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Wenn man als Band von sich behaupten kann, einen "unsterblichen" Hit zu haben, dann hat man viel erreicht. Musikfreunde und Fans der Neuen Deutschen Welle erinnern sich gerne an den Hit "Puppen weinen nicht", der zu einem der besten Songs dieser Ära gehört. Zugleich ist er auch einer dieser oben genannten, "unsterblichen" Hits, die man nach wie vor im Radio hören kann, und die immer wieder gerne für Zusammenstellungen auf CD Verwendung finden. COMBO COLOSSALE ist die Band, die diesen Hit im Jahre 1982 hatte. Die Neue Deutsche Welle war im vollen Gang und plötzlich war dann diese Gruppe aus Hannover da. Zur Besetzung gehörten Michael Flexig (voc), Mike Schröder (dr), Detlev Jachzek (git), Rainer Przywara (key) und Thomas Schwarze (b). Die fünf Musiker platzierten ihre Debüt-Single "Puppen weinen nicht" in den Charts und hatten die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich gezogen. Es folgte 1983 mit "Julia" die zweite Single. Der Titel hieß ursprünglich "Schule aus!" und hatte einen völlig anderen Text, welcher auf Drängen der Plattenfirma aus marktstrategischen Gründen geändert wurde. Diese und die dritte Single mit dem Titel "Drinnen tanzen sie Samba" wurden aus dem noch im gleichen Jahr erschienenen Album "Combo Colossale" ausgekoppelt. Eine Platte mit breitgefächertem Songangebot: Von politisch- bis melancholisch, von partytauglich bis rockig - die LP bot dem Hörer ansprechendes Songmaterial. Nicht schräg und auch nicht aus dem Rahmen fallend. Nach der LP folgten im Jahre 1984 insgesamt noch zwei weitere Singles: Die erste war "Eis und Feuer", eine Coverversion des Slade-Klassikers "My, Oh My". Gleichzeitig war dies die letzte Single mit Michael Flexig als Sänger. Nach seinem Ausstieg veröffentlichte die Band noch eine weitere und zugleich letzte Single mit dem Titel "König für eine Nacht". Die Single hatte so gut wie keine Nachfrage mehr. COMBO COLOSSALE löste sich Mitte der 80er auf. Wer hinter Combo Colossale stand und was die Band zum Erfolg geführt hat, hat Christian am 12. September 2006 direkt bei Sänger Michael Flexig in Erfahrung bringen können ...


 
 
Hallo Michael! Was macht eigentlich COMBO COLOSSALE heute?
Hallo Christian! COMBO COLOSSALE ist heute sicherlich nicht die aktivste Band der Szene *lach* - aber hin und wieder treffen wir uns zum geselligen Beisammensein? manchmal sogar auf der Bühne, z.B. auf Stadtfesten. Es macht uns immer noch Spass, in dieser Formation live zu spielen und leuchtende Augen (manchmal auch etwas verständnislose *lach*) zu sehen.

Die Band war eigentlich kein Produkt der Neuen Deutschen Welle, oder? Wann wurde die Gruppe gegründet und was hat sie vorher gemacht?
Ja, das ist richtig. Gegründet wurde die Band 1975 in Hannover. Wir nannten uns damals MURPHY und kamen vom anglo-amerikanischen Mainstream-Rock. Murphy war zunächst eine Übungsraumband mit Auftritten bei Schulfeten, kleineren Festivals, Clubgigs und ähnlichem, im regionalen Umkreis von Hannover. Bereits sehr frühzeitig beschäftigten wir uns damals auch mit deutschen Texten, was ja lange Zeit verpönt war. Lange, bevor die Neue Deutsche Welle über uns hereinschwappte.

