Achim Reichel
 
Interview vom 27. Februar 2019



ACHIM REICHEL gehört zu den deutschen Pionieren im Bereich Rock und Pop und hat mit seinem Wirken den Weg für alle nachfolgenden Musiker-Generationen geebnet. In den 60ern war er Gitarrist und Sänger der RATTLES, mit denen REICHEL im legendären Hamburger "Star Club" live spielte und mit denen er 1963 zusammen mit den ROLLING STONES, BO DIDDLEY und den EVERLY BROTHERS durch England tourte.001 20190227 1486665408 Hierzulande als die "deutschen Beatles" gefeiert, gehen die RATTLES 1966 sogar gemeinsam mit den Pilzköpfen auf Deutschland-Tournee. In den 70ern ist er Gründer der Gruppen WONDERLAND, die mit "Moscow" einen Hit haben, und A.R. & MACHINES, mit denen er im experimentellen Bereich unterwegs war. Seine Solokarriere nahm so richtig Fahrt auf, als er Shanty-Musik in den Rockbereich überführte. Mit "Dat Shanty Alb'm" (1976) und "Klabautermann" (1977) füllte er damit zwei Alben und zog Blicke und Ohren des Publikums auf sich. In den vergangenen 40 Jahren lieferte ACHIM REICHEL ein grandioses Album nach dem anderen und zahlreiche Hits ab, die ihn in die erste Liga der deutschen Popmusik haben aufsteigen lassen. Dabei schielte er weniger auf den Zeitgeist und den Eingangsbereich der Charts, sondern pflegte Liedgut (nicht nur Shantys wurden neu vertont, sondern auch Volkslieder) und schuf neue Kompositionen für die Ewigkeit. Wer kennt sie nicht, die großen Nummern des Herrn Reichel, z.B. "Der Spieler" (1981), "Boxer Kutte" (1983), "Steaks und Bier und Zigaretten" (1987), "Fliegende Pferde" (1989), "Kuddel Daddel Du" oder "Aloha Heja He" (beide 1991)? Es ist wohl keine Übertreibung, wenn man sie Evergreens oder gar inzwischen zu Volksliedern gereifte Klassiker bezeichnet. Ende Januar wurde der Musiker 75 Jahre alt. Passend dazu erschien eine Retrospektive, die wir Euch bereits hier vorgestellt haben (Rezension siehe HIER) und die Achim selbst zusammengestellt hat. Im Herbst geht er auf große Tour, so dass dieses Jahr weder für ihn noch für seine Fans langweilig werden dürfte. Und es gibt noch mehr Pläne, die der Hamburger Musiker hat. Deutsche Mugge hatte nun die Gelegenheit, sich mit "Deutschlands Antwort auf Paul McCartney" über eben diese Pläne, das erwähnte "Best Of"-Album, die Tour und viele andere Dinge zu unterhalten ...




Du bist am 28. Januar 75 Jahre alt geworden, da kann man ja durchaus noch mal gratulieren ... Herzlichen Glückwunsch!
Danke!

Wie hast Du diesen Tag besonders gemacht? Gab es eine Party, hast Du gearbeitet oder bist Du für diesen Tag abgetaucht?
Letzteres. Ich bin nach Lissabon abgetaucht, dort war es etwas wärmer und dort war ich noch nie. Hier in meinem Freundskreis haben mir ganz viele Leute von Lissabon vorgeschwärmt und insofern habe ich gedacht: Ja, das ist doch wunderbar. Dann bist du aus der Schusslinie ...

Wir haben unlängst Deine aktuelle Werkschau bei uns vorgestellt. Es ist ja sowohl in der CD-, als auch in der Vinyl-Ausgabe ein richtig fettes Brett. Hast Du Dir das zu Deinem Geburtstag selbst zum Geschenk gemacht oder wollte Dir die Plattenfirma damit ein Denkmal setzen?
Das ist eine gute Frage ... (lacht) Ich bin mal so geschickt und sage: Beides. Das war natürlich gar nicht so einfach für mich. Was nehme ich mit rauf, was lasse ich weg? Für mich persönlich gehören ja auch einige Stücke zu meinen besten, die sieben Minuten lang sind. Und das sind natürlich überhaupt keine radiokompatiblen Spielzeiten. Was ich auch gedacht habe: Studio ist Studio und live ist live. Im Studio kann man auch mal etwas wiederholen oder ausbessern. Aber auf der Bühne, etwas echteres gibt es nicht. Was auch noch dazu kommt, von so einem Publikum geht ja auch immer irgendeine Stimmung aus und so entstehen manchmal Sternstunden, die man im Studio so gar nicht nachvollziehen kann. Insofern habe ich gedacht, die Dimension Live-Aufnahme gehört da einfach dazu. Deshalb mischte ich einige Live-Aufnahmen darunter, weil ich es so haben wollte und das musste die Plattenfirma dann auch so akzeptieren.

