Henning Protzmann: 40 Jahre Volldampf!!!

Henning Protzmann muss man wohl kaum einem Karat-Fan erst noch vorstellen ... Von Beginn an dabei, zählte er mit Ed Swillms und Herbert Dreilich elf Jahre lang zum Grundgerüst der Gruppe, die er als organisatorischer Kopf leitete. Doch das war nicht alles: Seit nunmehr vierzig Jahren steht der studierte Bassist und Komponist auf den Bühnen dieser Welt! Vier Jahrzehnte gelebte deutsche Musikgeschichte! Exklusiv für die damals noch bestehende Fanpage jede-stunde.de kramte Henning im September 2004 nochmal in Erinnerungen und stellte sich ausführlich den zahlreichen Fragen.


 
Herzlichen Glückwunsch zu "40 Years On Stage".
Danke sehr!

 

Eine stolze Zahl, wie wir finden. Wenn du selbst - allein für dich - darüber nachdenkst, was überwiegt: Der Stolz auf das Erreichte oder der Blick nach vorn, auf das, was noch kommen soll?
Das eine schließt das andere nicht aus. Es ist schon eine große Freude, soviel erreicht zu haben, auf das man zurückblicken kann. Aber natürlich geht das Leben auch weiter, der Blick nach vorn ist damit verbunden. Das kann man nicht voneinander trennen.

 

Du hast den Anlaß gebührend gefeiert?
Sagen wir es so: Es handelte sich um ein von mir organisiertes Festival im Südosten von Berlin, in Woltersdorf auf der Maiwiese, in der herrlichen Natur. Unsere Band "Jazzin' the Blues" war daran beteiligt, mit drei Solisten und vielen Gästen (u.a. Ulrich Pexa und Thomas Kurzhals - Anm.d.Verf.), auch internationale Musiker. Es waren ca. 700 Zuschauer da und es hat einen Riesenspaß gemacht. Die Veranstaltung nennt sich übrigens "Blue Summer Night" und war bereits die zweite ihrer Art. Weitere sollen folgen.

 

Wenn wir die vierzig Jahre zurückrechnen, befinden wir uns im Jahre 1964. Eine Zeit einerseits, in der die ganze Welt den Beatles zu Füßen lag ...
Ja, richtig! 

 

... und in der andererseits innerhalb der DDR noch keine wirkliche bzw. ernstzunehmende Rock-Szene existierte. Inwiefern hatten die Beatles mit dem Start deiner Bühnenkarriere zu tun und in welchem Rahmen mit welchem Programm gestalteten sich deine damaligen Auftritte?
Stimmt, es gab keine Rock-Szene, das nannte sich Beat-Musik. Ich habe damals während meiner letzten beiden Studienjahre an der Hochschule in Dresden (Tanzmusikklasse, Spezialklasse für Jazz) in der Uve-Schikora-Combo gespielt. Die Beatles haben wir sehr verehrt, doch es war nicht ganz einfach, da man im "Tal der Ahnungslosen" (Slang-Ausdruck für die Gegend um Dresden, wegen des nicht vorhandenen Empfangs von Westsendern - Anm.d.Verf.) nur Radio Luxemburg über Mittelwelle einigermaßen vernünftig hören konnte. Da hingen wir dann alle vor dem Gerät und Uve Schikora, mit seinem absolut fantastischen Gehör, hat die Songs abgehört und wir haben sie eingeprobt und dann live gespielt. Das hat einen großen Teil des Erfolges der Uve-Schikora-Combo ausgemacht, in dieser Gegend quasi als Beatles-Ersatz zu fungieren. Die Säle waren stets voll und die Post ging ab. Das waren die Anfänge, vor vierzig Jahren ... 

 

Wie muß man sich den politischen Kontext während dieser Zeit vorstellen? Also, inwieweit wurde "von oben" gefördert bzw. eingegriffen?
Wir mußten natürlich eine Einstufung machen (eine Art Musiker-Führerschein - Anm.d.Verf.), haben dabei gleich die Sonderklasse erreicht und waren offiziell die beste Band im Bezirk Dresden. Von einer Förderung konnte aber nicht die Rede sein, denn die Obrigkeit hat das Treiben mit gemischten Gefühlen beobachtet. Wir haben z.B. in der TU gespielt, da waren drei Säle: Im ersten ist die Theo-Schumann-Combo aufgetreten, im zweiten die Fred-Herfter-Combo und im dritten eben die Schikora-Combo, das waren die besten Bands damals. Und da gab es interne Wettbewerbe, wer die meisten Leute zieht. Natürlich haben wir Vollgas gegeben und auf einmal sind die Leute auf die Tische gestiegen, wobei angeblich 200 Gläser zu Bruch gingen. Und schon hatten wir unser erstes Spielverbot, haha ... so muß man sich die Förderung seinerzeit vorstellen!
Ich kann mich auch noch an eine Begebenheit erinnern, als ein Farbiger mit uns zusammen auftrat. Der sang Elvis-Nummern und riß sich dabei so nach und nach die Klamotten vom Leib. Die Zuschauer tobten natürlich, aber wir hatten gleich das nächste Spielverbot an der Backe und konnten in Dresden nicht mehr auftreten. Wir sind dann nach Thüringen ausgewichen, doch der "zweifelhafte" Ruf ging uns schon voraus. Wir hatten z.B. auch immer farbige Würfel auf der Bühne, auf die wir während der Show sprangen, sahen aus wie die Beatles mit unseren Pilzkopffrisuren, hatten uns geile Klamotten schneidern lassen ... es war wirklich klasse, doch die Funktionäre fanden das abartig. So kam dann der Rat des Bezirkes Gera und belegte uns wegen dekadenten Auftretens auch hier mit Auftrittsverbot und wir mußten uns wieder eine neue Ecke suchen - die Nachtbar im Hotel "Deutschland" in Leipzig. 

