Siegfried Walendy

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Interview vom 15. Februar 2019



Siegfried Walendy war ein absoluter Profi, was seinen Beruf als Unterhaltungskünstler betraf. Er hatte stets nur ein Ziel: Das Publikum, das wegen ihm gekommen war, auf das Maximalste zu unterhalten. Auftritte mit halber Kraft gab es nicht. Jeder im Saal sollte nach seiner Show zufrieden und kulturell gut ernährt wieder nach Hause gehen, und möglichst lange von dem Erlebten zehren.001 20190216 1902794288 Auf jeden seiner Auftritte bereitete er sich akribisch vor - nicht nur auf eine Tour, sondern auf jedes einzelne Konzert! Wie weit das ins Detail ging, erfahrt Ihr gleich in diesem Interview. Diese harte Arbeit trug eine Menge Früchte, auch wenn der Boden in seinem Heimatland DDR für ihn eher dürr, ausgetrocknet und wenig ertragreich war. In der fernen Sowjetunion, bestehend aus dem heutigen Russland und den zig anderen Ländern, die sich inzwischen selbstständig machten, war Walendy ein Superstar. Die Leute in dem großen Land kannten ihn - egal ob in Moskau, Wladiwostok, Krasnodar, Belgorod, Orjol, Jakutsk oder Simferopol ... zusammen mit Siegmund Jähn, dem ersten deutschen Raumfahrer, war der blonde Sänger bekannt wie der viel zitierte bunte Hund und obendrein beliebt wie nur wenige Deutsche im großen Sowjet-Reich. Allein in der Sowjetunion verkaufte Walendy mehrere Millionen Schallplatten und seine Konzerte zogen Publikum im fünfstelligen Bereich an. Nun sollte man glauben, dass sich Medien und vor allem Plattenfirmen in seiner Heimat um ihn gerissen hätten. Immerhin legte er bei seinem Wirken außerhalb der Landesgrenzen - wie gerade beschrieben - beachtliche Zahlen vor. Sollte man glauben ... Aber dem war nicht so. Eher stiefmütterlich drückte man ihn dort halbherzig an die Brust, gönnte ihm lumpige drei Singles und ließ ihn ansonsten eher nebenher laufen. Darum weiß man hierzulande heute auch nicht ganz so viel über den Musiker und Menschen Siegfried Walendy. Das Plattenlabel Melamoud Records aus Düsseldorf mit seinem Geschäftsführer Boris Melamoud versucht mehr als 45 Jahre später Licht ins Dunkel zu bringen. Im März erscheint das einzige echte Studioalbum von Siegfried Walendy erstmals auf CD und ... Achtung ... erstmals überhaupt in Deutschland (Rezension siehe HIER). Dieses Album ist in vielerlei Hinsicht eine Besonderheit und zeitgeschichtliches Dokument, das sich auch erneut zu veröffentlichen lohnt. Und das nicht nur, weil die später so erfolgreichen PUHDYS es als Begleitband für Walendy in Russland eingespielt haben. Über dieses Album, die sonderbare Umgangsweise mit einem erfolgreichen Künstler in der DDR und was aus ihm nach seiner Zeit als Sänger geworden ist, erfahrt Ihr jetzt ganz exklusiv bei uns, denn Siegfried Walendy nahm unsere Einladung für ein Interview an. Hier das Ergebnis ...




Du bist am 18. Juni des vergangenen Jahres 75 Jahre alt geworden. Gab es eine größere Party?
Nein, zum 75. nicht. Da war ich unterwegs. Aber zum 70. haben wir etwas richtig Großes gemacht, mit den PUHDYS und all den Leuten, die man so kennt.

Das wäre meine nächste Frage gewesen, denn Du bist ja schon eine Weile raus aus dem Musikgeschäft. Denken an solchen besonderen Tagen immer noch ehemalige Kollegen an Dich und melden sich?
Aber sicher! Ich habe nach wie vor mit Quaster, Maschine und Peter Meyer von den PUHDYS guten Kontakt, aber auch mit Dagmar Frederic und hin und wieder auch mit Frank Schöbel, Andreas Holm, Thomas Lück ... Achim Mentzel lebt ja nun leider nicht mehr, aber die anderen Genannten waren alle bei mir zum 70. zu Gast.

Du kannst ja auf eine interessante und lange Karriere zurückblicken.
Ja, ich glaube, es waren 24 Jahre.

Vor allem aber hast Du zu einer Zeit Musik gemacht, als viele andere noch gar nicht daran dachten. Erstmals in Erscheinung getreten bist Du laut einer Kurzbiografie der Künstleragentur der DDR im Jahr 1958. Damals hast Du den ersten Preis beim "Wettbewerb der jungen Talente" in Rostock gewonnen. Kannst Du Dich an diese Veranstaltung noch erinnern?
Na klar! Erst habe ich ein paar Mal den Kreisausscheid im Kreis Grevesmühlen gewonnen, weil ich ja dort im Ort Schönberg meine 9. und 10. Klasse gemacht habe. Dann beging ich den Fehler, dass ich in einem Ferienlager die 100 Meter in 11,4 Sekunden gelaufen bin, worauf hin mich der Direktor der Kinder- und Jugendsportschule Rostock an seine Schule holte.004 20190216 1303761927 Dort machte ich dann gleich noch die 11. und 12. Klasse mit. Von diesen Bezirksausscheiden habe ich ein oder zwei gewonnen, beim dritten musste ich schon außer Konkurrenz teilnehmen, weil alle sagten: "Der Walendy gewinnt ja sowieso wieder".

