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Interview vom 20. November 2020

 

Eigentlich war Heinz Rudolf Kunze in diesem Jahr schon einmal unser Interview-Gast. Damals war sein aktuelles Album "Der Wahrheit die Ehre" gerade erschienen und Thema des Gesprächs. Und weil der Musiker alles andere als untätig und faul ist, kam er in dieser Woche erneut auf einen Plausch vorbei.001 20201128 1402693855 Anlass ist das neue Live-Album "Wie der Name schon verrät: Solo live", das in diesem Monat auf zwei CDs beim Label Meadow Lake Music veröffentlicht wurde (Rezension siehe HIER). Zwischen den beiden "Lockdowns" fanden sich noch ein paar Termine, das neue Album live zu spielen. Ohne Band und nur mit dem sich selbst an Klavier und Gitarre begleitenden Kunze. Unsere Kollegin Antje hatte dazu ein paar Fragen, aber auch zu Kunzes Sicht der Dinge auf die aktuellen Verhältnisse in der deutschen Musikszene. Hier das Ergebnis ...




Hallo Herr Kunze, zunächst einmal herzlichen Glückwunsch zu Ihrem 40-jährigen Bühnenjubiläum!
Da rechnen Sie aber sehr spitz, normalerweise dürften Sie das erst im nächsten Jahr. Aber Sie haben natürlich in sofern spitzfindiger weise recht, als dass am 9. November 1980 mein erster Auftritt war, der nennenswerte Aufmerksamkeit erregte. Aber damals war ich noch Amateur. Meinen ersten Plattenvertrag habe ich 1981 unterschrieben. Seitdem mache ich hauptberuflich Musik, deshalb ist erst nächstes Jahr mein Jubiläum.

Dürfen sich die Fans da auf etwas Besonderes freuen?
Das liegt ja leider nicht in unserer Hand, sondern in der Hand dieser Seuche, die die Welt heimsucht. Wir haben natürlich viele Dinge geplant, von denen wir hoffen, dass wir sie durchkriegen und realisieren können. Aber dazu muss sich ja erst mal das Weltgeschehen mit der Pandemie entspannen. Wir haben eine große Tour von diesem Frühjahr schon zwei Mal verschoben, nun soll sie im nächsten Frühjahr stattfinden. Das wäre aber die Tour zu meinem letzten Album "Der Wahrheit die Ehre", die ja eben ausgefallen ist. Das würden wir schon gerne nachholen, denn das Album hat es ja bis auf Platz 3 in die Charts gebracht und das würden wir schon gerne feiern. Dann würden wir gerne in der zweiten Jahreshälfte die Jubiläumsfeiern begehen. Aber wir müssen sehen, was die Politik, die Weltlage, die Gesundheit uns ermöglicht.

002 20201128 1938578765Wie erleben Sie insgesamt die Corona-Zeit?
Na ja, man versucht, nicht die Fassung zu verlieren. Der zweite Lockdown ist nun doch schon ein großer Nerv, muss ich sagen. Nachdem man im Frühjahr/Sommer wenigstens ein paar Mal unter strengsten Sicherheitsauflagen unter freiem Himmel spielen konnte oder in Kirchen, in denen nur alle 50 Meter einer saß, ist dieser erneute Lockdown - dieses erneute Berufsverbot - schon sehr schwer zu ertragen, muss ich sagen. Ich habe auch meine Zweifel, ob die Regierung da das richtige tut und ob es nicht besser wäre, gezielt Risikogruppen zu schützen ... So wird ein ganzer Berufsstand, an dem weit mehr als eine Million Arbeitsplätze hängen, das ist nämlich in der Kulturbranche so, kollektiv zu bestrafen. Das geschieht, obwohl wir Sicherheitskonzepte haben. Vor lauter Verzweiflung hat ja neulich der regierende Bürgermeister von Hamburg gesagt: "Kommen Sie in die Elbphilharmonie, da bleiben Sie gesund." Denn da gibt es Hygienekonzepte. In den öffentlichen Verkehrsmitteln, in denen die Leute teilweise sehr dicht gedrängt sind und sich ins Gesicht husten, wird die Gefahr der Ansteckung wohl viel höher sein. Wie es da in den privaten Haushalten aussieht, das weiß niemand. Ich habe langsam das Gefühl, hier werden aus symbolpolitischen Gründen, um überhaupt etwas zu tun, die Falschen bestraft. Wenn wir ab nächstem Frühjahr nicht wieder arbeiten können, dann wird von uns Künstlern, das sag ich mal ganz pauschal, die Hälfte nicht mehr da sein.