 

1970 bist du den Alexanders beigetreten und dort auf Herbert Dreilich und Ed Swillms gestoßen. Was war das für eine Band und wie kam dein Engagement zustande?
Nach meiner Armeezeit - ich hatte drei Jahre in einer Big Band gespielt, so daß der Wehrdienst relativ easy vorüberging - wollte ich natürlich wieder Musik machen, wußte aber nicht genau, wie und wo. Den Alexanders hat mich dann jemand empfohlen. Das war eine Band mit vier Bläsern und Rhythmusgruppe, die zum Teil auch schon sehr interessante Soul-Stücke spielte, z.B. von Aretha Franklin. Später begannen wir, uns für Blood, Sweat & Tears und Chicago zu interessieren, doch das konnte man mit den Alexanders nicht verwirklichen, denn die Frau des Bandleaders Alexander Schilling war die Schlagersängerin Karin Maria. Da waren wir dann in allen Bezirken der DDR unterwegs, immer als Begleitband von Karin Maria, was keinen Spaß machte, zumal die Kohle auch hauptsächlich in der Tasche des Bandchefs landete. Das habe ich mir ein halbes Jahr lang angesehen und dann zu den Bandkumpels gesagt: "Das können wir auch selber, laßt uns eine Band gründen!" So entstand Panta Rhei ...

 

Kann man die Alexanders also in gewisser Weise als Vorläufer von Panta Rhei bezeichnen?
Ja, in gewisser Weise schon, z.B. was das Kennenlernen von Ed Swillms und Herbert Dreilich betrifft, außerdem war auch der Bläser Joachim Schmauch mit von der Partie, der ebenfalls zu Panta Rhei mitkam. Und wir haben bei den Alexanders diese Musikrichtung schon angefangen, an die Panta Rhei anknüpfte. Wichtig war vor allem, daß wir keine Schlager-Begleitband mehr sein mußten und an die Verwirklichung unserer eigenen Vorstellungen gehen konnten.

 

Eine personell so reichhaltig bestückte Formation wie Panta Rhei hat euch sicher sowohl logistisch als auch musikalisch vor so manche Herausforderung gestellt, nicht wahr? Wie brachte man das alles unter einen Hut?
Wir hatten einen Manager (Udo Jakob), der uns zunächst die Anlage besorgte und uns organisatorisch unterstützte, also gewissermaßen die ökonomische Basis lieferte. Und dann weiß ich noch, daß wir in Ketzin bei Berlin drei Wochen geprobt haben, wobei jeder den Auftrag hatte, drei Arrangements bzw. Songs auszuarbeiten und einzubringen. Es gab in dieser Gruppe mit ihren vielen Instrumentalisten eine Menge Möglichkeiten, das war schon klasse. Unser Vorbild war damals Blood, Sweat & Tears, mehr noch als Chicago, zu denen wir erst später geschmacklich tendierten. Und da Herberts kräftige Stimme der von David Clayton Thomas nicht unähnlich war, paßte das umso besser.
Wir haben dann sehr ambitionierte eigene Kompositionen erstellt, die in Fachkreisen begeisterte Reaktionen hervorriefen. Das hat sich bis heute gehalten, man spricht noch immer sehr respektvoll von Panta Rhei. Es war sogar mal von einem Neubeginn die Rede, mit dem ich mich ernsthaft befaßt habe. Doch die Musiker sind versprengt, haben keine Lust oder leben teilweise auch gar nicht mehr, so daß die Idee sich nicht verwirklichen läßt. 

 

Das Ende von Panta Rhei ist nie richtig geklärt worden, was war der Grund? Gab es einen bestimmten Punkt, an dem klar war: "Bis hierher und nicht weiter!" oder hörte die Gruppe auf zu existieren, weil einfach niemand mehr da war?
Nur soviel: Ich wollte eine populärere Musik machen, die nicht nur in Studentenkreisen hoch angesehen sein sollte. Es ging mir einfach darum, ein größeres Publikum ansprechen zu können. Ich habe mir die erfolgreichen Puhdys oder Renft mal angehört und dabei bemerkt, warum sie so beliebt waren: Weil ihre Musik volksnäher und allgemein verständlicher war. Etwas in der Art schwebte mir auch vor, deshalb bin ich ausgestiegen und habe mich nach Leuten umgesehen, die zu meiner Vision paßten. Uli Pexa habe ich bei einem Musikantentreff in Berlin kennengelernt, er war damals bei Schöbel und unzufrieden darüber, daß da nichts passierte. Wir sind so ins Gespräch gekommen und ich habe erwähnt, daß ich mich auch nach neuen Herausforderungen umsah, woraufhin er mir bei sich zu Hause Rohfassungen von Songs wie "Leute, welch ein Tag", "Draußen im Kornfeld" oder "Such ein Zimmer" vorspielte. Sie waren noch größtenteils instrumental oder einfach mit "la-la-la" besungen, aber sie haben mir sofort gefallen, richtige Ohrwürmer waren das! Da habe ich zu ihm gesagt, daß es genau das ist, was ich machen will und er meinte daraufhin: "Dann laß' uns 'ne Band gründen." Er erfand auch den Namen Karat. Konrad Burkert war ehemals Schlagzeuger von Lift, den kannte ich von Dresden her. Hans-Joachim Neumann haben Uli, unser damaliger Texter Jens Gerlach und ich bei einem Konzert der Hochschulband Neue Generation gesehen, wo er sang. Es handelte sich um eine Veranstaltung, die sie für ihre Patenbrigade (Arbeitergruppe aus einem Betrieb oder einer Fabrik, die mit einer bestimmten Schulklasse in Verbindung stand - Anm.d.Verf.) spielten, doch sie haben die mit ihrer komplizierten Studentenmusik fast eingeschläfert. Als die Arbeiter schließlich das Handtuch werfen und aufbrechen wollten, bat Neumi sie zu bleiben. Er würde jetzt einen Schlager singen. Und er begann, auf der Bühne "Ich such' die Yvetta" (Gassenhauer von Jiri Korn - Anm.d.Verf.) zu singen und dabei Faxen zu machen, so daß sich die Leute bogen vor Lachen. Da wußten wir: Das ist unser Sänger, diesen verrückten Typen müssen wir haben! Wir begannen dann, als Quintett zu proben und als unser Keyboarder Christian Steyer absprang, haben wir uns auf Ed Swillms besonnen, der auf diesem Gebiet schon damals als Koryphäe galt. Und Ed hat Herbert mitgebracht, da waren wir wieder beisammen.

