. Ihr Intro zu den Blättern war jedenfalls exorbitant gut. Wie gut Trepte das alles gefiel wurde vielleicht sichtbar, als er Ecki Lipske mit einer Hand half, die richtigen Griffe bei einem Tremolo auf der Gitarre zu finden. Die Band wirkte regelrecht ausgelassen, so dass die Musik wie die besungenen Blätter im Herbst, durch die Halle wirbelte. Nicht nur Klassiker und die bekannten Titel von den frühen Amiga LP's bot Electra, sondern auch unbekanntere Stücke. So die Titel "Einmal Amerika", "Goldhamster" und "Wie im Film", eigentlich ja ein alter Reform-Song, von der 89er LP "Der aufrechte Gang", die wie so Vieles, zu Unrecht in den Wende-Wirren nicht mehr ganz ihr Publikum fand. Natürlich fehlen die ganz großen, bekannten Titel nicht. Einen leitet Bernd Aust mit seiner wohl nicht ganz ernst gemeinten Geschichte über die Rettung der Dresdner Gemäldegallerie durch Electra ein. Es braucht keine 5 Töne, dass es Szenenapplaus gab, als die Band im perfekten Satzgesang das Madrigal "lo ti voria" von Orlando di Lasso anstimmt. Jenes Stück, das als Bestandteil der Rocksuite "Die sixtinische Madonna" einen Teil des Ruhms Electras mitbegründet hat. Natürlich folgt auch an diesem Abend "Das Bild". Dieses Mal aber von Stefan Trepte in seiner Art und Weise dargeboten. Das ist eine ganz andere Darbietung als die von Manuel von Senden in der bekannten LP-Fassung, selbst wenn beide die gleichen Noten sangen. Vergleichen möchte ich das nicht. Aber man spürt wohl, wie sehr mich die Trepte-Variation angesprochen hat. Es ist fast, als sei das Stück für ihn geschrieben worden. Dass das Bild ein Stück weit ohne Stefan Aust und seine Klarinette auskommen musste, sei erwähnt, tat aber der Darbietung keinen wirklichen Abbruch. Lipske und Leuschner fingen den Part auf, Möckel am Schlagzeug und Riedel am Bass gaben dazu perfekt wie ein Schweizer Uhrwerk Takt und Rhythmus vor und Trepte zelebrierte das Stück virtuos und inbrünstig wie ein 5. Instrument. Allein zu diesem Stück an diesem Abend könnte man einen Aufsatz verfassen. Doch es gab noch ein paar andere Titel, und auch Stefan Trepte überlies die Bühne wieder seinen Gesangskollegen. So singt Gisbert Koreng "Frau im Spiegelglas", die Band intoniert den "Türkischen Marsch", bevor dann Peter 'Mampe' Ludewig auf der Bühne erscheint. Er hat so zu sagen seinen eigenen Block. Dass er weder ohne den berühmten "Grünen Esel" im ebenso legendären wie unverzichtbaren Narrenoutfit mit Eselsmaske von der Bühne kommt, noch ohne sein "usbekisch-arabisches Trommelsolo", versteht sich. Letzteres geht in einen frohen Reigen der drei Sänger zum hebräischen Volkslied "Hava Nagila" über. Dazu kommen seine Klassiker "Weiter, weiter" und "Weil deine Seele brennt", der wohl älteste von Electra aufgenommene Titel überhaupt. Unglaublich wie leicht und sicher Mampe unverändert auch höchste Töne trifft. Ganz deutlich wird da wie unterschiedlich die drei Sänger von Electra doch sind. Jeder für sich großartig und mittlerweile ein gigantisch gutes Trio, in dem sich keiner zu schade ist auch einmal Background für einen anderen zu sein. Dass dabei großartige Interpretationen entstehen, ist geradezu selbstverständlich. Eine besondere Farbe bringen die Cover großer Hits, die egal ob von Gisbert Koreng oder Mampe gesungen, meist nahe an den Originalen interpretiert werden. Besonders beim Tull Klassiker "Locomotive breath" kommt im Publikum richtig Stimmung auf. Vielleicht auch, weil Bernd Aust in Ian Anderson Pose auf einem Bein stehend, die Querflöte bläst. Ein spitzbübischer Gedanke kam mir bei diesem Anblick: ob sich das Stück von Jethro Tull heute auch noch so gut anhört? Zumindest seine besondere Pose beherrscht Ian Anderson heute weit weniger gut als Bernd Aust. Ungemein berührend auch "Still got the blues", während man sich bei "Reach out..." von den Four Tops oder "Unchain my heart" von Joe Cocker doch fragte, warum die anstelle weiterer eigener Titel zum Vortrag gebracht wurden. Die Präsentation war unstreitig