000 20201019 1779071930


uesc 20201019 1524168122
Interview vom 14. Oktober 2020



Es gibt Menschen, die erzählen Dir gerne, was für große Helden sie doch sind und was sie schon für große Dinge geleistet haben. Sie können das so gut verpacken, dass Du wirklich glaubst, sie seien ein wichtiger Teil der Szene, auch wenn sie nur Blender und Schaumschläger sind. Und dann gibt es Menschen wie Wolfgang Martin, die haben in ihrem Leben eine Menge erlebt, ohne deshalb einen großen Aufriss zu machen.001 20201019 1193289124 Ich meine damit, dass sie richtig große Sachen erlebt und auch angekurbelt, und - so wie Wolfgang Martin - viele Dinge erst möglich gemacht haben. Lange Zeit hörte man davon nur von anderen, die über ihn erzählten, aber seit vergangenem Monat bekommt man es endlich auch aus erster Hand: der Radiomann und Autor hat nun erstmals über sich erzählt, und zwar in dem Buch "Wie die Westmusik ins Ostradio" kam. Kurzweilig und spannend erzählt er darin Episoden aus seinem Berufsleben, nimmt den Leser mit auf eine Reise in eine andere Welt und liefert damit gleichzeitig eine Art Geschichtsbuch ab, das diese Welt für die nachfolgenden Generationen festhält und erklärt. Unser Kollege Christian hatte jetzt die Gelegenheit, ein schon vor Jahren verabredetes Gespräch mit Wolfgang Martin zu führen, in dem es nochmals ins Detail ging und das auch einen Blick auf's Heute wirft. Neben tollen Erzählungen gab es noch eine gewaltige Portion Sachverstand, Liebe zum Beruf und Warmherzigkeit dazu, die wir hier gern mit Euch teilen ...

 


 

Mit "Wie die Westmusik ins Ostradio kam" hast Du im September ein neues Buch veröffentlicht. Müsste das Buch nicht eigentlich "Das bunte und aufregende Leben des Wolfgang Martin" heißen? Denn insgesamt ist das ja schon eine recht ausführliche Biografie mit dem einen oder anderen Blick neben den Weg.
Ja schon, aber diese Biografie ist ja vor allem an mein Radioleben gebunden, also an meine Zeit in der DDR inklusive der dazugehörigen Geschichten. Deswegen haben wir es im Untertitel auch "Radiogeschichten von DT64 bis Beatkiste" genannt. Es betrifft also meine Zeit von Beginn der 70er Jahre bis etwa 1990/1991, als der ehemalige Rundfunk der DDR abgewickelt wurde und somit auch das Ende von DT64 kam. Diese Geschichten und Zeiträume umfasst das Buch im Wesentlichen. Also wie bin ich zum Radio gekommen, wie bin ich zur Musik gekommen, was habe ich in diesen zwanzig Jahren alles erlebt. Natürlich spielte dabei der Aufbau der neuen Jugendmusik-Formate im damaligen Rundfunk der DDR eine große Rolle, zunächst bei Stimme der DDR und später dann bei DT64. Das war gekoppelt mit den inhaltlichen Veränderungen, denn wir brauchten ja einerseits die Musik aus dem Westen sehr dringend, um die Hörer zu binden, aber gleichzeitig wollten wir auch die nationale DDR-Pop- und Rockszene aufbauen, die ja ab den Siebzigern einen enormen Popularitätsschub bekam. Zuvor in den 60er Jahren ging es immer ein bisschen hin und her mit der nationalen Musik, mal war es erlaubt, dann war es wieder verboten. Ich sage nur als Stichwort "Bitterfelder Konferenz". Aber ab den 70er Jahren haben dann die Genossen durchaus gesehen und begriffen, dass es ohne die Entwicklung einer eigenständigen nationalen Pop- und Rockmusik nicht gelingen kann, die Menschen davon zu überzeugen, dass wir auch gute Musik produzieren und dass diese letztlich von den Leuten auch angenommen wird.

Jetzt sind wir schon mittendrin im Thema. Wie kamst Du denn auf die Idee, dieses Buch zu schreiben? Oder hatte jemand anderes die Idee dazu und hat Dich davon überzeugen müssen?
Die Idee schmorte schon längere Zeit in mir. Den letzten Anschub gaben mir dann ein paar Kollegen und Freunde. Wenn wir privat zusammensaßen und uns die alten Geschichten erzählten, dann waren meine Freunde immer der Meinung, das sind so tolle Sachen und Geschichten, die man unbedingt der Nachwelt hinterlassen müsste. Gerade am Anfang war das ja alles überhaupt nicht einfach und man musste schon mal den einen oder anderen Mogelweg gehen. Deshalb auch der etwas reißerische Titel "Wie die Westmusik ins Ostradio kam". Das passierte nämlich wirklich hier und da auf recht abenteuerlichen Wegen. Dazu kommen die Geschichten, die ich in meinem Job als Musikredakteur erlebt habe. Wenn ich ehrlich bin, steckte auch ein bisschen die Absicht dahinter, diesen Berufsstand mal etwas in den Vordergrund zu rücken, denn ich kenne keine einzige Schrift in der Musikliteratur, in welcher der Musikredakteur eine Rolle spielt. Dabei hat der vor allem in den elektronischen Medien, also beim Hörfunk und beim Fernsehen, eine ganz wichtige Rolle gespielt. Die meisten wissen nämlich überhaupt nicht, welche Rolle der Musikredakteur gespielt hat, wie wichtig der für die Sendungen war und ist. Als ich seinerzeit angefangen habe mit dem Job, haben wir noch sehr multifunktional gearbeitet. Das bedeutet, dass wir Musikredakteure gleichzeitig auch die Produzenten der Musik waren, was ich in meinem Buch sehr deutlich beschreibe. So habe ich die Anfänge der Produktionen von KARAT, von den PUHDYS, von VERONIKA FISCHER, von PANTA RHEI und selbst von OMEGA bei uns im Funkhaus in der Nalepastraße miterlebt. Meine Kollegin Claudia Ninnig, die damals die Beatkiste erfunden hat, war tatsächlich als Produzentin tätig. Auf diese Art gab es immer eine enge Verbindung zwischen der Musikproduktion und den Redakteuren, was sich dann logischerweise auch sehr positiv in den Sendungen niederschlug. Wir konnten beispielsweise mitbestimmen, welche Titel produziert werden sollten bzw. welche sollten für das Radio freigegeben werden. Wir konnten also durchaus mitentscheiden, welche Musik letztendlich in die Radiosendungen kam. Da herrschte bekanntlich beim Hörfunk damals ein großer Bedarf, während es beim Fernsehen schon etwas weniger Nachfrage gab. Das hing immer ein bisschen von den jeweiligen Sendungen ab. Auf jeden Fall gab es eine enge Zusammenarbeit zwischen den Produzenten, den Musikredakteuren und den Machern der jeweiligen Sendungen. Und letztlich waren auch die Musiker selbst an diesen Prozessen beteiligt.

