Christian "KUNO" Kunert zu Gast bei
"Bluesfreaks, Tramps und Hippies in der DDR"
am 26. Mai 2009 in Dresden

 

Bericht: Marion Dudel, Hartmut Helms
Fotos: Marion Dudel, Hartmut Helms

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Bericht Marion Dudel:
John Lennons "Strawberry Fields for ever" sang Kuno, als er sich am gestrigen Abend verabschiedete... Und er meinte "seine/unsere" Erdbeerfelder. Die, die jeder in seinem Kopf trägt, und derer man sich nicht zu schämen braucht.
"Bluesfreaks, Tramps und Hippies in der DDR - Zwischen Aufbegehren und Resignation", ein Vortrag im Rahmen der Ringvorlesung "Wie schmeckte die DDR" fand gestern im Dresdner Museum für Stadtgeschichte statt. Dr. Joachim Klose hatte Thomas Kochan, einen der Autoren des Buches "Bye Bye Lübben City" und Christian "Kuno" Kunert dazu eingeladen. Ich hatte diesem Monat schon einmal Gelegenheit KUNO in Dresden/Gohlis zu erleben, Ich hätte dort nie gedacht, dass ich ihn so bald wieder sehen und hören würde. Geschuldet durch seine fast völlige Ertaubung ist er live nur noch selten zu erleben.
Als sich die Türen öffneten, stiegen nur 3 Personen zum kleinen Saal in der 3. Etage hinauf. Nach und nach füllte sich der Raum mit vielleicht 30 Personen und Dr. Klose eröffnete - vielleicht ein wenig zu steif - die Veranstaltung, stellte die Gäste vor und Thomas Kochan, geboren 1968, begann seinen Vortrag. Es ging dabei - wie könnte es anders sein - um das Buch "Bye Bye Lübben City", welches in diesem Jahr neu aufgelegt und textlich ergänzt wurde. Ich finde es gut, dass da jemand ist, der versucht aufzuarbeiten, festzuhalten, bevor alles dem Vergessen anheim fällt, auch wenn ich nicht alles nachvollziehen kann, was dort berichtet wurde. Wer konnte sich damals wirklich diese Kutte kaufen, die "Steppe" dem Schriftsteller Thomas Kochan als "das MUSS" beschrieb? 500,- DDR-Mark soll sie gekostet haben. Ich denke zurück und weiß noch, unsere Miete betrug 53,- Mark. Fast ein Jahr Miete für eine Jacke??? Nein, ich glaube nicht, dass das die "Norm" war, wohl eher die Ausnahme.
Dieser Vortrag war sicher nicht für die "ältere Generation", der auch ich angehöre, gedacht. Für junge Menschen wäre es heute undenkbar, wegen ihrer Liebe zur Musik eingesperrt und schikaniert zu werden. Sie können sich nicht ansatzweise vorstellen, dass man sich nicht verrückt kleiden durfte, wenn man es wollte. Was sieht man heute für teilweise skurril bekleidete Jungen und Mädchen! Schade, die junge Generation war eher mager vertreten am gestrigen Abend, und so war es auch kein Wunder, dass Kuno für die meisten Besucher der "Star des Abends" war. Die "älteren Semester" wussten, wen sie hier vor sich hatten, und applaudierten stürmisch bei Kunos locker vorgetragenem Beitrag. 30 Minuten hatte man ihm zugedacht, was zeigte, dass der Veranstalter nicht wirklich gewusst haben kann, wen er hier eingeladen hatte. Kuno ist ein Plauderer, Erzähler, einfach ein Urgestein!
Die halbe Stunde kann nicht reichen für einen Einblick in die DDR Musikgeschichte! Hut ab für den Versuch vom Bildungswerk Dresden, dass dieses Thema aufgegriffen und zur Sprache gebracht wurde. Aber leider, es blieb bei einem Versuch. Die Zeit war einfach zu kurz bemessen. Kuno erntete für seine Ausführungen regelrechte Lachsalven, so meinte er trocken: "Sie haben doch keinen Eintritt bezahlt, da müssen sie's eh nehmen wie's kommt", bevor er zur Gitarre griff und vom "kleinen Otto" sang. Kuno, fast völlig taub, gibt den kleinen Otto auf eine Art Sprechgesang und erntet Beifall. Befremdliche Blicke des Herrn Dr. Klose zeigten mir: Renft-Fan war der früher nicht?!
Kuno umriss in der Kürze der Zeit die Bandauftritte zu Tanzveranstaltungen, Verbot und erste Schallplatten. Betonte, Renft ist geradlinig geblieben, ließ sich nicht locken mit Weststoffen für die Bühnengarderobe wie "andere". "Strawberry Fields for ever" sang Kuno, komm ich zeig dir "meine" Erdbeerfelder, "Mülsen - St. Niclas, Schweinerenft for ever, Wolga und Barkas for ever, Karo und Jubilar for ever..."
Nein, die Erinnerungen an unsere Jugendzeit dürfen wir uns nicht nehmen lassen. Jeder von uns hat andere, jeder von uns hat gelacht, geweint, geliebt, gehasst... und immer dabei war Musik. Musik, die bis in die heutigen Tage in uns klingt. Musik, die erhalten werden muss, einfach, weil sie es wert ist.
Danke Kuno, für Deinen kurzen Vortrag mit so viel Inhalt! Danke für Deine Zeit, Deine Geduld nach der Veranstaltung. Danke für Deine Worte auf meinem Foto!

