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Ein Konzertbericht von Christian Reder mit Fotos von Uwe Wortmann



e"Was bleibt?" Diese und andere Sinnfragen haben sich in der Musik schon viele gestellt. Es sind die Musiker, die abseits jeglicher Belanglosigkeit tiefer ins Leben und Sein eintauchen als andere, und die die gehobenen Schätze ihrer gedanklichen Tauchgänge in Worte und Musik kleiden. Und dass das Leben weit mehr zu bieten und viel mehr Geschichten auf Lager hat, als nur die heile Welt des bunten Trallala und luftleerer Slogans wie "Hauptsache Ihr habt Spaß", zeigen uns diese Künstler mit ihrer Musik und ihren Liveprogrammen, für die man sich Zeit nehmen und die eigene Aufmerksamkeit wach halten muss. Katrin Lindner ist so eine Künstlerin, die mit offenen Augen durch das Leben geht, ihre Sinne geschärft hält und die ihre Beobachtungen und eigenen Erfahrungen nicht nur in Musik, sondern auch in gemalte Bilder einfließen lässt. Und so passiert es immer wieder, dass sie von der Staffelei in ihrer Künstlerwerkstatt rüber in den Salon auf dem großen Hof in Quadenschönfeld ans Klavier wechselt, um das eben noch gemalte Bild in ein Lied zu verwandeln. Sie verarbeitet so ihre Befindlichkeiten und das, was ihr durch den Kopf geht.a 20160221 1392757907 Dinge, die ihr wichtig sind, finden so eine ansprechende Form des Ausdrucks, an der sich andere Menschen erfreuen und von der sie auch eine ganze Menge für sich selbst mitnehmen können. Ihr aktuelles Programm heißt "Paarlauf", und sie ist damit seit Anfang 2015 unterwegs. An einem regnerischen und stürmischen Tag im Februar 2016 stellte sie dieses im "Haus OE" zu Castrop-Rauxel einem kleinen aber aufgeschlossenen Publikum vor, das am Ende des Tages ein Erlebnis der besonderen Art erfahren durfte.

Mit dem Hinweis, dass sie im Laufe des Abends den einen oder anderen Dichter und Philosophen (z.B. Heine oder Brecht) zitieren würde, um ihr Anliegen oder den Inhalt der zu Musik gewordenen Malerei zu unterstreichen, startet die Künstlerin um kurz nach halb neun in den Abend. Ihre Worte der Begrüßung verbindet sie an dieser Stelle mit dem Hinweis, dass ihre Texte und Bilder viele Freiräume für die eigene Phantasie lassen. Jeder kann seinen eigenen Interpretationen freien Lauf lassen und sich zu den Liedern ein eigenes Bilder in den Kopf malen. Wer das nicht möchte, kann versuchen, über die auf eine Leinwand geworfenen Bilder von Katrin Lindners Gemälden, die während des jeweiligen Musikstücks gezeigt werden, den Gedankengängen der Künstlerin zu folgen und die Zusammenhänge zu erkennen. Eigentlich müsste man das Programm gleich zwei Mal hintereinander erleben können, um beides auszuprobieren ... Aber beides gelingt durchaus auch gleichzeitig, wie sich am Samstagabend gezeigt hat.