 

Mit welchen Ambitionen seid ihr damals gestartet?
Die Puhdys zu überholen.

 

Ähem ... so präzise und klar war euer Ziel definiert?
Ja, für mich schon! 

 

Mit dem Einstieg von Bernd Römer und Michael Schwandt änderte sich nicht nur rein äußerlich das Gesicht der Gruppe, sondern auch musikalisch, denn fortan zeichnete fast ausschließlich Ed Swillms für die Kompositionen verantwortlich. War das ein bewußter Vorgang?
Nein, nicht wirklich. Uli Pexa war ja weg, er hat die DDR verlassen, weil er hier nicht leben konnte. Bernd Römer und Michael Schwandt kamen in die Band und nebenher ergab es sich, daß Ed sich mehr und mehr als Hauptkomponist profilierte. Das ist einfach passiert. Es konnte auch keiner ahnen, daß er später derart geniale Songs kreieren würde ...

 

1977 gab es für Karat die erste große Auszeichnung: Die Goldmedaille bei der V. Leistungsschau der Unterhaltungskunst. Was war das für eine Veranstaltung und wofür speziell habt ihr den Preis bekommen?
O je ... das weiß ich gar nicht mehr so genau. Ich glaube, das war so einer von den Wettbewerben, die es ziemlich regelmäßig gab und die in etwa mit den Einstufungsveranstaltungen vergleichbar waren, aber eben schon für Profis, auf einer höheren Ebene. Es gab da eine Jury, die den Gesamteindruck der Bands bewertete - inhaltlich, künstlerisch, das Auftreten, die Umsetzung ... Wenn ich mich recht erinnere, fand die besagte Veranstaltung im Steintor-Varieté in Halle/Saale statt und wir haben eine richtige Show aufgezogen. Neumi hat dort mit Unterstützung der Techniker 100 Luftballons hochgehen lassen und wir hatten eine kleine Lichtchoreographie dabei. Als wir "So 'ne Kleine" spielten, lief ein 3jähriges Mädchen über die Bühne, mit einem Schild, auf dem der Songtitel stand ... wir hatten uns einfach einen Kopf gemacht, wie man eine Show gestalten kann und das hat die Jury offensichtlich stark beeindruckt. Ganz sicher waren wir uns vorher nicht, aber es hat geklappt und uns wurde die Goldmedaille verliehen.

 

In der Folgezeit machte Karat vor allem durch die Organisation von "Schülerkonzerten" von sich reden. Wessen Idee war das und wie muß man sich den Ablauf dieser Veranstaltungen vorstellen?
Das Projekt entstand aus der Not heraus, weil wir dringend Auftritte brauchten und es kaum welche gab. Die Idee stammt von Christian Bartmann, einem Journalisten von der NBI (Neue Berliner Illustrierte - Anm.d.Verf.), den wir im Zuge einer Reportage "Karat in Finsterbergen" (wo wir mit einer Pferdekutsche durch die Straßen fuhren ...) kennengelernt hatten. Mit ihm verstanden wir uns sehr gut, er hat viel für die Band getan. Es war seine Idee, spezielle Konzerte für Schüler und Abiturienten zu entwickeln und zu organisieren. Das half uns damals unheimlich weiter, denn es sah geschäftlich noch nicht so rosig für uns aus. So kamen wir an viele Auftritte heran. Und schließlich hat sich sogar der Zentralrat der FDJ auf den fahrenden Zug gesetzt, uns unterstützt und letztendlich einen Orden angehangen.
Wir haben da aus jeder Epoche seit der Jahrhundertwende ein Stück gespielt, angefangen beim Baumwollpflückerblues bis hin zu eigenen Stücken und einem Showblock. Bartmann moderierte das Ganze und erklärte die Zusammenhänge: "Bob Dylan schloß seine Gitarre an einen Verstärker an und die Rockmusik war geboren." Auf diese Weise. 

 

Was haben diese Konzerte, wenn man sie im Nachhinein betrachtet, bewirkt?
Zum einen, daß viele Schüler von der Entwicklung der Rockmusik etwas erfuhren. Lehrbücher zu dem Thema gab es ja nicht. Und zum anderen war es für sie auch eine unterhaltsame Show. 

 

Der "Durchbruch" von Karat wird im Allgemeinen auf das Internationale Schlagerfestival Dresden 1978 datiert, als ihr mit "König der Welt" und "Über sieben Brücken mußt du gehn" den Grand Prix erobert habt. Wie international war dieses Festival und welche Kriterien gaben den Ausschlag für den überragenden Sieg?
International insofern, als aus allen sozialistischen Ländern Schlagersänger und Gruppen dabeiwaren. An Künstler aus dem Westen kann ich mich nicht erinnern. Ich empfand es etwas als Risiko, daß wir zwei ruhige Lieder gespielt haben. Eigentlich hätte ich mir eher vorstellen können, entweder die "Brücken" oder den "König" (den ich als Komposition noch etwas besser fand) und noch was schnelleres aufzuführen, aber wir haben uns auf diese beiden geeinigt und es hat funktioniert. Und diese Songs haben bis heute Bestand! 