Ich vermisse auf dieser Retrospektive ein klein wenig Deine Jugendsünden aus den 60er Jahren, als Du Dich erstmals als Solist aufgemacht und bei Philips einige Singles veröffentlicht hast. Verdrängst Du das inzwischen oder warum fehlen die Nummern, die ja durchaus auch ihren Charme haben?
Ja, okay. Da habe ich vielleicht zu wenig Selbstdistanz. Das sind ja Aufnahmen aus einer Zeit, in der ich noch gar nicht bei mir selbst angekommen war. So kann man das wohl sagen. Ich dachte, wenn die dazwischen sind, das wollte mir nicht schmecken. Wo fängt man dann an und wo hört man auf? Es hat auch Kollegen von Dir gegeben, die fragten: "Ist da denn da auch ein RATTLES-Titel und ein WONDERLAND-Titel dabei?" Für mich gibt es Schaffensphasen. Das eine waren die RATTLES, das nächste war WONDERLAND und dann kam Anfang der 70er A. R. & Machines und ab 1975 habe ich erst angefangen, als Achim Reichel, der so halbwegs bei Bewusstsein war, eigene Projekte zu machen. Was davor war, ist mir - vor allem, wenn ich deutsch sang - heute ein wenig unangenehm, wenn ich es höre. Das haben mir damals Plattenfirma-Strategen mehr oder weniger aufgedrängt. So clevere Köpfe, die der Meinung waren: "Wenn der jetzt bei der Bundeswehr ist und die ihm die Haare abschneiden und wenn er dann 'Trag es, wie ein Mann' singt ... das ist doch bestimmt 'ne super Idee." Ja, okay. Aber dass der Song in der falschen Tonart war und ich dann im Studio unterm Kopfhörer stand und sagte: "Ach du Kacke, wie bekomme ich denn das jetzt gebacken?" Das ist natürlich eine Sache, die nur ich weiß, aber sie ist ausschlaggebend dafür, dass ich sage, das war nicht wirklich schmuckblattmäßig ... (lacht)

Trotzdem: Diese Zusammenstellung gibt - so bunt und umfangreich sie auch geworden ist - nur einen Teil Deiner Karriere wieder. Wie Du schon sagtest, da fehlen die RATTLES, da fehlt das, was ich ansprach. Du bist ja einer der Pioniere deutscher Rock- und Pop-Musik und bedientest in all den vielen Jahren viele Musikrichtungen. Wie kam es zu diesem stetigen sich Häuten und dazu, während Deiner Karriere immer wieder neue Genres auszuprobieren?
Ja, weil ich einfach feststellte, dass es irre viel gab, worauf sich in Deutschland niemand einlassen wollte. Nur mal ein Stichwort: Die Folkrock-Szene in England ... Ich produzierte früher eine Band, die hieß OUGENWEIDE. Mit denen haben wir mit großem Staunen und großer Begeisterung wahrgenommen, was in England auf dem Folkrock-Sektor alles geschieht. Irgendwann habe ich mir gesagt: Wenn das in Deutschland keiner macht, dann musst du es eben selbst machen ... Und darüber hinaus erschien es mir so zu sein, dass ich dachte, es ist ein sinnvollerer Job, Balladen zu vertonen, Klangbilder zu kleiden, als wenn sie von heute wären oder ein Volkslied-Album mit Playbacks, die so klingen, als wären sie heute entstanden oder auch Shantys beispielsweise. Das sind ja alles Dinge, die gab es im Ausland schon, hierzulande aber nicht. Und das, weil man hier irgendwie unserer Vergangenheit gegenüber eher ängstlich unterwegs war. Insofern dachte ich, wenn ich das tue, ist es im doppelten Sinne sinnvoll, weil ich wirklich der Meinung bin, dass es unter unseren alten Dichtern wirklich Köpfe gab, die schlichtweg genial waren. Und es gibt auch deutsche Volkslieder, die brauchen sich in keinster Weise verstecken, wenn man sich mal international umschaut. Ob das nun irische, skandinavische oder französische sind. Von der Substanz, den Melodien, den Harmonien und auch den Texten, da gibt es einfach ganz tolle Sachen. Und insofern sagte ich mir: "Ja, mach dich mal ran ..."