Was sehr traurig wäre …
Das würde Verluste für dieses Land an Seele und Geist bedeuten, die man in Zahlen gar nicht messen kann.

003 20201128 1310794024Wie empfinden Sie die Maßnahmen der Bundesregierung, speziell bezogen auf Musiker, sprich Soloselbständige wie Sie?
Bei mir ist noch kein Cent angekommen. Mein Steuerberater wartet sehr neugierig auf die Möglichkeit, sich dafür zu bewerben. Man munkelt, es gibt ein Formular von bis zu 80 Seiten, also ein kleines Taschenbuch, welches der Steuerberater durcharbeiten muss,um überhaupt herauszubekommen, ob wir dafür infrage kommen. Bisher sind das alles leere Sprechblasen, Ankündigungen ohne jegliche Folgen. Wir wollen mal hoffen, dass es irgendwann wahr wird.

Dafür drücke ich doll die Daumen!
Danke.

Gerade Ihre Konzerte haben mich tatsächlich immer sehr beeindruckt …
Das ist schön und freut mich natürlich.

Es wäre sehr schade, wenn man so was nicht mehr erleben dürfte, zumindest auf lange Sicht.
Eine kleine Hoffnung bleibt ja zumindest mit meinen Solokonzerten. Man munkelt, dass das wohl ab Anfang des nächsten Jahres unter sehr scharfen Bedingungen wieder möglich sein soll. Das bedeutet allerdings auch, dass ich zwei Konzerte am Abend spielen muss. Eines um 18:00 Uhr und eines um 20:00 Uhr, um wenigstens mit den zwei Auftritten einen Pfennig Geld zu verdienen. Aber natürlich würden wir das machen, in diesen sauren Apfel würden wir beißen, auch wenn es eine sportliche Leistung ist, über drei Stunden auf der Bühne zu stehen. Aber wenn wir überhaupt spielen können, sind wir dankbar und tun natürlich alles, um unserem Publikum so bald wie möglich wieder zu begegnen. Es ist ja nicht nur eine Frage vom Geld, es ist nicht nur eine Frage vom Kontostand. Man vermisst einfach das Publikum, verdammt noch mal.

Ich kann es nur als leidenschaftlicher Konzertbesucher sagen: Das Publikum vermisst Sie als Künstler genauso.
Das ist eine Wechselbeziehung, man braucht sich doch gegenseitig. Dieses zu Hause hocken müssen, ist nicht gut. Ich bin eigentlich nicht ungern zu Hause, ich bin ein sehr zurückgezogener Mensch, ich höre viel Musik, lese und schreibe viel Musik. Mir macht das durchaus auch Spaß. Aber wenn man es muss, wenn man das vorgeschrieben bekommt, dann macht das auf einmal viel weniger Spaß.

004 20201128 1954557796Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass Sie gerade aus den alltäglichen Situationen und Begegnungen mit den Menschen ja auch Ihre Inspirationen und Ideen ziehen.
Ja natürlich, wir müssen uns ja in jeder Art von Umgang einschränken, das wird von uns erwartet. Wir sind ja auch vernünftige Staatsbürger und haben Vertrauen, dass es kein Quatsch ist, was uns von der Regierung erzählt wird. Ich bin weit davon entfernt, irgendwelchen Verschwörungstheorien hinterherzulaufen. Aber allmählich wird das Nervenkostüm dünner. Man merkt, wenn man einkaufen geht, dass die Leute reizbarer werden und langsam nicht mehr können. Das ist auch verständlich, der Mensch ist ein Gemeinschaftswesen. Wenn man ihnen die Interaktion mit anderen Menschen dauerhaft nimmt, verursacht das psychische Schäden.