 

Habt ihr dieses Ereignis damals auch selbst als "Durchbruch" gesehen? Was hat sich für Karat danach verändert?
Vor allem war da plötzlich der Herr Schimmelpfennig aus Westberlin da, dessen Musikverlag bereits die Puhdys und City vertrat, hat uns gehört und von Amiga die "Über sieben Brücken"-Platte übernommen. Wenig später gaben wir unsere ersten Auftritte in Westberlin und unsere Tourneen gingen langsam auch in die andere Richtung.

 

Was hat es für dich persönlich und für die Band allgemein bedeutet, die Grenze passieren zu können?
Gar nicht mal so viel, denn ich war vorher schon mit Günther Fischer in der Schweiz gewesen. Es war zwar schön, daß man dahin konnte und man war sicher auch aufgeregt. Ich bin mit meinem gelben Wartburg Tourist über den Ku'damm gefahren und habe mir eine Camel angesteckt, obwohl ich gar nicht rauche ... also es war schon was Besonderes, aber nichts Überwältigendes.
Die Band brachte es natürlich ein ganzes Stück weiter, vor allem, als wir Anfang der 80er anfingen, richtige Mengen an Platten zu verkaufen. Für "Albatros" und "Der blaue Planet" gab's sogar die Goldene Schallplatte für über 250.000 verkaufte Einheiten. Wohlgemerkt: Nur in der BRD! In der DDR waren es über 800.000!! Das ist heutzutage gar nicht mehr wiederholbar, wenn man nicht Grönemeyer heißt oder so. Das Geld jedenfalls haben wir dann gleich wieder in Instrumente gesteckt, konnten uns eine computergesteuerte Lichtanlage leisten ... das war schon fast ein kleiner, kapitalistischer Betrieb. Später fuhren wir dann mit einem Mercedes-Truck durch die Lande, hatten fünf Techniker dabei ... wir verfügten einfach über eine stabile ökonomische Basis, auf der man weiter aufbauen konnte, spielten im Jahr 150 Konzerte in ganz Europa, dazwischen Proben und neue Lieder schreiben. Viel Freizeit hatten wir nicht, zwei Wochen Urlaub, das wars. 

 

In der DDR hatte Karat derweil den bis dato fast übermächtig erscheinenden Puhdys zumindest zeitweise den Rang abgelaufen, dein Ziel war also erreicht. Habt ihr das zur Kenntnis genommen und euch auch "ganz oben" gefühlt?
Ja, schon. Es gab ja immer Umfragen und zu dieser Zeit waren wir die populärste Band. Wobei das zwei verschiedene Dinge sind: Man kann populär sein, aber das hat nicht unbedingt zwangsläufig etwas mit Qualität zu tun. Ich habe es dennoch als sehr angenehm empfunden, zumal da ja auch noch andere Privilegien mit dranhingen. Nachdem wir den Nationalpreis bekommen hatten, konnte ich Gagen frei verhandeln und das ist wichtig, wenn man mittlerweile über einen so großen Mitarbeiterstamm verfügt.
Es ergab sich auch ein Unterschied zu anderen Bands, die erst durch sehr viele Konzerte ihr Geld verdienen konnten. Wir bewegten uns da etwas freier und waren nicht mehr gezwungen, wie früher viel zu spielen. So entgingen wir der Gefahr, uns zu schnell abzunutzen.
Heute sieht das ja leider etwas anders aus, weil der Kapitalismus dermaßen zuschlägt, daß es für "normale Menschen" nur noch wenig Auftrittsmöglichkeiten gibt. Die Kultur ist das letzte Glied in der Gesellschaft und wenn die Situation so angespannt ist und die Weltökonomie schlecht läuft - wer hat dann noch Geld für Kultur übrig? Ganz zu schweigen von den Plattenfirmen, die für neue Künstler nichts mehr investieren. 

 

Hatte das Auswirkungen auf die Stellung von Karat innerhalb der DDR-Rock-Szene? Hat man euch mit anderen Augen betrachtet als vorher?
Das kann ich selber schlecht beurteilen. Aber ich nehme es schon an, wenn ich an gewisse Gespräche und Reaktionen denke. Oder nehmt die Puhdys: Die werden ja auch schon ein Leben lang um ihren Erfolg beneidet, dabei ist es doch bekannt, wie das funktioniert: Volksnahe und einfache Musik, einen Frontmann wie Maschine, einen klugen Kopf wie Meyer im Hintergrund ... und natürlich viel zielstrebige Arbeit.

 

Wie stellte sich für dich nun die Organisation der Gruppe dar und in welcher Weise spielten die politischen Verhältnisse eine Rolle? Oder anders ausgedrückt: Gab es Verhaltensmaßregeln von Seiten der DDR-Führung für die Auftritte im Westen und welche waren das?
(denkt nach) Hm, das ist gar nicht so einfach zu beantworten ... Eigentlich, muß ich sagen, hatten wir schon eine Menge Freiheiten, weil wir eine Musik machten, die ein breites Publikum ansprach und weil wir erfeulicherweise Norbert Kaiser kennenlernten, der in der Lage war, in lyrische und philosophische Texte Inhalte einzubetten, die einen direkten und realen Hintergrund hatten. Mit Repressalien mußte man im Prinzip nur rechnen, wenn man so Dinge gebracht hätte wie: "Die Mauer kotzt mich an!" oder "Erich is 'ne Pflaume!", um es mal überspitzt auszudrücken. Unsere Songs waren nicht so auf Konfrontation angelegt, wie z.B. die von Renft. Unsere Lieder waren sehr lyrisch betont, damit hatten wir Erfolg. Und dadurch gab es für uns auch kaum Schwierigkeiten, muß ich sagen. Ganz am Anfang allerdings schon, als man uns am liebsten vollkommen ignoriert hätte, aber später dann nicht mehr. Natürlich hieß es immer: "Kein Kontakt zu Westpersonen!", was aber völliger Quatsch war, denn man lernt logischerweise z.B. den Veranstalter kennen, bei dem man spielt oder die Fans, vor denen man auftritt. Außerdem hatten wir einen Hauptfanclub im Ruhrgebiet und so weiter. Also, das wäre gar nicht gegangen, selbst wenn man es versucht hätte.