gut, aber sie wirkten irgendwie wie Fremdkörper. Im Verlauf des Konzerts gibt es für jedes Instrument einen Solopart, in dem die jeweiligen Musiker recht frei improvisieren. Spätestens dabei wird deutlich welch ausgezeichnete Instrumentalisten da in einer Band vereint sind. Das zeigte nicht nur "Bouree" von Stefan Aust, sondern ebenso das Basssolo von Wolfgang Riedel mit dem Cellobogen bei dem der Bass fast zur Melodiegitarre wird. Den absoluten Höhepunkt des Konzertes bildet, wie kann es anders sein, nach der Vorstellung aller Bandmitglieder "Der Dom", bei denen alle Sänger ihren eigenen Part haben, so dass man deutlich die unterschiedlichen Stilistiken und Tonlagen der Drei erkennen kann. Unglaublich und eine Gänsehaut bereitend der ungestüme und dennoch ein gewisses Pathos ausdrückende Gesang Treptes, der es endgültig schafft gegen die laute Kapelle anzusingen und sie in einer perfekten Darbietung - wie ich fand - zu beherrschen. Gänsehaut auch bei Peter Ludewig, der im Vergleich zu Trepte mit einer gewissen Leichtigkeit die höchsten Töne meistert, ebenso für das perfekte Zusammenspiel von Instrumenten, Stimmen und perfektem Satz- und Backgroundgesang. Wirklich ein "Übertitel" und Electra zelebrierte ihn an diesem Abend entsprechend. Natürlich erklatschte sich das Publikum eine Zugabe. "Nie zuvor" mit Stefan Trepte, das kommt auch deshalb an, weil Trepte nochmals dem Publikum das gibt, was es will: eine perfekte Show zu grandiosem Gesang. Eine Reminiszenz an die Wurzeln ist "Good golly Miss Molly", bei dem Mampe nochmals geradezu sprüht und Bernd Aust seine berühmten Effekt, gleichzeitig Saxophon und Klarinette zu spielen, zeigen kann. Der wirklich letzte Titel ist dann "Sieh in die Kerzen" mit dem nach etwa zwei Stunden das Konzert Electras in Naunhof ausklingt. Das Fazit dieses Abends ist, es ist ein Genuss einem Electra-Auftritt beiwohnen zu können. Schade nur, dass Bernd Aust unverändert neue Titel ausschließt. Für jede Band die neben dieser fantastischen Formation bestehen will, liegt die Latte sehr hoch.
So auch für Karussell, die nach einer kurzen Umbaupause spielen 0000 20131027 1914405147sollten. Ich stellte mir die besorgte Frage, würden die Lokalmatadore dem hohen Anspruch gerecht werden können? An dieser Stelle sei das Fazit vorweg genommen. Das was Karussell in der Nacht zum Buß- und Bettag 2009 bei der 4. Naunhofer Rocknacht angeboten hat, war ganz eindeutig KARUSSELL 2010. Ganz ausgezeichnet! Reif, mit unglaublicher Spielfreude, die alten Klassiker in neuem Gewand und ein eingängiges, melodisch außerordentlich beeindruckendes neues Lied mit einer großen, echten Karussell-Botschaft, das gespannt macht auf mehr. Doch der Reihe nach... Beim Karussell-Auftritt gibt es viel Bekanntes. Das beginnt bei Joes Intro, seine Art die Band auf die Bühne zu bitten und umfasst die Aufforderung an das Publikum, mitzumachen, Präsenz zu zeigen. Das hat zwei Effekte. Der Band gibt es Sicherheit und das Publikum wird von der ersten Minute an mitgenommen. Das Konzept funktioniert auch im 100. Konzert und wird wohl auch noch viele Konzerte weiterhin genau die beiden genannten Effekte haben. Bekannt sind auch die Titel die gespielt werden. Karussell hat da ja die Qual der Wahl. Es gibt so viele, sehr bekannte und gute Titel aus allen Phasen der Bandgeschichte, dass es wohl eher schwer fällt auszuwählen und dabei gleichzeitig den eigenen Ansprüchen und dem Publikumsgeschmack gleichermaßen gerecht zu werden. Dazu kommt der offensichtliche Wunsch des Publikums, "die Originale", also Oscheks Klassiker neben denen Cäsars und auch das wohl unvermeidliche "Als ich fortging" hören, aber dennoch nicht auf neue Titel verzichten zu wollen. Die ursprüngliche Setliste bildet daher auch nach 100 Konzerten das Rückgrat eines Karussellkonzerts. Völlig zu Recht, ist sie doch eine wahre Aneinanderreihung großer Hits, die allesamt tolle Titel sind. Zudem wurde die erste Setliste mittlerweile durch einige Titel so zu sagen abgerundet.