Welche war Ihre liebste Location während der Tour im Sommer? War es das Schweriner Stadtschloss, in dem auch die Aufnahmen zu der CD stattfanden?
Das war ganz verschieden, denn jedes Konzert war anders. Die Bundesländer gehen ja sehr verschieden vor und es gibt überall andere Vorgaben. Das ist ja auch so ein Flickenteppich in Deutschland. In Mecklenburg-Vorpommern ist es wesentlich liberaler als in Nordrhein-Westfalen. Ich habe es jetzt nicht gezählt, aber von meinen geplanten 70 bis 80 Konzerten, solo und ohne Band, sind ja nur gut zehn übrig geblieben. Der Rest wurde abgesagt oder die Konzerte auf das nächste Jahr verschoben. Das Konzert in Schwerin war toll, der Schlosshof ist ja eine wunderschöne, reizvolle Spielfläche, von allen Seiten von den Schlossmauern umgeben, nach oben zum Abendhimmel offen. Das war auch vom Hygienekonzept her kein Problem, so dass 200 Leute zugelassen wurden. Das sah schon fast wie ein normales Konzert aus, was für die Aufnahme natürlich auch beflügelnd war. Ich glaube, ich bin auch insofern einmalig in meiner Situation, als dass außer mir dieses Jahr meines Wissens nach niemand weiter ein Livealbum aufgenommen hat. Aber wir haben den Umständen getrotzt und bringen das nun auch noch raus. Es ist, denke ich, auch ein besonderes Album, weil es nichts Vergleichbares gibt. Es gibt sonst nicht so eine Mischung aus Poesie und Musik. Das ist, glaube ich, ganz alleine da.

Dank der CD kann man sich Ihre Poesie ganz in Ruhe anhören. Da hat mir etwas besonders gefallen: "Das Glück ist eine Dachrinne voller Laub die man leerräumt, ohne von der Leiter zu fallen." Ich finde, es spiegelt die Empfindung von Glück, Leichtigkeit und Unbeschwertheit so schön wider. Wie kommen Sie auf solche bildlichen Vergleiche?
Ich schaue ziemlich häufig Fernsehen und erinnere mich an einen Moment aus "Mord mit Aussicht", in dem der erste Liebhaber von Sophie Haas auf Anweisung ihres Vaters die Dachrinne reinigen muss, da geht es aber schlecht aus (lacht …). Da ich neulich Sophie Haas, sprich Caroline Peters, für meinen Podcast "Durch die Brille gefragt" getroffen habe, habe ich ihr auch davon erzählt. Sie hat sich halb kaputt gelacht.

005 20201128 1650582145Ich darf noch etwas zitieren: "Ich erkenne die Wirklichkeit nicht an. Die Wirklichkeit ist durch Wahlbetrug an die Macht gekommen. Ich hatte eine andere gewählt." erinnert im Kontext mit der US-Wahl sehr an einen gewissen Trump ...
Ja, der kriegt ja noch mal in einem ganz anderen Text auf eine ganz rüde Art und Weise sein Fett weg. Ja klar, das ist schon eine Art Tagebuch dieses Programm. Die Sprechtexte sind immer relativ aktuell und werden während einer Tour auch ausgetauscht, wenn etwas Neues stattfindet, was mich anspricht. Die Lieder haben eine etwas längere Lebensdauer im Programm. Aber die Sprechtexte sind wie eine Art Wandzeitung, an der ein Artikel auch mal abgenommen und durch einen neuen ersetzt wird. Deshalb handelt dieses Programm auch, aber nicht nur, von Corona.

Wann sind Sie dazu übergegangen, auch mal unbequem zu sein und Ihre Meinung zu sagen?
Nach meiner Wahrnehmung war ich das schon immer. So habe ich angefangen, so bin ich gewesen und so bin ich auch immer noch. Es gibt dazu verschiedene Meinungen. Einige Leute haben gesagt, ich wäre zwischendurch mal milder geworden, hätte mir was verkniffen oder mich würde das alles nicht mehr interessieren. Das ist aus meiner Sicht kompletter Blödsinn. Denn ich habe solche Texte immer gemacht. Selbst in meinen allerersten Anfängen als Student, als Hobbymusiker habe ich so was auch getan. Nur mit schlechteren Instrumenten, als ich sie heute habe. Einen Flügel hatte ich damals auch nicht. Aber die Art, sich in poetischer, satirischer oder kabarettistischer Form über das Leben Gedanken zu machen, die zieht sich für meine Begriffe wie ein roter Faden durch meine Karriere.