Beim Lesen des Buches fällt auf, dass Du zu jedem Augenblick eine passende Geschichte parat hast, denn jedes Erlebnis unterfütterst Du noch mit zusätzlichen Infos, die manchmal sogar über das eigentliche Thema hinausgehen. Gibt es für diese Art zu Schreiben eigentlich ein Vorbild?
Für mich nicht. Ich habe das Buch frei weg von der Leber geschrieben, was ich übrigens auch schon bei meinen ersten beiden Büchern gemacht habe. Also vor sechs Jahren das Buch mit Maschine und dann die Holger Biege-Biografie "Sagte mal ein Dichter". Klar, hier ging es konkret um zwei Musiker-Persönlichkeiten, aber die haben ja nicht völlig allein im Musikuniversum gelebt, sondern da haben viele Begleitumstände eine Rolle gespielt. Zum Beispiel musste man immer im Hinterkopf haben, wie gerade die kulturpolitische Großwetterlage war, ob man sich anpassen musste und so weiter. All diese Dinge versuche ich eben jetzt auch in meinem neuen Buch unterzubringen, wobei ich das Thema nicht zu hoch hängen will. Es soll weniger ein Lehrbuch sein, sondern mehr eine Art Erinnerungsbuch, um auch nachwachsenden Generationen, die möglicherweise daran interessiert sind, zu zeigen, wie das damals war, wie das Ganze einzuordnen war. Es soll also klar werden, dass es nicht einfach nur darum ging, mal schnell ein paar Titel im Rundfunkstudio einzuspielen und die Redakteure werden das dann schon bekannt machen, sondern es waren immer gewissen Geschichten und Umstände damit verbunden. Meistens waren es gute Umstände, aber manchmal eben nicht. Auf jeden Fall waren sie aber immer spannend, was nicht zuletzt auch das Berufsleben als Musikredakteur für mich auszeichnete. Deswegen steht auch "Radiogeschichten" im Titel, was darauf hinweist, dass es sich um eine lockere Abfolge handelt.

Unter anderem erzählst Du in dem Buch von Deiner Armeezeit, die Du 1971/72, also vor fast fünfzig Jahren hinter Dich bringen musstest. Du schreibst, dass Du Dich daran nicht sehr gerne erinnerst. Ich wäre ein schlechter Interviewpartner, wenn ich da nicht nachbohren würde. Was genau war denn das Schlimme an dieser Zeit?
In der DDR kannten wir diesen Begriff nicht, aber im Nachhinein erkläre ich mir das so, dass ich von Hause aus eine pazifistische Grundeinstellung hatte. Mir war alles, was mit Militär, Armee, Waffen etc. zu tun hatte, zutiefst zuwider. Außerdem steckt da noch eine emotionale Seite dahinter. Als ich eingezogen wurde, war ich gerade mal neunzehn oder zwanzig Jahre jung und ein ziemlich zart besaitetes Kerlchen. Meine Lebenspläne sahen gänzlich anders aus. Ich war gerade mit dem Abitur und der Berufsausbildung zum Schriftsetzer fertig und wollte eigentlich ein Studium in Leipzig beginnen. Außerdem hatte ich bereits ein Volontariat beim Rundfunk klargemacht, denn ich hatte schon damals den Wunsch und den Ehrgeiz, beim Rundfunk einen Job zu bekommen. Am Anfang sollte es eher in Richtung Journalistik gehen und da wiederum am liebsten zu einer Stelle als Auslandskorrespondent, denn für einen DDR-Bürger war damit verbunden, vielleicht auch mal ins westliche Ausland zu kommen. Die Einberufung zur Armee stand also all meinen Lebensplänen im Wege. Die Grundausbildung habe ich dann genauso erlebt, wie ich es mir schlechter nicht hätte erträumen können. Es war überhaupt nicht mein Ding! Aber ich konnte der Zeit wenigstens auch ein paar gute Seiten abgewinnen, indem ich mich in der Freizeit mit meinen Lieblingsthemen beschäftigt habe. So habe ich viel gelesen und vor allem Radio gehört, wofür ich der Armee fast noch dankbar sein müsste, denn dadurch kam ich vor allem zur Ostmusik. Nun war es ja bei der Fahne so, dass wir nur die DDR-Sender hören durften. Wir hatten auf der Stube ein riesiges Röhrenradio, bei dem auf der Frequenzskala fünf Striche aufgemalt waren. Das waren nämlich die Einstellungen der fünf DDR-Sender. Da fand ich recht schnell den Deutschlandsender, der später zu Stimme der DDR umbenannt wurde, mit den schon existierenden Sendungen Notenbude und Beatkiste. Außerdem gab es noch den Berliner Rundfunk, wo am Nachmittag für drei Stunden DT64 lief. Dort wurde die Musik gespielt, die ich mochte, also die BEATLES oder die ROLLING STONES. Und plötzlich entdeckte ich in der Notenbude und der Beatkiste, dass es da ja auch noch etwas anderes gibt. Zum Beispiel die ersten Songs der PUHDYS, die da hießen "Finde den Weg durchs Feuer" oder "Geh dem Wind nicht aus dem Wege". Auch die Werke von PANTA RHEI haben mich richtig angesprochen. Alles in allem empfand ich diese Musik als sehr interessant. Mit diesen Erlebnissen im Hinterkopf schaffte ich dann auch mit Ach und Krach die ganzen unschönen Dinge wie die Eskaladierwand und ich brachte diese 18 Monate irgendwie hinter mich.

Wo warst Du denn stationiert?
Im damaligen Bezirk Neubrandenburg, was heute zu Meck/Pomm gehört. Übrigens gab es dann doch noch einen ganz entscheidenden Vorteil, denn ich war bei der Luftverteidigung und wurde dort zum Fernschreiber ausgebildet und konnte mir für meine späteren Tätigkeiten einiges aneignen. Zum Beispiel das Zehn-Finger-System auf der Schreibmaschine. Das war eine feine Sache.

