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Interview vom 1. November 2019



Vor wenigen Tagen ist das neue Album TEMPOZOO von Rockhaus erschienen. Deutsche Mugge sprach mit dem Sänger der 40-jährigen Band, Mike Kilian, über das Album, die anstehende Tour und seine Gedanken zur Zeit.




001Mike, Euer neues Album ist soeben erschienen, gleich geht's auf Tour. Das klingt nach Optimismus und hoher Dynamik.
Nach dem Tod von Beathoven Anfang 2017 sind wir alle wie in ein tiefes Loch gefallen. Wir waren menschlich in einer Phase der Hilflosigkeit. Bei allem Auf und Ab in unserer Geschichte, war das doch ein Schicksalsschlag, den es so vorher noch nicht gegeben hatte. Aber dann haben wir gemerkt, dass aus dieser Hilflosigkeit auch eine neue Energie entstehen kann.


Wir haben gemerkt, dass aus dieser Hilflosigkeit auch eine neue Energie entstehen kann.


Energie, um weiterzumachen und etwas Neues anzufangen. Hör Dir den Song "Energie" an, da ist all das drin! Das haben wir gespürt, und "Energie" war auch schon im Gespräch, der Titel des neuen Albums zu werden. Das hätte ja auch gut zu den Titeln der vorherigen Alben gepasst: "Positiv", "Treibstoff", "Therapie", "Energie" - aber schließlich ist es TEMPOZOO geworden. Die Inspiration hatte ich übrigens von dem Film "Ein wahres Verbrechen", in dem Clint Eastwood einen Journalisten spielt, der, um in seinen Recherchen keine Zeit zu verlieren, mit seiner Tochter einen lange versprochenen Zoobesuch in Windeseile absolviert und dem Kind zuvor erklärt, es sei das Spiel "Tempozoo". Den wichtigsten Impuls hat uns Daniel Hassbecker, der Keyboarder, der Beathoven live ersetzt hatte, gegeben. Von ihm bekamen wir drei Song-Demos, und das war der eigentliche Zünder, der uns darauf brachte, ein neues Album anzugehen.

Wie habt Ihr gearbeitet?
Heutzutage läuft es ja meist so, dass einer ein Demo aufnimmt, es den anderen schickt, und die steuern dann ihre Ideen bei. So haben wir das auch gemacht. Zum Beispiel nehme ich ein Riff auf und schicke es an Reini, der dann seine Ideen auf Gitarre und Bass dazu spielt. Diese ersten Tracks werden sehr sparsam angelegt, um allen Beteiligten möglichst viel Freiraum für die Ausgestaltung zu lassen. Das funktioniert bei uns sehr gut. Und bei allem war auch immer diese Energie und diese Motivation zu spüren, etwas Neues zu schaffen.

Bassist Maxs Repke war nicht beteiligt?
Nachdem klar war, dass uns Maxs wegen anderer Verpflichtungen über längere Zeit nicht zur Verfügung stehen kann, hatte Reini Robert Protzmann als Bassisten vorgeschlagen. Robert kam, und wir haben eine kleine Session gespielt, nach der wir dann wussten, dass das passt. Robert ist deutlich jünger als wir, seine Spielweise bringt frischen Wind und zusätzliche Energie in unser Geschehen. Alles Weitere ging erstaunlich schnell, am Ende hatten wir sogar zwei Songs zu viel, was es vorher nur sehr selten gab.