Sind Sie der Meinung, dass alle Musiker Stellung beziehen sollten?
Also es gibt so viele Schubidu- und Trallala-Sänger, bei denen alles lustig und heiter ist. Es gibt viel zu wenig andere. Aber ich will auch niemandem etwas vorschreiben. Das sind meine Meinung und meine Wahrnehmung. Jeder muss machen, was er für richtig hält. Es könnte dem geistigen Klima in diesem Land nicht schlecht tun, wenn es ein paar mehr gäbe, die einfach offen und ehrlich ihre Meinung sagen. Aber einige sind zu feige dafür, einige glauben sie verderben es sich dann mit den Fernseh- und Rundfunkanstalten und manche sind vielleicht auch einfach zu dumm dazu.

006 20201128 1056311850Haben Sie dafür auch schon einen Shitstorm geerntet?
Ja, mit Sicherheit, aber mein Management ist so nett und schirmt es vor mir ab (lacht). Wie sollte es auch nicht so sein, es ist ja unausweichlich. Es ist auch ein Fluch der neuen Medien, dass jeder Vollidiot wie ein Heckenschütze anonym und feige seinen Dreck in die Welt spritzen kann. Wer irgendwas sagt, muss damit rechnen, dass er von irgendwo mit Scheiße beworfen wird.

Wie wählt man aus so vielen Songs, die Sie im Laufe Ihrer Karriere geschrieben haben, einige vergleichsweise wenige für eine Tour aus, neben denen einer aktuellen Scheibe?
Das ist relativ zufällig, es ist eine Momentaufnahme. So ist das Programm im Sommer 2020 gewesen. Dieses Soloprogramm, das darf man nicht vergessen, gibt es erst seit fünf Jahren. Ich habe 2015 überhaupt erst angefangen, ganz alleine zu spielen. Vorher habe ich das nie getan, da war immer jemand dabei. Seit diesen fünf Jahren ändert sich die Liedauswahl ab und zu. Da wird mal eines rausgenommen, eines reingetan. Das ist ein organischer Prozess, wie eine Schlange, die sich ab und zu häutet. Einige Lieder bleiben natürlich drin, weil die Leute sie unbedingt hören wollen. Darauf darf ich nicht verzichten. Dann wären die Leute traurig und das will ich ja nicht. Drumherum gibt es eine riesige Auswahl, die von Platte zu Platte natürlich auch größer wird. Man versucht, auch das Neue abzubilden. Das ist dieses Mal, glaube ich, mit vier Liedern passiert. Wobei das Lied "Zusammen" auf dem letzten Album noch gar nicht drauf war, das ist ja noch neuer. Aber die "Spießgesellen der Lüge" und "Mit welchem Recht", "Die Dunkelheit hat nicht das letzte Wort" sowie "Die Zeit ist reif" fallen mir da ein. Ich denke, das kann jeder nachvollziehen, wenn man als Musiker sagt, dass einem die neuen Songs die wichtigsten sind, die sind noch nicht so abgespielt und abgenudelt ... Was nicht dabei ist, ist "Mit Leib und Seele", denn das kann man solo nicht spielen. "Finden Sie Mabel", "Dein ist mein ganzes Herz" oder auch "Lola" sind eben die Eckpfeiler. Wobei interessanter Weise die Leute noch nie - auf keinem Konzert - nach "Dein ist mein ganzes Herz" riefen, dann schon eher zum Beispiel nach "Lola". Vielleicht, weil es sich einfacher rufen lässt …

