000 20210104 2050244911


uesc 20210104 1647383008
Interview vom 3. Januar 2021



AMOR & DIE KIDS war eine dieser frechen Rockbands, die ab Mitte der 80er in der DDR-Rockszene mächtig viel Staub aufwirbelten. Einige der alten Rockgruppen aus den 70ern waren inzwischen im Pop-Bereich angekommen, da bedienten Frank Schüller alias "Amor" und seine jungen Mitstreiter das junge und ältere Publikum gleichermaßen mit feinster Rock-Musik, die mit direkt auf den Punkt landenden Texten verbunden wurden. Interessant daran war, dass "Amor" vom Alter her selbst in einer dieser 70er Bands hätte spielen und damals schon erfolgreich sein können.001 20210104 1961012296 Stattdessen war er nun im "fortgeschrittenen" Alter Frontmann einer Formation, die überwiegend die Jugend ansprach und selbst jugendlich drauf war. Auf ihrem Weg nach oben kam die Wende. Die veränderten Voraussetzungen für Musiker in der DDR stoppten diesen Aufstieg und ließen AMOR & DIE KIDS für einig Zeit arbeitslos werden. Wie es nach der Wende weiterging, wie die Chancen stehen, diese Formation nochmals auf einer Bühne erleben zu dürfen und was "Amor" heute so macht, haben wir mal direkt beim Künstler nachgefragt. Unser Kollege Christian traf dabei auf einen freundlichen und offenen Musiker, den man nur mal leicht anpieken musste, damit er wie ein Wasserfall über alte Zeiten und neue Vorhaben plauderte ...




Frank, Du hast in jungen Jahren ja scheinbar sehr viele Verliebte zu Paaren gemacht oder woher stammt Dein Spitzname "Amor"?
Das hat mit dem Liebesgott eigentlich gar nichts zu tun. Es hängt damit zusammen, dass es, als wir die Kapelle AMOR & DIE KIDS gründeten, nichts anderes zu trinken gab, als diesen berühmten Ost-Wermut "Amor", dem wir dann auch zugesprochen hatten. Damit hatte ich meinen Spitznamen weg. Es ist also ein Wermut, den es im Osten gab. Ich habe heute noch eine Flasche, die mir irgendwann mal ein Fan zu einem Jubiläum schenkte … (lacht). Es hat also nichts mit dem Liebesgott zu tun.

Okay. Du gabst dieser Band auch den Namen … Du nanntest ihn gerade schon, nämlich AMOR & DIE KIDS. Als Musiker bist Du ja nicht vom Himmel gefallen, wo kommst Du eigentlich her und wann hast Du das Licht der Welt erblickt?
Ich bin geboren im Jahr 1952, bin also schon ein altes Semester, ein alter Rocker - so heißt übrigens auch einer meiner Titel (lacht). Geboren wurde ich in Weimar. Ich besuchte die normale Oberschule, was neudeutsch das Gymnasium ist. Zu dieser Zeit begann durch meinen Cousin in Westberlin meine Musikaffinität. Er brachte heimlich Platten mit, wenn sie uns anlässlich der Leipziger Messe besuchten. Dann war diese oder jene BEATLES- oder STONES-Single dabei und da hatte es bei mir mit 13 oder 14 Jahren geknallt. Dann war ein bisschen Ruhe, es gab lediglich mal eine Schulkapelle, mit der wir aber mehr übten, als auftraten.

Du hattest gerade erzählt, dass Du übers Plattenhören zur Musik gekommen bist. Auch zum Instrument? Welches Instrument wähltest Du denn aus und wie erlerntest Du es? Mit Unterricht oder autodidaktisch?
Das Instrument, was mir ausgewählt wurde, war ein schnödes Klavier. Das stand bei uns zu Hause. Mit sieben oder acht Jahren bekam ich Unterricht von einer klassischen Klavierlehrerin, einer älteren Dame, die mir Musiktheorie und das Spiel von der Pike auf beibrachte. Das lernte ich also einige Jahre, aber ohne auf eine Musikschule zu gehen. Das heißt, ich konnte dann - na ja - leidlich Klavier spielen. Parallel dazu gab es dann diese anderen musikalischen Einflüsse. Wenn man im Musikunterricht saß und konnte in der Pause vorher einen BEATLES-Song spielen, war man natürlich der ungekrönte König. Konnte also jemand "Yesterday" auf dem Klavier spielen, waren alle begeistert. Dadurch kamen dann auch die Improvisationen, aber man hatte natürlich die Musiktheorie, die übrigens sehr wichtig war oder ist.002 20210104 1466170044 Davon zehre ich noch heute. Das Klavier spielte dann immer mal noch eine Rolle, später war ich ja Frontmann und drückte nur selten die Tasten, da wir auch Keyboarder hatten. Heute gelegentlich mal im Studio, aber ansonsten hatte ich das nicht mehr im Sinn.

Wann hattest Du den ersten Kontakt mit einer Band? Bist Du als Musiker irgendwo eingestiegen oder hast Du gleich sofort Deine eigene Band gegründet?
Nein, an der Verkehrshochschule gründete sich Anfang der 70er Jahre eine Band, die nannte sich TSO, das "Tanz- und Schauorchester". Es war ein ironischer Name und es war eigentlich eine Beatband. Da spielten verschiedene Kommilitonen, also alles Autodidakten. Bass, Schlagzeug, mehrere Gitarren etc. und diese Band trat vornehmlich zu Faschingsveranstaltungen auf. Der Fasching war in diesen Zeiten eine Art Ventil. Das ging dann über mehrere Wochen von November bis Februar und wir gastierten mit dem "Tans- und Schauorchester" an den verschiedensten Hochschulen. Da wurde alles gespielt, was Beat-Musik war. Und zwar 100 Prozent West, kann ich jetzt sagen. Es war ja damals im Osten stets das Problem, dass man 60/40 spielen musste, aber dadurch, dass wir eine Art Kabarett-Band waren, benötigten wir keine Einstufung. Wir waren ein Ensemble, welches eben zum Karneval aufgetreten ist. Völlig verrückt, das kann sich im Westen niemand vorstellen, aber hier war das so. Wir hatten damit ziemlich großen Erfolg und sogar eine - heute würde man sagen - richtige Fanbase, die dann auch stets zu den so genannten Konzerten kam. Die Veranstaltungen in den verschiedenen Mensen gingen stundenlang und dort ging es immer hoch her. Das war mein erster Kontakt und das ging bis in die 80er Jahre weiter, bis ich die anderen Kollegen traf.

 
Das war ja schon zu Studienzeiten, während der Schulzeit also noch nicht?
Da gab es mal eine Schülerband, aber das ist unbedeutend.

Du sprachst gerade von einem Studium, was Du einschlugst. Du hast also erst einen anderen Beruf erlernt?
Ich bin von Hause aus Ingenieur, diese Ausbildung schloss ich auch ab. Ich arbeitete eine ganze Weile bei der Post als Planer für vermittlungstechnische Anlagen. Nebenbei machte ich als Amateur Musik, es waren also keine Berufsbands.

Das ist ja ziemlich kurios, denn ab 1985 warst Du dann ja ein Profi …
Da noch nicht ganz, das war ein bisschen später. Diese Kollegen, die damals SÜD.ROCK hießen, also Tobias Künzel, Mario Rostenbeck und Dirk Posner, spielten auch zu diesen Faschingsveranstaltungen. Sie spielten auf einer anderen Etage, kamen zu uns hoch und dort steppte der Bär. Die Leute waren völlig aus dem Häuschen. Die Kollegen wunderten sich, weil bei ihnen nicht so viel los war, als sie spielten. Sie sprachen mich dann an: "Du bist doch aus Leipzig, hast Du nicht Lust, mal bei uns mitzumachen?" Ich überlegte dann ein paar Tage und dann war der Entschluss klar und das war 1985. Ich war eben 10 oder 12 Jahre älter …

003 20210104 1926306303Dieses AMOR & DIE KIDS war dann ja praktisch ein Programm. Du warst "Amor" - der Ältere - und die anderen Jungs waren noch ziemlich jung und somit die KIDS …
Es war also genau umgekehrt, als es bei anderen Bands gewöhnlich ist, dass sie altern und sich junge Sänger holen. Hier war es genau das andere Programm und das war auch das Interessante, weil sie musikalisch anders drauf waren und schon fast einer anderen Generation entstammten. Die Musikauffassungen waren ähnlich und wir rauften uns zusammen. Das war das Spannende an dieser Geschichte. Zum Beginn haben wir ausschließlich gecovert, zum Tanz gespielt, um zu testen, wie es überhaupt gehen könnte. Und es ging. Dann kam 1985 die Idee, "Lasst uns mal was Eigenes machen." Ich hatte Songs im Köcher, Tobias Künzel und andere auch und dann machten wir die ersten eigenen Songs.