Schon spielt sie das erste Lied, das genauso wie das dazu passende Bild heißt: "Ich überleg so viel". Katrin Lindner überlegt tatsächlich viel und denkt darüber nach, was sie als nächstes tun kann. Die recht fröhlich arrangierte Musik des Stücks verdeutlicht die Lebensfreude und den Spaß am Ausprobieren von etwas Neuem noch zusätzlich. Und noch bevor man sich versieht, ist man mitten drin in der wunderbaren Welt der Katrin Lindner, mit all ihren verspielten Gedanken und den ihrem beweglichen Geist entsprungenen Sichtweisen auf die Welt und das Leben. Sich selbst am Klavier begleitend, nimmt sie ihr Publikum im ersten Teil des Konzerts an die Hand und führt es im "Paarlauf" durch das große Universum der Liebe und Zweisamkeit. Mal heiter, mal nachdenklich, aber stets mit Tiefgang. Links von ihr vor der Bühne sitzt Tom Winkler, ein Freund, Wegbegleiter und "Allround-Talent", wie sie ihn selbst beschreibt. Still und unbemerkt sorgt er für den reibungslosen Ablauf von Licht, Ton und Technik. Schon vor dem Konzert übernahm er die Aufgabe des Roadie und richtete für Katrin die Bühne und die Technik ein. Perfekt auf die Sängerin eingestellt liefert er für sie das Visuelle im Bühnenprogramm. Er wirft die Bilder an die Leinwand, und außerdem sorgt er für den richtigen Ton, die richtige Lautstärke und, man wird überhaupt das Gefühl nicht los, für den seelischen Beistand der Künstlerin, die im Februar 2016 erstmals im Westen der Republik und 600 Kilometer von zu Hause entfernt ein Konzert gibt. Wo früher eine Band war, in dessen Gefüge man sich fallen lassen konnte, ist die Sängerin heute (fast) auf sich allein gestellt. Da wirkt Tom wie der oft zitierte Fels in der Brandung und ist ab und an auch mal der ruhende Pol in aufregenden oder hektischen Momenten. Die beiden passen gut zusammen und das Ergebnis ihrer Arbeit spricht für sich!f 20160221 1980828049 Tom wirft ein Bild nach dem anderen an die große Leinwand und Katrin sorgt für die dazu passende Geschichte in Form eines Liedes. Die Lieder folgen beim "Paarlauf" einem roten Faden, und der handelt - wie schon erwähnt - von der Liebe und Zweisamkeit. Es geht um das Kennenlernen, Liebenlernen, dem Versuch, die Liebe zu erhalten und festzuhalten und am Ende von den Momenten und Gedanken während und nach der Trennung, wenn die Liebe gestorben ist. Dabei ist Katrin nicht irgendwo im Gestern steckengeblieben, sondern beginnt den Erzählstrang damit, dass das Kennenlernen eines potentiell neuen Lebenspartners heute hauptsächlich im Internet stattfindet, und dass sie das auch auf den Rat einer Freundin ausprobiert habe. Alles fängt kurz vor und beim ersten Treffen mit dem Flattern der Gefühle an, und so heißen dann auch das Bild und der Song "Es flattern die Gefühle". Es geht darin u.a. um das eigene Anpreisen im Internet, bei dem Wunsch und Wirklichkeit, in Bezug auf die eigene Personenbeschreibung, auch weit auseinander liegen können. Alles endet mit dem Lied "Gedanken ohne Dich" und dem dazu passenden Bild "Gespenster im Kopf". Dazwischen singt sie vom wachgeküsst werden, vom betört sein, vom "Schreien vor Glück" und vom froh zu sein, dass es "Dich" gibt. Aber auch von "Zweifeln" und von "Nachtgedanken", wenn aus Glück plötzlich Unglück wird. Die Lieder dazu sind mal beschwingt und verbreiten eine gewisse Fröhlichkeit, dann wechselt aber die Stimmung im Einklang mit dem veränderten Richtungslauf der Liebesbeziehung, und es wird nachdenklich. Die Künstlerin versteht es sehr gut, sowohl das Hochgefühl als auch die Traurigkeit nachvollziehbar in Töne zu verwandeln und ihnen durch ihre Worte und Bilder ein Gesicht zu geben. Nach der "Zweisamkeit" entlässt sie uns in eine Pause, in der es zum ersten Mal zum direkten Kontakt mit dem Publikum und ersten Rückmeldungen der Konzertbesucher an die Sängerin kommt. Es kommt gut an, was sie hier anbietet. Ein Gespräch hier, ein weiteres dort ... und schon steht sie wieder auf der Bühne für den zweiten Teil.