 

Inwieweit wart ihr auf den ganz großen Erfolg vorbereitet, den euch "Der blaue Planet" einbrachte? War da im Vorfeld schon etwas davon zu spüren oder hat euch das aus heiterem Himmel "überfallen"?
Da gibt es eine interessante Begebenheit: Der für Rockmusik zuständige Mitarbeiter des Ministeriums für Kultur war auf einmal tierisch freundlich und sehr aufgeschlossen. Der scharwenzelte um uns herum wie ein Hund. Das stand in völligem Gegensatz zur ursprünglichen Verhaltensweise. Wir sollten unbedingt einen Rough-Mix von "Der blaue Planet" machen, damit der Song bei einem Festival auf dem Bebel-Platz - zu welchem Anlaß, weiß ich nicht mehr - gespielt werden konnte. Da hieß es: "Henning, werdet ihr rechtzeitig fertig?" und auf meine Verneinung: "Könnt ihr nicht eine Probemischung machen, wir wollen den doch so gerne dabeihaben.". Also das war plötzlich ganz wichtig, obwohl der Song doch auf einem Bibelspruch (Jesaja 24, 1-6) basierte, den sie einfach politisch für sich ausgelegt haben. Auf einmal waren wir die Guten. Die ganz Guten. Das war schon bemerkenswert. Aber das, was danach passierte, hat uns völlig überrascht.

 

Aus heutiger Sicht betrachtet ist "Der blaue Planet" sicherlich DIE gesamtdeutsche Platte schlechthin. Würdest du uns da zustimmen?
Das kann ich nicht beurteilen, in den letzten fünfzehn Jahren habe ich davon jedenfalls nicht viel gehört. Es scheint uns ja nie gegeben zu haben. Das wird mehr oder weniger alles totgeschwiegen, hier bei uns hat ja nichts stattgefunden. Gut, letztes Jahr waren diese DDR-Rückblicke in Mode, da kam noch ein bißchen was, aber wenn man sich jetzt andere, allgemeinere Rückblicke ansieht, wie "50 Jahre Rock" mit Thomas Gottschalk: Da taucht ja nicht ein einziger Ostkünstler auf, gar keiner! Ach doch, die Puhdys waren dabei, aber ganz schlecht. Da wurde der Sound verdreht, die wurden ganz ganz schlecht präsentiert, was sie gar nicht verdient haben! Mir hat es leid getan, daß sie so verheizt wurden ... Aber im Großen und Ganzen hat es uns nicht gegeben und deshalb kann ich die Frage auch nicht beantworten. Bürger aus den alten Bundesländern schätzen das anders ein oder kennen es gar nicht. Bezieht man die Frage auf die damalige Zeit, ist da vielleicht was dran, das hat sich nicht zuletzt darin geäußert, daß wir in der ZDF-Hitparade aufgetreten sind. Da fällt mir eine nette Geschichte ein: Dieter-Thomas Heck hatte vergessen, unseren Konzerttermin in der Waldbühne mit anzusagen. Da habe ich so bei mir gedacht: ‚Typisch! Das vergißt er einfach ...' und habe ihm den Termin nochmal zugeflüstert. Er erinnerte sich sofort wieder und hat die Sache noch ganz toll verpackt. In der Sendung stand neben ihm immer ein Telefon, für den Fall, daß alles zusammenbricht oder so. Jedenfalls hat Herr Heck dann so getan, als ob ihn jemand anriefe: "Ja, hier ist Heck. Ach so, sie wollen wissen, wann Karat auf der Waldbühne spielt?" und hat das Datum bekanntgegeben. Mit einem Geistesblitz hat er den Fehler sofort ausgebügelt und ich dachte: ‚Oooh, der Typ hat's aber wirklich drauf!'

 

Was bedeutet es dir persönlich, an diesem legendären Album beteiligt gewesen zu sein?
Naja, was soll ich sagen ... ich habe meine von Ed vorgegebene Stimme gespielt. Das war eine ungeschriebene Abmachung zwischen uns: Daß er sich musikalisch verwirklichen kann, während ich mich um das ganze Drumherum kümmere, was ich im Nachhinein ein bißchen bedauere. Immerhin habe ich ja Komposition studiert und hätte auch den einen oder anderen Einfall einbringen können. So war ich eben nicht schöpferisch beteiligt. Einen oder zwei Songs hätte ich schon gerne beigesteuert und so vielleicht noch mehr Zugehörigkeitsgefühl gehabt. Das heißt aber nicht, daß ich nicht stolz darauf bin! Immerhin war es ja ein gemeinsamer Arbeitsprozeß bei AMIGA, der übrigens auch etwas anders war, als man sich das gemeinhin vorstellt. Wir hatten immer Vier-Stunden-Termine, manchmal auch einen Doppeltermin. Wenn der vorbei war, hat die Gewerkschaft die Türen geschlossen. Oder der Tonmeister war mal verhindert und AMIGA hat einfach einen anderen eingeteilt. Da saß also plötzlich jemand am Mischpult, den wir gar nicht kannten und der nicht wußte, was wir eigentlich wollen. Heute wäre das unvorstellbar ... Und wenn man diese ganzen Umstände bedenkt und was am Ende dabei herausgekommen ist - dann kann man wirklich stolz drauf sein! Und was wir nebenbei auch immer noch erlebt haben ... da fehlte eben mal ein Effektgerät oder ein Instrument, das wir schnell noch besorgen mußten. Man konnte sich nie richtig auf den künstlerischen Part konzentrieren, sondern war ständig mit allem möglichen beschäftigt.