Mir persönlichen gefallen akustische Singer-Songwriter-Konzerte sehr. Songs wie "Vertriebener" bekommen da noch mal eine andere Energie, finde ich. Ist das auch für Sie der Grund, Ihre "Verstärkung" ab und an zu Hause zu lassen?
Nein, das ist gewiss nicht der Grund. Ich würde gerne 100 Mal mehr Konzerte mit der Band machen, wie ich kann. Aber das geht einfach nicht, weil man mit einer großen, aufwendigen Band nur aller zwei Jahre eine Tour in Deutschland machen kann. Sonst überspielt man sich und dann kommt keiner mehr. Und es ist dann einfach auch zu teuer. Leider, muss ich sagen, kann ich nicht mehr mit der Band machen.007 20201128 1796422438 Das Programm ist eigentlich aus der Not geboren. Aber das kleine Biest hat sich gut entwickelt und ist eigentlich zu einem Dinosaurier geworden. Ich mache das auch wahnsinnig gerne, es macht großen Spaß. Das Beste daran ist, wenn es nicht gerade Corona gibt, dass es das ganze Jahr über stattfindet. Es gibt kaum ein Wochenende, an dem ich nicht spiele. Das hat den unglaublich tollen Effekt, dass das Lampenfieber gar keine Chance hat, weil ich ständig spiele und so ständig im Training bleibe.

Es ist schon überraschend, dass jemand mit Ihrer Erfahrung überhaupt noch Lampenfieber hat …
Normalerweise nicht, weil ich in den letzten Jahren genug unterwegs war. In den früheren Jahren war manchmal ein dreiviertel Jahr nichts, keine Auftritte. Das ist Mist. Da verliert man den Kontakt zum Publikum und das Gefühl dafür, wie man mit einem Publikum umgeht. Wenn man nach einem dreiviertel Jahr wieder los muss, wird man flatterig.

In der Presseinfo zu Ihrem Album stand, dass es eine "... Mischung zwischen Bruce Springsteens Solo on Broadway und Harald Schmidt" ist, da musste ich schmunzeln. Empfinden Sie sich selbst als so bissig, wie Harald Schmidt?
Ich wollte damit sagen, dass es eine Mischung aus humorvoll kommentiertem Zeitgeschehen und Musik solo ist. Die Form, die Springsteen gewählt hat, ist genau die gleiche, wie bei mir. Auch bei ihm gibt es Mundharmonika, Gitarre, Flügel. Der einzige Unterschied ist, dass es bei ihm keine vorbereiteten Sprechtexte gibt, sondern er aus dem Nähkästchen plaudert. Er bricht die Songs auch mal mittendrin ab und erzählt dann, warum er ihn geschrieben hat oder was ihm dabei durch den Kopf ging. Das ist mehr Geplauder. Meine Texte sind durchformuliert, sie lese ich ja auch ab. Meine Texte sind auch in Büchern festgehalten, das ist eine Form für sich. Mit dem Stichwort Harald Schmidt wollte ich ansprechen, dass es durchaus auch etwas zu lachen gibt und dass es keine strenge, ernste Vorlesung ist.

Während der Songs bauen Sie auch immer mal wieder Songs anderer Musikerkollegen ein, wie zum Beispiel von den Rolling Stones oder auch Fleetwood Mac. Ist das eine Art Ehrerbietung oder weil es einfach besonders gut passt?
Das hat verschiedene Gründe. Fleetwood Mac passt natürlich, wenn ein Song "Eigene Wege" heißt. Mir ist auf der Bühne plötzlich eingefallen, dass es ja von Fleetwood Mac "You can go your own way" gibt. Das war einfach ein lustiger Vergleich. Bei "Vertriebener" singe ich vier Zeilen an der Stelle, an der eigentlich ein Solo kommt. Ich habe keine vier Hände, also kann ich mich entweder begleiten oder ein Solo spielen. Diese vier Zeilen sind das Finale aus der Rockoper "Tommy" von The Who, in dem Pete Townshend sein Publikum anbetet und sagt:008 20201128 2084685101 "Nur weil es Euch gibt, gibt es mich. Und nur weil ich Euch beobachte, komme ich auf meine Ideen." Es ist also eine Referenz an das Publikum. Wenn ich "Lola" spiele, bietet es sich natürlich an, Stücke von den Kinks zu spielen. Das sind Dinge, sie entstehen als Flachs, als spontaner Witz. Manchmal bleiben sie im Kopf und verfestigen sich und werden wiederholt, manchmal auch nicht.