Welche Idee steckte hinter COMBO COLOSSALE? Welche Ziele hattet Ihr damals?
Hm, steckte eine Idee dahinter? Ich glaube es entwickelte sich irgendwie von alleine - wir haben damals keine Klinken geputzt oder so... Wenn es eine Idee gab, dann die: wir wollten reich und berühmt werden *lach*. Mit dem Reichwerden hat es leider nicht geklappt? Bei einem unserer Murphy-Gigs lernten wir unseren späteren Produzenten Hermann Hausmann (früherer Keyboarder von James Last) kennen. Der hat zunächst ein Studioprojekt mit uns verwirklicht, eine Single mit der Esther & Abi Ofarim-Nummer "In The Morning of my Life" - das war eine richtige Disco-Version, wie sie in den 70ern im Radio und in Discotheken gespielt wurde. Die Single wurde von Ralph Siegels Jupiter-Records veröffentlicht, floppte aber natürlich, weil die Disco-Zeit schon lange vorbei war *lach*. Etwa zeitgleich wurden wir als beste Nachwuchsband (noch als Murphy) von der Deutschen Phono-Akademie für die Teilnahme am damaligen, sehr renommierten Nachwuchsfestival in Würzburg ausgewählt, bei dem sich zum Beispiel auch Heinz Rudolf Kunze seine ersten Lorbeeren verdient hat. Mit einem ehrenvollen dritten Platz (*lach*) lernten wir Wolfgang Neumann vom WDR (späterer Programmchef vom ZDF) kennen, der mit uns drei Eigenkompositionen produzierte. Diese wurden damals noch unter MURPHY bei der EMI-Elektrola auf einem WDR-Sampler veröffentlicht. Noch vor der Veröffentlichung bot mir Hermann Hausmann dann ein Tape mit einem Song an, der von dem großen, alten Schlagerkomponisten Hans Blum - manchem sicher besser bekannt als "Henry Valentino" - geschrieben worden war: "Puppen weinen nicht". Es war so ein Schlager-Demo mit Farfisa-Orgel und dem typisch knauzigen Gesang von Henry Valentino ("Im Wagen vor mir fährt ein junges Mädchen?"). Ich dachte sofort: "die Nummer ist heiß, muß aber ganz anders klingen". Und so zogen wir uns in den Übungsraum zurück, spielten einfach drauf los und nahmen mit einem Cassettenrecorder unsere Version auf. Hermann und Hans waren begeistert, spielten das Tape unserer späteren Plattenfirma (Repertoire-Records) vor, die sofort einen Produktionstermin buchte. Ich glaube, vom ersten Demo bis zur Fertigstellung der Platte waren gerade zwei Wochen vergangen. Sofort bekamen wir eine damals riesige Fernsehshow mit "Puppen weinen nicht": den ZDF-Showexpress mit Michael Schanze. Da war außer uns auch noch Hubert Kah mit "Sternenhimmel" - na, und dafür musste ein Imagewechsel und ein neuer Name her: Combo Colossale war geboren. Wolfgang Neumann saß nun auf seinem Ladenhüter Murphy, während wir als Combo Colossale plötzlich durch viele große Fernsehshows zogen, Chartplatzierungen erfuhren und überall im Radio gespielt wurden. Das war schon toll. Quasi über Nacht war für uns jungen Spunde ein Traum in Erfüllung gegangen.

Mal abgesehen von "Puppen weinen nicht": Wie sind Eure Songs entstanden? Wer hat sie geschrieben, wer hat die Texte gemacht, wer brachte Ideen ein?
Naja, wie schon gesagt, wir kamen ursprünglich aus der beschützenden Übungsraum-Idylle und konnten nach Herzenslust Songs schreiben - ohne Druck, eben einfach so, wie wir das für uns wollten und wie es uns Spass machte. Für die Kompositions-Ideen zeichneten schwerpunktmäßig unser Keyboarder Rainer Przywara und unser Gitarrist Detlef Jachzek verantwortlich - auch Bassist Thomas Schwarze und ich selbst brachten Songs ein. Thomas hat zum Beispiel "Drinnen tanzen sie Samba" geschrieben, unsere erfolgreichste Single nach "Puppen weinen nicht". Die Texte stammten weitestgehend von mir, aber eigentlich haben wir schon alles irgendwie gemeinsam arrangiert und mit ganz viel Spass und Freude entstehen lassen. Es gab immer irgendwelche aktuellen Themen, die wir textlich aufgegriffen haben: "Herbei" zum Beispiel war die bittersüße Auseinandersetzung mit unserer eigenen Wehrpflicht, "Drinnen tanzen sie Samba" inspiriert durch den damaligen Falkland-Überfall von Ronald Reagan, der "Zeppelin in Ostberlin" ein spielerisches Befassen mit der deutsch-deutschen Teilung.