013 20201019 1722200609In Deinem Buch schreibst Du auch über die 1966 während eines dortigen Ferienaufenthaltes entstandene Liebe zu Kuba. Manch ein Kind hegt ja nach einem solchen Erlebnis den Wunsch, später auch beruflich etwas in diese Richtung zu machen. Bei Dir kam es aber anders. Du hattest also nicht den Wunsch, statt einer Karriere beim Radio irgendetwas zu machen, was Dich Kuba näher bringt?
Naja, die Gedanken hatte ich durchaus. Immerhin verbrachte ich 1966 in den Sommerferien zwei volle Monate auf Kuba. Meine Eltern hatten dort vier Jahre gearbeitet. Mein Vater war Diplomingenieur für Rundfunk- und Fernsehtechnik und war im Auftrag des DDR-Außenhandels tätig. So baute er unter anderem ein Funktelefonnetz auf Kuba mit auf. Die technischen Dinge interessierten mich nicht ganz so stark, dafür aber umso mehr Land und Leute und die Geschehnisse rund um die Revolution und Castro und Che Guevara und so. Dazu kam die Liebe zur Literatur, vor allem zu Ernest Hemingway, der bekanntlich eine Zeit lang in Havanna lebte. Ja, ich fand das alles sehr faszinierend, aber einen Job in diese Richtung wäre nur in Frage gekommen, als ich noch den Wunsch hatte, Auslandskorrespondent zu werden. Mittlerweile hatte sich das aber bei mir geändert und ich wollte viel lieber zum Radio, um dort als Musikredakteur zu arbeiten. Doch meine Liebe zu Kuba habe ich mir bis heute bewahrt. Und ich hätte eigentlich anstelle des jetzt vorliegenden Buches viel lieber ein Buch über die Geschichte der kubanischen Musik geschrieben, da ich mir im Laufe der letzten fünfzig Jahre eine sehr stattliche Tonträger-Sammlung in Form von CDs, DVDs und Blue Rays mit kubanischer Musik zugelegt habe. Insgesamt war ich dreimal auf Kuba und habe immer ordentlich eingekauft, was dazu führte, dass ich heute zwischen 250 und 300 verschiedene kubanische Alben besitze. Ich habe diese Idee verschiedenen Verlagen angeboten, die zunächst aber allesamt kein Interesse zeigten. Dann wurde mir mal ein hochinteressantes Buch von einem französischen Autorenteam zugeschickt. Und die haben genau das gemacht, was ich vorgehabt hätte. Natürlich ließ ich dann sofort die Finger davon, denn das ist ein total gutes Buch von den Franzosen. Die haben das enzyklopädisch und diskografisch und musikhistorisch so wunderbar gemacht, dass ich da keinen Handlungsbedarf mehr sehe. Zumal in der diskografischen Auflistung fast alle Platten dabei waren, die ich auch besitze. Also schloss ich meinen Frieden mit dieser Idee und entschied mich, stattdessen ein Buch zu meiner eigenen Geschichte zu schreiben.

Jetzt haben wir ja bereits mehrere kleine Stationen Deines Lebens besucht. Wann stand denn für Dich unwiderruflich fest, dass Du zum Radio gehen und dort Sendungen gestalten möchtest? Gab es einen besonderen Moment, der als Auslöser gilt oder wuchs dieser Plan im Laufe der Zeit?
Nachdem ich von der Armee zurückkam und anschließend in Leipzig ein Journalistikstudium anfing, dieses aber nach zwei Semestern wieder abgebrochen hatte, fing ich schon an, im Auftrag von Zeitschriften wie Melodie & Rhythmus oder Neues Leben Beiträge zu schreiben, aber hin und wieder auch für die Junge Welt. Dadurch lernte ich eine Menge Leute kennen. Im Prinzip spielte sich das alles in den Jahren 1972 und 1973 ab. 1973 fanden ja in Ostberlin letztmalig die Weltfestspiele statt. Das war ein so weltoffenes Festival, was für uns völlig überraschend und ungewohnt war. Auch wurden unheimlich viele internationale Bands und Künstler ins Land geholt, was natürlich toll war. Aber auch im Vorfeld fanden im Umland eine Menge kleinere Rockfestivals statt. Ich erinnere mich an eine Veranstaltung in Magdeburg, wo aus der DDR die BÜRKHOLZ-FORMATION mit dem Sänger HANS-JÜRGEN BEYER auftrat, dazu kam aus Polen eine Bluesrock-Gruppe namens BREAKOUT und BERGENDY aus Ungarn. Das waren völlig ungewohnte Konzerte und Klänge, die wir erleben durften. Da war ich also schon unterwegs und habe verschiedene Bands und Künstler interviewt und lernte auf diesem Weg einige Leute vom Radio kennen. Unter anderem Peter Niedziella, der bei Radio DDR 1 die Sendung Musikalische Luftfracht moderierte. Das war so eine Art internationale Charts-Sendung wie im Westfernsehen der Musikladen. Peter fragte mich, ob ich nicht Lust hätte, ihm alle 14 Tage zu seiner Sendung ein Interview mit einem internationalen Star zu liefern. Natürlich sagte ich sofort zu und habe durch diese Arbeit mein Terrain richtig schön ausgeweitet. Die meisten West-Stars traten damals ja im Fernsehen auf, vor allem in Sendungen wie Da liegt Musike drin oder Ein Kessel Buntes. Da habe ich dann einfach mal alles, was ich kriegen konnte, interviewt. Das ging von ABBA bis STATUS QUO, von MILVA bis JULIO IGLESIAS. Aber ich lernte auch die komplette ungarische Musikszene kennen, genauso wie die bekannten Bands und Künstler aus Polen und der Tschechoslowakei. Und bei einer dieser Veranstaltungen im Vorfeld der Weltfestspiele machte ich in der Berliner Kongresshalle während der Sendung Berlin-Knüller die Bekanntschaft der beiden ersten professionellen Schallplattenunterhalter der DDR, das waren Jürgen Rummel und Harry Balkow-Gölitzer. Die wiederum machten mich mit anderen Rundfunkredakteuren bekannt. Und so bekam ich eines Tages die ersten Angebote, beim Rundfunk einzusteigen mit dem Hintergrund, dass dort gerade einiges in Sachen Jugendmusiksendungen passieren sollte. Ab 1975 war ich dann zunächst als festangestellter redaktioneller Mitarbeiter bei der Redaktion Jugendmusik des Senders Stimme der DDR tätig.