Welche der von Dir beruflich durchlebten Dekaden war in künstlerischer Sicht die für Dich angenehmste und schönste und wie kam ein Beat-Pionier wie Du mit den kunterbunten 80er'n zurecht?
(lacht) Na ja, als die 80er kamen, war ich ja schon auf dem Wege dazu, dass mir Zeitströmungen egal waren. Und was in den 80er'n so als modern, als neu oder als en vogue empfunden wurde, da war bei mir im Kopf schon längst eine Erkenntnis gewachsen: Häng' deine Fahne nicht in den Wind. Steh zu deinem Charakter, steh zu dem, was du für richtig und für falsch hältst und ob da nun gerade sonst irgendwas gerade modern ist, lass deine Finger lieber davon. Da kannst du Gefahr laufen, zur Eintagsfliege zu werden oder dass dir das keiner glaubt, weil die Leute sagen: "Das ist doch der aus den 60er'n, der kann doch nicht irgendwie jetzt einfach sein Gewand wechseln und so tun, als ob er den 80er'n entsprungen wäre." Wie ich schon sagte, ich habe ziemlich früh angefangen, mich nicht mehr danach zu richten, was der Markt gerade so hervorbrachte, sondern mich eher danach zu richten, was mich wirklich interessierte, wo ich Spaß dran hatte und wo ich das Gefühl hatte, da bleibe ich bei mir selbst und lasse mich nicht wegen irgendeiner Modeerscheinung verbiegen.

Trotzem hast Du aber mit Liedern wie "Der Spieler" oder "Fliegende Pferde" prima in die 80er gepasst ...
Na ja, wobei "Der Spieler" nicht mit Neue Deutsche Welle zusammenpasst. Ich war immer einer, von dem viele Leute nicht wussten, wo sie ihn denn nun hinstecken sollen? Aber das war mir klar: Wenn man Musik wirklich zu seinem Leben machen will, dann muss man verdammt darauf aufpassen, dass man auch echt ist und aus seinem Inneren heraus agiert und sich nicht einfach anhört, was gerade so läuft und dann sagt: "Ach sowas? Na das kann ich doch auch, dann machen wir doch auch mal so etwas." Da war ich eigentlich immer eher skeptisch eingestellt.

Nun hast Du mir meine Frage, in welcher Dekade Du Dich künstlerisch am wohlsten gefühlt hast, gar nicht beantwortet ...
Stimmt. Da muss ich erst mal richtig überlegen. Das ist schwer, weil ich ja nicht immer derselbe geblieben bin. Die Zeit in den 60er'n mit den RATTLES war möglicherweise die spannendste, denn da fing alles an. Es gab die Beatbands, die Rockmusik, da war noch am meisten möglich. Von da an gab es dann tausend Mischformen und Stilrichtungen usw. Irgendwann kam ins Spiel, dass das Radio anfing, sich selbst Sendeformate zu verordnen. Da hieß es dann: Wir sind "Hit-Radio", wir spielen nur Hits. Wo die herkommen, ist uns egal. Selbst mir sagte man: "Achim, mach Deinen Hit woanders, aber Du kannst Dir sicher sein, wenn Du ihn hast, dann spielen wir Dich." Dann dachte ich, okay, jetzt wird es hart in diesem Geschäft ... Es war nicht einfach. Für mich ist es erträglicher, bei mir selbst zu bleiben und wenn ich dann abgelehnt werde, dann habe ich wenigstens nicht das Gefühl, mich irgendwie angebiedert oder an den Zeitgeschmack vernuttet zu haben. Was meine liebste Zeit war, darum drückte ich mich bisher immer herum, weil ich dachte, die kommt erst noch. (lacht) Aber es gab zwischendurch auch immer wieder Superzeiten, in denen ich dachte, "Was erlebe ich gerade?" Allein dieser verdammte Song "Aloha heja he". Wenn man sich nur mal die Entstehungsgeschichte ansieht, dass er irgendwann in den späten 70er'n für ein ganz anderes Projekt gedacht war, dafür aber am Ende nicht in Frage kam, dann in der Schublade landete und fast vergessen war. Als ich das "Melancholie und Sturmflut"-Album machte, fand ich diese Bandspule wieder, hörte mich selbst singen (lalala ...) und dachte: "Ach, das ist ja eigentlich eine ganz schöne Melodie. Mach' doch einfach mal so mit schneller Hand einen Text dazu, dann hast du einen Song mehr ..." Nicht eine Sekunde hatte ich daran gedacht, dass das ein Hit werden soll. Wenn ich das gedacht hätte, hätte ich natürlich Vokabeln wie "Gonokokken" oder "Matrosen am Mast" auf keinen Fall da rein geschrieben. Ich finde ja am allertollsten, wenn etwas eintritt, bei dem man entweder dachte, das geht gar nicht oder mit dem man überhaupt nicht gerechnet hat. "Der Spieler" war auch so ein Fall. Als die Plattenfirma meinte, den wollen wir als Single machen, sagte ich ihnen: "Aber der ist über fünf Minuten lang, das wird doch kein Radio spielen. Die wollen doch immer nur drei bis dreieinhalb Minuten ..." Da sagte die Firma, ach lass es uns einfach probieren. Und als das dann trotzdem funktionierte, das war für mich auch wieder so ein Ding, wo ich dachte: "Mein Gott, was hast du für ein Glück." Wenn man damals nur nach seinem vernunftbetonten Schädel gegangen wäre, dann hätte man das nicht gemacht. Dann hätte man gesagt: "Nein, das ist zu lang, das passt nicht" oder "Nein, wir können doch keine Single rausbringen, in der es um Gonokokken und Matrosen am Mast geht, das können wir nicht machen." Und wenn das dann aber trotzdem geht, finde ich es am allerschönsten. Solche Erlebnisse sind die schönsten Beispiele für eine Zeit, in der ich dachte "Wie schön ist das denn?" (lacht)