Ein Karussell-Konzert hat auch etwas von einer Geschichte. Irgendwie erzählt die Band in ihren Liedern Geschichten aus dem alltäglichen Leben. Und sie erzählen von Wünschen, Hoffnungen und Sehnsüchten. Was würde da besser passen, als ein Start mit "Der Gitarrist"? Und als wolle man die testen, ob die Stimmung in nur einer Sekunde von 0 auf 100 zu bringen ist, schließt sich "McDonald" an. In Naunhof waren die Fans sofort auf 100 + x und streckten der Band "Schaf 1001" aus Plüsch entgegen. Eine Geste, die die Verbundenheit der Fans mit ihrer Band eindringlich demonstrierte. Das Konzert geht mit Cäsars "Bruder Blues" weiter, bei dem Joe zum ersten Mal als Frontmann agiert und seine zweite Liebe neben den Keyboards, die Bluesharp, einsetzen darf. Bis dahin war es noch nicht so auffällig, aber beim folgenden Titel "Wenn die Hähne krähn" bilde ich mir ein, eine deutliche Veränderung ausgemacht zu haben. Irgendetwas erschien mir anders als bei der LP-Fassung. Vielleicht habe ich auch nur nicht richtig hingehört oder meine vermeintliche Wahrnehmung hatte mich so fest im Griff - ich bildete mir ein, dass stellenweise die Musik leicht variiert wurde. Die 6 Töne zu den Worten "Doch wenn die Hähne kräh'n..." klangen an diesem Abend für mich wie eine Stelle aus dem Stones Klassiker "Pait it black". Variationen werden im folgenden "Halte durch" deutlicher sichtbar, bzw. hörbar. Zum einen zeigen Reinhardt "Oschek" Huth und Joe Raschke, dass sie exzelenten Satzgesang bieten können. Zum anderen hat die Band hier an einigen Stellen Reggae-Elemente einfließen lassen. Desweiteren nutzt Joe hier den Vokorder um dessen typischen Effekte in den Song einfließen zu lassen. Zudem wurde spätestens hier sichtbar: die Musiker haben Spaß an dem was sie da machen. Ob daraus die Sandmannmelodie erwuchs, mit der Hans Graf zur Freude seiner Kollegen den nächsten Titel "Besinnung" einleitete? Jedenfalls wurde der vor allem durch Joes Leadgesang zu etwas Besonderem. Nicht nur er ist in seiner Rolle gewachsen. Die ganze Band hat an Souveränität und musikalischer Klasse gewonnen. Niemand klebt an den Vorlagen, es scheint ständig möglich Ideen direkt und spontan in einzelne Stücke einfließen zu lassen. Damit geht die Band professionel um, das bringt sie zu keiner Zeit aus dem Konzept. Aber es begeistert die Zuhörer und lockert die Konzerte zusätzlich auf. Nach dem sehr modern wirkenden Titel "Besinnung" folgt einer der beiden Höhepunkte eines jeden Karussell-Konzerts: Oschek singt "Wie ein Fischlein unterm Eis". Erstaunlicherweise bleibt es vergleichsweise ruhig, als die Band dazu ansetzt. Das ändert sich nach dem Titel jedoch deutlich. Das Publikum applaudiert fast frenetisch. Zu Recht! Oscheks Interpretation war brillant, und an diesem Abend wurde alles noch zusätzlich durch eine überaus imposante und aufwendige Lichtshow verstärkt. So steht Huth zunächst von 5 Strahlern blauweiss angestrahlt auf der Bühne, bevor sich das Licht, der Melodie folgend, ändert. Bei den Schlägen der großen Trommel blitzen dann auch Scheinwerfer grellweiß auf und potenzieren so die Wirkung der Musik. Einfach eindrucksvoll! "Fenster zu" kann da nicht wirklich mithalten, doch das folgende Lied "Ehrlich will ich bleiben", eines der ältesten der Band, und wie Oschek betont ein sehr wichtiges, schafft es die Spannung vom "Fischlein" aufzunehmen und fortzusetzen, wenngleich mit anderen Mitteln. Das Lied ist deutlich hörbar neu arrangiert, doch schadet ihm das nicht. Es wird derart bewusst gesungen und gespielt, dass die Version der alten in nichts nachsteht. Das Zusammenspiel der einzelnen Musiker ist ohnehin eine der Markenzeichen von Karussell 2010. Die einzelnen Musiker harmonieren wirklich sehr, sehr gut. Insbesondere Hans Graf, Senior der Band, schafft es, die Klangspiele der Keyboards von Wolf Rüdiger und Joe Raschke problemlos aufzunehmen und einzelne Lieder immer wieder mit virtuosen