Ihr wart wieder bei Rainer Oleak in der Tonscheune.
Ja, mit Ole hatten wir ja schon bei unseren vorherigen Alben sehr gute Erfahrungen gemacht. Er kennt uns, weiß wie wir denken und was wir wollen. Wir vertrauen ihm. Er hat auch dieses Mal wieder ganze Arbeit geleistet. Unser Ansatz war ja, uns auf die pure Energie zu fokussieren. Auf den Einsatz eines Keyboards haben wir verzichtet. Wir wollten Beathoven nicht einfach ersetzen und diese Entscheidung gleichzeitig nutzen, um den neuen Stücken auch einen entsprechenden Charakter zu geben. Gitarre, Bass, Drums und Gesang - so wie ganz am Anfang von Rockhaus, als wir ja auch keine Keys dabei hatten. Ole hat uns dabei wunderbar unterstützt, genau das herauszuholen, was uns wichtig ist. Ein Stück des neuen Albums enthält allerdings Keyboards.


Wir sind uns wieder sehr viel näher gekommen und gehen viel herzlicher miteinander um.


Es ist Daniel Hassbeckers Hommage an Beathoven. Insgesamt hat uns die Arbeit als Band und als Menschen eng zusammengeschweißt. Wir sind uns wieder sehr viel näher gekommen, was im Laufe der vielen Jahre, mit allen Höhen und Tiefen, die wir sowieso schon zu durchleben hatten, nicht so eine große Bedeutung hatte. Wir gehen heute sehr viel herzlicher miteinander um, wie eine Familie. Das ist ein wunderbares Gefühl. Hinter uns liegt eine der schwersten Zeiten der Band, jetzt ist es eine der schönsten Zeiten, die wir haben.

Tempozoo - worum ging es Euch inhaltlich?
Das Album ist sehr alltagsnah. Es enthält eigentlich kaum Liebeslieder, genaugenommen nur eins. Die Texte widmen sich unserer, speziell auch meiner, Wahrnehmung unseres Umfeldes. Wie sich alles sehr schnell entwickelt, und wo unsereins, auch angesichts unseres Alters, sich in all dem wiederfindet oder eben nicht. Der Fortschritt der Technik und das Verhältnis zwischen Mensch und Technik sind ein wesentliches Thema. Ich denke, die Menschen müssen vor allem lernen, nicht noch schneller neue Technik zu entwickeln, sondern mit dem, was sie geschaffen haben, klug und besonnen umzugehen. Ich selbst schätze und nutze ja mein Smartphone auch intensiv, aber es ist nicht mein Leben, nur ein nützliches Hilfsmittel. Es kommt mir aber oft so vor, vor allem auch bei jüngeren Menschen, als sei die Technik das Wichtigste, dem man alles unterordnen muss. Aber das ist nur ein Aspekt, der die Songs ausmacht.

30 Jahre Mauerfall, überall gibt es Rückblicke. Was geht Dir durch den Kopf, wenn Du zurückdenkst?
Genau am 9. November 1989 waren wir von einer vierwöchigen Tour durch die Sowjetunion zurückgekehrt. Wie das damals so war, hatten wir während der Tour nur sehr spärlich Informationen über das Geschehen zu Hause bekommen. Ich saß also da, und meine damalige Frau erzählte, was sich inzwischen alles so ereignet hatte. Am Abend dann die Nachricht im Fernsehen! Das war natürlich eine echte Überraschung und eine große Freude. Ich habe kürzlich am Brandenburger Tor, beim Festival of Lights, eine auf das Tor projizierte Collage vom Ablauf der damaligen Ereignisse gesehen. Das war sehr bewegend.


Der sogenannte "Ostrock" hat in den vergangenen Jahrzehnten gezeigt, dass er substanziell etwas zu bieten hatte und zu bieten hat.