Wie kam es letztlich zum Plattenvertrag? Erzähl doch mal...
Ich hatte ja vorhin die Entstehungsgeschichte quasi rekapituliert - aber es war keine so genannte Major-Company, sondern ein kleines Label bei der damals noch existierenden Teldec, das uns als ihre Nummer 1 sah und entsprechend aktiv gewirkt hat. Das war gut für alle Beteiligten, denn eigentlich war die Neue Deutsche Welle schon langsam wieder am Abklingen, was wir natürlich damals nicht realisieren konnten, aber aus heutiger Sicht war es so. Wir hatten dann noch einen sehr rührigen Promoter aus Köln kennen gelernt, der hieß Manfred Schmidt. Manfred hat sich zwar das Promoten, u.a. mit Verlagsrechten, gut bezahlen lassen *lach*, hat uns aber dank seiner Funktion als Besetzer (zum Beispiel "Bananas") bei den damaligen Musiksendungen gute Fernseheinsätze besorgt. Also irgendwie geschah vieles mehr oder weniger zufällig, vieles entsprach einfach dem Zeitgeist, viel Glück war dabei, aber andererseits waren wir durch unsere jahrelange Vorbereitung als eingespielte Band gut gerüstet und bereit.

Die Debüt-Single "Puppen weinen nicht" war sofort ein Hit. Hat man geahnt, dass dieser Titel so weit oben landen würde oder war es dann doch eher eine Überraschung?
Naja, es war schon überraschend, weil es so schnell ging und irgendwie unwirklich schien. Andererseits wollten wir ja genau den Erfolg. Wir wollten in erster Linie einmal viel live spielen und bewundert werden *lach*. Da war "Puppen Weinen Nicht" natürlich der Türöffner schlechthin. Plötzlich war Combo Colossale einem Millionenpublikum ein Begriff, wir wurden plötzlich mehr gebucht, als wir Termine frei hatten - ich glaube, wir haben damals keine einzige Gross-Discothek und kein Stadtfest in Deutschland ausgelassen *lach*. Als ich das Demo bekam, wusste ich: "Dat wird was" - und setzte den Song erstmal intern bei der restlichen Band durch, die ursprünglich gar nicht so begeistert war, einen "Fremdtitel" (also einen nicht Selbstgeschriebenen) zu machen *lach*. Und als der Song dann fertig produziert war, glaubte jeder der Beteiligten daran, dass es ein großer Erfolg werden würde. Und das wurde es ja auch - das Schöne ist, dass "Puppen weinen nicht" bis heute einer der ganz großen Fetenhits geblieben ist - sozusagen schon 25 Jahre lang *lach*.

Es gab nur eine einzige LP mit dem Titel "Combo Colossale". Hatte die Plattenfirma nach nur einem Album schon genug, oder warum kam danach nichts mehr?
Na immerhin! Wenn ich mir heute manches One-Hit-Wonder anschaue, dann gibt's da doch noch lange kein Album. Combo Colossale konnte immerhin eines machen *lach*. Nun hat das Album längst nicht die Verkaufszahlen der Singles "Puppen weinen nicht", "Drinnen tanzen sie Samba" oder auch "Eis und Feuer (My Oh My)" erreicht - andererseits schwand die Neue Deutsche Welle und das Interesse an ihren Protagonisten langsam dahin und es war schwer für uns als Band, das Image glaubwürdig zu modifizieren. Wir entsprachen damals dem Bild der so genannten "Neuen Deutschen Fröhlichkeit", für die dann irgendwann kein rechter Platz mehr war. Wir hatten als Band mit dem schwindenden Erfolg, der übrigens genauso schnell ging, wie er gekommen war, ganz schöne Probleme - dieses belastete natürlich auch die kreativen Prozesse. Irgendwann hatten wir dann auch keinen inneren Kompass mehr. Die Plattenfirma hatte keineswegs genug von uns, die wollten gern mit uns weiter arbeiten, aber wir konnten nichts mehr abliefern, was annähernd hip gewesen wäre. Unsere letzte erfolgreiche Single war dann "Eis und Feuer", die deutsche Version des Slade-Klassikers "My Oh My".