Du beschreibst im Buch eine ganz besondere Szene, denn Du hattest in der Schule eine gemeinsame Zeit mit BODI BODAG und hast ihn noch als Gitarrist und Mundharmonikaspieler auf der Bühne erlebt. Das soll eine Schulveranstaltung gewesen sein und er soll die Jungs mit seiner Musik in seinen Bann gezogen haben, aber auch die Mädels seien auf ihn geflogen. Hattest Du denn niemals den Wunsch, mit ihm zu tauschen und auch mal selber auf die Bühne zu gehen, mal selber der Musiker zu sein, dem die Leute zujubeln?
Oh ja, den Wunsch und den Traum hatte ich schon. Ich fing als Jugendlicher auch an, ein Instrument zu lernen, in meinem Fall war das die Gitarre. In der Schule musste ich komischerweise Blockflöte spielen und war zwischenzeitlich mal im Chor, was sich aber nach meinem Stimmbruch erledigt hatte. Dann passierte etwas Besonderes. Ich wurde von einem Freund zu einer Veranstaltung mitgeschleppt, wo wir mit Tonbandgeräten und Plattenspielern unterwegs waren und dort so eine Art Diskothek machten. Das hat mir richtig gut gefallen! Meine ersten Schallplatten bekam ich ja schon, da war ich zwölf, dreizehn Jahre alt. Mein Vater brachte die Platten von seinen Auslandsreisen mit. Somit verfügte ich also bereits in jungen Jahren über eine beträchtliche Schallplattensammlung und wollte diese natürlich den Leuten auch mal vorführen und zugute kommen lassen. Wie gesagt, das machte mir einen Riesenspaß, nahm mir aber gleichzeitig die Chance, mich auch mal als Musiker auszuprobieren. Ich machte das also stattdessen lieber über die Tonkonserven. Wie sich das damals gehörte, hatte ich dann auch bald eine staatliche Zulassung als Schallplattenunterhalter und habe sehr viel in der Veranstaltungsszene gearbeitet. Damit war ich sozusagen auf der Seite, die die Bands und Musiker für die Veranstaltungen engagiert und gebucht hat. Dabei blieb es dann auch.

Du beschreibst sehr emotional den Erwerb Deiner ersten CZESLAW NIEMEN-Platte und erwähnst auch das, was Du eben schon erzählt hast, nämlich dass Dir Dein Papa die ersten Platten geschenkt hat. Was war denn die erste Platte, die Du Dir selbst gekauft hast?
Ich glaube, meine erste selbstgekaufte Platte war das Debütalbum der PUHDYS.

Und warum ausgerechnet diese Platte?
Ich mochte die PUHDYS. Außerdem gab es ja noch nicht so viel anderes, was man hätte kaufen können. Ich wohne in Berlin-Köpenick. Und da gab es bei uns in der Altstadt in der Grünstraße zu DDR-Zeiten einen privaten Schallplattenladen, was sehr ungewöhnlich war, denn in der Regel waren die Läden alle staatlich. Dieser Laden gehörte einem Ehepaar, welches irgendwann mal aus Polen eingewandert war. Der Mann war ein ehemaliger Musiker, der aber aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr als Musiker arbeiten konnte und so kam er auf die Idee, einen Plattenladen aufzumachen. Er war äußerst rührig und schaffte es, so ziemlich jede Platte zu beschaffen, die damals verfügbar war. Auch die aus Polen und Ungarn. Nun wusste jeder in Köpenick, dass immer donnerstags die AMIGA-Lizenzplatten kamen, was zur Folge hatte, dass sich kilometerlange Schlangen vor diesem Plattenladen bildeten. In den ersten Monaten habe ich mich auch jeden Donnerstag, sofern meine Zeit es erlaubte, in die Schlange eingereiht. Leider war es meistens so, dass keine Platten mehr da waren, wenn ich endlich dran war, denn es gab ja von den Lizenzplatten immer nur ein begrenztes Kontingent. Da ich aber so beharrlich Woche für Woche da war und mich stundenlang wegen einer Platte anstellte, sagte er mir irgendwann mal, dass ich mich nicht mehr anstellen muss, sondern immer am Freitag zu ihm kommen solle. Er würde mir jeweils ein Exemplar zurücklegen, machte aber zur Bedingung, dass ich nicht nur meine Wunsch-LP, sondern alle neuen Platten kaufen muss. Zum damaligen Zeitpunkt sind bei AMIGA pro Woche je nach wirtschaftlicher Lage meistens fünf bis sechs neue Platten erschienen. In der Regel war da nur eine Rockplatte dabei, der Rest war beispielsweise aus dem Schlagerbereich oder auch mal aus der Volksmusik-Ecke. Der Deal besagte ja nun, dass ich sie alle mitnehmen musste, was aber gar nicht so schlimm war, denn wir in der DDR waren ja eine Tauschgesellschaft. Und so sind die Volksmusik-Platten meistens bei älteren Familienmitgliedern gelandet. War das Auto in der Werkstatt, wollten die selten Trinkgeld, sondern meinten: "Wenn Du mal eine tolle Schallplatte hast…" Es war also überhaupt kein Problem für mich, manche Platten weiter zu veräußern. Auf diese Art habe ich jedenfalls jede einzelne Lizenzplatte, die seit 1975 bei AMIGA veröffentlicht wurde, in meine Sammlung bekommen.

Überhaupt ist zu lesen, dass Du sehr viele Platten gekauft und, wie bei der LP von THE TREMELOES, viel Geld hingelegt hast. Kann ich davon ausgehen, dass Du damals nur eine Hose und ein Hemd hattest, weil nahezu Deine ganze Kohle in den kostbaren Rohstoff Vinyl investiert wurde?
(lacht) Ganz so schlimm war es nicht. Ich hatte ja schon erzählt, dass ich neben meiner Radiotätigkeit ganz viel mit Veranstaltungen und Diskotheken unterwegs war. Häufig jedes Wochenende. Freitag ging es los und am Sonntag kam ich erst wieder nach Hause. Meine Frau fand das nicht immer so toll und es war dadurch auch nicht ganz einfach, meine beiden Söhne beim Aufwachsen zu begleiten. Andererseits habe ich aber natürlich das Geld nach Hause gebracht. Man hat bei den Veranstaltungen wirklich gut verdient. Und dieses Geld habe ich dann in die Schallplatten investiert.

Hast Du all Deine Schallplatten aufgehoben oder Dich im Laufe der Jahre auch von einigen getrennt?
Dummerweise habe ich mich mal bei einem Umzug fast von meiner kompletten Plattensammlung verabschiedet, denn ich war der Meinung, die müsste ich jetzt alle in CDs umtauschen. Aus den zehntausend LPs sind dann zehntausend CDs geworden. Vor ein paar Jahren begann ich diese Aktion bitter zu bereuen und seitdem hole ich mir das Vinyl Stück für Stück zurück. Inzwischen bin ich also schon wieder bei ca. dreitausend Vinylscheiben.