Du sagtest gerade, Ihr habt im Backstage-Bereich gesessen und darüber gefachsimpelt, wie man sich zusammen tun kann. Welche Idee steckte denn dahinter, welche Ziele hattet Ihr? Ihr wart beide Karneval-Bands, die just for fun spielten …
Im Osten gab es die so genannte Jugendtanzmusik und SÜD-ROCK waren eine Jugendtanzband. Wir spielten eigentlich immer nur zum Karneval und ein wenig darüber hinaus. Das ergab sich, weil uns Leute buchten und uns baten, mal hier oder dort zu spielen. Der Karnevalsgedanke war eigentlich nur der Vorwand, Rock'n'Roll-mäßig abgehen und West-Musik spielen zu können. Da konnte uns niemand an die Karre pissen, weil wir ja quasi persiflierten. Das ist für jemanden, der dieser Kultur nicht entstammt, vielleicht schwer zu verstehen. Es war für uns also eine Art Transmissionsriemen und die sahen das, meinten "Der Alte geht ja ab …", also machen wir mal … Nach Probieren und Diskussionen war die Zielrichtung ganz klar, dass wir ein eigenes Programm - ich war immer ein Freund des deutschen Textes - mit eigenen deutschen Texten machen wollten. Nachdem wir jahrelang englisch coverten, wollten wir also etwas anderes machen.

Wie kann man sich denn diese Anfangszeit vorstellen? Das sind alles junge Burschen, Du bist 12 Jahre älter. Habt Ihr Euch gleich in den Keller gesetzt und angefangen, zu feilen oder ging es über Entfernungen? Wie lief das ab?
Man traf sich. Wir hatten also einen kleinen Proberaum. Mario war Hausmeister in einem Kindergarten und dort konnten wir uns nach Kindergartenschluss in einem größeren Raum treffen, brachten ein paar Instrumente mit und haben dort geprobt. In der Regel brauchten wir nicht viel. Kleine Kofferverstärker, Tobias trommelte auf einem Pseudo-Schlagzeug und wir machten keinen großen Lärm. Das brauchten wir nicht, denn wir hatten genügend Vorstellungsvermögen, machten dann später aber natürlich auch so genannte Saalproben mit den Technikern. Das heißt, unsere ersten Proben waren immer Zimmermusik-Veranstaltungen. Auch zwischendurch, wenn wir an den Texten und den Satzgesängen gefeilt haben. Tobias und Dirk sind ja gelernte Thomaner, Mario ist auch Sänger, so dass wir immer einen mehrstimmigen und auch vierstimmigen Satzgesang im Background hatten. Das war eigentlich das Markenzeichen und das kannst du besser proben, wenn du keinen Lärm um die Ohren hast. Tobias und Dirk waren durch die Thomaner besonders geschult und wussten genau, wie wir üben und die Sätze zusammenbauen mussten. Wir nannten es immer "Trockenproben" und auf diese Art hatten wir die ersten eigenen Titel zusammengeschustert, dann wurden Saalproben mit den Instrumenten gemacht und dann ließen wir es auf die Menschheit los.004 20210104 1671086787 Dieses Mischprogramm aus gecoverten und eigenen Stücken hatte eigentlich recht guten Erfolg und diese Tatsache spornte uns an, mehr eigene Sachen zu machen. Dann erst kam die Sache, so Ende 1985/Anfang 1986, dass wir im Osten eine Einstufung brauchten, um öffentlich spielen zu können. Es war also immer alles unter Kontrolle.

Diese Kommission bestand nicht selten auch aus Kollegen, oder?
Die Leute, die das machten, waren meistens auch Musikanten oder Musikschulleute gewesen und waren in den 80er Jahren eigentlich schon recht locker und meinten: "Jungs, macht mal. Nur nicht so dolle, aber macht mal …" Die fanden uns dann interessant und delegierten uns zu einer Bezirkswerkstatt. In jedem Bezirk wurden also Bezirksmusikwerkstätten durchgeführt, das waren die Ausscheide und die konnte man gewinnen oder auch verlieren. Wir gewannen und wurden somit zum DDR-Ausscheid delegiert. Das war die "12. Zentrale Leistungsschau der Amateurtanzmusiker 1986" in Erfurt. Dort trafen wir andere Kollegen, zum Beispiel CHICORÉE mit Dirk Zöllner und wir gewannen mit unseren eigenen Titeln dort wieder einen Preis, nämlich den Preis der Sektion Rock beim Komitee für Unterhaltungskunst, weil die Musik für die Leute auch etwas ausgefallen war. Dieser Preis war dann tatsächlich die erste Rundfunkproduktion. Das heißt, es ging innerhalb weniger Monate ziemlich zügig.

Was war die erste Rundfunkproduktion?
Die erste Rundfunkproduktion war "Amor & die Kids", also der Opener unserer Konzerte und gleich noch das "Wunderkind" dazu. Das waren die ersten beiden Sachen, die produzierten wir in Quadenschönfeld bei Sieghart Schubert (SCHUBERT BAND).

Tobias Künzel und Du waren ja hauptsächlich für die Kompositionen und Texte zuständig. Hattet Ihr die schon von Euren alten Bands mitgebracht, habt Ihr Euch da abgesprochen, feilte jeder für sich im stillen Kämmerlein oder wie sind diese Stücke entstanden?
Wir hatten beide etwas mit dabei und diese Sachen wurden zur Probe mitgebracht. Diese Sachen waren so fertig, dass man die Melodien und Harmonien hatte und dann wurde gemeinsam daran gearbeitet. "Ist es überhaupt gut, wo müssen wir etwas ändern?" Es waren also relativ fertige Sachen, die jeder mitbrachte. Oder Tobias und ich saßen zusammen, um gemeinsam einen Text zu schreiben, zum Beispiel "Wir machen es im Wald". Da feilten wir dann so lange dran herum, bis Text samt Melodie fertig war. Meistens hatte Tobias auch schon die Melodien parat. Bei "Komm doch mit" kam er eines Tages einfach damit an und dann machten wir das. So war der Arbeitsprozess, jeder hat schon weit vorgearbeitet und die anderen haben entweder genickt oder sagten:005 20210104 1828158458 "Nein, das ist Scheiße". Ich glaube, das ist in jeder Band anders. Die einen hocken stundenlang in Sessions, das haben wir so nie zelebriert. Die Sessions nutzten wir, um die fertigen Titel auszufeilen.

Grundarbeit im Kämmerlein und dann gemeinsam ausarbeiten …
Ja, genau so könnte man es beschreiben.

Kommen wir noch mal zurück zum Studio. Erinnerst Du Dich noch an die Produktion dieser ersten beiden Lieder? Es heißt ja immer, die jungen Bands und Solisten in der DDR hätten nur wenig Zeit eingeräumt bekommen, um beim Rundfunk oder bei AMIGA ihre Sachen einzuspielen, weil die großen Bands mehr Zeit im Studio hatten. Stimmt das so, lief das bei Euch auch so ab?
Das kann ich schwer beurteilen. Ich weiß natürlich von anderen Bands, dass die oft wochenlang Studios, zum Beispiel in der Berliner Brunnenstraße, gebucht hatten. Wenn ich mich recht erinnere, hatten wir für diese beiden Titel drei oder vier Tage Zeit. Wir fuhren also mit unserem Techniker nach Quadenschönfeld, bezogen unser Quartier in einer wunderbar ausgebauten Scheune und dann ging es auch gleich los. Da die Sachen bereits alle eingeprobt waren, dauerte es bei uns nicht all zu lange. Natürlich wurde entsprechend gefeilt, noch mal Singen usw. Früher wurde ja alles analog gemacht, Computer gab es keine. Das heißt, es wurde also so lange gespielt, bis es passte. Wobei die Titel soweit vorbereitet waren, dass wir das relativ zügig eingespielt hatten. Dann kam das Übliche, also das Mischen usw. Ich kann also nicht sagen, dass wir da wirklich Zeitdruck hatten. Die LP hat schon ein bisschen länger gedauert, ich denke so circa 14 Tage oder drei Wochen. Da war auch immer mal ein Tag frei, weil das Studio anderweitig belegt war und dann ging es mit dem nächsten Song weiter. Direkten Zeitdruck hatten wir also nicht. Die großen Bands, wenn sie ihre Alben machten, feilten schon wochenlang an ihnen herum, das war schon so.

In dem Falle wart Ihr in Quadenschönfeld und nicht bei AMIGA in der Brunnenstraße. Das ist ja ein Ort, an dem andere Urlaub machen. Der Farmlandhof von Sieghart Schubert liegt superschön im Grünen. Erinnerst Du Dich noch an diese Aufnahmesession, war das etwas Besonderes für Euch?
Ja, ziemlich gut sogar (lacht). Das war alles sehr locker und Sieghart ist ja auch ein super Typ. Er nahm uns die Aufregung und seine Frau Katrin (Lindner, Anm. d. Red.)"bemuttelte" uns alle, das war also alles easy. Abends wurde dann auch mal gefeiert und da gab es dann auch einen Session-Titel "Schwappschubiduha", den hatten wir mal schnell geschaffen und auch aufgenommen. Der Titel lief sogar mal im Radio. Produzent war übrigens Lutz Bertram und er brachte die Titel dann auch gleich bei DT64 ins Radio und in die Hitparaden. Das war ein großer Vorteil und die Zeit bei Schubi war superklasse. Ich stehe mit Schubi noch lose über Facebook in Verbindung, auch mit seinem Sohn Moritz, der damals 15 war und bereits trommelte.006 20210104 1558741092 Er trommelte damals auch eine Nacht-Session mit und da ging es munter zu … Leider habe ich diesen Song nicht mehr, aber er müsste im Rundfunkarchiv liegen (lacht). Sogar Katrin sang mit …

Moritz Schubert war übrigens auch bei CHICORÉE …
Ja, genau … Momentan spielt er in der INKA-Begleitband und ein paar andere Sachen.