 

Hast du seinerzeit je das Gefühl gehabt, in der Gefahr zu stehen, die Bodenhaftung zu verlieren?
Nein, nie! Dafür bin ich gar nicht der Typ ...

 

Die Folgeplatte "Die sieben Wunder der Welt" war im Vergleich gesehen weit weniger fröhlich und positiv gestimmt. Gab es dafür bestimmte Gründe? Inwiefern drückt das Album die damalige Stimmung in der Band aus?
Zum einen war das Autorenteam Swillms/Kaiser noch enger zusammengewachsen, nicht zuletzt auch durch den Erfolg, was ja eine schöne Sache ist. Die beiden haben das gewissermaßen miteinander ausgebrütet und die Band hat es umgesetzt. Natürlich war Ed auch schon beim "Blauen Planeten" federführend gewesen, doch da kam noch etwas mehr das Lebensgefühl und die positive Bandstimmung zum Ausdruck, die zu Zeiten von "Die sieben Wunder der Welt" schon ein bißchen gelitten hatte. Vielleicht machten sich aber auch schon die ersten Verschleißerscheinungen bemerkbar, die sich später dann fortsetzten und immer deutlicher wurden bis zu dem Punkt, an dem es für mich nicht mehr weiterging.

 

Nach der folgenden Tour und der Live-LP hast du Karat dann ja auch verlassen. Was waren die Gründe?
Das hatte verschiedene Ursachen. Bei Karat lagen viele unterschiedliche Dinge in meiner Verantwortung, das ging von der Gestaltung der Autogrammkarten über Dienstpläne schreiben, Hotels bestellen, Steuerabrechnung machen bis hin zur Organisation von Fototerminen und so weiter und so fort. Wenn man viel macht, geht natürlich auch mal etwas schief, aber im Laufe der Zeit hatte ich immer mehr das Gefühl, daß meine Arbeit immer weniger gewürdigt wurde, während Ed Swillms eine ungleich höhere Wertschätzung erfuhr. Ich hatte stets mein bestes gegeben, habe die Band zusammengehalten und kulturpolitisch auf die richtigen Wege geführt (was nicht immer einfach war), habe mich mit allen organisatorischen Problemen herumgeschlagen und fühlte mich zunehmend ungerecht behandelt, wenn an irgendwelchen Kleinigkeiten, die ich für selbstverständlich hielt, gezweifelt und herumdiskutiert wurde. Das ging so weit, daß ich schließlich ständig Beruhigungspillen geschluckt habe. Da war ich gerade mal vierzig Jahre alt. Und so kam ich an den Punkt, wo mir das alles über den Kopf wuchs und ich mir sagte: ‚Das kann so nicht weitergehen, es gibt noch ein Leben ohne die Band.' Außerdem war ich dann schon auch ein bißchen bockig, so nach dem Motto: ‚Wollen doch mal sehen, wie ihr ohne mich klarkommt!' Ich muß jedoch zugeben, daß ich die Wertigkeit der Karat-Musik unterschätzt habe und war ziemlich überrascht, daß sich der Kahn auch weiterhin über Wasser hielt. Mir war nicht bewußt, wie sehr die Band von den großartigen Songs getragen wird, die immer ihr Publikum haben bzw. finden werden, damals wie heute. Damit wir uns nicht mißverstehen: Ich gönne den Kollegen das von Herzen! Doch im gleichen Atemzug bereue ich nicht, die Gruppe verlassen zu haben. Freilich, wenn man gewußt hätte, daß nach ein paar Jahren die politische Wende kommt, wäre es, rein geschäftlich gesehen, schon interessant gewesen, die Sache weiterzuführen aber zum Glück zählt im Leben nicht nur der Kommerz. Es geht auch um das eigene Wohlbefinden und da ich nach meinem Ausstieg bei Lift Ende 2000 wieder zu meinen ureigenen musikalischen Wurzeln zurückgefunden habe, bin ich auch froh, daß es so gekommen ist.

 

Was hast du nach deinem Weggang von Karat gemacht?
Ich war erstmal sauer, mit mir und der Welt uneins und habe etwas getan, was ich heute überhaupt nicht mehr verstehen kann: Ich habe den Baß nicht ausgepackt, ihn 6½ Jahre nicht mehr angerührt!

 

Und stattdessen?
Ich habe Barakowski gemanaged und im Auftrag von AMIGA eine Platte produziert, verschiedene andere junge Leute gefördert, Mentorenverträge gemacht, irgendwelche Tourneen für verschiedene Bands zusammengestellt (z.B. durch Rußland) und was weiß ich noch alles ... Kurz gesagt: Ich habe als Manager gearbeitet.

 

Wie hast du die Wende erlebt?
Vor dem Fernseher ...

 

Mit welchen Eindrücken?
Naja, schwer zu sagen. Ich dachte mir: ‚Erstmal abwarten.' Es ist ja klar, wir sind jahrelang durch die Gegend gekurvt, da sagt man nicht: "Mein Gott, jetzt kann ich da rüber!" Die Mauer hatte für mich sowieso ein Loch. Aber da fällt mir ein: Nachdem ich von Karat weg war, schien das kurioserweise plötzlich geschlossen zu sein. Der Mohr hatte seine Schuldigkeit getan und das Ministerium und das ZK erinnerten sich meiner kaum. Das war auch sehr aufschlußreich für mich! Ich hatte einen Termin auf der Frankfurter Musikmesse und wollte dort für die DDR Gitarrensaiten einkaufen, damit die Musiker hier ein paar gute Saiten haben, aber da wollten sie mir keinen Paß geben und mich nicht fahren lassen. Fand ich sehr interessant. Ich habe es aber doch geschafft, weil ich an Dr. Kurt Hager im ZK geschrieben habe, ob denn diese Verhaltensweise anständig wäre, zumal ich mich ja nur für unsere gemeinsame Sache ein bißchen in Szene setzen wollte. Nach vierzehn Tagen durfte ich dann doch wieder rüber, hahaha ... schon kurios, nicht wahr?