Welchen Einfluss hatte die damalige Plattenfirma auf Eure Musik? Die Single "Julia" z.B. hieß ja ursprünglich "Schule aus!" und wurde auf Drängen der Plattenfirma verändert, stimmt das?
*lach* ja das stimmt. "Schule aus!" war ein älterer Song von uns, der schon existierte, als es "Puppen weinen nicht" noch nicht gab. Während der Produktion unseres Albums hieß es dann von Seiten der Plattenfirma: "das wird die Nachfolge-Single zu "Puppen", aber Extrabreit haben gerade "Hurra, hurra die Schule brennt!" in den Charts, lass dir einen anderen Text einfallen". So wurde daraus "Julia" - klingt phonetisch doch ähnlich wie "Schule aus" *lach* - und schon entsprachen wir wieder dem Bild der neuen deutschen Fröhlichkeit. Obwohl ich "Julia" zusammen mit Detlef Jachzek geschrieben hatte, hätte ich damals gern einen anderen Song als Nachfolge-Single gesehen: "Wolfgang Amadeus". Der Song hätte für mich mehr Band-Identität gehabt und bekam von den Radiostationen auch deutlich mehr Airplay. Aber nun ja, so wurde es halt "Julia" - is ja auch ein lustiger und guter Song - nach wie vor.

Kurze Zeit später kam es zum Aus von COMBO COLOSSALE. Was waren die Gründe für die Auflösung?
Wie schon gesagt, befand sich die NDW damals im Niedergang und im Zuge dessen verlor Combo Colossale zunehmend ihre Plattform. Wir wurden live nicht mehr so gebucht, weil die Medienpräsenz nachließ und der Musikstil irgendwann auch nicht mehr dem Zeitgeist entsprach. Bandinterne Querelen setzten ein, Schuldige wurden gesucht und "gefunden", entlassen, ersetzt... Doch die Songs, die wir damals schrieben, wurden davon auch nicht besser. In dieser Phase hatte ich mit hannoverschen Musikerkollegen ein Demo eingespielt, das weltweit für Aufsehen sorgte. Und ohne es damals zu ahnen, hatte ich damit den Grundstein für mein späteres, rund 22 Jahre währendes, weiteres musikalisches Wirken gelegt. Dieses Demo-Tape sollte ursprünglich dazu benutzt werden, der anderen Band die Sängersuche in England zu ermöglichen, weil Combo Colossale ja mein Baby war und ich gar nicht vorhatte, dieses aufzugeben. Die Sängersuche hatte sich dann allerdings insoweit doch erübrigt, weil das Tape (damals 5 Songs) mit mir als Sänger (und nur mit mir, das war die Bedingung der Company) zu einem der höchstdotierten Plattenverträge bei EMI-Parlaphone (das berühmte Beatles-Label) der damals letzten 30 Jahre in England führte. EMI kaufte mich aus dem Plattenvertrag mit Repertoire-Records frei und so zog ich nach London. Für Combo Colossale bedeutete das zwangsläufig das Aus. Repertoire-Records hat dann zwar noch eine Single mit dem verbliebenen Stamm der Combo Colossale veröffentlicht ("König für eine Nacht"), gesungen von Rainer Przywara, aber die Single floppte völlig mit 500 verkauften Exemplaren - und das war's dann.

Was hast Du nach dieser Zeit gemacht?
Nach meinem Weggang aus Deutschland 1983 folgte nach langer Produktionsphase 1985 dann das legendäre Debüt-Album "ZENO" und einige weltweiten Touren (u.a. Stadion-Festivals mit "Queen", "In Access", "Status Quo" und anderen - aber nie in Deutschland! *lach*). In der Folge - und nach langen Irrungen und Wirrungen *lach* - gab es von meiner "neuen" Band "Zeno" dann bis heute noch drei weitere Alben: "Zenology", "Listen to the Light" und "Zenology 2". Gitarrist von Zeno und Main-Songschreiber ist Jochen (Zeno) Roth, jüngerer Bruder des legendären Ex-Scorpions Gitarristen Uli Jon Roth, mit dem ich gleichermaßen rund 20 Jahre gearbeitet habe. Erfolgreiche Alben wie "Beyond the Astral Skies" und "Prologue to the symphonic Legends" sind hierbei entstanden. Es gab daneben auch viele andere Produktionen, wie zum Beispiel meine Titelmelodie zum Tatort "Bienzle und der Champion", tolle Fernsehshows, bei denen ich als Sänger mitgewirkt habe, wie zum Beispiel das WDR_Rocklife-Special "A Tribute to Jimi Hendrix", zusammen mit Uli Jon Roth, Jack Bruce und Simon Philipps oder der "Old Grey Whistle Test" in England? also, es geht immer mal was *lach* - einfach auch mal auf meine Homepage www.flexig.com klicken - oh, die hab ich lange nicht aktualisiert?