Ab wann hattet Ihr denn gemerkt, dass Eure Musik im Land gut ankam und von den Leuten auch gehört wurde? So etwas wie Media Control gab es in der DDR ja nicht. Wie bekamt Ihr die Infos, dass die Leute auf Eure Musik so abgingen?
Ganz konkret wurde es bei den ersten Fernsehproduktionen, wo zum Beispiel "Wunderkind" als Video bei "STOP! ROCK" lief. Da merkte man an der Fanpost, die bei Mario - er war Kapellenbeauftragter für Fanpost und Abrechnungen - ankam, dass die Leute darauf abfuhren. Wir merkten es natürlich auch bei unseren vielen Live-Konzerten. Die Leute kannten die Musik, sie lief im Radio und durch diese mediale Begleitung wurde es populär. Die Leute kamen dann hinter die Bühne, holten sich Autogramme und waren begeistert. Du spürst es ja an der Reaktion des Publikums vor der Bühne, ob sie das nun blöd oder gut finden. Die fanden es in der Regel immer gut, aber es gab natürlich auch welche, die es Scheiße fanden. Das ist aber normal, weil eine Band immer polarisiert. Vor allem so eine Band, wie wir sie waren. Wir hatten mal eine Talk-Show, damals hieß es natürlich noch nicht so. Es war "Auf eine runde halbe Stunde" mit Juergen Schulze, dort waren wir eingeladen. Wir saßen dort alle mit unseren Bühnenoutfits und zum Schluss führten wir Playback "Die tote Stadt" auf. Du musst Dir vorstellen, wie wir alle aussahen: Gefärbte Haare, geschminkt, bunte Fingernägel usw. Das war schon ein bisschen schräg, aber die Leute fanden es toll. Aber das Publikum in dieser Sendung war ein älteres und daraufhin bekam das Fernsehen kritische Briefe, was so etwas kulturloses im Fernsehen zu suchen hätte. Das war also die ältere Generation und Juergen Schulz bekam offenbar ein paar Probleme, hat die Sache aber vertreten.

Das muss man sich mal überlegen, das ist gerade mal 30 oder 35 Jahre her …
Ja, verrückt … (lacht)

Erinnerst Du Dich noch an Euren ersten TV-Auftritt? Welcher war denn das, war das schon "rund"?
Nein, in "rund" waren wir erst später. Das erste war "STOP! ROCK" und der erste Titel war das "Wunderkind". Das war der erste offizielle Titel. Das war für uns natürlich alles neu. 1985 gegründet und knapp zwei Jahre später waren wir im Fernsehen und hatten Radio-Hits. Das ist für eine Band, die vorher ganz normal zum Tanz spielte, schon ein kometenhafter Aufstieg. Das waren eben die 80er Jahre und es hing damit zusammen, dass wir keine Klischees bedient haben. Ich mag die Ostbands, kenne viele Kollegen, auch bei Henning Protzmann von KARAT hatten wir in Berlin-Rahnsdorf mal Vorproduktionen gemacht. Alles ganz nette und liebe Kollegen, die aber - auch geschuldet bestimmter politischer Umstände - doch anders waren. Zum Beispiel "Nach Süden" von LIFT, alles verklausuliert, die Sehnsüchte und diese elegischen Texte.007 20210104 1386639244 Tolle Lieder … Aber wir waren eben genau das Gegenteil. Wir waren musikalisch das Gegenteil und waren textlich rotzfrech. Dadurch kam vielleicht auch ein bisschen der Zuspruch der Leute, weil eben mal etwas anderes passierte.

Aus dieser Zeit gibt es auch schon die ersten Solo-Sachen von Tobias Künzel, der sich damit abseits der Band stellte. Eine Plattenproduktion hatte er mit "Noch viel höher", das war ein Alleingang. War das mit Euch besprochen oder geschah das ohne Euer Wissen?
Nein, das wussten wir. Er sagte: "Ich habe hier ein Angebot, ich soll mal mit Andreas Bicking eine Nummer produzieren und machte den Text dafür." Damit ging er dann auch zu "bong" und machte so seine Solo-Kisten. Tobias ist ja kreativ und hatte auch eine Menge Lieder, die "AMOR"-mäßig so nicht gegangen wären, die machte er dann eben selbst, Und damit befand er sich ja in bester Gesellschaft mit anderen, die das auch machten. Das hat uns nicht geschadet und auch nicht gestört, denn der normale Bandalltag lief ja weiter. Muggen und Auftritte fanden weiterhin statt …

Es hat sich also nicht miteinander gebissen und vermengt?
Nein, es hat sich gar nicht gebissen. Wir hatten ja damals Ende der 80er auch schon Kontakt zu den HERZBUBEN. Unsere Kollegen Tobias und Dirk kannten Sebastian Krumbiegel durch die Thomaner. Da kam es auch schon mal vor, dass Krumbiegel bei uns mit auf der Bühne stand und mitträllerte, wenn wir zum Beispiel ein Club-Konzert in der Moritzbastei hatten. Das war eine verquickte Szene, also man kannte sich.

Also liegen die Wurzeln der PRINZEN schon in den 80er'n …
Die Wurzeln der PRINZEN liegen in den 80ern, ja. Die HERZBUBEN war die Kerntruppe der PRINZEN, die schon Ende der 80er Jahre auftraten. Sie formierten sich auch immer mal um, weil einige 1989 in den Westen gingen, irgendwo im Netz kann man das auch nachlesen. Zu den PRINZEN wurden sie erst im April 1991, als der von Annette Humpe produzierte Song zum Hit wurde. In dieser Zeit waren wir quasi alle arbeitslos und so ging Tobias zu den PRINZEN. So ergab sich das …

Etwa zeitgleich zur Single von Tobias Künzel, von der ich gerade sprach, erschien auch Eure erste AMIGA-Schallplatte, nämlich diese Quartett-Single mit den beiden Titeln, die bei Schubi entstanden sind, plus zwei weiteren Songs. Wann trat denn die Firma an Euch heran und kündigte an, dass sie mit Euch eine Platte machen will?
Das war circa 1987, die Quartett-Single war ein Vorläufer der LP. Man sagte, wie es typische Firmenpolitik ist: "Okay, wir machen erst mal eine Quartett-Single und dann sehen wir mal, wie es läuft. Wenn sie gut läuft, machen wir eine LP." Die Single verkaufte sich wie geschnitten Brot, es war auch keine hohe Auflage. Ich glaube, 8.000 Stück oder so, weiß es aber nicht genau. Aber die Single ist weg und ist auch heute noch eine Rarität, es gibt sie nicht mehr. Ich habe noch drei oder vier Stück, am Markt ist sie ohne weiteres nicht mehr erhältlich. Nachdem das gut lief, wurde dann gesagt: "Wir machen ein Album." Das haben wir dann im Frühjahr 1988 gemacht und im Juni erschien die Platte.

Für Musiker in der DDR war das ja wie ein Lottogewinn. Es gab Bands, die hatten nie die Möglichkeit, eine Schallplatte zu machen und Ihr hattet gleich zwei im Umlauf. Das war ein riesiger Gewinn, oder?
Ja, das war gewissermaßen sensationell. Das haben wir auch unserem Produzenten Wolf-Dietrich Fruck zu verdanken, der durch die Rundfunkproduktionen auf uns aufmerksam wurde. Er wollte das produzieren, weil er auch ein Typ für die etwas schrägeren Sachen war. Er produzierte zum Beispiel auch MTS. Die suchten dann den Kontakt und wir produzierten die LP im Studio von Hans Kölling (SET) in Leipzig, also nicht in der Brunnenstraße in Berlin.020 20210104 1464942531 Da wir uns alle kannten, war alles locker und lustig und wir mussten nicht nach Berlin, wo wir nicht wussten, was sind das für Leute, weil wir sie nicht kannten usw. Es war ein gutes Vertrauensverhältnis und Fruck kam nach Leipzig, um die Produktion zu begleiten.