 

Allerdings, obwohl man sich über derartiges nicht wirklich zu wundern vermag, wenn man Bürger der DDR war ... doch zurück zum Thema. Wir meinen, daß es ja gerade interessant wäre zu erfahren, wie jemand mit deinem Hintergrund die Sache damals gesehen hat: die Protestbewegung, den Umsturz und das, worauf alles letztlich hinauslief.
Schade, daß es nicht anders ausgegangen ist, kann ich dazu nur sagen. Irgendwie hat der Krause beim Einigungsvertrag Mist gebaut. Das ist meine Meinung. Es war klar, daß es mit der DDR nicht so weitergehen konnte, die Seifenblase war geplatzt. Ich kann gut verstehen, warum die Leute protestiert und die Wende herbeigeführt haben. Aber ob sich unsere Leipziger Helden das alles so vorgestellt haben, wie es jetzt ist? Man hätte ja nicht gleich alles über Bord werfen müssen. Unser Bildungssystem war nicht das Schlechteste, die Sportförderung ebenfalls - man sieht ja, was jetzt auf dem Gebiet los ist. Oder die Vorsorge für die Menschen ... alles erstmal weg. Das macht mich nachdenklich. Wenn man von den positiven Seiten, die ja ohne jeden Zweifel da waren, manches gerettet hätte, würde ich sagen: "Gott sei Dank ist es so gekommen, wie es gekommen ist!" Wobei es ein wahres Wunder war, daß alles so friedlich verlaufen ist, das halte ich für einmalig und nicht wiederholbar. Absolut großartig!

 

In den Neunziger Jahren warst du dann bei Lift. Wie kam es dazu und wie sah deine Rolle in dieser Band aus? Und warum hast du dein Engagement bei dieser Gruppe wieder beendet?
Werther Lohse (Sänger von Lift - Anm.d.Verf.) ist ein alter Bekannter von mir und auch ein guter Freund. Er wollte nach der Wende mit Lift wieder anfangen und hat mich darauf angesprochen. Und da ich die Songs dieser Gruppe schon immer gemocht habe, war ich gerne dabei. Lieder wie "Jeden Abend", "Am Abend mancher Tage", "Nach Süden", "Tagesreise", "Wasser und Wein" usw. sind meiner Meinung nach mit den großartigen Songs von Karat oder Karussell absolut gleichzusetzen und ganz großes DDR-Kulturerbe. Leider hatte Lift nie das Glück, das wir mit Karat hatten ... Jedenfalls haben wir dann 1992 angefangen und ich war der Bassist von Lift. Einfach nur Musiker. Ausgestiegen bin ich, weil sich alles irgendwie im Kreis drehte, ohne daß wir von der Stelle kamen. Und dann ist es auch so: Auf Dauer ist es unbefriedigend, nur ausführendes Werkzeug zu sein, wenn man einen eigenen Kopf zum Denken besitzt. Ich hätte mir in der Bandpolitik vieles anders vorstellen können und habe das auch gesagt. Aber meine Vorstellungen wurden aus den verschiedensten Gründen nicht berücksichtigt. Das lief jedoch alles ganz freundschaftlich ab, also nicht etwa in Streit oder gar Bosheit. Man vergleicht aber irgendwann doch, wo man als Rockmusiker mal gestanden hat und auf welcher Ebene man sich mittlerweile bewegt. Dazu kommt noch, daß man älter wird und sich nach seinen Wurzeln sehnt. Ich wollte wieder zurück zum Blues, zum Swing. Ich bin während der Swing-Zeit großgeworden, auch durch meine Schule, mein Studium. Das habe ich vermißt und wollte es wieder spielen, zu meiner eigenen Erbauung. Und das ist auch sehr, sehr gut gelungen! Insofern war auch das eine richtige Entscheidung.

 

Was hat es mit deiner derzeitigen Beschäftigung "Jazzin' the Blues" auf sich?
Wir spielen einfach die Musik, die in uns drin ist, die wir fühlen. Wir, das sind mein Kollege Wolfgang "Zicke" Schneider, mit dem ich vor vielen Jahren schon bei Günther Fischer gespielt habe, der Pianist Matthias Hessel und ich. Zicke und ich waren 1974 in der Schweiz und haben auch Manfred Krug auf einer langen Tournee durch Polen begleitet. Mit dem Jazz habe ich schon immer nebenbei geliebäugelt und ihn auch gespielt und zwar diesen swingenden, freundlichen Mainstream-Jazz. Manchmal nenne ich es auch "Party-Jazz", um die Vorurteile schon im Vorfeld etwas zu entkräften, die der Begriff "Jazz" bei vielen Leuten hervorruft, die sich darunter irgendwelche Chaotenmusik vorstellen. Unser Jazz ist der der End-Sechziger und Früh-Siebziger. Er ist soulig, bluesig und swingt sich freundlich aus. Wir verehren die Pianisten Oskar Peterson und Ramsey Lewis und vor allem Ray Charles, der vor kurzem erst gestorben ist. Mittlerweile hat sich auch herumgesprochen, worum es bei uns geht, welche Musik wir machen und welche Solisten wir begleiten: Manfred Krug, Uschi Brüning, Angelika Weiz u.a. Zu unserer Blue Summer Night kommen mittlerweile auch viele Leute, die nicht unbedingt Jazz-Fans sind, weil sie wissen: Da gibt es gute Musik, eine nette Atmosphäre. Und es ist schön, daß die Menschen deswegen da sind.