Das geht mir übrigens genauso. Ich habe 1988 meinen CD-Player bekommen und fing an, nach und nach meine Schallplatten zu entsorgen. Natürlich habe ich das ganz schnell bereut und kaufe mir heute wieder jede Menge Platten, obwohl ich unendlich viele CDs besitze.
Ich liebe es, Schallplatten zu hören! Auch habe ich mir gerade wieder zwei neue Plattenspieler gekauft. Eine Schallplatte klingt eben ganz anders, viel besser und schöner. Für Musikfreaks, wie wir beide es sind, ist das Hören einer Schallplatte wohl ein unersetzbares Erlebnis.

Kommen wir mal zurück in Deine Jugend. Was Du uns bisher erzählt hast, klingt ganz so, als hätte sich Dein Leben damals ausschließlich um Musik gedreht. Gab es für Dich überhaupt Tage ohne Musik und hast Du als Kind oder Jugendlicher auch mal vor einen Fußball getreten oder aus ein paar Brettern eine kleine Hütte gezimmert?
Nein, eher nicht. Na gut, Fußball habe ich mal versucht. Das war in meiner Internatszeit, als meine Eltern auf Kuba waren und ich mit meinem Bruder in Köthen im Internat lebte. In dieser Zeit hatte ich übrigens auch das Erlebnis mit BODI BODAG, der zwei Klassen über uns war. An dieser Stelle muss ich mal kurz erwähnen, dass Bodi tatsächlich ein wichtiger Anstoß für meine Liebe zur Musik war. Durch ihn hörte ich zum ersten Mal Songs der ROLLING STONES und vor allem von BOB DYLAN. Und jedes Mal, wenn wir uns heute treffen und über alte Zeiten schwatzen, erinnern wir uns immer zuerst an dieses Erlebnis auf dem Internat. ENGERLING hat mich übrigens mein Leben lang begleitet und ich kann voller Stolz sagen, dass ich mit Bodi befreundet bin. Aber zurück zum Thema. Ja, es drehte sich fast alles um die Musik. Aber eben nur fast, denn mein Bruder hatte mit Musik überhaupt nichts am Hut. Wir waren völlig gegensätzlich in unseren Interessen. Er war eher für Sport zu begeistern. Und wenn ich mal wieder aufgezogen wurde, weil ich nur auf der Bude hockte, Bücher las und Musik hörte, ließ ich mich hin und wieder auch mal überreden, mit ihm Fußball zu spielen. Aber ich glaube, so besonders gut war das nicht. Ich schätze, dass so 95 Prozent meines Lebens mit Musik ausgefüllt sind. Das hat sich zwischendurch mal geändert, als ich eine Familie gegründet habe. Familie war und ist wichtig. Aber selbst im Urlaub, gehörte ein mehrstündiger Streifzug durch die örtlichen Plattenläden dazu. Oder wenn irgendwo ein Konzert plakatiert war, sind wir hingegangen. Sehr hilfreich war dabei, dass meine Frau musikalisch ebenfalls sehr interessiert war und ist, so dass wir vieles gemeinsam machen konnten.

Ich finde das sehr interessant und angenehm, denn ich erkenne mich hier gerade wieder. Ich bin genauso unterwegs und habe auch das Glück, eine Frau zu haben, die da mitspielt.
Das ist auch ungeheuer wichtig. In meinem Freundeskreis gibt es auch gegenteilige Beispiele. Ich bin meiner Frau da sehr dankbar. Auch dass sie das mit den Büchern jetzt so mitträgt, ist toll, denn das frisst ja auch enorm viel Zeit. Gerade für mein aktuelles Buch "Wie die Westmusik ins Ostradio kam" bin ich ganz tief in die Archive eingestiegen und habe noch einmal sehr viel von der Musik gehört, über die ich schreibe. Nehmen wir nur mal die NIEMEN-Platte, über die wir vorhin geredet haben. Ich habe diese Platte bestimmt zwanzig Jahre nicht mehr gehört, aber das war jetzt wie eine Offenbarung und ich wusste, ich habe damals richtig gelegen. Zumal ich CZESLAW NIEMEN ja sogar persönlich kennenlernen durfte! Der Mann hatte eine unglaublich starke Persönlichkeit, die er quasi suggestiv auf mich übertragen hat. Ich war so ehrfürchtig wie kaum bei einem anderen Künstler, als ich das Interview mit NIEMEN gemacht habe.