aber nicht übertriebenen Einlagen aufzuwerten. Dazu der ausgezeichnete, schon erwähnte Satzgesang, bei dem auch Wolf Rüdiger Raschke nicht vergessen werden darf. Ich frag mich immer noch, warum er nie einen Leadgesangspart übernommen hat. Stimmlich könnte er das sicher. Neben dem Backgroundgesang ist Wolf Rüdiger Raschke auch immer wieder als Animateur unterwegs. An diesem Abend ist das geradezu bewundernswert, denn die Parthenlandhalle ist mehr als einfach warm. Zudem steht die Luft mittlerweile in der Halle, so dass es fast an ein Wunder grenzt, wie gut vor allem der Gesang klappt. Beim "Verrückten Vormittag" kann Joe die weiche Seite seiner Stimme neben der bekannten Rockstimme zeigen. Er kommt überhaupt erstaunlich gut mit diesem ursprünglich von Dirk Michaelis gesungenen Titel zurecht. Über zwei weitere Titel kommt die Band zum Titel "Autostop", in dem wie immer ein Schlagzeug und ein Basssolo eingebaut sind. Mit "Als ich fortging" ist der erste Konzertteil beendet. Natürlich unter tosendem Applaus. Und Karussell verabschiedet sich auch nicht einfach so, sondern geben noch einmal richtig Gas. Die Titel "Gelber Mond", "Whisky" und schließlich "Wer die Rose ehrt" schließen das eigentliche Konzert ab.
Mittlerweile ist es deutlich nach Mitternacht und alles hat wohl ein wenig Einfluss auf Joes Stimme gehabt, denn dieses Mal brilliert er nicht ganz wie üblich. Sie klang etwas belegt und so erreichte Joe einige Höhen nicht. Dennoch kein Grund, wirklich zu meckern. Den sah auch das Publikum nicht. Vielmehr erklatschte es sich eine weitere Zugabe. Zunächst setze die Band zu "Wiedersehn im Traum" an. Mich beeindruckte Oscheks akustische Gitarre sehr, die deutlich hervorstach. Oschek spielte nicht nur in diesem Stück geradezu virtuos. Der 2. Zugabeteil wurde dann zum Schauplatz deutlicher Neuerungen. So haben die Karusseller den Cäsartitel "Lieb ein Mädchen" deutlich verändert. Er wird im Chor, nur vom Schlagzeug begleitet, gesungen und hat jetzt eine deutliche Reggaestruktur. Und der Titel zeigt, dass das Publikum für gut gemachte Neuerungen zugänglich ist. Doch gegen 00:30 Uhr nahte dann wirklich der Schluss, denn die Band bedankt sich bei Sponsoren, Helfern und nochmals dem Publikum. Die Musiker erhielten von Fanclubmitgliedern Schals mit ihren Namen und waren ganz offensichtlich überrascht. Im Gegenzug kündigt Karussell zum einen für das Frühjahr das Erscheinen eines Buches an, das die Zeit vom Comeback bis zur 4. Rocknacht näher beleuchtet, und das von den Fans für Hans Graf geschrieben wurde. Nach den Worten des Dankes kündigte der Moderator eine Premiere an. Bekanntlich arbeitet Karussell an einer CD mit neuen Titeln. Der erste, den Karussell ihrem Publikum präsentierte, heißt "Meine Habseligkeiten" und stellte sich als ein gelungener Song in bester Tradition Kartussells heraus, den Oschek da geschrieben hat. "Habseligkeiten" ist ein durch und durch eingängiges Lied, das zudem einen für Karussell typischen, klaren Text mit unüberhörbarer Aussage hat. Dass er mit Akkordeon und Blasharmonika gespielt wird, bringt einen ganz besonderen Reiz. Er macht Lust auf weitere neue Titel, auch wenn die Aussage, es handele sich um die Uraufführung des Liedes, nicht ganz stimmte, denn er wurde zumindest in Dresden zum Electra-Jubiläum bereits vor Publikum gespielt, was der Moderator wohl nicht wusste. Alles in allem ein gelungenes Konzert mit dem Karussell zeigte, wie modern und spielfreudig die Band ist. Sie weiß mit gekonnten neuen Arrangements ebenso umzugehen, wie mit einem ausgezeichneten Satzgesang und den markanten Stimmen der Sänger. Und mit den am Ende zu hörenden Titeln ist auch ein deutlicher Schritt in Richtung Karussell 2010 gelungen. Ich bin sicher das es da auch einige Veränderungen im Set geben wird und ich zur 5. Rocknacht 2010 viel Neues zu berichten haben werde.

 


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