 

Welche Pläne hast du für die Zukunft?
Gesund zu bleiben (Ein paar Wehwehchen sind zwar da, aber die hat wohl jeder ...) und das, was ich zur Zeit mache, noch möglichst lange und mit steigender Qualität und Freude fortzuführen. Vielleicht noch ein paar Auftritte mit Manfred Krug, die immer wieder ein Erlebnis sind, weil er ein toller Entertainer ist. Außerdem freue ich mich schon sehr auf unsere Live-CD, die wir bei der Blue Summer Night mitgeschnitten haben und die hoffentlich noch in diesem Jahr erscheint. 

 

Was bedeutet dir deine Karat-Vergangenheit aus heutiger Sicht?
Viel! Ich wollte eine Top-Band führen und habe es geschafft. Natürlich mit Hilfe der großen Lieder von Ed, das sage ich immer dazu, denn das war die Basis des Erfolges. Man ist dadurch viel herumgekommen, war erfolgreich und konnte Ost und West zu einer Zeit kennenlernen, in der das nicht üblich war. Obwohl ich dazusagen muß, daß es sich oftmals nur um den Weg von der Autobahn zur Veranstaltungshalle und von dort zum Hotel "Garni" handelte, wo die Lichter aus waren und die Heizung kalt. Aber man war doch beweglich und hat seinen Gesichtskreis in ganz Europa erweitern können. Und überhaupt mal in einer so großen Band gespielt zu haben - das waren elf Jahre, über ein Viertel meiner 40jährigen Laufbahn. Und es waren die wichtigsten für mich, in jeder Beziehung.

 

Woran erinnerst du dich besonders gerne, wenn du an diese Zeit zurückdenkst?
Oh, schwierige Frage ... vielleicht die Tournee durch Kuba, diese vier Wochen im Jahre 1985. Da habe ich Menschen kennengelernt mit einer Mentalität, von der wir Deutschen uns eine Scheibe abschneiden könnten. Die sind so freundlich und liebenswert, dazu das Klima und die Begeisterung für die Musik - diese Eindrücke vergißt man nie.

 

Hast du einen Karat-Lieblingssong?
Viele. Sehr viele. "König der Welt" liegt mit ganz vorne. Da kann ich noch eine kuriose Geschichte erzählen: Als ich von Karat weg war, habe ich das noch anders empfunden als heute mit dem großen Abstand. So etwas macht man ja nicht alle Tage, das war schon ein Einschnitt in meinem Leben. Da habe ich manchmal geträumt, ich komme zu spät zum Konzert zur Waldbühne. Ich und zu spät kommen! Keine Ahnung, wie so ein Traum zustandekommt ... Und dann habe ich die Baßstimme von "König der Welt" geträumt. Nur die Baßstimme! Weil das eine so geniale Stimme ist, die Ed damals Note für Note aufgeschrieben hat und die ich auswendig gelernt und nachgespielt habe. Ich sage das voller Ehrfurcht vor dem großen Meister, denn besser hätte man sie als Bassist nicht erfinden können! Und die habe ich dann oft geträumt, völlig verrückt ...
Aber auch Lieder wie "Falscher Glanz", die so zart dahinfließen, oder "Gewitterregen", was einem wie ein Reggae vorkommt aber ein 7/8 Stück ist ... da gibt es viele geniale Songs, die nie die großen Hits geworden aber dennoch wunderschön sind und die man immer wieder hören kann. Und die auch immer wieder von jungen Menschen neu entdeckt werden! 

 

Hattest bzw. hast du musikalische Vorbilder oder Idole? Wenn ja, welche?
Allen voran Ray Charles, dem wir die Soul-Musik verdanken.

 

Und wie sieht dein persönlicher Musikgeschmack aus?
Ich bin wieder beim Jazz angekommen, was sich auch in dem wiederfindet, was ich so höre und was ich an CDs im Auto habe. Zum Beispiel Oskar Peterson Klaviertrio liebe ich sehr, weil es so eine klare, reine Musik ist, erholsam für mich. Ich höre sie auch oftmals nachts, nachdem ich den ganzen Tag die Hitparaden und die aggressive Werbung im Radio mitbekommen habe. Da ist es entspannend, der klaren Melodieführung des Klaviertrios oder der Stimme von Ray Charles zu lauschen.
Es gibt auch eine CD von Rod Stewart, auf der er amerikanische Jazz-Standards singt. Das ist eine ganz interessante Sache! Dieser Rocksänger mit seiner kratzenden Stimme singt die alten schönen Songs. Sowas zu hören, baut mich auf. Das heißt freilich nicht, daß ich mich für Rockmusik überhaupt nicht mehr erwärmen kann. Letztens erst habe ich eine DVD von Peter Gabriel gesehen, der Mann ist wirklich beeindruckend. Er sieht zwar aus wie sein eigener Großvater, hat aber mehr zu sagen denn je! Allein schon, wenn er auf der Bühne erscheint, kommt etwas rüber, das man nicht mit Worten erfassen kann. So etwas geht an mir nicht spurlos vorbei. Auch Sting oder Grönemeyer finde ich bedeutend.

 

Wir danken für das Gespräch!
War mir eine Ehre. Es überrascht mich zwar, daß es noch ein so großes Interesse an mir gibt, habe mich dem aber sehr gerne gestellt und hoffe, daß die Besucher von "Jede-Stunde" ein bißchen Freude dran haben werden.

 

Interview: Redaktion jede-stunde.de
(September 2004)


   
   
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