Als Band ging es uns nach dem Mauerfall eine ganze Weile nicht so gut. Viele, die früher unsere Fans und auch die anderer Bands im Osten gewesen waren, haben sich intensiv den musikalischen Angeboten des Westens zugewandt, was ja auch nach der langen Zeit der Abschottung verständlich ist. Wir waren nicht mehr gefragt und haben uns auch bedeckt gehalten, zumal man als ehemals verehrte Rockband auch schnell zur Frustadresse werden konnte. Aber nach drei, vier Jahren hat dann so ein Revival eingesetzt. Die Leute haben sich darauf besonnen, dass sie in ihrer Jugend gute Rockmusik zu hören bekamen, und dass diese Musik zu hören, nicht gleichzusetzen ist mit dem Wunsch, die Geschichte zurückdrehen zu können. Vielmehr ist es doch der Wunsch, das Gute in die Zukunft mitzunehmen. Ich denke, der sogenannte "Ostrock" hat in den vergangenen Jahrzehnten gezeigt, dass er substanziell etwas zu bieten hatte und zu bieten hat. Viele Bands von damals sind nach wie vor auf Tour und bringen neue Musik raus. Die Festival-Pakete der letzten Jahre, mit mehreren Bands auf Tour, waren und sind sehr erfolgreich. Auch andere Projekte dieser Art haben mir gezeigt, dass die Musik Bestand hat.

Was bewegt Dich in der Gegenwart?
Wir waren nie eine ausgesprochen politische Band. Das sind wir auch heute nicht. Wir nehmen selbstverständlich vieles wahr, geben aber keine großen Kommentare dazu ab. Das maßen wir uns nicht an. Ich denke aber, dass man aus unserer Musik und unseren Texten auch ohne aufdringliche Statements unsere Haltung erkennt.


Ich glaube, dass wir, unsere Generation, viel Glück hatten. Wir haben eine friedliche Revolution erlebt, und wir haben keinen Krieg erlebt. Wir wissen gar nicht, was Krieg konkret bedeutet.


Es gibt auf allen Alben Stücke, die durchaus einen politischen Hintergrund haben, aber wir beschränken uns dabei auf unsere persönliche Ebene, wo sich unsere Zuhörer vielleicht selbst besser wiederfinden können. Wenn ich insgesamt zurückdenke, glaube ich, dass wir, unsere Generation, viel Glück hatten. Wir haben eine friedliche Revolution erlebt, und wir haben keinen Krieg erlebt. Wir wissen gar nicht, was Krieg konkret bedeutet, im Gegensatz zu unseren Eltern und deren Eltern. "Wir" vom Album "Therapie" bringt das ja ganz gut zum Ausdruck.

Was erwartet die Fans in den anstehenden Konzerten? Ihr geht ohne Keyboard auf Tour und werdet vermutlich das neue Album gebührend präsentieren.
Wir werden acht Songs vom neuen Album spielen. Alle funktionieren live sehr gut. Einige hatten wir ja schon bei den Konzerten im Sommer gespielt. Die Stücke, bei denen wir Beathovens Parts nicht durch Gitarren ersetzen können, lassen wir weg, aber es wird ein Medley geben, in dem ein typischer Beathoven-Song, "Hör zu", enthalten sein wird.


Wir spielen in vielen kleineren Clubs, wo wir einen sehr direkten Kontakt zum Publikum haben werden.


Ihr spielt 13 Konzerte in einem Monat, das ist ein straffes Programm.
Ja das wird sehr intensiv, und dann ist es plötzlich wieder vorbei, und das nächste Projekt folgt. Alles geht so schnell. Ich denke, der Titel des Albums passt auch gut zur Tour.

Gibt es Auftrittsorte, auf die Du Dich besonders freust?
Jedes Konzert liegt uns am Herzen und hat seine Besonderheiten. Dresden ist immer ein Erlebnis, der Alte Schlachthof ist neben dem Kesselhaus in Berlin auch eine der wenigen größeren Locations dieser Tour. Die anderen Stationen sind eher kleinere Clubs, wo wir aber einen direkteren Kontakt zum Publikum haben werden, was sowohl für uns wie auch für die Fans reizvoll ist. Auf Chemnitz bin ich gespannt, weil wir dort schon lange nicht mehr aufgetreten sind.



Interview: Thorsten Murr
Bearbeitung: cr
Fotos: Pressematerial, Thorsten Murr, Bodo Kubatzki, Anne Kießling