Im Herbst gehst Du mit Deinen gesammelten Werken auf große Tournee. Wirst Du diese Tour mit Band spielen oder auf kleiner Flamme kochen und Dich eventuell wieder selbst begleiten?
Nein, ich werde eine Band dabei haben. Das einzige, womit ich in letzter Zeit Schwierigkeiten habe, ist die Tatsache, wenn ein Schlagzeuger hinter mir agiert. Ich versuche dann immer, mit der Stimme dagegen zu halten und nach drei Konzerten bin ich völlig heiser. Aber da wird mir schon noch etwas einfallen. Wir werden mindestens zu fünft auf der Bühne sein.

Wie weit sind denn die Vorbereitungen zu dieser Zeit schon gediehen? Es ist ja noch eine Zeit hin ...
Ich werde demnächst mal anfangen, weil man das Best Of-Album komplett nicht spielen kann. Das wäre einfach zu lang und ich habe ja immerhin 20 Konzerte vor der Brust. Man ist also auch gut beraten, daran zu denken, sich nicht zu überfordern, denn man will die Tournee ja auch durchstehen. Also muss ich mich demnächst mal ranmachen und die Stücke auswählen, von denen ich denke, dass sie in ein Live-Programm passen und es auch Spaß machen wird, sie zu spielen. Damit fing ich zugegebenermaßen noch gar nicht an.

Sind die bisher bekannten Termine schon komplett oder kommen noch welche hinzu?
Nein. Die Hälfte der Tournee ist schon ausverkauft, das ist das ganz verrückte an der Sache ...

Ich frage deshalb: Ganz viele Termine stehen im Norden an, der Osten darf sich auf drei Besuche von Dir freuen, im Süden kommen nur die Leute aus Nürnberg in den Genuss, Achim Reichel live erleben zu können. Bist Du ein Musiker, der nur im Norden und in der Mitte Deutschlands gefragt ist und im Süden gar nicht? Oder wie ist das zu verstehen?
Nein, das ist keineswegs der Fall. Auf meinen letzten Tourneen war ich auch in München, in Stuttgart, in Bamberg und noch in vielen anderen Orten. Nein, in diesem Falle sagte ich dem Konzertveranstalter: "Mehr als 20 Konzerte will ich einfach nicht machen." Und wahrscheinlich entschied er sich erst mal für diese, die jetzt anberaumt sind. Aber es gibt ja auch noch ein nächstes Jahr. Wir müssen einfach mal gucken, wie es so läuft und dann kann man auch noch was nachschieben. Es ist tatsächlich so: Auch wenn ich mich gar nicht so fühle, ich bin aber kein junger Kerl mehr. Insofern haben 20 Konzerte hintereinander weg schon etwas mit Energie, Power und auch mit der Kondition der Stimmbänder zu tun - das alles spielt eine Rolle. Und man will es - wenn man es schon macht - ja auch gut machen. Wären das jetzt irgendwie 30 Konzerte gewesen, bin ich mir gar nicht sicher, ob mir das gefallen würde. Denn irgendwann kommt ja auch immer der Tourneekoller auf (lacht) und den möchte man auch vermeiden. Also werden wir danach ein paar Monate Pause machen und dann überlegen wir, ob wir noch was nachsetzen.

