Hannes Bauer's Orchester Gnadenlos live in der "Fabrik"
zu Hamburg am 30. Dezember 2009

 

Bericht: Holger Stürenburg
Fotos: Pressefotos

 


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Es ist inzwischen ein reiner Selbstgänger: Wenn Rockgitarrist HANNES BAUER jeweils am 30.12. eines Jahres zum großen konzertären Aufmarsch in die Hamburger "FABRIK" lädt, dann strömen die Fans erdiger, bluesiger Rocksounds in Massen an jenen Veranstaltungsort in der Barnerstraße 36 zu Ottensen.

Dies war auch 2009 ganz und gar nicht anders, als viele, viele Vorsilvesterabende zuvor. Der gebürtige Oberlausitzer Hannes war 1979 von Großmeister Udo Lindenberg entdeckt und von diesem umgehend in dessen legendäres Panikorchester integriert worden, in dem er - mit Unterbrechungen - bis heute weiterhin ‚hauptberuflich' tätig ist.
Gleichzeitig begründete er ein erstes Soloprojekt unter dem Namen "Bauer, Garn & Dyke" - eine Trioformation - git, b, dr -, die sich von vornherein auf simplen, schnörkellosen, gitarrenbetonten Rock'n'Roll der härteren Gangart konzentriert hatte, und zugleich intensiv mit Blues- und Boogieelementen experimentierte. Es erschien noch im Herbst 1979 das LP-Debüt "Sturmfrei" - bis heute ein Kultklassiker deutscher Rockmusik, zeitlos, mitreißend, frech und packend. 1982 folgte Album Numero Zwei, "Himmel Arsch & Zwirn", das nahtlos an die feinen, schnellen Gitarrenorgien des Erstlings anschloss und zehn kompakte, rasende Bluesrocker beinhaltete, garniert mit witzigen, menschennahen, deutschen Texten, wie es so schön heißt‚ "direkt aus'm Leben". Nach einigen Personalwechseln, firmierte Hannes die eigene Truppe ab 1985 als "ORCHESTER GNADENLOS" - und gilt seitdem als eine DER gefragtesten Live-Attraktionen des bundesdeutschen Rock- und Blueslebens.

Obwohl tatsächlich seit 1982 (!!!) - von einer Live-CD mit bekannten Titeln, überwiegend aus den beiden genannten LPs, abgesehen - keine neue Produktion von Hannes und den Seinen mehr hinzugekommen ist, hat sich das feurige Trio, das anno 2009/10 aus Hannes (git), Philipe Candas (dr) und Bassist Henning Geiss besteht, längst, längst ein monumentales Konzertrepertoire zusammengestellt, das durchaus für dreistündige Auftritte und mehr taugt.
Ganze 60 (!) Konzerte gaben "Hannes Bauer's Orchester Gnadenlos" binnen der vergangenen zwölf Monate all over the Bundesrepublik (u.a. auch in Berlin: siehe Konzertbericht HIER) - und, auch dieses Jahr hieß es am 30.12.: Back to Hamburg, back to the Roots, rein in die "FABRIK" - und schon wurde anstandslos und kraftvoll abgerockt.

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Vor 19 Jahren, ergo am 30.12.1990, besuchte der Verfasser dieser Zeilen sein erstes "FABRIK"-Konzert der gnadenlosen Bluesmusikanten, nach nicht wenigen Auftritten auf Stadtteilfesten und in kleinerem Rahmen. Damals noch reiner Fan, langsam, aber sicher, auf dem Weg in Richtung Abi, einfach nur Lust auf ein fetziges Konzert - knapp 20 Jahre später bin ich selbst journalistisch/analytisch in der Musikbranche tätig, habe ich darüber hinaus die große Ehre, mit Hannes' langjähriger Managerin und Bookerin Editha Urich aus Quickborn befreundet zu sein und projektbezogen mit ihr zusammenzuarbeiten - dies bedeutet seit einigen Jahren: 30.12. = Backstage bei Hannes in der "FABRIK", und den ellenlangen Auftritt auf einem ‚Ehrenplatz', direkt neben der Bühne, genießen zu dürfen. Einfach nur KLASSE!!!
Ob mein Besuch bei Hannes dieses Jahr auch wirklich klappen sollte, stand zunächst lange in den Sternen. Editha veranstaltet nämlich jedes Jahr zwischen Weihnachten und Silvester gleich ZWEI spannende Konzerte genialischer Altrocker in der "FABRIK". Am 29.12. ist, ebenfalls seit Ewigkeiten, regelmäßig der in Hamburg ansässige, ursprünglich aus Schottland stammende Rockheroe Ian Cussick Stammgast in jenem gemütlichen Musiklokal zu Hamburg-Ottensen, während einen Tag darauf, wie beschrieben, Hannes und seine ‚Gnadenlosen' die Mauern der altehrwürdigen Manufaktur zum Wackeln bringen (siehe Konzertbericht vom 29.12. HIER).
Nachdem ich 2008 ausschließlich bei Hannes war, hatte ich mir für 2009 felsenfest vorgenommen, BEIDE Konzerte hintereinander wahrzunehmen... dieses Vorhaben hielt so lange, bis ich mich im Spätherbst einer schwereren Magen-/Darm-OP unterziehen mußte, der ein ebenso starker Schwächeanfall folgte, so daß ich zunächst beschloss, falls überhaupt möglich, dieses Jahr NUR Ian Cussicks Show am 29.12. beizuwohnen. Doch, nachdem ich dieses tolle Konzert ohne jegliche Blessuren, vielmehr mit viel, viel Spaß, überstanden hatte, ging ich das Risiko ein, einen Tag später letztlich nun auch Hannes, Philipe und Henning die Ehre zu erweisen!! Und, wie Ihr, liebe Leserinnen und Leser, gleich erfahren werdet, hat sich diese kurzzeitig getroffene Entscheidung absolut rentiert!