Als besonders angenehm beim Lesen Deines Buches empfinde ich den Fakt, dass Du mit der gleichen Euphorie und Herzlichkeit über Musik aus Deinem Heimatland DDR als auch über internationale Top-Acts erzählst. Damit bist Du relativ einzigartig, denn es gibt immer Leute, die Abstufungen machen, was die Kultur im eigenen Land betrifft und dem, was aus Übersee hier ankommt.
Bei der Kultur im eigenen Land, wie Du es so schön beschreibst, kommt ja der entscheidende Punkt hinzu, dass ich schon mit einigem Stolz sagen kann, dass ich sie bis zu einem gewissen Punkt mitgeprägt habe. Das habe ich im Buch am Beispiel von CITY und der legendären Geschichte von "Am Fenster" beschrieben, die sich auch tatsächlich so zugetragen hat. Nachdem ich diese Band im Kino Colloseum in der Schönhauser Allee zum ersten Mal live gehört hatte, war ich von ihnen völlig überwältigt. Ich kannte die Band bis dahin überhaupt nicht und war eigentlich auch wegen TRANSIT und EGON LINDE, die damals gerade ihren Hit "Ich fahr an die Küste" hatten, in diesem Kino. Wie sich herausstellte, war das Konzert zweigeteilt, erst spielte TRANSIT und dann CITY. Und CITY haute mich vom Stuhl, vor allem die Nummer "Am Fenster", dort in einer dramatischen Überlängen-Version gespielt, war ein Erlebnis. CITY hatte damals schon eine große Fanbase, die natürlich vor Begeisterung tobte. Nach dem Konzert bin ich hinter die Bühne, stellte mich vor und kam mit ihnen ins Gespräch. Die Jungs erzählten mir dann die Geschichte zu "Am Fenster", also dass sie den Song bei AMIGA produzieren wollten, aber zunächst abgelehnt wurden. Man fand den Einsatz der Geige fragwürdig, wusste nicht, ob das bei den Leuten ankommen würde, außerdem störte die Überlänge des Titels, weil er damit nicht radiotauglich wäre und so weiter. Das mit der fehlenden Radiolänge kannte ich bis dahin überhaupt nicht und ich hörte das auch erst wieder nach der Wende in den Rundfunkstationen, in denen ich dann gearbeitet habe. Das war zwar nicht meine eigene Überzeugung, aber im Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk der Bundesrepublik war das eben so, dass ein Song im Radio bestenfalls zwischen dreieinhalb und vier Minuten lang sein durfte. Zurück zu CITY. Wir verabredeten uns dann einen Tag später im Studio im Funkhaus Nalepastraße. Dort wollte ich mit CITY ein Interview machen und versprach, das Demotape von "Am Fenster" einfach mal in der Notenbude zu spielen. Ich fand übrigens, dass man überhaupt nicht von einem Demotape reden konnte, denn die Produktion, die sie ja "inoffiziell" im AMIGA-Studio in der Brunnenstraße nach der Aufnahme eines anderen Songs gemacht hatten, war schon ziemlich perfekt und gelungen. Am nächsten Abend spielte ich "Am Fenster" dann auch wirklich in der Notenbude und das Echo war total überwältigend. Damals schrieben die Leute ja noch Postkarten an die Radiostationen. Und allein zu "Am Fenster" erhielten wir nach dieser ersten Ausstrahlung um die sechstausend Zuschriften, die unbedingt diese Nummer wiederhören wollten. Einer schrieb sogar, wir könnten das Lied in einer 24-stündigen Dauerschleife spielen. Das war der Anfang des Erfolgszugs von "Am Fenster". Ich bin aber auch mit vielen anderen Bands bis heute verbunden. Die Entwicklung dieser Musik hat mich also über viele Jahre begleitet und ich war auch von vielen Bands ein echter Fan. Deshalb war das speziell für meine Arbeit in den Rundfunksendungen ziemlich gleichwertig, auch wenn man z.B. nicht die PUHDYS mit den DOORS oder CITY mit den ROLLING STONES gleichsetzen kann. Aber jede Band hat eben ihre eigenen Qualitäten. Ich war auch stets ein Verfechter davon, nicht immer nur die großen Hits zu spielen, sondern auch mal andere interessante Nummern von den LPs zu nehmen. Dadurch konnten wir vieles herausfischen, was den Leuten am Radio gut gefallen hat. Dadurch stieg natürlich auch die Popularität unserer Sendungen über die Jahre kontinuierlich an. Es war also keinesfalls so, dass die DDR-Jugend niemals ihre eigenen Sender im Radio hören wollte. Und dabei rede ich nicht nur von den Hörern in Sachsen. Wir erhielten mit der Zeit immer mehr Zuspruch, was zum einen daran lag, dass wir z.B. in der Beatkiste eine Wunschecke hatten, wo wir sehr oft die langen Riemen von LED ZEPPELIN, URIAH HEEP oder DEEP PURPLE usw. gespielt haben. Aber genauso wurden auch die Songs der DDR-Bands gewünscht.

In Deinem Buch begegnet man auch diesen vielen großen Namen, und zwar nicht nur Künstlern aus der DDR, sondern auch diversen internationalen Größen. Sehr viele von denen hast Du persönlich getroffen, hattest mit ihnen beruflich zu tun und konntest auf irgendeiner Veranstaltung mit ihnen sprechen. Wird so etwas irgendwann zur Normalität oder erhöht sich der Puls auch mit 60 Jahren noch, wenn plötzlich ein ganz Großer vor einem steht?
Das hat sich im Laufe der Jahre gewandelt. Für die Zeit, die ich im Buch beschreibe, ist es eigentlich immer auf demselben Level geblieben. Ab 1992 begann ich beim ORB, heute rbb, in Brandenburg zu arbeiten. Bis zu meiner Pensionierung 2017 war ich dann Musikchef bei Antenne Brandenburg. Da lernte ich dieses gut eingespielte System kennen, dass uns durch die Promoter der Plattenfirmen die Musik quasi direkt ins Haus gebracht wurde. Das kannten wir in der DDR ja überhaupt nicht, deshalb war es auch so spannend und abenteuerlich, wie wir seinerzeit an die Platten rankamen und wie sie in unsere Archive gelangten. Seit 1990 war das alles viel einfacher, da erfolgte die Bemusterung der Archive und der Musikredaktionen mit neuer Musik direkt durch die Plattenfirmen. Ich litt also nach der Wende in dieser Beziehung keine Not mehr. Uns wurden ja selbst die Künstler zum Interview ins Haus gebracht, was für uns neu, aber in der damaligen BRD schon längst üblich war. In den Neunzigern war es dann auch plötzlich möglich, mir die größten Träume meines Lebens zu erfüllen. Ja, es ist wirklich wahr, dass ich zu DDR-Zeiten davon geträumt habe, meine größten musikalischen Heroes mal persönlich zu treffen. Mein erstes Meet & Greet, was ich vermittelt bekam, war schon 1990 in der Deutschlandhalle nach einem DEEP PURPLE-Konzert. Da einem JON LORD mal die Hand schütteln zu dürfen, war ein unvergessliches Erlebnis. Oder dann im Olympiastadion ein Meet & Greet mit den ROLLING STONES, das war tatsächlich die Erfüllung eines meiner Träume. Oder ich erinnere mich auch sehr gerne an das Jahr 1992. Da war ich mit Musikjournalisten aus ganz Europa ins Londoner Hardrock Café zur ersten Livepräsentation des neuen Albums von GARY MOORE geladen. Das war das "After hours"-Album. Und es war schon Überraschung genug, dass als Special Guest Blueslegende B.B. KING dabei war, aber urplötzlich stand dann auch noch ein gewisser GEORGE HARRISON neben mir! Also da habe ich mein Herz ganz laut klopfen hören. GEORGE HARRISON war ja mit GARY MOORE befreundet und hatte wohl auch mal einen Song für ihn geschrieben. Zusätzlich waren dann auch noch einige Mitglieder der TRAVELLING WILBURYS anwesend, nur BOB DYLAN fehlte leider. Hätte ich den auch noch entdeckt, wäre ich total ausgeflippt. Aber neben GEORGE HARRISON entdeckte ich immerhin TOM PETTY, was will man mehr! All das war ja zu DDR-Zeiten überhaupt nicht möglich und schon gar nicht üblich, weshalb ich dann auch bei den wenigen Interviews mit internationalen Stars schon sehr aufgeregt war. Doch damit man mich nicht falsch versteht, sei gesagt, dass ich mich genauso über jedes Interview mit unseren Musikern gefreut habe. Zu den Errungenschaften der Musikredakteure in den 70er Jahren gehörte übrigens auch, dass wir irgendwann unsere Sendungen selber moderieren durften. Das lief anfangs nämlich noch ganz anders ab. Und zwar haben wir für eine Sendung wie die Notenbude oder Beatkiste zunächst die Musik zusammengestellt, dann haben wir das Manuskript für den Sprecher, der heute Moderator heißt, geschrieben. Die Sprecher waren übrigens fest beim Rundfunk angestellt und waren nebenbei oftmals gleichzeitig auch Nachrichtensprecher oder für weitere Sendungen als Sprecher zuständig. Am Nachmittag der Sendung setzten sich der Musikredakteur und der vorgesehene Sprecher zusammen, gingen die Sendung durch und am Abend lief das Ganze live über den Sender. Meine erste Sprecherin, mit der ich in der Notenbude zu tun hatte, war Angelika Unterlauf. Die dürfte jeder kennen, sie ging später vom Rundfunk zum Fernsehen und war schließlich das Gesicht der Aktuellen Kamera, der großen DDR-Nachrichtensendung. Und so gab es noch mehrere ehemalige Radiosprecher, die zum Fernsehen gewechselt sind, weil es für sie recht lukrativ war. Irgendwann stellten wir Musikredakteure uns dann die Frage, warum wir unsere Sendungen eigentlich nicht selber moderieren können. Das war damals so nicht vorgesehen, aber nach und nach, mit ganz viel Argumentation und Überzeugungsarbeit, gelang es uns schließlich doch. In der Führungsetage gab es auch noch den einen oder anderen guten Geist, der meinte: "Was spricht denn dagegen, dass die Redakteure ihre Sendungen selber moderieren?" Zumal wir uns ja einig waren, dass gerade die Jugendsendungen um einiges aufgepeppt werden sollten. Und eines Tages war es soweit und wir durften die Moderationen übernehmen. Ich begann sogleich, die Musiker für Interviews ins Studio einzuladen, wenngleich wir ganz am Anfang diese Gespräche vorher noch aufzeichnen mussten und die Manuskripte vor der Sendung abgezeichnet werden mussten. Doch im Laufe der Jahre lockerte sich das immer mehr, bis das in den 80ern überhaupt kein Thema mehr war. Da machten wir Musikredakteure alles komplett in Personalunion. Wir führten die Interviews, bereiteten verschiedene Beiträge für die Sendungen vor und schnitten diese teilweise auch selber. Und natürlich moderierten wir die Sendungen nach unseren Vorstellungen, manchmal sogar ganz ohne Manuskript.