In einer TV-Sendung des NDR sah ich neulich einen Beitrag über Dich, in dem über Deine Biographie, die in Arbeit sei, gesprochen wurde. Schreibst Du die selbst oder bist Du mit einem Autoren zusammen, der das für Dich macht?
Nein, die schreibe ich selbst. Damit habe ich auch schon vor Jahren angefangen, war allerdings dem dummen Gedanken aufgesessen, das könnte ich so ein bisschen nebenher betreiben. Also wenn mal Leerlauf ist, wieder ein paar Seiten schreiben ... Irgendwann merkte ich dann aber, dass das so nicht geht. Wenn man einmal damit anfängt, muss man sich auch darauf einlassen und man muss auch dranbleiben. Nur wenn man dranbleibt, tun sich auch in der Erinnerung viel mehr Tore auf. Nur zu Hause ist das nicht ideal machbar. Da kommt dauernd irgendjemand und fragt: "Kannst du mal eben ...? Geht auch ganz schnell, kannst gleich weitermachen ..." Schon ist man wieder unterbrochen und deshalb habe ich mir eine Reise mit einem Frachtschiff gebucht und fuhr von Hamburg bis nach Namibia. Das war eine vierwöchige Reise. Ich war der einzige Passagier, hatte eine wunderbare Kabine und merkte: "Ja, hier kann dich keiner mehr stören, hier erreicht dich einfach gar keiner." Man war von aller Welt abgeschnitten und konnte auch nicht vor sich selbst weglaufen. Da bin ich dann also ein gehöriges Stück vorangekommen. Ich bin jetzt ungefähr bei 430 Seiten und denke, das ist ja schon mal nicht schlecht. Nun bin ich dabei, das ganze etwas sacken zu lassen und denke, dass die Biographie 2020 erscheinen wird. Auch interessant dabei ist - das wusste ich vorher gar nicht -, dass die Buchverlage oder der Buchhandel ja viel größere Vorläufe haben, als die Musikbranche. Da dachte ich, warum braucht ihr das Buch schon ein dreiviertel Jahr vorher, bevor es überhaupt erscheint? In dieser verschenkten Zeit hätte ich doch lieber noch schreiben können. Die sagten dann: "Nein, wir müssen dann ja auch Leseproben an den Handel schicken und dann die Buchmesse ..." Das ist für mich natürlich alles Neuland, aber ich finde es spannend, es ist mal was anderes.

In diesem Buch wird es mit Sicherheit auch um den Song "Aloha heja he" gehen, den Du gerade schon thematisiert hattest. Wenn über Dich gesprochen wird, wird immer dieser Titel genannt. So, als wenn Du gar nichts anderes gemacht hättest. Ist so ein Hit aus Deiner Sicht eher ein Fluch, weil man ständig mit ihm in Verbindung gebracht wird, oder ist es ein Segen, weil man dadurch stets in allen Chart-Shows vertreten ist?
(lacht) Beides. Das läuft auch in verschiedenen Stadien. Am Anfang dachte ich, "Na ja, nun war es ein Hit, ist abgefrühstückt und nun hat die liebe Seele Ruh'." Dann merkte ich, der Song ist gar nicht tot zu kriegen, er entwickelte sich zu einem Partyhit ohnegleichen bis hin zu so einer verrückten Sache, von der ich gar nicht weiß, wo sie überhaupt herkam. Nämlich die, dass sich Leute zu Hunderten auf den Hosenboden setzen und mit "Trockenrudern" beginnen. Als ich das das erste Mal auf YouTube sah, wollte ich es gar nicht glauben. Da rief mich jemand an und fragte, "Weißt Du eigentlich, was da mit Deinem Song los ist?" Ich: "Wovon redest Du?" Er: "Ja, guck mal da bei YouTube rein und dann siehst Du da, wie die Leute alle hintereinander sitzen und 'Trockenrudern' machen. Und dazu läuft Dein Song." Das finde ich ganz spannend, denn das Lied hat sich ja verselbständigt und animiert oder inspiriert die Leute zu solchen Sachen, die wie eine Epidemie durchs ganze Land geht. So wie eine zweite Welle. Und alle rudern! Vorher wollten sie alle ins Guinness-Buch der Rekorde, weil ganze Marktplätze den Song gesungen haben und ich wurde überall hin eingeladen. "Ja, heute singen bei uns auf dem Marktplatz tausend Leute 'Aloha heja he' und wollen ins Guinness-Buch der Rekorde". Ich dachte, "Sag' mal, spinnt ihr alle oder was ist denn da eigentlich los?" Aber unterm Strich finde ich das ganz toll. Also insofern bin ich auf diesen Song irgendwie schon stolz. Auch, weil er aus einer Unschuld entstanden ist und nicht unter dem Motto, "So, jetzt muss ich mal ganz clever sein und mache einen Song, der garantiert ein Hit werden muss." Wenn ich das gewollt oder so gedacht hätte, dann hätte ich niemals von "Gonokokken" oder "Matrosen am Mast" geredet. Aber das sagte ich ja schon ... Ich war neulich in Hannover beim NDR und die sagten mir, dass dieser Song seit zehn Jahren der von den Hörern am meisten gewünschte Song ist und immer noch rufen Leute an und fragen, wie man denn so etwas senden kann, wo es um Sackratten und Tripper-Erreger geht ... (lacht) Und ich finde natürlich herrlich und einfach wunderbar, dass dieses Ding trotzdem so eine Kraft hat.