Bericht Hartmut Helms:
Parallel-Welten und Nischen... Da sitze ich also nun in diesem Festsaal vom Stadtmuseum in Dresden, hereingeführt durch einen Seiteneingang, damit den Prominenten (und Prominentinnen), die sich an weiß überzogenen Stehtischen im Haupteingangsbereich zur gleichen Zeit zu so einer offiziellen Festivität einfinden (müssen), nicht des kleine überbackene Sandwich und das Sektgläschen bei meinem Anblick aus der Hand fallen. Warum eigentlich kommt mir das so bekannt vor?? Mir kommt's vor wie DDR-Welt en miniature, an die ich gleich erinnert werden soll beim Vortrag, zu dem ich gekommen bin: "Bluesfreaks, Tramps und Hippies - Nische oder Parallelwelt in der DDR".
Nach dem Steigen der Treppen im Seiteneingang bis in den 3. Stock werden wir vom freundlichen Sicherheitspersonal am oberen Ende der Treppe, die vom besagten Haupteingang kommt, in Richtung Festsaal entlassen. Über so viel Groteskes und Doppelbödiges schon vor dem Vortrag über die "Parallelwelten und Nischen" in der einstigen DDR-Welt kann ich mir dann doch ein dreckiges Grinsen nicht verkneifen, Dank solcher "Steilvorlagen". Willkommen im (schein)heiligen Tempel der Konrad Adenauer Stiftung!
Da sitze ich also im gestylten Ambiente des Festsaals im Angesicht der Tischkarten von Thomas Kochan, Jahrgang 1968 und Mitautor von "Bye Bye Lübben City", sowie Christian "KUNO" Kunert, Jahrgang 1952 und Musiker, Renftler, Rebell & Zyniker vom Feinsten, und begreife, daß ich irgendwie ein Auslaufmodell repräsentiere, hier nicht wirklich hin gehöre und eigentlich bin ich auch nur wegen diesem KUNO hier.
Während der einleitenden Worte vom Dr. Sowieso wird mir klar, daß ich wohl eine gewisse Zeit lang Teil dieser Parallelwelt in der DDR war, einer zwischen "Aufbegehren und Resignation", so der Untertitel. Das ist schon deshalb nur eine Halbwahrheit, weil Resignation in meinem Wortschatz und dem derer, die ich von damals kenne, nicht stattfand (und -findet). Wo wären wir denn heute, wenn alle aus Resignation gegangen wären? Wer hätte das Recht auf Freiheit auf den Straßen mit Füßen einfordern sollen? Wer formuliert solche Themen? Gründe zum Resignieren würde ich auch heute schnell finden, und ich kenne einige, die schon zu lange unterhalb dieser Schwelle leben (müssen) und bei denen dieses Wort im Wortschatz dennoch nicht vorkommt, aber die vielleicht gern und wieder ausreisen würden. Die Frage ist eben nur: wohin?
Ich grinse ein zweites Mal in mich hinein, als ich Thomas Kochan lausche und feststelle, daß ich mit meinen eigenen Erfahrungen aus genau dieser Szene mindestens die Hälfte der Fakten auch aus einer anderen Richtung betrachten könnte, und sie wären dann noch immer wahr, nur anders wahr eben. Das ist so ein komisch Ding mit der Wahrheit und der der anderen, gell Christian? So hat denn auch der zweite Referent gestern in Dresden wieder mal nicht wirklich ins Konzept gepaßt, sondern sich auch noch "Dank" seiner Behinderung, einfach darüber gestellt, so wie einst. Denn weder KUNO, noch die RÄNFT-BÄND (so KUNO) und gleich gar nicht deren Musik, finden heute in der "offiziellen" Medienkultur dieser freien Welt statt, obgleich beide da sind. Parallelwelten oder nicht?