Jetzt sprachen wir über Fernsehen, über Plattenproduktionen … Wie sahen denn Eure Live-Konzerte aus? Ihr habt ja Rockmusik mit hintergründigen und lustigen Texten verbunden, die direkt auf den Punkt kamen. Bestand die Bühnenshow denn auch aus lustigen Momenten und Effekten oder gab es da musikalisch auch noch voll einen auf die Zwölf?
Ja, live war es natürlich noch einen Zacken schärfer, das ist klar. Wenn ich mir die Platte anhöre, ist sie freundlich produziert und man weiß, wo es lang geht. Live ist natürlich etwas anderes, es war eine ziemlich wilde Show, weil die jungen Typen natürlich auf der Bühne herumwuselten und ich stand quasi wie eine Art Fels mehr oder weniger in der Mitte. Da gab es entsprechende Moderationen, auch mal mit einer Perücke. Da wurde auch ein bisschen Blödsinn getrieben und die Leute wurden angeheizt. Das ging schon richtig ab. Je populärer es wurde, umso besser ging es ab und wir haben in dieser Zeit in jedem Jahr 130 bis 140 Konzerte gespielt. Das war reichlich …

Wow. Hattet Ihr denn auch außerhalb der DDR Gelegenheit, Konzerte zu spielen?
Ja, zum Ende der DDR wurden wir dann auch international eingesetzt, das ist die nächste Geschichte: Wir fuhren im September 1989 nach Polen - so in die Gegend von Wroclaw und Krakow - und spielten dort einige Konzerte. Von dort zurückgekommen, flogen wir mit einer Delegation in die Ukraine. Also nach Kiew, in die heutige Ukraine, damals natürlich noch die Sowjetunion. Da waren auch die HERZBUBEN dabei, ein Tanzensemble und noch eine zweite Band. Wir spielten in einer Woche fünf oder sechs Konzerte, flogen in einem Flieger, wir brachten unsere Technik mit, die flog in einem anderen Flieger. Nachdem wir ankamen, wurden wir in ein Hotel gesteckt und in Russland dann in die einzelnen Kulturhäuser - die bekannten Stalin-Tempel, deren sowjetische und monumentale Architektur übrigens auch noch im Osten existieren, in die 2.000 bis 3.000 Leute rein passten - geschickt.

Mit dem gleichen Programm wie zu Hause?
Da war es so, dass wir natürlich keine internationalen Sachen spielten, die die Leute dort auch kannten. In der Sowjetunion gab es ja - wie in der DDR - auch Lizenzplatten. Melodija hat unglaublich viele Lizenzplatten herausgebracht, ROLLING STONES, BEATLES, Elton John oder Paul McCartney und das alles konnte man dort kaufen. Alles mit kyrillischen Buchstaben, wenn man es heute liest, sieht das schon recht putzig aus. Da wurden auch riesige - man kann fast von Millionenauflagen sprechen - Auflagen gepresst.009 20210104 1438054710 Wir spielten dort aber nicht solche Songs, außer dass wir mal "Purple Rain" von Prince in der Zugabe machten, weil es ganz gut passte. Eine dufte Idee von Mario … Wir spielten also unsere eigenen Titel, fragten uns aber vor der Tour: "Was machen wir denn? Wenn wir Deutsch singen, versteht das dort ja kein Mensch, sondern die hören nur die Musik." Wir lernten dann hier über drei Ecken russische, sowjetische Germanistik-Studenten kennen, mit denen setzten sich Tobias und ich zusammen und ließen von ihnen die Texte ins russische übersetzen. Wir in der DDR sind ja so sozialisiert, dass wir alle Russisch lernten. Ich hatte ja allein sechs oder sieben Jahre Russisch in der Schule …

Aber die Russen können kein Deutsch …
Die Russen, die hier waren, konnten Deutsch, aber die - vor allem jugendlichen - Russen, die dort waren, konnten es vorwiegend nicht. Die hier hiesigen Germanistik-Studenten haben uns das also übersetzt und das auch richtig gut. Ich weiß gar nicht mehr, wie viele Titel es waren, denn wir spielten ja im Ensemble, also auch nicht all zu lange. Jedenfalls konnten wir dadurch die meisten Titel auf Russisch singen. Ich hatte mir auch die Ansagen auf Russisch ausgedacht und da räumten wir natürlich völlig ab, weil ich die Leute mit meinem - zwar gefärbtem - Russisch total bekam. Wir hatten auch noch eine tolle Dolmetscherin, sie hieß Olga und rückte manches zurecht, sie sagte dann immer mal: "Musst Du so sagen …" Als ich dann "Ich bin blank" auf Russisch sang, da gingen alle ab wie Schmidts Katze, weil sie den Text verstanden und begriffen, worum es ging. Und hinten raus gab es dann auch noch den "Olsenbande"-Clip, den sie auch kannten, da diese Filme auch dort liefen. Die Leute haben es verstanden.

Funktionierte das überall in Russland?
Ich erinnere mich noch an ein Konzert in einem Lehrerweiterbildungsinstitut bei Kiew. Also 100 Kilometer weit von Kiew, Russland ist ja irre groß, das kann man sich in Deutschland gar nicht vorstellen. Da stehen ja Wegweiser "Leningrad - 3.500 Kilometer" oder "Wladiwostok - 7.800 Kilometer" … Das ist irre. Wir fuhren also durch die Pampa aufs Land, wurden dort als Delegation begrüßt, man zeigte uns ein Museum und dann ging es am Dorfrand mit kleinen Zäunen, kleinen Hütten usw. zu dieser Hochschule und die war ein riesiger Betonklotz mit Nebengebäuden usw. In dieser Hochschule gab es einen riesigen Hörsaal, wir wurden als deutsche Künstler mit allen Ehrerbietungen vom Rektor begrüßt: "Wir freuen uns, dass Sie da sind." Dieser Hörsaal - an der Hochschule studierten Lehrer - war krachend voll. Die hatten sogar Fernsehkameras aufgestellt, um das Konzert ins Foyer zu übertragen, weil dort noch mehr Leute standen. Es war also absolut übervoll. Den Zettel habe ich heute noch, das war lustig. In den ersten Reihen lagen Zettel in kyrillischer Schrift: "AMOR & DIE KIDS - ACHTUNG, ES WIRD LAUT!" (lacht) Unsere Techniker bauten alles auf, es gab Schwierigkeiten mit dem Strom und der Phase, aber die Russen sind spitze im Improvisieren. Wir hatten Saft, unsere Orgel funktionierte nicht, dann bekamen wir eine von denen und rissen ein Konzert runter, das war unglaublich. Ich habe selten in Deutschland eine solche Stimmung erlebt, wie an diesem Abend in diesem Saal. Die Leute tobten, standen auf den Plätzen und wir hingen noch einige internationale Titel hinten dran. Es war Wahnsinn. Danach gab es noch einen Empfang beim Rektor mit Kaviar und Sekt usw.010 20210104 1999109357 Wir wissen gar nicht mehr, wie wir nach Hause gekommen sind, die fuhren uns gegen 04.00 Uhr morgens mit einem Bus zurück. So etwas vergisst man nicht. Es war nicht in allen Häusern ganz so dolle, aber das war der absolute Höhepunkt. Das war unser Auslandseinsatz …

Wart Ihr auch für Konzerte in der BRD eingeplant?
Für diesen Auslandseinsatz, sprich den Westeinsatz, schrieb die Generaldirektion für Unterhaltungskunst Ende 1988 Mario Rostenbeck an und teilte mit, dass wir fürs West-Geschäft vorgesehen wären. Man wollte uns also in den Westen schicken. Da musstest du natürlich vorher alles Mögliche ausfüllen: Verwandte, Bekannte und all diesen Scheiß … Papierkrieg. Das wurde alles gesammelt, ging dann zur Prüfung an die Generaldirektion für Unterhaltungskunst und dort schmorte es ewig und drei Tage … Nun überkreuzten sich die Ereignisse. Ich war ja schon als Kind im Westen, bevor die Mauer sich schloss und wir - meine Frau und ich - durften auch 1989 im Mai privat zu einer Silberhochzeit in den Westen fahren. Da fuhr ich natürlich gleich einige Leute ab, ich kannte zum Beispiel Bernward Büker und wusste, dass er gerade eine Platte produziert. So fuhr ich also zu ihm nach Hamburg. Das war übrigens auch lustig: Ich kam dort rein ins Studio, dort saßen sechs, sieben Leute, einer spielte Billard, die waren alle total stumm und drinnen sang Bernward, Curt Cress trommelte und ging dann zum Flieger, weil er nach Los Angeles müsse und ich dachte: "Was ist denn hier los?" Dann fragten die mich, woher ich käme. Ich sagte: "Aus der DDR." "Ach so, Du kommst aus der DDR?" Ich wusste gar nicht, was die dort machten. Als Bernward Büker herauskam, bekam ich mit, dass das alles Gitarristen waren und der, der den besten Chorus spielen konnte, gesucht wurde. Die dachten also, ich wäre ihre Konkurrenz, war ich aber nicht. Ich war ja nur zu Besuch. Da lernte ich einige Leute kennen und wir fühlten schon mal wegen einer Tournee vor. Das war im Mai und dann kam ja diese ganze Vorwende-Geschichte.