Apropos "In allen Shows vertreten": Für Deine Generation gab es damals ja reichlich Formate im Fernsehen. Wenn heute ein Künstler etwas Besonderes - wie Du mit Deinem Shanty- oder Volkslieder-Album - machen möchte, würde er vergeblich nach einer Stelle suchen, wo er das einer breiten Öffentlichkeit präsentieren kann. Wie empfindest Du als Künstler diese Entwicklung in der Medienlandschaft und wo würdest Du Dich heute noch gut aufgehoben fühlen, wenn es um Auftritte im TV geht?
Also da triffst Du jetzt bei mir einen ganz wunden Punkt. Denn das ist genau der Punkt, worüber ich mich maßlos ärgere. Die tun alle so - zumindest beim Fernsehen - als wenn wir noch 100-Prozent-Schlagerland wären. Weißt Du, Schlager-Galas gibt es ohne Ende! Aber es gibt mittlerweile auch respektable Künstler, die sogar ihre Songs und ihre Texte selbst schreiben und für ein interessiertes Musikpublikum möglicherweise sogar die interessanteren Themen transportieren und trotzdem sagt das Fernsehen einfach: "Nö, also das mit dem Schlager ist doch toll!" Dass man uns also Schlager als unsere einzige wahre Identität musikalischer Natur verkauft, ist ein Skandal und darüber ärgere ich mich fürchterlich. Ich habe damals schon zum Ausklang der "Rockpalast"-Zeit zum WDR gesagt: "Sagt mal Kinder, es gibt mittlerweile so viele Rockkünstler in Deutschland, die auch nennenswerte Umsätze erreichen. Und wenn Ihr doch nur immer nach der Quote geht, dann wäre es doch gerechtfertigt, wenn man auch für dieses Genre mal ein Forum im Fernsehen bieten würde." Haben sie nicht gemacht, frag' mich bitte nicht, warum. Als wenn man die Leute blöd halten will, ich weiß es nicht. Ich finde es auf jeden Fall total falsch und wenn man mal in Nachbarländer sieht, da läuft es ja auch anders. Man redet hier immer von Vielfalt, aber dabei findet sie gar nicht wirklich statt. Die gibt es zwar, aber sie findet in den Medien nicht statt, und das finde ich eigentlich beschämend.

Kollegen von Dir nutzen mittlerweile Fremdformate, um auf sich aufmerksam zu machen. Würdest Du in ein Format wie "Promi Big Brother" oder das "Dschungelcamp" gehen, um auf ein neues Album aufmerksam zu machen? Wie weit darf ein Künstler gehen, der auf sich aufmerksam machen möchte oder muss?
Wie weit darf ein Künstler gehen? Gegenfrage: Muss man sich denn wirklich zum Deppen machen, um wahrgenommen zu werden? Ich finde, wir in Deutschland haben ein falsches Selbstverständnis, was Populärkultur anbelangt. Ein bisschen mehr Grips darf es schon sein, das wünsche ich mir. Aber man ist der Meinung: "Ja, die Masse ist einfach, die sind schlicht gestrickt und der können wir nicht so kompliziert kommen." Nur, wenn man es nie tut, dann wächst da draußen bei dem Publikum auch nichts! Man entscheidet sich da immer nur für den Massengeschmack oder das, was man dafür hält, weil das die sicherste Quote bringt. Am Ende geht es immer nur darum, was bringt uns die sicherste Quote oder Auflage? Aber dass Gegenwartskultur auch so etwas Ähnliches wie geistige Nahrung ist, darauf scheint irgendwie gar niemand zu kommen. Ob das ein Überbleibsel von Selbstekel wegen zweier Weltkriege ist, ich habe keine Ahnung, ich weiß es nicht. Ich weiß nur eins: Man wäre gut damit beraten, dem Publikum nicht nur immer den kleinsten Nenner zu liefern, weil man denkt, die Masse ist einfach, sie bleibt auch einfach und etwas anders brauchen wir gar nicht erst probieren. Das finde ich fürchterlich unambitioniert und eigentlich auch verantwortungslos.