Um ca. 21.15 Uhr erstürmten die drei Topinstrumentalisten die Bühne - in Front dieser befanden sich an die 800 begeisterte Besucher, die, wie man immer wieder mal vernahm, nicht zum ersten Mal im Leben an einem 30.12. ihren Wagen in Richtung "FABRIK" gestartet hatten. Gestandene Altrocker trafen auf mit dem Helden des Abends in Würde gealterte Damen der Früh- und Mitt-80er-Generation; gutbürgerliche Familien mit Kindern, schrullige Hippie-Großväter in Begleitung ihrer Enkel befanden sich genauso im Publikum, wie - man mag es kaum glauben - nicht wenige VertreterInnen der ansonsten nicht gerade Bluesrock-affinen Altersstufe 20plus. Alle diese gingen vom ersten Moment an mit, ließen sich einfach nur gehen, dröhnten lauthals die Texte mit - zum Sitzen hatte an jenem Abend tatsächlich keiner Lust, nicht mal der gesundheitlich angeschlagene Verfasser dieser Zeilen, dem eben dieses Verharren auf einem netten Stuhl am Bühnenrand eigentlich medizinisch dringlichst angeraten worden war...

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Der drastische Hardrocker "Sturmfrei", Titelsong o.g. 79er-LP, eröffnete einen Abend voller knalligem, hartem Rock und Blues, gefolgt von ein paar unverbrüchlichen Klassikern aus den ersten beiden Scheiben, die da z.B. hießen "Porsche-Blues", "Alte Autos & Rock'n'Roll", "Sabbel Boogie" oder "Hallo Jo". Hier wurde unverhofft auf einmal Rod Stewarts augenzwinkernde Macho-Hymne "Hot Legs" zitiert, dort erklang plötzlich ein ausuferndes, höchst professionelles Basssolo, gespielt von Henning Geiss - Hannes und seinen beiden ‚gnadenlosen' Kompagnons gelingt es ein ums andere Mal, den einerseits sehr schlichten, traditionellen, bodenständigen, andererseits bekanntlich schon betagteren Blueskompositionen Jahr um Jahr gänzlich Neues, Unerwartetes zu entlocken, hinzuzufügen, so daß ein Auftritt von ihm und seinem "Orchester Gnadenlos" niemals auch nur in Nuancen langweilig und gleichförmig wirkt.

Nach einer kurzen Erholungspause, die Band und Auditorium gleichermaßen sehr gut vertragen konnten, startete Set-2 mit der schnellen, drallen Ode auf die ebenso dralle, frühreife, knapp 16jährige Teenieschönheit "Marleen", gefolgt von einem Titel namens "Wir haben das Recht und die Pflicht zur Party" - eine inhaltliche Adaption/Anlehnung an die "Beastie Boys" ("Fight for your Right") bzw. die "Rodgau Monotones" ("Wir haben das Recht und die Pflicht"), jedoch auf einer eigenständigen Melodie basierend.
Der knisternd erotische Slow Blues "Die Spinne" (diesmal verhältnismäßig kurz, ohne ansonsten gewohnte ausgiebige Soli, gehalten), leitete über in eine instrumentale Improvisation, die in einem schwitzigen ultralauten Schlagzeugsolo seitens Philippe aufging. Daraufhin hieß es erst mal schnell und treibend "Erbarmen - Laß endlich Feierabend sein" und knisternd, sexy "Ich hab Lust, Baby", letzteres im Original der 79er-Kultscheibe "Sturmfrei" entstammend.