Und Deine ehemaligen Kollegen? Was ist aus denen geworden?
Alle sind tolle Musiker geblieben, mit denen ich sehr gern noch zusammen spiele. Allerdings haben sich die Schwerpunkte eines jeden Einzelnen deutlich zugunsten bürgerlicher Berufe und Familie verschoben. Aus ihnen sind 2 Professoren geworden, ein Fabrikant und ein Geschäftsstellenleiter. So ist es erklärlich, dass die Combo Colossale heute nicht mehr ganz so heißhungrig auf das große Comeback wartet. Aber wie gesagt, ab und zu ist Combo Colossale auf Special Events, Stadtfesten oder 80iger-Jahre-Mottoparties zu finden und spielt dann mit einer Freude und Energie, die bei manchen "neuen" Deutschrockern für Blässe im Gesicht sorgt *lach*

Vor knapp vier Jahren, also 2002, habt Ihr anlässlich des 20-jährigen Bandjubiläums wieder gemeinsam auf der Bühne gestanden. Was war das für ein Gefühl nach all den Jahren?
Naja, unser Jubiläums-Event war schon großartig. Es war ein 2-tägiges Spektakel in unserer Heimatstadt Hannover, zwei Riesen-Shows. Gerne wieder *lach*. Zum 20-jährigen haben wir auch die Homepage (http://www.combo-colossale.de) eingerichtet - hier sind auch viele bunte Bilder drauf *lach*

Und wie haben das die Zuschauer aufgenommen, dass Combo Colossale wieder auf der Bühne stand?
Zwei Super-Sommer-Sonnentage im Freien, gut besucht... Es kamen einige Tausend Besucher, die begeistert dabei waren: "Spielt doch noch mal Puppen weinen nicht!!!!!" *lach*

Warum hat man diesen Anlass nicht genutzt, und ein richtiges Comeback, mit Platte und Konzerten, draus gemacht?
Zaghafte Ansätze dazu gab es ja. Aber ich glaube, für uns alle ist die Zeit des kreativen Schaffens in diesem Genre nicht stehen geblieben. Wir könnten heute nicht mehr da anknüpfen, wo wir damals aufgehört haben. Ich denke, alles hat seine Zeit und wir haben unsere in vollen Zügen genossen. Combo Colossale ist mit ihren Original-Songs der damaligen Ära in der Erinnerung der mit ihnen älter gewordenen und inzwischen auch in Ehren ergrauten Fans wach geblieben. Und das ist auch gut so. So spielt Combo Colossale heute die NDW-Hits von damals, gespickt mit einigen neueren Songs. Aber unsere alten Hits, das ist es, was die Leute von uns hören wollen - und wir geben sie ihnen auch sehr, sehr gern. Es ist nicht belastend, im Gegenteil. Wenn solche Songs über einen solch langen Zeitraum Bestand haben, dann ist das ein schönes Geschenk. Inzwischen gibt es doch auch viele würdige Nachfolger, denen wir in unserer aktiven Zeit mit der "Neuen Deutschen Welle" den Weg mit bereitet haben - ich denke da z. B. an Bands wie "Wir sind Helden", "Juli", "Silbermond" und andere. Natürlich bestehen diese Künstler zu Recht darauf, dass sie etwas völlig Neues und Eigenständiges machen und darauf, sich - schon generationsbedingt - absetzen zu wollen vom "Muff" der frühen Achtziger. Aber ohne die "Neue Deutsche Welle" und ihre Vertreter wäre die Musik und der Erfolg dieser Künstler wohl so nicht denkbar.