Dann dürfest Du - wenn Du ein Ohr in die aktuellen Charts hältst - ja richtig viel Freude haben ... Wenn man, wie Du, für die nachfolgenden Musikergenerationen so viele Steine aus dem Weg geräumt und Wege geebnet hat, wird man bei einem Blick auf das, was heute als Musik verhökert wird, nicht etwas stinkig?
(lacht) Ach weißt Du, das ist jetzt auch die Frage, wie wichtig man sich selbst nehmen sollte. Man könnte in der Tat - da hast Du nicht ganz Unrecht - verbitterte oder zornige Züge bekommen. Das stimmt schon. Aber da spielen ja noch so viele weitere Faktoren eine Rolle. Zum Beispiel: Singles als funktionierendes Tool kannst du nirgends kaufen, die gibt es gar nicht mehr. Es gibt aber noch immer Single-Hitparaden! Nun frag' mich mal, wo die dann herkommen. Es richtet sich alles doch nur noch nach Klicks, Downloads und Streaming! Das ist das Eine und das Andere ist, dass ich oftmals - wenn ich Musik von jungen Leuten höre - das Gefühl habe, ob die eigentlich noch wissen, dass es tatsächlich mal eine Zeit gab, in der Leute noch mit echten Musikinstrumenten gespielt haben? Das ist auch so ein Ding, wo ich denke: "Na ja, aber wenn das doch nun mal der Zug der Zeit ist ..." Manchmal ist zu viel Einblick auch wieder nicht nur angenehm. Wenn man weiß, dass Plattenfirmen es ganz spannend finden, wenn ein Produzent ankommt und sagt: "Also, für dieses Playback brauchen wir weder ein Studio, noch einen Arrangeur, einen Schlagzeuger, einen Bassmann, wir brauchen keinen Gitarristen, wir brauchen überhaupt keine Musiker. Das kommt alles aus dem Rechner." Und insofern kostet es auch nur einen Bruchteil davon, was früher eine normale Plattenproduktion gekostet hat. Da sagt doch jede Schallplattenfirma: "Oh, super! Das mindert unser Risiko ja enorm." Und so entstehen manchmal auch Zeitströmungen, wo du Musiken hörst und merkst, dass es von vorn bis hinten programmiert ist, da spielt überhaupt gar keiner mehr ein Instrument. Und selbst die Stimme, jeder falsche Ton, ist vom Rechner hingerechnet worden, so dass er jetzt richtig klingt. Das ist so eine Sache, bei der man denkt: "Ja, okay Alter, du bist einer von gestern. War aber schön, ne?" Da bin ich auch gern einer von gestern, das muss ich ehrlich sagen. Ich habe irgendwie den Eindruck, dass wir ziemlich öden Zeiten entgegengehen ... Diesen Kopf mache ich mir schon auch manchmal und es macht einen um so dankbarer, dass man eben noch Zeiten miterlebt hat, in denen das anders war und wo du auch mal sagen konntest: "Sagt mal, was haltet ihr denn von einem Shanty-Album? Alte Shantys spielen, als wenn es Rocksongs wären?" Natürlich waren da auch Plattenfirmen, die sagten, "Achim, was soll das denn? So ein Quatsch. Wer will das denn hören?" Ich sagte, es hört sich aber toll an, hört doch mal! Und wenn die dann nicht wissen, dass das ein erfolgsgesichertes Kriterium ist, dann sagen die "Oh nein, lass mal lieber, wenn das schief geht, das wird teuer und dann meckert mein Chef mit mir ..." usw. usw. Damals hatte man dann eben doch noch das Glück, Plattenfirmen zu finden, die sagten: "Ja, spannend, mach' mal!"

Die Auswahl ist heute ja auch ziemlich klein, was Plattenfirmen betrifft ...
Ja, die ist ziemlich klein geworden, das stimmt. Eigentlich fing es ja damit an, dass die Plattenfirmen das Internet völlig unterschätzt haben. Sie dachten: "Internet - so ein Quatsch brauchen wir nicht." Dann lief es irgendwann darauf hinaus, dass iTunes die Preise diktiert hat. "Bei uns kostet eine Single 99 Cent und wenn ihr das nicht mitmacht, dann findet ihr bei uns nicht statt." Peng! Es gibt zwar noch einige wenige Plattenfirmen, denen geht es aber beileibe nicht mehr so gut, wie es ihnen mal ging. Ansonsten hat man es ja nur noch mit weltweit agierenden Konzernen zu tun. Ob das nun Spotify, iTunes oder YouTube ist ... Das sind Dinge, bei denen man denkt: Ob es da irgendwo auch Menschen gibt, die man einfach mal anrufen kann, wenn man ein Problem hat? Garantiert nicht. Da erzähle ich Dir doch lieber, wie es früher war ... (lacht)