Ja, und dann ertönte ohne Netz und doppelten Boden DIE ewige Erkennungsmelodie von Hannes Bauer überhaupt: Der ultraschnelle "Laubfrosch-Blues", vor genau drei Dekaden das erste musikalische Lebenszeichen des Gitarrenzauberers mit Wohnsitz Stuttgart auf Vinyl, als Vorab-Single aus "Sturmfrei" ausgekoppelt - und seit damals ein ungebrochen radikaler Dauerbrenner für alle Freunde krosser, deutscher Rockmusik mit Widerhaken. Eine Tatsache, die übrigens dafür sorgte, daß die 2009er-Konzerte des "Orchesters Gnadenlos" von Editha und ihren Mitarbeitern durchwegs unter dem Motto "30 Jahre Laubfrosch-Blues" beworben wurden - was nicht nur den Nagel eindeutig auf den Kopf treffen sollte, sondern sich, wie man erkennt, gleichermaßen als durchaus praktikabel und einträglich erwiesen hatte.

"Peter Gunn", eine Instrumentalmelodie aus der Feder des 1994 verstorbenen US-Filmkomponisten Henry Mancini, die in erster Linie Ende der 50er Jahre seitens des New Yorker Rockgitarristen Duane Eddy bekannt gemacht wurde, seitdem aber immer wieder durch die Popmusikszene geistert, so etwa 1985 in der Elektrofassung des britischen New-Wave-Projekts "The Art of Noise", war nun an der Reihe. Hat Hannes diesen Titel erst einmal voller Wucht angestimmt, ist auf jeden Fall mit einer mindestens zehnminütigen, bei Lust und Laune auch gerne mal doppelt so langen Improvisation zu rechnen - davon konnten sich auch und gerade die Zuschauer am 29.12. in Hamburg mal wieder in aller Form überzeugen.

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Der kesse "Haltestellen-Blues" (aus "Sturmfrei") und ein witziger, immens temporeicher, country-infizierter Hardrock-Verschnitt des kecken Volksliedes "Von den blauen Bergen kommen wir", inkl. spaßigen Jodelsolos, dargeboten von Hannes, und einer sexy Tanzeinlage von Managerin Editha Urich, führte uns nun endgültig direkt hinein ins unwiderrufliche ‚Grande Finale'. Dieses bestand anno Domini 2009 aus einer ohne jegliche Zweifel perfekten, nicht allzu wilden, überdrehten, aber dennoch stets mitreißenden, überaus gekonnt arrangierten, bearbeiteten, Neuauslegung des allseits geläufigen Swing-Klassikers "Buona Sera", im Original in den Goldenen 50ern ein Riesenhit für den italoamerikanischen Entertainer, Sänger und Trompeter Louis Prima. In seine Interpretation baute Hannes trefflich und zum genau richtigen Zeitpunkt Parts aus Chuck Berrys Rock'n'Roll-Evergreen "Johnny B. Good" ein - gipfelnd in den Textzeilen "Bye, Bye, Bye, Bye, Good Bye, Johnny - Johnny B. Good!". Nun wusste jeder - die diesjährige Vorsilvester-Show von Hannes Bauer und seinem "Orchester Gnadenlos" war ein für alle mal und unwiderruflich beendet!

Die Band entließ mitten in der Nacht mehrere Hundert überglückliche (mehrheitlich nicht mehr ganz nüchterne...) Zuschauer in die kalte Winterluft. Nun konnte wirklich jeder zufrieden sein. Das Krisenjahr 2009 war gelaufen, es endete für die Hamburger Rockfreunde mit ein (bzw. zwei) tollen Konzerten - Hannes (und einen Tag zuvor Ian Cussick) spielten ihren Fans und Freunden ein fröhliches Lächeln ins Gesicht und vor allem eine optimistische Grundhaltung hinsichtlich 2010 in ihre Seele - was will man mehr?

Hannes Bauer, immerhin einer der versiertesten, besten und spielstärksten Gitarristen Europas, und seine beiden kongenialen Begleiter, haben es erneut vermocht, nicht nur ihre beinharten Anhänger mittels ihrer Darbietung restlos in hellste Verzückung zu versetzen - sie hauchten problemlos teils zehn, 20, 30 Jahre alten Titeln immer und immer wieder etwas vollständig Neues ein, so daß wahrlich kein einziger Beitrag in irgendeiner Form altbacken oder klischeehaft ertönte.
Auf ein profundes Wiedersehen mit Hannes, Philippe und Henning in genau einem Jahr - am 30.12.2010, nirgendwo anders, als in der Ottensener "FABRIK", nahe des Altonaer Bahnhofs!

Bitte beachtet auch:
www.hannes-bauer.de