Wo es im ersten Teil noch um Liebe und Beziehungen ging, es sogar heiter und unbeschwert zuging, wechselt die Stimmung im zweiten Teil auf eine andere Ebene. Direkt nach der Pause greift Katrin Lindner das Thema Selbsttötung auf. Zum Bild "Ich will nicht, dass ich bin" hat sie den gleichnamigen Titel geschrieben, der den zweiten Teil ihres Castroper Konzerts eröffnet. Am Ende ist es einen Moment ruhig und nur zaghaft will Applaus aufkommen. "Man muss an dieser Stelle nicht klatschen", merkt Katrin Lindner an und nimmt ihrem Publikum so die Unsicherheit,b 20160221 1555792298 wie es ob des schweren Themas nun reagieren soll. Es sind die Themen, die ihr abseits der Liebe wichtig sind, und die sie dem Publikum nun näher bringen möchte. Tom Winkler wirft das nächste Bild zum Gemälde "Allee" auf die Leinwand im Hintergrund der Bühne, und Katrin Lindner trägt das Lied "Nichts bleibt wie es war" vor. Ein Stück über die Dankbarkeit dafür, am Leben zu sein, auch wenn die Zeit langsam knapp wird. "Such eine List | Hoff' die Frist verlängert sich", singt sie und färbt ihre zu Worte gewordenen Gedanken in warme Klaviertöne. Diesem Lied folgt das Stück "Ich stell dich auf", in dem es um die Menschen in unserem Leben geht, die einfach nur da sind und FÜR einen da sind ("Wenn Du fällst | dann fall auf mich"). Drei schwere Themen am Stück folgen mit den Liedern "Verlierer", "Die Welt" und "Wir sind die Täter". Der erste dieser drei Songs greift das Thema der Flüchtlingskrise mit einer ziemlich anklagenden Melodie auf. "Die Mütter verhungert | Die Väter erschossen | Das ganz große Pech | über Euch ausgegossen", heißt da eine Zeile und die Sängerin malt mit Worten über zerbombte Leben und zerstückelte Seelen. Der Inhalt mag auch auf andere "Verlierer" in dieser Welt zutreffen, aber die derzeit zu beobachtenden menschlichen Tragödien, vor denen wir uns - wie sie sagt - nicht verschließen dürfen, liegen hier im Moment näher. Diesen Text sollte man auf Papier drucken, und in der Hoffnung eines Erwachens der Menschheit als Flugblätter bei einer dieser Montagsdemonstration verteilen. "Die Welt" ist nicht weniger unangenehm, denn schließlich haben wir sie alle gemeinsam auf den Kopf gestellt - sie kurz vor den Kollaps geführt. Mahnende Worte - mahnende Musik. "Wir sind die Täter" schrieb Katrin nach einer der bisher schon zahlreich veranstalteten Klimakonferenzen, die ergebnislos endeten. Ihre Wut darüber floss in das Bild "Kriegspfad" und in das eben genannte Lied. Diese Wut tropft aus jedem Ton ihrer Komposition und wird durch jedes Wort in ihrem Text zum Ausdruck gebracht. Nach so vielen angesprochenen Problemen der Welt, verarbeitet in drei aufeinander folgenden Stücken, stellt sie in ihrem Programm einen Titel hinten an, der der älteste in ihrem Repertoire ist. "Abendträume" (zum Bild "Am See") stammt zudem auch nicht aus ihrer Feder. Der Text ist 40 Jahre alt, wurde vom damals 20-jährigen Schauspieler Michael Kind geschrieben und bedeutet der Sängerin heute noch so viel, dass er sich auf der Setlist ihres Castroper Konzerts wiederfindet. Mit einem Lied über ihre eigenen Befindlichkeiten nach einem Konzert beendet Katrin Lindner das reguläre Set. Es heißt "Dann fliege ich los" (zum Bild "Die Band") und es beschreibt das Glücksgefühl das sie hat, wenn sie am Ende einer ihrer Auftritte feststellen darf, dass sie das Publikum erreicht hat. Und dieses Kunststück ist ihr auch in Castrop gelungen, denn die Konzertbesucher bedenken die Solistin auf der Bühne mit warmen und reichlich ausfallendem Applaus. Mit den Worten, "Ach, ich geh gar nicht erst weg", bedankt sie sich dafür und verzichtet auf den sonst bei Konzerten üblichen Abgang von und die anschließende Rückkehr auf die Bühne für die obligatorischen Zugaben. Sie bleibt gleich sitzen und legt vier weitere Bilder und Lieder nach, die das Publikum als Geschenk obendrauf bekommt. Mit dabei das Stück "Trag mich" zum Bild "Die Räuber". Es ist nach einer 3-tägigen Städtereise nach Paris im letzten Jahr entstanden, bei der Katrin Opfer eines Taschendiebstahls wurde, und bei der ihr die Papiere und all das Geld gestohlen wurden.c 20160221 1976597663 Sie war danach völlig fertig und mehr als dankbar, dass ihre Freundin in dem Moment an ihrer Seite war. Für diese Freundin entstand dann auch dieses Lied. Den endgültigen Schlusspunkt setzte sie mit ihrer Version des "Abendliedes" von Matthias Claudius. "Der Mond ist aufgegangen" singt sie zu ihrem Bild "Der Uhu". Ein letzter Gruß, der Wunsch, ihr Publikum möge heil nach Hause kommen und noch einen schönen Restabend haben, und schon ist das Castroper Konzert der Katrin Lindner um kurz vor 23:00 Uhr Geschichte.