Vorwende-Geschichte?
Das wissen viele gar nicht … Viele wissen nicht, dass bei dieser Reisegesetzgebung, bei der Schabowski am berühmten 9. November diesen Zettel aus der Tasche zog, vorher schon etwas im Rohr gewesen sein muss. Denn wir bekamen Anfang November unsere Unterlagen zurück und da hieß es: "Es kommt eine neue Reisegesetzgebung, nach der könnt ihr sowieso reisen." Simpel gesagt. Das heißt also, das war offenbar von langer Hand vorbereitet. Dabei dachten wir uns nichts, dann ging der Vorhang auf und wir waren auf einer kurzen Tournee, einmal mit KARAT in Düsseldorf, dann in Soest, in Hannover im Capitol und noch irgendwo. Das weiß ich jetzt gar nicht mehr genau. Ach doch, es war in West-Berlin in einem Club in Schöneberg. Das war Anfang Dezember und insofern kurios, als dass wir, als die Mauer aufging, hier in Leipzig eine Veranstaltung hatten. Plötzlich kam ein Roadie nach der Mugge reingerannt und rief: "Die Mauer ist auf, die Mauer ist auf!" Ich fragte ihn, ob er krank wäre und warum die Mauer auf wäre. Seine Reaktion war: "Ich fahre jetzt sofort nach Berlin." Da fuhren also zwei Roadies nach Berlin und gingen tatsächlich nach West-Berlin rüber. Wir hatten das gar nicht mitbekommen, keine Nachrichten usw. gesehen. Die kamen dann wieder und sagten: "Ja, die Mauer ist auf!" Ja, na klar, am 10. November. Da war dann die Tournee für Dezember geplant, aber wir hatten auch noch unsere Regelkonzerte im Osten, wir spielten nach wie vor hier und da. Irgendwann Anfang Dezember spielten wir in Ost-Berlin bei der Nationalen Volksarmee. Das heißt, die Konzert- und Gastspieldirektion, über die alles oder vieles lief, machte dann diese Veranstaltung, die Verträge und dann musste man als Profiband eben auch bei der Volksarmee spielen. Wir fuhren also zu diesem Konzert, dort kam noch ein Politmajor hinter die Bühne und sagte, ich solle kein politisches Zeug erzählen, sonst würde er die Veranstaltung abbrechen. Wir machten bei den Moderationen immer gern mal gewisse Seitenhiebe auf Schnitzler und er meinte, ich solle das gefälligst lassen. Ich fragte mich, was der von mir will … Nachdem die Leute total abgetobt hatten - bei der NVA waren es immer besonders geile Muggen, weil die sich freuten, wenn da jemand etwas ausgeflipptes spielte - packten wir unsere Sachen und fuhren direkt von der NVA in Strausberg über die Sonnenallee rüber nach West-Berlin. Das konnte man sich ein Jahr vorher überhaupt nicht vorstellen. Wir fuhren mit all unserem Equipment in den Club - das hatte Bernward Büker irgendwie organisiert - und spielten in Schöneberg nachts um elf in einem schrägen Punk-Laden oder was das da war. Die Leute waren völlig aus dem Häuschen. "Ost-Band, geil, DDR-Jungs", Getränke ohne Ende usw. usw.011 20210104 1966825110 Es war - glaube ich - mehr Sauferei, als Musik (lacht). Da startete die Tournee und einen oder zwei Tage später fuhren wir über die Strecke A2 nach Hannover und dann nach Düsseldorf zum Open Air mit KARAT auf dem Altmarkt. Das weiß ich noch ganz genau.

Im Dezember? Open Air?
Es war nicht wirklich kalt, es waren 10 Grad plus. Es war sowas wie Weihnachtsmarkt und wir spielten dort mit KARAT … (lacht)

Wenn man mal auf die Musik und die Bühnenshow von AMOR & DIE KIDS blickt, habt Ihr Euch bei alldem von etwas inspirieren lassen oder waren das die eigenen Ideen, die Ihr da live und im Studio umgesetzt habt?
Es waren schon eigene Ideen. Es gab da keine bestimmten Bands, aber was uns inspirierte, war so etwas wie MONTY PYTHON. Also diese schrägen Geschichten, wie "Always Look on the Bright Side of Life" und so etwas. Natürlich war dieser einfache 60er Jahre Rock'n'Roll, der Beat inspirierend. Wir haben ja viele Lieder wie z.B. "Ich bin so wunderschön", das sind beatinspirierte Lieder. Wir haben also diesen 60er-Jahre-Stil nicht neu erfunden, sondern wir nutzten ihn. Einfache Lieder, geradeaus, die mit deutschen Texten befüllt wurden. Das waren die Vorbilder und da gibt es ja tausend Vorbilder aus dieser Zeit. Ob das Satzgesänge von den HOLLIES oder BEATLES oder STONES-Nummern waren, es floss alles zusammen und jeder hatte irgendwas im Kopf. Ich könnte also nicht sagen, dass diese oder jene Band prägend war. Was wir damals noch cool fanden, war die EAV. Übrigens spielten wir für sie mal zu einer After-Show-Party … (lacht) Wir waren sozusagen ein bisschen die EAV für Ost … Nicht mit dem gewaltigen Equipment, das hatten wir natürlich nicht, denn sie waren damals ja schon groß. Also das war einer unserer Favoriten, weil es auch Deutsch war. Wir lernten die Kollegen mal kennen, das war eine super Nacht. Die standen vor der Bühne und wir haben gespielt, das war lustig und sie haben sich königlich amüsiert.

Man kann ja sagen, auf dem Höhepunkt geht Tobias Künzel aus der Band und wollte etwas Eigenes machen. Waren das die Gründe für den Ausstieg oder war ihm das zu viel?
Nein, die Gründe waren ganz andere. Wir hatten im Wendejahr noch bis Dezember gespielt, der Konzertkalender für 1990 war knüppelvoll, über 100 Muggen, alle vertraglich vereinbart. Dann produzierten wir mit Luise Mirsch Anfang Januar noch bei Dieter "Maschine" Birr im Studio "Wir fahren einmal alle ab" und der Song ging in die letzten Hitparaden der DDR. Dann kamen peu a peu die politischen Botschaften: Volkskammerwahlen am 18. März. Was wird mit der D-Mark? Im Juni sickerte die Währungsunion durch. Alle, die mit irgendwelchen Verträgen zu tun hatten, bekamen kalte Füße. Das heißt, für unsere über 100 Verträge kamen nach und nach die Kündigungen rein. Ich glaube, wir haben 1990 noch mal in Wilsdruff vor leerem Haus - alle waren im Westen - gespielt. Es brach also alles weg und wir waren quasi über Nacht - wie viele andere auch - arbeitslos geworden. Wir fragten uns: "Was machen wir denn jetzt?" Mario und ich gingen dann zum Arbeitsamt - ab dem Sommer gab es das dann schon - und versuchten dort, etwas zu finden. Die sagten uns: "Also für Musiker haben wir gar nichts." In dieser Zeit hielt sich jeder irgendwie über Wasser, mein Cousin hatte einen Telefonladen in West-Berlin und da ich ja mal Nachrichtentechniker war, meinte er:012 20210104 1841975451 "Hier, du kannst Telefone verkaufen, einbauen usw. …" Das machte ich dann mit unserem Basser Dirk zusammen. Wir waren so ein wenig die Bastelfreaks, verkauften und bauten, um uns ein wenig Geld zu sichern. Gott sei Dank hatten unsere Frauen Arbeit, so dass die Familien nicht in der Luft hingen. Da fragte Tobias dann: "Na ja, was mache ich denn nun? Ich kann auch nichts anderes." Die HERZBUBEN hatten zu der Zeit irgendwo eine Weihnachtsmarkt-Mugge und dann kam für ihn kurz vor knapp das Angebot: "Willst Du nicht bei den HERZBUBEN / PRINZEN einsteigen?" Da wir alle keine Perspektive hatten, sagte er, dass er dieses Angebot annehme. Wir hatten damit kein Problem und bestärkten ihn in seiner Entscheidung. Das war alles in Ordnung und wir gingen auch nicht im Streit auseinander. Es waren einfach die zeitlichen Umstände, wir waren zur falschen Zeit am falschen Ort. Wäre das alles etwas zeitiger passiert, wären wir schon etwas weiter gewesen, keine Ahnung … (lacht)

Diese "Was wäre gewesen, wenn …"-Frage zu stellen, ist ja immer ein bisschen doof, denn man kann sie ohne Belege schlecht beantworten. Wie siehst Du das, wenn die Wende zwei Jahre später gekommen wäre, wo wäre AMOR & DIE KIS zu dem Zeitpunkt gewesen?
Wir wären auf jeden Fall mit großer Sicherheit eine so genannte "West-Reise"-Band gewesen. Das heißt, wir wären im Westen getourt. Anfang der 90er Jahre traf ich mal Hagen Liebing von den ÄRZTEN, der leider schon 2016 verstarb, und der erzählte mir, dass DIE ÄRZTE - sie waren ostaffin - in West-Berlin statt RIAS oder SFB lieber bei Radio DT64 rein hörten, weil sie cool fanden, was da in Sachen Musik so abging. Und da wurden sie neben anderen auch auf AMOR & DIE KIDS aufmerksam und besorgten sich die Platte "No More Bockwurst". Hagen Liebing schrieb in seinen Memoiren, dass Ritchie Barton - SILLY produzierten ja in West-Berlin - ihm diese Platte mitbrachte. Darüber hinaus erzählte mir Hagen, dass sie auch gern eine DDR-Tour gemacht hätten und deshalb an die Konzert- und Gastspieldirektion herantraten. Sie wollten also im Osten spielen und das hätten sie gern mit uns gemeinsam gemacht. Das fand aber leider nie statt. Und nun kommt das "hätte": "Hätte, hätte" und wäre es dazu gekommen, dann hätten wir eine gemeinsame Tour gehabt. Aber das ist eben so …