Mit was bist Du denn damals in Rostock bei dem Wettbewerb angetreten und was war das für eine Veranstaltung?
Das nannte sich "Herzklopfen kostenlos - Kreissausscheid bzw. Bezirksausscheid der jungen Talente". Und da ging es schon ganz schön ab.

Und was hast Du dort gesungen?
Beim ersten Kreisausscheid habe ich "Marina, Marina" auf Italienisch gesungen. Das kann ich auch heute noch. Und von Freddy Quinn "Junge komm bald wieder" und all solches Zeug.

Nun kommt man ja nicht einfach mal Freitags aus der Schule und denkt sich, ich nehme jetzt mal an einem Gesangswettbewerb teil. Gab es vorher schon eine Gesangsausbildung, hast Du vielleicht davor schon mal im Chor gesungen oder wie kamst Du dazu?
Eigentlich nicht. Ich war in einem Sportverein, der hieß SG Dynamo Schönberg. Der Verein verfügte über ein Polizeiorchester. Das war eine etwas kleinere Bigband. Da bin ich mal hin, stand rum wie ein Ölgötze und hab einfach "Marina, Marina" gesungen. Das fanden die nicht schlecht. Als ich dann in der 11. Klasse nach Rostock zur Sportschule ging, habe ich nebenbei am Konservatorium Unterricht genommen in Gesang, Musiktheorie und Gitarre. Wenn ich mich richtig erinnere, waren übrigens Frank Schöbel und ich in der DDR die einzigen Sänger, die Noten lesen konnten. Und ich wiederum war der einzige, der sogar Arrangements schreiben konnte. In einer bestimmten Phase schrieb ich sogar Arrangements für Bigbands. Stell Dir vor, einen Titel hat das Rundfunktanzorchester Leipzig übernommen. Walter Eichenberg kam auf mich zu und fragte, ob ich ihm die Partitur geben könne, er würde das gerne mal einspielen. Ja, das konnte ich. Das machte ich alles nebenbei in meiner Zeit an der Sportschule. Außerdem spielte ich in der 11. und 12. Klasse schon in einer Amateurband der Neptunwerft Rostock mit. Wir spielten jedes Wochenende und ich musste jedes Mal vierzig Titel singen. Ja, das hat alles richtigen Spaß gemacht.

Du sagtest gerade, eigentlich wärst Du ja Sportler geworden, und zwar Leichtathlet. Daraus wurde also nichts?
Mit siebzehn oder achtzehn Jahren musste ich abtrainieren, weil die Ärzte angeblich etwas an der Wirbelsäule gefunden hatten. Einen Morbus Scheuermann. Deshalb musste ich den Sport aufgeben, brauchte dadurch aber glücklicherweise auch nicht zur Armee. Der Supergag war aber folgender: 1965 bin ich in der Lushniki-Sporthalle Moskau, wo zig Tausende Leute reinpassen, noch 90 Meter Hürden gelaufen. Und zwölf Jahre später habe ich genau in dieser Halle vor 18.000 Menschen "Es wird Nacht, Senorita" auf Russisch gesungen. Das hätte ich mir nie träumen lassen.

Du warst also, wenn man das so sagen kann, in zwei verschiedenen Sportarten professionell unterwegs.
Ja, das stimmt. Ich war mal zweiter DDR-Meister über 90 Meter Hürden, dann ebenfalls zweiter DDR-Meister im Leichtathletik-Fünfkampf. Das war alles noch in der B-Jugend bis 17 Jahre. Ich hatte richtig viel Spaß am Sport.

003 20190216 2074776991Aber diese Verletzung, die man da bei Dir festgestellt hat, hat Dich im weiteren Leben nicht behindert, oder?
Nein, überhaupt nicht. Weißt Du, was der Gag ist? Vor zehn Jahren bin ich beim Orthopäden gewesen und der sagte zu mir: "Morbus Scheuermann ist bei Ihnen nicht zu erkennen, das haben Sie nie gehabt". Also muss sich das wieder verwachsen haben.

Nach dem Gewinn der "Jungen Talente"-Veranstaltung warst Du am Konservatorium, bekamst Deinen ersten Musikunterricht und hast 1960 auch schon als Sänger und Gitarrist in einer Band gespielt. War das diese Band der Neptun Werft, von der Du gerade sprachst?
Ja, das war sie. Wir nannten uns DIE NEPTUN RHYTHMIKER und waren quasi die Amateurband der Neptun Werft Rostock.

