Djivan Gasparyan live am 28. November 2009
in der Passionskirche in Berlin-Kreuzberg

 

Bericht: André Serfas
Fotos: André Serfas

 


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Die Türen zum Kircheninneren waren bereits seit 19:00 Uhr geöffnet. Dennoch war der Einlass zum eigentlichen Konzertbeginn um 20:00 Uhr kaum zu bewältigen. Eine lange Menschenreihe hatte sich gebildet und eine Frau, die den langen Weg bis ans Ende der Warteschlange antrat, stellte verblüfft die Frage, woher "die den alle bloß kennen". Wahrscheinlich stieß sie in ihrem Freundeskreis auf ratlose Gesichter als sie erzählte auf ein Djivan Gasparyan-Konzert zu gehen. Die Erklärung, dass es sich hierbei um den armenischen Duduk-Virtuosen handelt mag bedingt zur Aufklärung beigetragen haben. Dass er der Komponist der Filmmusik zu "Gladiator" ist, sorgte bei dem einen oder anderen vielleicht doch für einen leichten Aha-Effekt. Um so erstaunter war sie wohl über den enormen Andrang am Konzertabend.
Es sollte also noch etwas dauern, bis der letzte Besucher seinen Platz gefunden hatte, und der Konzertbeginn rückte eine halbe Stunde nach hinten. Zeit, die Atmosphäre in der romanischen Kirche zu genießen. Neben ihrer eigentlichen Funktion wird sie auch regelmäßig für diverse Veranstaltungen genutzt. Das Publikum an diesem Abend bestand aber nicht nur aus jenen, die auf Gasparyan als Geheimtipp oder durch die lokale Presse aufmerksam geworden sind. Gerade unter seinen Landsleuten genießt er eine enorme Popularität.
Das ist aber noch nicht alles. Der Veranstalter Sören Birke richtete vor dem Konzertbeginn ein paar Worte an das Publikum. So war zu erfahren, dass zu diesem Konzert die Botschaft der Republik Armenien in Deutschland die Schirmherrschaft übernommen hat. Es ist einem der großen Komponisten Armeniens, Komitas Vardapet, gewidmet, dessen 140. Geburtsjubiläum in diesem Jahr stattfand. Zu Lebzeiten sammelte und dokumentierte er in einer eigens hierfür entwickelten Notation landestypische Lieder und Tänze. Sie erzählen von der Freude aber auch vom Leid der armenischen Bevölkerung, deren Geschichte durch Vertreibungen, Besetzungen und Aufteilungen des Landes gezeichnet war. Durch Komitas bleibt diese Musik für die Nachwelt erhalten und seine Neuarrangements bringen sie in das 20. Jahrhundert. So wurde er zum Begründer der modernen, klassischen Musik Armeniens.
Zu einem der international bekanntesten Interpreten zählt zweifelsohne Djivan Gasparyan. Mit seinem Dudukspiel trägt er diese, teilweise Jahrhunderte alte Musik, über die Landesgrenzen hinaus. Dabei ist der Duduk als Nationalinstrument untrennbar mit der armenischen Musik verbunden. In seiner groben Form einer Blockflöte ähnlich, erinnert sein Ton an eine Mischung aus Oboe und dem leicht kratzigen Ton eines Saxophons. Seine Fertigung aus Aprikosenholz sorgt für den unverwechselbaren warmen Klang. Gasparyan entwickelt auf diesem Instrument seinen eigenen, polyphonen (mehrstimmigen) Stil. Sören Birke lud das Publikum ein sich selbst davon zu überzeugen.
Zum Konzert wurde Gasparyan begleitet von seinem Enkel Djivan Gasparyan jr., Vasgen Makarian und Armen Ghazaryan. Ihr Repartoire umfasst dabei eine Mischung aus mittelalterlichen Stücken bis hin zu modernen Kompositionen. Die Stücke bilden die Plattform für zahlreiche Improvisationen. Die auf einem andauernden Grundton (Bordunton) aufbauende Musik hat einen tragenden, melancholischen Charakter, auch wenn es hin und wieder durch lebhafte Passagen unterbrochen wird. Die Klänge sind dabei sehr dynamisch. Kraftvolle Akkorde werden von feinen, leisen Tönen abgelöst. Es entsteht ein auf- und abschwellen der Melodie. Auffallend ist Gasparyans Leidenschaft. Auf einem Stuhl sitzend schwingt er der Melodie folgend hin und her. Immer wieder nimmt er eine Hand von seinem Instrument und umschreibt mit runden Bewegungen die gerade gespielten Töne. Dabei transportiert die mittlerweile 81-jährige Legende eine Leichtigkeit und Lebensfreude, die beim Zuhörer ankommt. Ja, er wirkt in manchen Passagen regelrecht verschmitzt. Hin und wieder überlässt er seinem Enkel die Hauptstimme, hört einfach nur zu oder singt kurz den Anfang eines Stückes an. Mit einem Lächeln wackelt er mit Kopf und Oberkörper, so als würde er eine schnelle Schlangenlinie beschreiben und animiert so seinen Enkel zum Spielen besonders schneller Melodiefolgen. Wenn Gasparyan noch etwas transportiert an diesem Abend, dann ist es die Liebe zur Musik und die Liebe zu dem was er da tut. Der Applaus wird nach jedem Titel heftiger. Mit ausgestreckten Armen bedankt sich Gasparyan beim Publikum und bei seinen Mitmusikern, verzichtet aber auf lange Erklärungen zwischen den Titeln. Er lässt die Musik sprechen, die für alle Zuhörer gleichermaßen verständlich ist. Einzig kurz vor dem Ende des Konzertes bedankt er sich bei allen beteiligten Personen und beim Publikum und behält für das letzte Stück das Mikrofon in der Hand. Es folgt der einzige gesungene Titel des Abends. Ein Loblied auf die Mütter dieser Welt, das in seinem Ausdruck nahtlos an die bereits gespielten Stücke anschließt. Die vier Musiker werden unter Standing Ovations von der Bühne verabschiedet.
Gasparyan selbst kommt noch einmal zurück. Dieses mal ist die Bühne voll von Leuten aus dem Publikum, die ein Foto und ein Autogramm ergattern oder dem Künstler ihren persönlichen Dank ausrichten wollen. Besonders hervorzuheben war hier wohl die Übergabe eines, von einem Fan selbst gemalten, Portraits des Musikers. Jemand der nicht so gut mit der Lebensart der Armenier vertraut ist, konnte so eine leise Ahnung bekommen, welchen Stellenwert Gasparyan tatsächlich einnimmt.
Vor 4 Jahren wurde Duduk-Musik in die Liste der "Meisterwerke des mündlichen und immateriellen Erbes der Menschheit" der UNESCO aufgenommen. Vielleicht klärt sich auch damit die anfangs gestellte Frage ein weiteres Stück.

 


 

Foto Impressionen:
 
 
 
 

   
   
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