Wie sehr tat es Dir denn weh, dieses eigene Projekt in 1990 einfach ruhen zu lassen und die Band erst mal aufzulösen? Das muss einem ja die Füße weghauen …
Das tat schon weh, das war nicht ohne. Und das nicht nur mir, sondern den anderen auch. Es war unser Baby, das wir auf Eis legten und wir wollten warten, bis sich die Wogen geglättet haben. Die Leute waren ja völlig außer Rand und Band und meinten, sie brauchen nichts mehr aus dem Osten. Die ganzen Revivals der Ost-Musik kamen ja erst viel später. Wir dachten dann, wir ziehen den Kopf ein, warten erst mal ab und steckten ihn dann ein paar Jahre später wieder raus …

Wer hatte 1994 die Idee, die aufkeimende Ostalgie-Welle mitzunehmen?
Das waren Mario Rostenbeck und ich. Wir blieben stets im Kontakt und wir sagten uns: "Lass uns hier mal was retten …" Er meinte, lass uns mal wieder was machen. Es gab dann einen neuen Kollegen, Carsten Patzig, er spielte eine sehr gute Akustikgitarre, konnte aber auch Bass spielen. Dann machten wir erst mal was unter dem Motto AMOR OHNE KIDS. So hieß es dann und wir waren zu dritt unterwegs.013 20210104 1504661208 Wir spielten sowohl alte - die noch passten - und auch neue schwarzhumorige Songs. Wir warfen uns in ein paar abenteuerliche Klamotten und spielten ein paar Muggen, viele waren es nicht. Aber dann ging es langsam wieder los, weil es ein neues Projekt war. Man konnte also in dem einen oder anderen Club oder Kulturhaus auftreten, bis wir allerdings merkten, dass es ohne Rock'n'Roll doch nicht geht. Das Schlagzeug und der richtige E-Bass fehlten einfach …

Knapp zwei Jahre nach dieser Reunion habt Ihr den 87er Hit "Komm doch mit" nochmals neu produziert und als Single veröffentlicht. Ging es Euch darum, ihn unter neuen technischen Möglichkeiten noch mal besser zu machen oder um mit einer bekannten Nummer bei einer breiteren Öffentlichkeit noch mal mit Nachdruck anzuklopfen?
Beides. Tobias hatte damals schon als PRINZ - die hatten ja genügend Geld verdient - sein eigenes Studio und wir konnten es also direkt bei ihm im Studio unter neuen technischen Bedingungen produzieren und wir wollten ihn etwas zeitgeistiger unters Volk schleudern. Das hat damals allerdings niemanden großartig interessiert. Für meine Begriffe ist es nicht gefloppt, aber die Leute wollten - wenn überhaupt - das Original und nicht die neue Produktion hören. Es war ein Versuch, ob es funktioniert. Aus heutiger Sicht würde ich es so nicht noch mal machen …

Ein Jahr weiter, 1997, kam dann das zweite Album "Amoralisch". Das Ding sieht vom Cover her aus wie eine Tafel "Ritter Sport" - quadratisch, praktisch gut. Wie sind die Titel dafür entstanden? Warst Du alleiniger Komponist und Texter oder habt Ihr das wieder gemeinsam gemacht?
Sowohl, als auch … Die Texte schrieb ich bis auf "Sabine" - den schrieb ich gemeinsam mit Mario - allein und die Musik machten Mario und auch ich. Er kam dann mit der einen oder anderen musikalischen Idee und auch ich hatte noch einige Textsplitter und Ideen in meiner Schublade und so konzipierten wir gemeinsam dieses Album. Das Label "Löwenzahn" waren ja Folk-Rocker, sie fanden aber dennoch lustig, was wir so machten. Sie sagten: "Wir haben jetzt eine Plattenfirma und einen Verlag, macht doch ein Album bei uns." Mir war dann wichtig, dass es schwarzhumorig sein muss. Also nicht finster á la "Wir gehen zum Lachen in den Keller", sondern ganz schräger, schwarzer Humor, so wie eben Georg Kreisler oder MONTY PYTHON … Das fanden die gut und das Cover sieht deshalb wie eine Schokolade aus, weil die Hauptnummer "Schokolade" heißt. Das ist übrigens die Nummer, die Cornelius Jelen - der Drummer - mit seiner zarten und knabenhaften Stimme am Anfang singt. Er ist heute übrigens Musikschulleiter in Bergen auf Rügen. Unter etwa 25 Titeln pickten wir uns dann die 12 raus, die wir dann bei Robert Baldowski (MIDAS Tonstudio) im Keller in Leipzig produzierten. Sein Studio befand sich im Keller einer alten Spinnerei. Als man dort reinkam, sah es zwar aus wie im Zoo, aber drinnen war alles vom Feinsten. Das Ding wurde dann veröffentlicht, aber es wurde für mein Dafürhalten nicht gut promotet. Es gab zwar eine ganze Menge Presseresonanz, aber im Radio lief da gar nichts oder kaum etwas. Weil das Mainstream-Radio dafür natürlich völlig ungeeignet ist. Es ist Spartenradio-Musik, bei "Radio Ostrock" laufen solche Titel oder auch R.SA bringt mal etwas, aber sonst kannst du das im Mainstream-Radio nicht hören. Die Top 40 Geschichten passten da einfach nicht. Es war also speziell für Leute, die sowas mögen, die haben es auch gekauft. Aber die Auflage war auch nicht hoch …

014 20210104 1401131262Das wäre meine nächste Frage gewesen: Wie hat das Album aus Deiner Sicht denn abgeschnitten, wie kam es bei den Leuten im Land an und gab es überhaupt Resonanzen?
Es gab wie gesagt Presseresonanz und es wurde auch etwas verkauft. Aber es wurde auch nicht alles verkauft, ich bekam bestimmt zwei oder drei Kisten Remittenten zurück. Es wurden wohl um die 2.000 CDs gepresst. Mehr war da nicht … Das wollte man auch geschäftlich nicht all zu hoch hängen. Solche Musik ist ja auch riskant und eine kleine Firma wird da vorsichtig anfangen. Ich sehe das ja auch heute bei Facebook, dass mich Leute ansprechen und die Platte - obwohl sie teuer im Internet steht - dennoch haben wollen und mich nach ihr fragen. Mit dieser neuen und der alten Platte gingen wir dann auf Tour. Natürlich keine großen Hallen, das ging gar nicht, weil die Zeit dafür nach wie vor nicht reif war. Das waren alles Club-Muggen mit um die 200 Leute, die Moritzbastei in Dresden oder das Objekt 5 in Halle. Solche Läden waren das …

Das habt Ihr bis Anfang der 2000er Jahre noch gemacht und dann habt Ihr das ganze Projekt zur Ruhe gebettet. Wann fiel denn die Entscheidung, die Band aufzulösen?
Also wir haben diese Band ja nicht direkt aufgelöst, sondern wir lösten diese Art der Band auf. Ich habe hier noch Demos für ein drittes Album auf dem Rechner, es hatte den Arbeitstitel "Frauen". Aber "Frauen" hatte ich dann geerdet und entschied mich nach dem Titelsong für "Im Dunkeln". "Im Dunkeln" ist ein sehr rockiger Rap. Neulich hörte ich ihn mir mal wieder an, er klingt brandfrisch, obwohl es sich um ein Demo handelt. Der Text ist zeitgeistig aktuell und ich dachte, das gilt damals so wie heute. Es geht um Banker, um Kinder, Kindesmissbrauch, also alles Themen, die jetzt so richtig hochkochen und damals schon aktuell waren. So hätte das Album also "Im Dunklen" geheißen, aber man bekommt es nicht mehr auf die Reihe, das zu produzieren. Ich hätte eine andere Firma finden müssen, hatte dann aber keinen Bock mehr drauf und wir zogen uns mit anderen Kollegen, deren Bands sich ebenfalls auflösten, in das normale Konzert- und Tanzgeschäft zurück. So machten wir also weiter, spielten ein paar "AMOR"-Nummern und ein paar internationale und so machten wir weiter. Wobei wir ja nun auch schon eine ganze Ecke älter waren und das ganz jugendfrische auch nicht mehr gegangen wäre. Ich war schon ein guter "Fuffziger", die Jungs waren alle Anfang 40 und das mit den "KIDS" ist dann nicht mehr so lustig ...