Du beschreibst in Deinem Buch insgesamt gesehen eine Zeit, die es heute so nicht mehr gibt. Damit meine ich zum einen das Lebensgefühl als auch die vorherrschende Arbeitsweise. Und auch die vielen abenteuerlichen Wege, die man gehen musste, um sein Ziel zu erreichen, das ist alles Geschichte aus einem anderen Land mit einem anderen Alltag. Gehört so ein Buch wie Deins nicht eigentlich in den heutigen Schulunterricht?
Das würde mich natürlich freuen, aber das müssten ja ganz andere Leute in die Wege leiten. Ja, es ehrt mich sehr, wenn Du so etwas sagst. Ich habe das in ähnlicher Form auch schon aus dem erweiterten Freundes- und Familienkreis gehört, die das Buch gelesen haben. Interessant ist auf jeden Fall die Reaktion von jüngeren Menschen. Wenn die sagen, das war ja wirklich eine spannende und interessante Zeit, der man mit größtem Respekt begegnen muss, dann freut mich das. Aber man muss dazu wissen, es hat sich ja nicht nur die Arbeitsweise in den Reaktionen geändert, sondern das gesamte Umfeld hat sich mächtig verändert. Das Medium Radio nimmt ja leider heutzutage, was ich auch im Buch mit einem Ton des größten Bedauerns erwähne, gar nicht mehr diesen Einfluss und diese Funktion für die Ausprägung von Musikgeschmack wahr, wie es für uns in den 60er und 70er Jahren noch ganz selbstverständlich war. Bei uns im Osten ist das alles ja noch viel dramatischer gewesen. Wir hatten ja in der Regel keinen Zugang zu den Schallplatten. Und dann gab es ja auch noch die Gegenden, die überhaupt keine Chance hatten, Westradio zu empfangen und deshalb auf unsere Radiosendungen angewiesen waren. Ich empfand es immer auch als eine Art Auftrag, für diese Menschen da zu sein. Ich selbst fing an, mich mit vierzehn Jahren über den RIAS, über BBC London und Radio Luxemburg über das internationale Musikgeschehen zu informieren. Auf den genannten Sendern wurde ja schon sehr früh ausführlich über Musik gesprochen, da wurde Musik empfohlen, da bekam man gesagt, diese oder jene Platte muss man unbedingt besitzen, weil die für die Geschichte der Rockmusik essentiell ist. Auf diese Art, durch den Konsum dieser Sender prägten sich bei vielen Menschen der Musikgeschmack und die Kenntnisse über die Musik aus. Das ist heutzutage ja gar nicht mehr möglich. Es gibt nur noch ganz wenige Sender in Deutschland, die wirklich stil- und geschmacksprägende Beiträge und Sendungen machen. Gottseidank gibt es diese wenigen Sender noch, was ich in meinem Buch auch ausdrücklich würdige. Ich habe auch ganz bewusst die Rede unseres Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier am Anfang und am Ende des Buches eingespeist, die er im letzten Jahr bei der Verleihung des Deutschen Radiopreises gehalten hat. Wir waren total überrascht, dass er dort die Geschichte zu DT64 angesprochen hat und dass er wirklich die Mahnung ausgesprochen hat, dass das Radio nicht nur zum Dudelfunk verkommen sollte. Das trifft auf die Musik genauso zu wie auf die Wortflanke. Für Steinmeier dürfte ja vor allem die informative Seite des Radios wichtig sein, aber auch da wurden viele Federn gelassen. Wenn ich mir nur mal die Nachrichtensendungen ansehe, die werden zur vollen Stunde auf ganze drei Meldungen reduziert. Was ist denn das bitteschön für eine Informationspolitik? Mit der Musik läuft das ähnlich ab. Man dudelt die Charts runter und wenn wirklich mal ein Interview mit einem Musiker geführt wird, dann stellt man Bla-Bla-Fragen oder redet über private Stories. Wir hingegen wollten damals von den Künstlern wissen, wie ihre Arbeitsweise ist, wie sie an die Produktion eines Albums herangehen, was für sie bei den Sounds, der Musik und den Texten wichtig ist. Das war echt spannend und ich bin stolz darauf, das alles miterlebt und mitgeprägt zu haben. Jetzt dabei zusehen zu müssen, wie sehr sich diese Dinge zum Negativen entwickeln, das finde ich äußerst traurig.

