Kampf um den Ballsaal in Strausberg am 7. Dezember 2009

 

Bericht: Petra Herz
Fotos: Petra Herz

 


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"Keine Barrieren für Kunst und Kultur"
Ganz kurzfristig erfuhr ich von einer drohenden Schließung des Veranstaltungsortes "Ballsaal" in Strausberg. Das Schließen vieler Locations scheint inzwischen zur Gewohnheit zu werden. Es gehörte also zur Pflicht mich an einem Montag, der bekanntlich eigentlich ein Schontag ist, nach Strausberg zu begeben. Strausberg befindet sich im "Berliner Speckgürtel". Was sich üppig anhört ("Speckgürtel"), ist beim genaueren Hinsehen aber gar nicht so "sättigend". Deutlich gesagt heißt das, dass man keine ausreichenden Gelder für die Kultur zur Verfügung stellen kann. Da der Ballsaal bereits für Veranstaltungen gesperrt ist (lt. Unterer Baubehörde des Landkreises) trafen sich alle ganz in der Nähe des Ballsaales, in der St. Marienkirche. Ein Weiterbetreiben des Saales ist nur möglich, wenn Barrierefreiheit geschaffen wird und der Brandschutz eingehalten wird. Ein Fahrstuhl würde 70.000 EUR kosten, der Umbau für den entsprechenden Brandschutz 25.000 EUR. Für den Vermieter sind das logischerweise unzumutbare Kosten, aber die Behörde besteht auf Einbau eines Aufzuges in den nächsten Jahren. Daher wird vorerst auch der Umbau für die Einhaltung des Brandschutzes vertagt, und somit der Ballsaal für Veranstaltungen gesperrt.
Künstler, die bereits im Ballsaal aufgetreten sind, hatten sich angekündigt. Aus beruflichen Gründen verspätete ich mich etwas. Nach 19:00 Uhr betrat ich die Kirche, in der ich Mühe hatte noch einen Platz zu finden. IC Falkenberg sang gerade "Das alles", und wurde hierbei von Michael Joch als Pecussionist begleitet. Dank eines Freundes konnte ich noch in die vorderen Reihen schleichen und hörte von dort aus "Für Krieger wie uns" und "Die fetten Jahre". Als nächste Sympathisantin begab sich Gisela Steineckert an das Mikrofon. Sie begrüßte alle Anwesenden mit: "Die lassen nicht schießen, die lassen schließen!". Sie "möchte nicht, dass der Ballsaal geschlossen wird", und gab ihr "Indianerehrenwort für mehr Umarmung, Wärme und Händedruck", und sagte weiterhin: "Lasst uns nicht ärmer werden, sondern reicher durch neue Ideen!". Jörg Kokott war der nächste Künstler, der seinen Unmut kundtun wollte. Er hat in diesem Jahr bereits 34 Veranstalter von seiner Liste streichen müssen. Zwei Titel präsentierte er, u. a. das Heinrich-Heine-Gedenk-Lied. Johanna Arndt demonstrierte mit dem Gedicht "Wie man einen Vogel malt" von Jacques Prèvert. Sie interpretierte Joachim Ringelnatz und Erwin Strittmatter mit seinen passenden Texten zu Vorurteilen und Fehlurteilen. Mit dem Brecht Gedicht der "Wirtin zum Kelch" übergab sie an Dirk Zöllner. Er begann mit "Immer einer", ein Titel der gegensätzliche Meinungen, wie auch an diesem Abend, stark zum Ausdruck bringt: "Immer einer öffnet das Fenster und der andere fängt an zu friern. Immer einer kann's locker ertragen, und der andere nur auf allen Vier'n". Michael Joch begleitete Dirk beim Titel "Sand", bekam hierfür auch reichlich Lob von ihm. In den Reigen der Demonstranten reihte sich auch Marga Bach ein. Sie verlangte deutlich nach einer "Entscheidung zwischen Vernunft und Ignoranz" und fordert "Kultur gehört zum Leben, für Kinder, Rentner, Normalos und Jugendliche!". Sie sang Reinhard Meys "Antrag auf Erteilung eines Antragsformulars", auch ohne Pianisten. Obwohl Christian Haase um die Mittagszeit noch in Gießen verweilte, protestierte er mit: "Ich bin lieber mal im Unrecht, lieber bin ich der Idiot, als schweigend ohne Meinung nichts zu sagen..." (Titel "Bin wie ich bin"). Er sagte: "Wie soll man einen Kampf für Integration führen, wenn es keine Orte mehr für Integration gibt". "Man sollte eigene Schwächen erkennen und in Stärke umwandeln. Denn Schwächen sind unsere versteckten Talente!". Nach dem Haase-Titel "Mittendrin" übernahm Chris-Karen Schmidt-Farwig (Vorsitzende des "Vereins Kunst Mittendrin e. V.", Betreiber des Ballsaales) das Wort. Sie dankte dem Pfarrer Rüdiger Bernhard für die Nutzung der Kirche, den beteiligten Künstlern und las eine Petition an den Landrat Herrn Schmidt vor. Sie betonte: "Wir stehen nicht für's Ausgrenzen einer Minderheit! Wir sind gegen Barrieren - für Menschen mit Behinderungen, aber auch gegen Barrieren für Kunst und Kultur!", und eröffnete die Diskussionsrunde. Jeder, der wollte konnte sich zu Wort melden um seinen Standpunkt mitzuteilen. Viele kamen zu Wort, hier Auszüge einige Zitate:

Herr Schmidt, Landrat:
"Es besteht eine 3-Jahres-Frist oder länger für eine Barrierefreiheit. Wir lassen uns mit dieser Veranstaltung nicht erpressen. Der Brandschutz ist okay, aber die Behinderten vergessen wir? Wir werden einen Kompromiss suchen und finden. Viele Musiker sehen sich als Minderheit."

Wortmeldungen aus dem Publikum:
"Hat der Verein Kunst Mittendrin e. V. keine Sponsoren?"

Frau Schmidt-Farwig:
"Wir wollen keine Konfrontation. Wir nutzen hiermit die Möglichkeit Position zu zeigen. Sponsoren gibt es nur sehr wenige kleine für das Puppentheater. Es geht um Geld, sehr viel Geld. Das hat nichts mit Erpressung zu tun. Ideen sollen ausgebrütet werden."

Herr Kretschmer, Gewerbeverein Strausberg Altstadt:
"Der Gewerbeverein steht geschlossen hinter dem Unternehmen Ballsaal. Das Herz von Strausberg hat wieder angefangen zu schlagen. Es gibt keine gleichwertige Alternative. Der Ballsaal bietet in künstlerischer Atmosphäre unabhängige und bezahlbare Kultur an."

Wortmeldung aus dem Publikum:
"Die Öffnung der großen Straße, Südknoten, am 12.12 und die Schließung Ballsaal passen nicht zusammen."

Wortmeldung aus dem Publikum:
"Was ist mit barrierefreien Bahnhöfen? Nur bis zu 70% sind barrierefrei. Was ist mit den restlichen 30%? Wann werden die abgerissen?"

Herr Schmidt, Landrat:
"Wir berühren hier kommunales Recht, städtische Satzungen. Das örtliche Recht soll umgesetzt werden."

IC Falkenberg:
"Man sollte nicht polarisieren, sondern Leute zusammen bringen um den Dialog zu fördern. Ich fühle mich erpresst. Manchmal ist es einfach nur Unachtsamkeit."

Dirk Zöllner:
"Kultur ist in der Minderheit. Es geht nicht um Unterhaltung, sondern Kultur. Kultur wurde schon immer von einem König unterstützt. Kultur ist Bildung."

Marga Bach:
"Ich will wissen, wer muss zusammen kommen um was zu berechnen. Was haben wir zu tun um dieses Grundbedürfnis Kultur anzunehmen und genießen und weiter zu machen?"

Eine Veränderung der Situation konnte nicht erreicht werden. Die Fronten sind verhärtet. Ich hoffe, dass da noch viele Gespräche bzw. Sitzungen stattfinden werden und damit Veränderungen der Situation erreicht werden können.
Die Gruppe Zunft spielte als letzter Musikact des Abends auf. Sie hatten zwei Titel dabei. Frau Schmidt-Farwig dankte noch einmal allen Anwesenden für ihr Kommen und Ausharren in der kalten Kirche. Kurz vor halb zehn machte ich mich auf den Heimweg, und dachte noch lange über die Geschehnisse nach...
Der Ballsaal, in dem Kunst und Kultur geboten wurde sollte erhalten bleiben!



 

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