Einige Konzertbesucher finden sich am Tisch im Eingangsbereich wieder, an dem die Künstlerin für Autogrammwünsche und Gespräche zur Verfügung steht. Eine Dame bekundet am Rande, wie sehr Katrin sie mit dem letzten Lied berührt habe. Eine andere Konzertbesucherin spricht gar von Tränen, die sie beim Lied "Ich will nicht, dass ich bin" vergossen habe. Dies höre ich auch von einer weiteren Frau, die mir von Fällen der Selbsttötung in ihrem Bekanntenkreis erzählt. Ein Herr sagte sogar, dass er zuletzt bei Annett Louisan im Konzert war, und dass sich Katrin da überhaupt nicht zu verstecken bräuchte. Im Gegenteil .... All das kann ich blind unterschreiben und bin von einem ganz besonderen Konzert total begeistert. Mich begeistert ganz besonders auch, wie Katrin Lindner ihre Lieder singt. Manch eine ihrer Kolleginnen hat derweil Probleme mit der Stimme, die mit dem Alter gelitten hat. Nicht so bei der Lindner, deren Stimmfarbe im Vergleich zur Zeit mit der Schubert Formation in den 70ern und 80ern natürlich ebenso eine Wandlung durchgemacht hat wie ihr Timbre, die aber immer noch in der Lage ist, den Blues und die Seele in ihre Stimme zu legen und diese als unverwechselbares Instrument einzusetzen. Sie wechselt die Oktaven und Tonarten mit Leichtigkeit, zieht Töne in die Länge, lässt sie gar tanzen und springen und ihr Publikum so manches Mal vor Erstaunen in Verzückung geraten. Es ist die Gesamtsumme aus Musik, Gesang, Inhalt und Art des Vortrags, die dieses Konzert haben zu einem echten Genuss werden lassen. An dieser Stelle auch ein großes Dankeschön an meinen Freund und Fotografen Uwe, der das, was man am Samstagabend erleben konnte, ganz wunderbar in Fotos festgehalten hat. Ja, wir alle hatten reichlich Spaß im "Haus OE". Eine Form von Spaß, die man nur noch selten finden kann. Spaß daran, von einer Künstlerin mit zweierlei Arten von Kunst auf eine aufregende Reise in ihre Gedanken- und Gefühlswelt mitgenommen zu werden. Spaß daran, eigene Gedanken zu spinnen, eigene Bilder zu malen und eigene Interpretationen anzustellen.d 20160221 1051314980 Spaß daran, mit anderen Menschen gemeinsam dieses Konzert erlebt haben zu dürfen und noch viel mehr Spaß mit Katrin Lindner und ihrem Freund Tom selbst, mit denen eine kleine Delegation von Deutsche Mugge auch abseits dieses Konzerts am Freitag und Samstag eine ganz wunderbare Zeit mit allerlei Erlebnissen verbringen durfte. "Was bleibt?" Ein Erlebnis mit Nachhall, das sehr .... sehr sehr lange im Gedächtnis bleiben und schöne Erinnerungen produzieren wird. Danke für alles, Katrin!


Setlist
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Katrin Lindner live ...
• 10.03.2016 - Bad Doberan - Haus Ehm Welk
• 14.05.2016 - Quadenschönfeld - Farmlandhof (Salon-Konzert)

Alle Angaben ohne Gewähr. Nähere Infos auf Katrins Homepage



Bitte beachtet auch:
• off. Homepage von Katrin Lindner: www.katrinlindner.de
• Portrait über Katrin Lindner bei Deutsche Mugge: HIER klicken




Die Fotos des Abends ...
... hat für Euch gemacht:

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Videoclips:


"Ich überleg so viel"



"Es flattern die Gefühle"


"Der Mond ist aufgegangen"





   
   
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