Jetzt haben wir über das Radio geredet. Kommen wir nun mal auf die Musikszene im eigentlichen zu sprechen. Da haben es heute ja die jüngeren und vor allem unbekannteren Bands, aber auch ältere Bands echt schwer, sich noch einem größeren Publikum zu präsentieren. Weder im TV noch im Radio ist dies noch möglich. Wie siehst Du das?
Ich sehe das genauso und finde das richtig tragisch. Wir haben ja glücklicherweise beim rbb den Sender Radio Eins. Da kann man wirklich froh sein, dass die noch sehr viel von dem machen, was zu meinen Idealen von Radiomachen gehört und was man den Hörern vermitteln möchte. Die veranstalten immer wieder spektakuläre Aktionen wie z.B. Studiokonzerte oder hervorragende Interviews mit den Künstlern. Auch haben die großartige Plattformen im Abendprogramm, wo es noch ein oder zwei Stunden Zeit gibt, in denen sich Bands, egal ob national oder international, präsentieren können. Aber grundsätzlich ist so etwas immer weniger geworden auf dem Radiomarkt, was ich für eine sehr traurige Entwicklung halte.

Du hast die populäre Musik und speziell die Rockmusik zur Welt kommen und wachsen sehen. Das waren zumeist Bands mit richtig guten Instrumentalisten, die einen einzigartigen Sound kreiert haben. Das ist der entscheidende Unterschied zu heute, wo vieles nur noch synthetisch erzeugt wird. Was denkst Du, lässt sich diese Zeit irgendwann nochmal zurückdrehen, wo quasi der Musiker und das Handgemachte im Vordergrund stehen anstatt dieser technischen Spielerein, die mittlerweile üblich sind?
Naja, ich würde das nicht ganz so dramatisch sehen, auch wenn ich denke, dass die Chancen dafür, dass es noch einmal so wird wie es mal war, schlecht stehen. Denn ringsherum haben sich sämtliche Bedingungen total verändert. Okay, in den 60er und 70er Jahren ist das alles neu entwickelt worden, das war sozusagen eine revolutionäre Zeit für die Musik. Da bildeten sich die Genres vom Artrock bis zum Hardrock heraus. Ich denke, daraus hat sich im Laufe der Zeit eine gewaltige und mächtige Musikindustrie herausgebildet, die alle Geschicke in der Hand hat. Aber heute entscheidet nicht mehr das, was Bands wie beispielsweise Led Zeppelin wollten, sondern es geht vor allem darum, ob es sich verkaufen lässt, wenn man junge Bands unter Vertrag nimmt. Man stellt die Frage, ob das Produkt kommerziell genug ist und ob es im Radio gespielt werden kann. Es geht also gar nicht mehr um die einstigen Ideale, mit denen wir groß geworden sind. Trotzdem gibt es zum Glück sowohl in Deutschland als auch international immer mal wieder ein paar Bands, die überraschen und dafür sorgen, dass ich den Glauben nicht völlig verliere. Aber es ist wirklich verdammt wenig geworden, weil alles nur noch den Gesetzen des Musikbusiness unterliegt und entsprechend funktionieren muss.

Wie informierst Du Dich denn heutzutage über Musik? Das Radio macht es einem diesbezüglich ja nicht leicht. Wenn man es dennoch einschaltet, kriegt man nur das präsentiert, was die großen Major Label anbieten. Woher beziehst Du Deine Informationen über junge Künstler und Bands sowie über neue Musik?
Das mache ich durchaus über das Programm von Radio Eins. Darüber hatten wir ja vorhin bereits gesprochen, dass es dort ganz viele Sendungen über spezielle Musik gibt, wo man musikalische Themenabende generiert, wo man neue Musik zu hören bekommt, wo man Lounge- und Studiokonzerte durchführt. Radio Eins unterstützt auch die Veranstalter draußen, indem sie die Konzerte präsentieren und vieles mehr. Gottlob gibt es also auch im heutigen Radio noch ein paar Ausnahmen.

012 20201019 1382201516Was liegt bei Dir als nächstes an? Gibt es bei Dir Projekte, die schon spruchreif sind? Wo begegnet man Wolfgang Martin in nächster Zeit?
Im Moment bin ich noch auf Lesetour mit dem HOLGER BIEGE-Buch. Und für Anfang 2021 ist geplant, auch mit meinem neuen Buch "Wie die Westmusik ins Ostradio kam" eine Lesetour zu veranstalten. Dafür kann ich auf einen großartigen Musiker zurückgreifen, nämlich MANUEL SCHMID von STERN MEISSEN. Ich traf ihn im letzten Sommer auf der Insel Rügen während eines HOLGER BIEGE-Liederfestivals. Da gefiel er mir mit seiner Interpretation der Biege-Songs ausnehmend gut. Wir kamen ins Gespräch und Manuel bot an, mich auf meiner Lesetour musikalisch zu begleiten. Das kam auf einer kleinen Generalprobe im Kesselhaus schon ganz toll an, wenn ich aus dem Buch lese und er die entsprechenden Songs dazu spielt und singt, und zwar sowohl nationale als auch internationale Nummern. Sobald wir die Termine für 2021 haben, werde ich Euch diese zukommen lassen.

Ich danke Dir herzlich für das tolle Gespräch und die interessanten Antworten und Ausführungen. Möchtest Du abschließend noch ein paar Worte an die Leser richten?
Auch ich bedanke mich für dieses ausführliche Interview und vor allem über die Richtung, die das Interview genommen hat. Ich habe gemerkt, dass sich unsere Intentionen und Gedanken in vielen Punkten getroffen haben. Da kann ich wirklich nur sagen: Leute, bleibt dem Ostrock treu. Leute, bleibt dem Radio treu. Und: Leute, bleibt dem Rock'n'Roll im Allgemeinen treu. Und vielleicht sehen wir uns auf einer Lesung, dann kann man sich auch mal persönlich über dieses und jenes unterhalten. Mir hat es jedenfalls sehr viel Spaß gemacht und dafür bedanke ich mich.



Interview: Christian Reder
Bearbeitung: tormey
Fotos: Pressematerial (Bild und Heimat Verlag), Herbert Schulze, Redaktion Deutsche Mugge (Dajana Gehn)




   
   
© Deutsche Mugge (2007 - 2023)

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.