Das ist ja dann auch die Frage, die sich logischerweise stellt … Das ist jetzt 20 Jahre her. Wie groß ist denn die Wahrscheinlichkeit, dass AMOR & DIE KIDS noch mal reformiert werden?
Diese Wahrscheinlichkeit ist nahe "Null". Wir spielten zwar mal zum Jubiläum oder bei anderen zu Gast. Dabei stellten wir fest, dass wir nach einer kurzen Probe auch aus dem Handgelenk mal eben zehn Songs reißen können. Wir sind wahrscheinlich die einzige Band, die noch in ihrer Original-Besetzung auftreten könnte. Ich kenne ja die anderen Bands und weiß auch, wie viele leider schon verstorben sind, selbst bei den jüngeren Bands wie ROCKHAUS, bei denen Beathoven nicht mehr da ist … Wir sind also die einzige Band, die es könnte, wenn sie es wollte, in Original-Besetzung aufzutreten. Nun kommt das "Aber": Es arbeiten alle in einigen und zig Projekten. Tobias als PRINZ produziert Kinderplatten - ich selbst schreibe ja auch Kinderbücher - ist mit FINAL STAP und mit RUFF AS STONE in Deutschland und England unterwegs, Dirk Posner ist mit BUDDY HOLLY IN CONCERT beschäftigt.015 20210104 1588734742 Mario Rostenbeck spielt mal hier und da mit und Falk Kindermann, der in Salzwedel an der Musikschule arbeitet, wäre für eine Tour auch nicht dauernd abkömmlich. Eine Tour wäre also gar nicht möglich, es sei denn, es gäbe eine einmalige Reunion im Rahmen eines Festivals, bei dem man sagt, wir stellen hier jetzt das Line-Up auf die Bühne. Das könnte ich mir vorstellen, aber dann müsste es auch einen interessierten Veranstalter geben, wie zum Beispiel auf der Open Air-Bühne in Schwarzenberg. Wenn das passt, würde es sofort gehen und das wäre auch lustig. Dafür müssten wir nicht mal proben … (lacht)

Hoffentlich liest dieses Interview der Richtige … (lacht)
Mich fragen ja viele Fans und sprechen mich an: "Mensch, macht doch mal, tretet doch mal wieder auf!" Ich bin da immer zwischen Baum Borke, es ist ja auch eine Frage des Alters. In zwei Jahren werde ich siebzig. Ich weiß, andere sind noch älter. Aber die Frage ist, will man sich das noch mal geben? Als Tour würde ich es gar nicht wollen, für eine einmalige Geschichte könnte ich es mir vorstellen. Okay, wir kommen alle mit Krückstöcken auf die Bühne, die Leute johlen schon und dann lassen wir die Sau raus. Aber das ist wirklich äußerst unwahrscheinlich …

Machen wir mal einen großen Sprung in die heutige Zeit: Seit einiger Zeit gibt es dieses Projekt "Alles rot", eine SILLY-Tribute-Band. Wann genau habt Ihr die ins Leben gerufen und was ist dort Deine Aufgabe bzw. Deine Funktion?
Diese Idee "SILLY-Tribute-Band" geisterte schon einige Jährchen in den Köpfen umher und wurde Mitte/Ende 2019 ins Leben gerufen. Geistiger Vater und Organisator des Ganzen ist Axel Kurde. Sarah Merseburger, die sehr SILLY-affin ist und das sehr gern singen wollte, suchte dann mit uns die passenden Kollegen zusammen, die das machen würden können und auch wollen. Wir machten quasi ein Casting, denn das alles muss sowohl musikalisch als auch menschlich passen. Eine Band, zum Beispiel eine Schülerband, die sich findet und von Beginn an kennt, ist ja etwas anderes, als wenn man ein Projekt auf die Beine stellt. Natürlich kann man sagen: "Ich hole mir die und die Profi-Leute", die fragen dann, was es an Kohle gibt und wann die Mugge ist … Wir wollten, dass das Ganze von innen lebt. Die mussten also alle wissen, was sie tun, dass es am Anfang überhaupt gar kein Geld zu verdienen gibt und dass es erst mal einen steinigen Weg gibt, alles herauszusuchen, zu proben usw. Für Sarah produzierte ich 2017 übrigens auch schon ein Album, dies aber nur ganz am Rande … Ich lernte sie 2015 über den Manager Axel Kurde kennen. Er ist der Bruder von meinem Studio-Kollegen Andreas Kurde. Er sagte: "Wir haben eine neue Sängerin bei der BeatBoyz Tanzband, hör' Dir das doch mal an." Ich hörte mir einen Videoclip an und dachte: "Eine gute Stimme, da müsste man was draus machen." Darauf sagte er zu mir: "Na dann mach' doch mal." (lacht) Da fragte ich sie, ob wir ein Album produzieren wollen. Sie war damals 24, bekam große Augen und meinte, dass sie sowas ja noch nie gemacht habe. Ich sagte ihr, dass wir das ganz sachte machen, ich mache die Texte und wir machen ein "Mädels"-Album, also nicht die fette Rock'n'Roll-Sache. Wir machten das Album, veröffentlichten es und feierten eine schöne Release-Party. Im Zuge dessen erkannte ich, dass sie sehr SILLY-affin ist. Ein zweites Album hätten wir machen können, aber lasst uns mal nachdenken, ob wir diese SILLY-Kiste auf die Beine stellen. Und zwar deswegen, weil SILLY sich - wie Du weißt - quasi auch auf Eis gelegt hatte.

016 20210104 1368599117Na ja, sie hatten mit Anna Loos den Bruch, aber präsentierten gleich zwei Nachfolgerinnen …
Ja, sie haben sich Nachfolgerinnen geholt, aber mit Anna Loos hatten sie acht oder neun Jahre lang richtige Tour-Programme etc. Es war also eine Band mit Sängerin. Jetzt ist das im Prinzip auch SILLY mit zwei Sängerinnen, die eine singt die balladenlastigen Songs, die andere die rockigen, so wie man es ihnen zutraut. Julia Neigel ist ja nun die klassische Rockröhre und AnNa R. ist eher so die balladeske für die etwas dunkleren Sachen. Das hat den Status, dass es den Leuten gefällt und sie es geil finden. Aber SILLY sagen: "Wir machen zehn Muggen - diese Weihnachtstournee - und dann machen wir erst mal gar nichts." Das heißt also, ich hatte das Gefühl, dass das dadurch genau richtig kommt. Es gibt ja tausend Tribute-Band von KARAT bis PUHDYS, aber SILLY hat noch nie jemand gemacht, da gibt es nichts. Nun ergab es sich zufällig, dass auch Axel Kurde mit Veranstaltern z.B. von Stadtfesten sprach und sie fragte, was sie davon halten würden, wenn wir mal SILLY tributieren würden. "Ach, das wäre ja sensationell, man kommt an die richtige Band ja gar nicht ran und wenn überhaupt …" Dann setzten wir uns also hin, wälzten die ganzen Alben, suchten aus und begannen zu produzieren. Das heißt, wir haben mit viel Mühe und viel Fleißarbeit sämtliche 20 Titel, die wir aufführen, auch produziert. "Bataillon d'amour" und "Schlohweißer Tag" waren die letzten beiden, die wir gerade aufnahmen. Wir nahmen die Songs also komplett auseinander und setzten sie so zusammen, dass wir sie mit einer Vier-Mann-Band spielen können, weil es am Ende ja auch eine Finanzfrage ist. Ich kann auch sieben Mann hinstellen und kann sagen: "Okay wir spielen mit sieben oder acht Leuten und wer bezahlt uns das?" Das ist eine rein pragmatische Frage. Das macht SILLY übrigens auch so. SILLY spielt mal in großer und mal in kleiner Besetzung. Mal mit zwei Gitarren, mal mit einer. Mal nur mit Hasbe, mal mit Reini Petereit und mal mit Sohn Hasbe an den Keyboards und mal nur mit Ritchie Barton. Wir haben also diese kleine Variante und produzierten sozusagen Backing-Tracks. Ich weiß nicht, in wie weit Du SILLY schon mal für Dich analysiert hast …

Ich höre die Band seit 25 Jahren und kenne mich da recht gut aus …
Ja, aber die Band gibt es ja nun schon seit über 40 Jahren. Und ich kenne bzw. kannte Tamara Danz auch persönlich. Einige Konzerte hatten wir gemeinsam und wir saßen als Vertreter zusammen mit anderen Kollegen als Vertreter in der Sektion Rockmusik beim Komitee für Unterhaltungskunst. Von daher weiß ich auch, wie sie tickte, sehr impulsiv und sehr geradeaus. Okay, dann machten wir uns an diese Variante ran. In so einer SILLY-Nummer sind zum Beispiel acht oder zehn Keyboard-Spuren drin. Die brauchst du eigentlich nicht, sondern du brauchst die Hauptstimmen, die dann live gespielt werden, du brauchst mal eine Fläche, du brauchst mal hintergründig irgendeine Gitarre, du brauchst mal einen Synthesizer für ein bestimmtes Riff, genau dieses Riff spielt aber der Keyboarder etc. Das muss man also alles zusammenbauen. Moderne Produktionen werden live übrigens alle so gemacht. Ob da Helene Fischer spielt oder Udo Lindenberg, die sitzen alle vorher da, die Titel werden alle bearbeitet und modernisiert. Wir haben super Instrumentalisten: Mit Heiko "Flecke" Flechsig, ehemals bei FOUR ROSES, einen super Gitarristen, ein Bauchtyp, mit ihm produziere ich sehr gern. Er spielte auch für mich Gitarren ein, ich kenne ihn seit über 30 Jahren. Dazu mit Simon Eisert eine tollen Drummer und mit Ralf Nitzschke einen erstklassigen Keyboarder. Die Produktion wird technisch super von der Firma Olaf Pinder betreut …

Ich kenne ihn noch von FACTORY OF ART …
Ja, genau. OPEN OHR hieß die Band, bei er mal angefangen hat, das war eine Patenband von uns (lacht). Dann der Basser Thomas Luther, ein Basslehrer aus Merseburg, der auch sehr SILLY-affin ist und diese Fretless-Sachen so spielt, dass du da wirklich keine Wünsche mehr hast. Hinzu noch ein Drummer und ein Keyboarder. Nun haben wir diese Titel also so gebaut und dann probierten wir sie durch. Die laufen also - wie es üblich ist - auf "Klick" und werden quasi live gespielt.017 20210104 1422846515 Hinzu kommen ein paar Backing-Tracks, die noch das Ambiente geben, zum Beispiel eine bestimmte Fläche oder sowas … Das haben wir jetzt soweit rund bekommen, dass wir schon zwei Muggen spielten. Einmal eine private Geburtstagsfeier und dann in Pegau vor - durch Corona bedingt - leider nur 100 Leuten. Aber es ist super gelaufen.