Wir haben diese Frage vor kurzem schon Reinhold Heil von Spliff gestellt. Jetzt stelle ich sie Dir: Was war - Deiner Meinung nach - die Neue Deutsche Welle? Woran konnte man sie festmachen, was waren ihre Vor- und Nachteile und welche markanten Punkte zeichnete sie aus?
Hm, ich glaube es waren im Wesentlichen zwei Dinge: a) eine musikalische Gegenbewegung, b) ein bestimmtes Lebensgefühl zu einem bestimmten Zeitgeist. Ab etwa Mitte der Siebziger Jahre entstand eine Gegenbewegung zum glatten Disco-Sound, zum - in den Ohren vieler damaliger Jungmusiker, jedoch nicht meiner *lach* - überproduzierten "Art-Rock"-Soundgefüge von Bands wie "Boston" oder "Toto" - man wollte einen einfachen, dreckigen, revolutionären Gegenpol. Elemente des Punk, deutsche schnoddrige Texte, die sich deutlich vom "Einerlei" des -aus heutiger Sicht - 70iger-Jahre-Kultschlagers absetzten. Hier wurde mit Wortspielen experimentiert, sinnvolle und auch völlig sinnlose oder sinnentleerte Textzeilen auf eckige Grooves und kantige Melodiebögen gesetzt, die mal zur Musik passten und mal auch überhaupt nicht. Die Instrumentierung war sparsam - es begann damals schon die Abkehr vom echten Livespiel und die Hinwendung zu elektronischer Minimalmusik der Wohnzimmer-Rock'n'Roll-Kultur - und Musikkenntnisse waren zunächst nicht wirklich erforderlich, um einen neuen "NDW"-Song zu kreieren und erst recht nicht, um ihn darzubieten *lach*. Über "Konventionen" durfte und sollte man sich gern hinwegsetzen. All diese neuen Möglichkeiten setzten eine Zeit lang eine ungeahnte Vielfalt an Experimentierfreudigkeit (z.B. Rheingold u.v.a.) und Kreativität frei. Die dabei entstandenen Songs waren meist frech, schnell, energiegeladen, auf jeden Fall neu, und trafen einfach den Zeitgeist. Und es förderte die Kreativität einer ganzen Generation. Innerhalb der so genannten NDW gab es ja auch verschiedene Strömungen: die einen wollten möglichst düster und fatalistisch, die anderen möglichst jung, dynamisch, frech und "neufröhlich" sein. Combo Colossale gehörte definitiv zur letzteren Kategorie *lach*. Und wie das mit solchen Bewegungen oft so ist, setzte irgendwann deren Kommerzialisierung ein. Und ein neues Lebensgefühl bei der "breiten Masse" entstand, und das Kind brauchte einen Namen: die "Neue Deutsche Welle" war geboren. Die musikalische Revolution der so genannten "Neuen Deutschen Welle" war aber viel, viel früher geschehen.

Wie siehst Du die heutige Musikszene? Verfolgst Du die Charts noch, und wenn ja, was gefällt Dir, und was nicht?
Ja sicher. Ich betreibe heute eine kleine Künstleragentur (www.fetenhits-live.de) und meine eigene Partyband SIX IN THE DANCEHOUSE (www.six-in-the-dancehouse.de). Ich beobachte die Charts natürlich regelmäßig, schon aus geschäftlichem und auch aus künstlerischem Interesse heraus. Mein persönlicher, musikalischer Geschmack ist dabei recht breit gefächert und reicht vom Mallorca-Partyschlager über R&B, Hip-Hop, Dance bis hin zum Hard Rock / Heavy Metal. Die Musikszene scheint mir heute weitgehend weniger kreativ als früher und ist auch deutlich instrumentalisierter, kommerzieller, materieller angelegt als früher. Künstler haben es heute sicher dadurch deutlich schwerer, sich länger zu behaupten. Live-Entertainment an sich hat heute einen deutlich geringeren Stellenwert gegenüber den 70igern (da waren es ja noch r i c h t i g e Events *lach*) und auch gegenüber den 80iger Jahren, auch wenn die ganzen Casting-Shows heute einen anderen Eindruck erzeugen wollen. Da lob ich mir ein "richtiges" Konzert wie am 27. Juli 2006 im Hamburger Stadtpark, als ich John Fogerty, den Sänger und Songschreiber von der Gruppe "Creedence Clearwater Revival" live erleben durfte. Das war ein grandioses Konzert!

Ich danke Dir für dieses Gespräch. Alles Gute für die Zukunft!
Danke Dir auch, Christian. Ich möchte Euren Lesern und unseren Combo Colossale-Fans auch ein herzliches Dankeschön für die jahrzehntelange Treue entgegenschleudern. Und immer schön fröhlich bleiben!
 

 

Interview: Christian Reder
(September 2006)

   
   
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