Da stand er also in seiner hellen Cord-Hose und dem Schlumperhemd darüber, mit Latschen an den Füßen, einer dicken Kette um den Hals neben dem Schlips- und Anzugträger und sah so aus, wie ich selbst in der ersten Reihe dort saß. Zwei Ehemalige in der offiziellen Welt der Adenauer Stiftung. An den dafür von KUNO vorgesehenen Stellen hab' ich mehrmals laut darüber lachen müssen.
KUNO plauderte locker über die RÄNFT-BÄND und über die Orte, wo sie auftrat oder wirkte. So gelang es ihm, mir wieder diesen unwiderstehlichen Geruch der Männertoilette im Elsterwerdaer Gesellschaftshaus, mit schwarzer Wand, der Pissrinne da unten und dem beißenden Schaum darin, gegenwärtig werden lassen. Das war schon verdammt real. Als KUNO daran erinnerte, daß es ganz andere waren, die schon vor Dekaden das Koma-Saufen in die Welt getragen hatten, konnte ich mich nicht mehr halten. Er erinnerte Minuten später an diesen "Regent 30" Verstärker, an seinen Klang und KUNO belehrte die Anwesenden, was dieser Verstärker von damals mit einer Kaffeemaschine von heute gemeinsam hatte. Bei seinen Ausführungen über die Spielerlaubis, umgangssprachlich "Pappe" genannt, tat sich bei mir ein ganzes Erinnerungsuniversum auf, und ich fragte mich unvermittelt, warum sich bei mir mit all diesen "Stichworten" sofort liebevolle Erinnerungen statt Resignation einstellten, warum mir beim Lachen die Tränen in die Augen schossen.
Dennoch, es gab dieses Denken bei vielen, nicht nur in den Nischen. Die Klaus Renft Combo machte daraus das "Lied vom Otto" und KUNO hat's gesungen und gesprochen in seiner urwüchsigen Art, die mir schon wieder diesen Kloß in den Hals preßte und meinen Fuß wippen ließ. Die zweite Melodie des Abends schrieb einst John Lennon, eines meiner Jugendidole, für die Beatles. Die Zeilen vom Erdbeerfeld im Irgendwo und für immer, das in uns lebt, wie unsere Sehnsüchte, die uns keiner nehmen kann. Bei "Strawberry Fields Forever" war ich dann ebenso zu Hause wie beim "Otto", von dem Dr. Sowieso nichts wußte und der gut und gerne in Lennon's "Strawberry Fields" als Kunde hätte liegen können, mit einer Karo zwischen den Fingern und einem Watzdorfer in der Hand.
Vielleicht sind Erinnerungen verklärend, vielleicht aber, war der normale Wahnsinn in dieser DDR auch manchmal und ziemlich oft ein wenig anders, als dessen heutige offizielle Lesart? Zumindest befand ich mich gestern mit KUNO im Gleichklang und das tat gut! Ein Teil der Anwesenden lauschte pflichtneugierig den Ausführungen der beiden so unterschiedlichen Referenten. Andere hörte ich mit mir lachen. Ein Teil war zum Ende der Veranstaltung ziemlich schnell verschwunden, andere hatten das Bedürfnis, noch ein paar Worte zu tauschen und Erinnerungen zu erhaschen. Sie nutzten die Chance, einer Musikanten-Legende in das vom Parallel-Leben und Nischen-Dasein gezeichnete Gesicht zu sehen, versuchten mit selbigem zu kommunizieren und Antworten zu erhaschen. Das war schwierig, aber es ging, wenn man geduldig nachhakte, denn KUNO ist nicht stumm, man stößt nicht auf taube Ohren, er hat sie nur... gell! Mit freundlichen Grüßen aus meiner Nische, HH.



Foto Impressionen:


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