Wie empfinden Sie die Entwicklung der Musikbranche in den letzten 40 Jahren?
Als eine zunächst schleichende und sich nun beschleunigende Katastrophe. Die CD als Markt ist so gut wie tot. Streaming ist eine glatte Enteignung des Künstlers. Die Plattenfirmen bekommen dafür mehr Geld, bei uns Künstlern kommen nur Centbeträge an. Das ist ein Skandal, um den sich die Politik übrigens auch nicht kümmert. Würde es nur noch Streaming geben, würden die Musiker verhungern. Die Livekonzerte sind immer wichtiger geworden, um Geld zu verdienen, das geht im Moment nicht. Die Musikindustrie hat untätig zugesehen, wie die Selbstbrennerei vorangeschritten ist und hat nichts dagegen unternommen. Letzten Endes hat sie sich den Ast abgesägt, auf dem sie sitzt. Ich werde den Untergang der Musikindustrie, der Plattenfirmen, so wie wir sie kennen, noch erleben.

"Durch die Brille gefragt" ist eine Podcastreihe, in der Sie mit verschiedenen Persönlichkeiten aus der Musik, aber auch anderen Bereichen Gespräche über dies und das führen. Wen wünschen Sie sich da noch als Gesprächspartner?
Das ist eine Reihe ohne absehbares Ende. Als nächsten Gast in der Reihe habe ich den Fußballtrainer Steffen Baumgart von Paderborn, das interessiert mich sehr. Ich wollte schon immer mal mit Fußballern ins Gespräch kommen. Mich begeistert es als Fernsehzuschauer schon sehr. Wir werden uns weiter umtun nach wichtigen, interessanten Leuten, vorrangig natürlich aus dem Kulturbereich: Schauspiel, Film, Musik. Aber wir sind auch offen für anderes. Ich habe verschiedene Wunschlisten, gucken wir mal, wer da zusagt. Wir hangeln uns da so lang. Als Nächster ist es eben der Trainer vom SC Paderborn.

009 20201128 1730153035Die Folge mit Reinhard Mey hat mir besonders gut gefallen …
Das war aber auch eine Sternstunde. Ich glaube, da sind wir beide mit dem richtigen Fuß aufgestanden.

Wie kam die Idee zu dem Podcast?
Ich bin ja nicht so technikaffin. Das ist meinem Management eingefallen als Lebenszeichen, damit die Leute von mir etwas zu hören bekommen und nicht denken, dass ich verstummt bin. Als Zeichen: "Ich bin noch hier und ich mach noch was." Es ist sogar ziemlich arbeitsintensiv, denn man muss sich auf den Gast, wie ich finde, ordentlich vorbereiten. Viele Materialien lesen zu dem jeweiligen Klienten, damit man vernünftige Fragen stellt. Aber so lernt man auch tolle Leute kennen.

Ich habe gelesen, dass Sie sich zumindest zu Beginn mit den Gästen live getroffen haben, zum Beispiel im Clara Zetkin Park in Leipzig?
Ich habe mich mit jedem Gast live getroffen. Das war nicht über den Bildschirm, das wäre ja doch sehr unpersönlich. Ich habe alle mit meinem Management persönlich aufgesucht in ihren jeweiligen Städten. Neulich waren wir zum Beispiel bei Anette Frier in Köln.

Möchten Sie unseren Lesern als Abschluss noch etwas mit auf den Weg geben?
Ja, was soll ich ihnen mit auf den Weg geben? Eigentlich ganz elementare Sachen: Liebe Leser, bleibt schön gesund. Ich hoffe sehr, dass wir uns nächstes Jahr wiedersehen.

Herr Kunze, ich wünsche Ihnen ebenfalls, dass Sie gesund bleiben und danke Ihnen für das nette Gespräch.
Danke, bleiben Sie auch gesund!



Interview: Antje Nebel
Bearbeitung: MB, cr
Fotos: Pressemateruial (u.a. Martin Huch), WEA/Warner, Redaktion




   
   
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