Danach wollte ich gerade fragen: Ihr hattet dieses Konzert, die Original-Band zeigte sich allerdings etwas überrascht, als dieses Premierenkonzert über die Bühne ging. Hattet Ihr Jäcki, Ritchie und Uwe gar nicht dazu eingeladen oder vorher überhaupt informiert?
Axel Kurde hatte mal - das ist ungefähr drei Jahre her - das Management angeschrieben, sagte denen, dass wir das gern machen würden und fragte gleichzeitig, ob sie etwas dagegen hätten. Das Management sagte: "Macht ruhig, das könnt Ihr machen ..." Nun gab es aus Corona-Gründen den Fakt, dass das Ordnungsamt meinte: "Es könnte noch geerdet werden." Bis einen Tag vor dem Konzert war das Ganze auf der Kippe. Dann hieß es doch noch: "Ja!" Ich hatte mit Thomas Fritzsching - er war bis 1994 in der Band - mal Kontakt und schickte ihm ein paar Sachen, weil wir ja auch aus seiner Zeit Titel von der zweiten Platte spielen. Der meinte: "Ja, macht mal, das finde ich toll." Wir haben aber weder Uwe noch die anderen eingeladen, weil ich nicht wusste, ob es Sinn macht, sie einzuladen. Ich würde sie dann einladen, wenn wir wieder frei sind und im Sommer etwas spielen können. Dann würde ich sie gern einladen.

Wenn jetzt ein SILLY-Fan an Dich herantreten und ganz provokant fragen würde: "Was macht es für einen Sinn, die Coverband von einer Gruppe zu sein, die noch aktiv ist und selbst live spielt? Ich kann doch zum Original gehen. Warum soll ich zu Euch kommen?"
Weil das Original eben so selten spielt … (lacht) Übrigens war auch ein SILLY-Fan-Club mit dabei, die hörten sich das Konzert an und waren wohl sehr angetan. Es gibt auch eine KARAT-Coverband, es gibt ROLLING STONES-Coverbands und die STONES sind immer noch aktiv. Insofern ist das für mich keine Diskussionsgrundlage. Für mich ist das eine sehr wertvolle Musik mit äußerst wertvollen Texten. Und ich sage mal so, wenn die Kleinstadt X ein Stadtfest macht, an uns herantritt und sagt: "Wir kriegen SILLY sowieso nicht hierher, denn wir haben das Geld gar nicht. Aber Euch kriegen wir und die Leute würden sich freuen", dann ist das doch für uns ein Grund, die SILLY-Musik dort hinzubringen, wo SILLY vielleicht nicht mehr auftreten werden. Das ist einfach so.

Also als Lückenfüller …
Es ist eine Hommage an die Band, an Werner Karma und an tolle Kompositionen. Was ist denn überhaupt Cover? Wenn heute jemand Bach spielt, dann covert er ja auch nur den alten Bach … (lacht) … und führt diese Musik eben wieder auf, die zeitlose Weltmusik ist.018 20210104 1952423712 Es gibt eine PINK FLOYD-Band, die weltweit PINK FLOYD-Musik nachspielt und die Leute freuen sich, dass sie die Musik noch live hören können. Und wir hoffen ja alle sehr, dass SILLY sich noch mal zusammen kriegen und vielleicht auch ein Album machen. Die Frage ist eben, mit welcher Frontfrau wollen sie das denn machen? Mit zweien?

Das kann ich Dir nicht beantworten, das weiß ich nicht …
Oder mit einer? Wer soll das sein? Raffeln sie sich auf? Das ist ja die Frage. Ich kann mir das vorstellen und würde mir auch wünschen, dass sie das machen. Es würde mit Sicherheit auch erfolgreich sein. Aber das Dorf X - und wir haben ja diese Anfragen - kann SILLY nicht ordern, wenn es dort nur 200 Leute im Saal gibt. Das kann keiner bezahlen, aber dann bekommt das Dorf eben uns …

Jetzt hat Corona dieses Vorhaben ja erst mal ausgebremst. Welche Pläne habt Ihr denn damit für die Zukunft? Du sagst, Ihr seid bereit für die Stadtfeste, aber wo soll es hingehen?
Wir werden noch mehr Titel machen und das Ganze erweitern, um dann große und kleine Varianten zu haben. Wenn einer also sagt, er braucht einen einstündigen Block SILLY, dann können wir das entsprechend zusammenstellen. Wenn Du so willst, ist das ein Dienstleistungsprogramm. Aber ein gediegenes. Also nicht á la Konzert- und Gastspieldirektion und wir singen jetzt die Wildecker Herzbuben oder sowas ... Es soll schon einen Anspruch und eine entsprechende Qualität haben. Ich las ja die Konzertkritiken von Pegau und die diversen Leute waren begeistert. Die sagten, sie haben Gänsehaut gekriegt. Eine Frau sagte, sie habe hinterher geheult, weil sie sich so angefasst gefühlt hat …

Ihr habt also die Leute abgeholt …
Ja, ich glaube, wir haben sie wirklich abgeholt. Es ist tatsächlich eine Gratwanderung, da gebe ich Dir vollkommen recht. Es ist schwierig, weil man auch weiß, dass die Fans sich fragen: "Was soll das denn jetzt und was machen die da?" und so. Aber es ist wirklich eine durchaus gut gemeinte Geschichte, damit die Musik weiterlebt und die Leute sie nicht nur aus der Konserve hören.

An was feilst und werkelst Du sonst noch, was hast Du aus Deinem Hause noch zu empfehlen? Du sprachst gerade die Sängerin an, die auch die SILLY-Titel singt. Womit bist Du sonst noch beschäftigt?
Na ja, ich bin ja nun eigentlich Rentner, aber wir produzieren zum Beispiel noch eine weitere Sängerin. Sie stammt aus Panama, lernte einen der Sänger von AMACORD kennen und kam nach einer gemeinsamen Tournee mit ihm nach Leipzig. AMACORD ist eine Klassik-a cappella-Sache,019 20210104 1310041156 die schon seit 20 Jahren weltweit unterwegs ist. Ich lernte sie über Tobias kennen, weil er wiederum die AMACORD-Leute kannte. Ich kannte sie gar nicht und Jenny suchte Anschluss und sah, wo sie mal singen kann. So lernten wir uns also kennen und dann fingen wir an, mit Jenny zu produzieren. Das wird ein Showprogramm auch mit eigenen Titeln werden. Drei Titel schrieb ich schon, es läuft auch schon einiges hier beim regionalen Second Radio in Leipzig. Das Fernziel ist, ein Album zu produzieren. Das ist im Moment etwas schwierig, weil wir studiomäßig nicht so können, wie wir wollen. Wir könnten zwar, aber wir können nicht mit drei oder vier Leuten hier zusammenhocken, das sollte man momentan nicht tun. Deshalb geht es da wohl erst im neuen Jahr weiter. Als Disko-Nummer machten wir zum Beispiel ein Cover des Titels "Kiss" von PRINCE. Es ist also etwas völlig anderes, kein AMOR & DIE KIDS, keine Sarah, kein SILLY, es ist englischer Dance-Pop usw. Das machen wir also auch.

Als Fazit kann man diesem Interview durchaus entnehmen, dass Du von der Musik auch im Rentenalter nicht die Finger lassen kannst und dass Du - wenn man Dich lange genug kitzeln würde - für eine einmalige Geschichte auch noch mal mit AMOR & DIE KIDS auftreten würdest …
Das könnte man so sagen … (lacht)

Ich danke Dir auf jeden Fall für dieses Gespräch, für Deine tollen Antworten und Geschichten, die Du erzählt hast. Möchtest Du abschließend noch etwas an die Leser loswerden, hast Du noch etwas auf dem Herzen?
Ja, ich hoffe, dass die Leser Eurer Seite gewogen bleiben, denn "Deutsche Mugge" ist eine tolle Seite und zweitens, dass sie der Musik, vor allem der deutschsprachigen, gewogen bleiben. Sie sollen es nicht lassen, sich dafür zu interessieren trotz allem Mainstream, mit dem man täglich überschwemmt wird. Die Feinheiten in Deutschland sind in den Regionen zu finden, kleine feine Nischenmusik. Da gibt es so viele tolle Sachen, ich sehe das selbst jeden Tag, was es alles gibt. Da sollen sie sich mal umhören. Viele junge Leute sind da aktiv und das freut mich am meisten. Und ich fände gut, dass sie diese Sachen weiter in die Hände nehmen und sich ihnen widmen.



Interview: Christian Reder
Bearbeitung: MB
Fotos: Herbert Schulze, Christoph Bigalke, Flashlessart, Archiv privat, Volly Tanner





   
   
© Deutsche Mugge (2007 - 2023)

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.