Achim, kurz vor Schluss noch eine Frage: Dein Vater und auch Dein Großvater sind zur See gefahren. Hat Dich dieser Job auf dem Schiff nie selbst gereizt oder anders gefragt: War die Liebe zur Musik größer, als zum großen Wasser?
Das war eine Entwicklung, die mich einfach mitriss. Als es in den 60er Jahren anfing mit Rock'n'Roll und Beatmusik und ich durch Zufall irgendwie zur ersten Gitarre kam, waren wir auf St. Pauli ein paar Verrückte, die da in ihrem Übungskeller in die Saiten droschen. Irgendwann kam ein Typ daher und sagte: "Mensch, ich hätte da ein paar Jobs für euch, da könnt ihr übers Wochenende so und so viel Geld verdienen!" Wir sagten, "Na klar, warum nicht?" Dass wir innerhalb von kürzester Zeit im Starclub spielten, Platten aufnahmen, vom Starclub nach England auf Tournee geschickt wurden - gemeinsam mit den ROLLING STONES, den EVERLY BROTHERS und LITTLE RICHARD - das ging alles so schnell, da fühlte man sich wie "Klein-Fritzchen" im Wunderland. Insofern dachte ich, "Das mit der Seefahrt kannst du irgendwann immer noch machen." Als ich zur Bundeswehr geholt wurde, da dachte ich, "Nun ist alles gelaufen, jetzt ist alles vorbei. Ob du hinterher noch weitermachen kannst, weiß kein Mensch, aber du wolltest ja mal zur See fahren." Aber auch da war die Musik dann doch wieder stärker. Insofern war diese Frachterreise, um die Autobiographie zu schreiben, für mich aus vielerlei Gründen heraus interessant. Da stand ich auch manches Mal an der Reling, guckte auf den Horizont, sah Wasser und Himmel und sonst gar nichts und dachte: So muss es deinem Alten also ergangen sein, der hat hier bestimmt auch ab und zu gestanden und gedacht, was zu Hause wohl los sein mag?

Man hört aus jedem Deiner Sätze, dass Du in Dir ruhst und dass Du offensichtlich wohl alles richtig gemacht hast. Würdest Du - wenn Du heute noch mal die Wahl hättest - jobmäßig alles genau so noch mal machen?
Oh, das ist schwer zu sagen und schwer zu beantworten. Man war ja nicht immer nur seines eigenen Glückes Schmied. Es war ganz oft so, dass man vor Situationen gestellt wurde, mit denen man nie gerechnet hätte. Da kommt einer und fragt "Mensch Achim, gut dass ich dich treffe. Ich habe da so eine Idee, hättest du Lust, da mitzuspielen?" Da hätte man auch sagen können "Ach nö, lass mal lieber." Aber wenn ich den gar nicht getroffen hätte und der mir gar nicht diese Möglichkeit geboten hätte, dann hätte ich nicht mal wählen können, Ja oder Nein zu sagen, denn es wäre nämlich gar nicht passiert. Ich bin ohne Frage jemand, der mittlerweile weiß, dass er auch einiges drauf hat, um es salopp zu sagen. Aber ich habe auch so irre viel Glück gehabt. Mir sind Dinge geschehen, Angebote wurden von außen an mich herangetragen, wo ich manchmal dachte, manch Anderer würde sonst was dafür hergeben, um solch eine Chance überhaupt mal zu bekommen. Und wenn einen so etwas mehr oder weniger - nicht nur, nicht immer, aber oftmals - in den Schoß fällt, dann musst du dich nur noch fragen: "Mach' ich das oder mach' ich das nicht? Aber wenn du es machst, dann mach' es auch gut und blamier' dich nicht. Mach' keinen Scheiß!" Ich bin jemand geblieben, der Wert darauf legt, Bodenhaftung zu wahren und ich bilde mir auch nicht ein, ein so toller Hecht zu sein, dass das alles nur passieren konnte, weil es mich gibt. Ein großes schicksalsmäßiges Glück ist natürlich, in einer Stadt wie Hamburg herangewachsen zu sein. Da gab es die meisten Schallplattenfirmen, die waren ja fast alle in Hamburg ansässig. Es gab den Starclub und wäre ich vielleicht aus Bielefeld oder sonst wo hergekommen, dann wäre es wahrscheinlich nicht so gewesen. Das ist auch eine Form von Lebensglück - wenn man es so nennen will - dafür kann man nur dankbar sein und man sollte sich nicht für sonst etwas halten, sondern auf dem Boden bleiben. Ansonsten habe ich wenig Grund, mich über meinen Lebensweg in der Musik zu beklagen. Das war schon super ...

Ein schönes Schlusswort. Herzlichen Dank für das Gespräch ...
Ich habe zu danken!



Interview: Christian Reder
Bearbeitung: MB