Wie bist Du denn dazu gekommen?
Irgendwie hatten die mich mal angesprochen. Kurz zuvor gewann ich nochmal den "Bezirksausscheid der jungen Talente". Wie auch immer, mir kam das Angebot der Band nicht ungelegen, denn es gab ja nur 60 Ostmark sogenanntes Stipendium in Rostock. Und wenn man sich dann am Wochenende noch 40 bis 60 Ostmark dazu verdienen konnte, war das schon gut. Meine Eltern konnten mich nicht großartig unterstützen, das waren arme Kirchenmäuse.

1963 hast Du Deine "Auftrittsgenehmigung" erhalten und hattest Deinen ersten Auftritt auch gleich im Fernsehen der DDR. In welcher Sendung war das? Und bist Du dort als Solist oder Mitglied einer Formation aufgetreten?
Meine erste Fernsehsendung lief in einem Kabarett in Ostberlin, in der "Distel". Da gab es eine Bigband namens FIPS FLEISCHER. Die haben mich bei dem Auftritt begleitet und ich sang da einen spanischen Titel. Als ich dann im Ausland bekannter wurde, gab es über mich eine Rezension aus dem Friedrichstadtpalast. Du musst wissen, es gab immer irgendwelche Journalisten, die sich wichtig tun wollten. Die schrieben über mich: "Walendy im Outfit eines westlichen Globetrotters" oder "Seine Stimme klingt zu westlich". Deshalb hatte die Schallplatte mich immer abgelehnt.

Dazu kommen wir gleich noch. Um in dieser Zeit zu bleiben, zitiere ich nochmal aus Deiner Kurzbiografie von der Künstleragentur. Dort steht, Du hast 1963 Deinen Abschluss am Konservatorium gemacht und hast am 1. Januar 1964 Deine Karriere als hauptberuflicher Sänger gestartet. Das klingt alles sehr behördlich. Wie war denn Dein Start im Beruf für Dich? Wie hast Du selbst diese Zeit wahrgenommen?
Man musste damals im jeweiligen Bezirk, bei mir war das Rostock, vor einer sogenannten Prüfungskommission Prüfungen ablegen. Dem Erhalt meines Berufsausweises ging aber einiges voraus. Es gab jedes Jahr eine zentrale Veranstaltung vom Ministerium für Kultur, die in Magdeburg stattfand. Das erste Mal, daran erinnere ich mich noch gut, war ich mit Frank Schöbel da.002 20190216 1393365318 Ich fiel durch, Schöbel bekam eine Auftrittsgenehmigung für sechs Monate. Dagmar Frederic fiel übrigens auch durch. Ein Jahr später erhielt ich dann meine Auftrittsgenehmigung für sechs Monate und Frank Schöbel für ein Jahr. Wieder ein Jahr weiter bekam ich die Genehmigung für ein Jahr und Frank Schöbel seinen Berufsausweis. Wir hatten uns also immer gegenseitig im Blick.

Was dann folgte, liest sich absolut spannend. Du bist durch die halbe Welt gereist und hast Konzerte gegeben. Abgesehen von den Bruderländern waren Stationen dabei in Afrika, dem nahen Osten und natürlich in der Sowjetunion. Hattest Du zu dieser Zeit überhaupt einen festen Wohnsitz oder warst Du nur unterwegs?
Ja, ich hatte schon noch einen festen Wohnsitz, aber eigentlich war ich so gut wie nie da, weil ich ja immerzu auf Achse war. Das mit Afrika, Syrien und dem Irak hatte ja auch eine bestimmte Bewandtnis. Wir als DDR hatten in diesen Ländern noch keine Botschaften, sondern nur sogenannte Handelsvertretungen. Man schickte uns Künstler also dahin, um für die DDR ein bisschen zu buhlen. Im Sudan war ich beispielsweise der erste Vertreter aus der DDR, der in einer Fernsehsendung auftreten durfte. Das war für die damals aus politischer Sicht besonders wichtig, weil die Fernsehstation ein Geschenk der Bundesrepublik Deutschland war. Und ich als Sänger aus dem Osten durfte dort zuerst auftreten. So wichtig hatte man das damals halt genommen. Man sagte mir auch klipp und klar: "Also Herr Walendy, Sie treten hier nicht als Siegfried Walendy auf, sondern als Vertreter der Deutschen Demokratischen Republik".

Vor was für einem Publikum trat man denn damals in Syrien, im Irak oder vor allem auch im Sudan auf?
Ich erinnere mich beispielsweise an ein Konzert in Ägypten, in Alexandria, da gab ich ein Konzert vor etwa dreihundert Leuten - ohne Mikrofon! Ich gab mir natürlich Mühe, konnte in vielen verschiedenen Sprachen singen, was man auch entsprechend honorierte. Im Sudan allerdings hatte ich dann doch mal ein Problem mit der Stimme und ich sagte ihnen, dass ich heute leider nicht singen könne. Und wieder kam der Spruch, ich sei hier nicht als Walendy unterwegs, sondern als Vertreter der DDR. Weiterhin erinnere ich mich an eine Freiluftveranstaltung in Khartum im Sudan, auch da habe ich ohne Mikrofon gesungen. So etwas kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Im Publikum, um auf Deine Ausgangsfrage zurück zu kommen, saßen Studenten und alles Mögliche sonst, quer Beet. Es machte auf jeden Fall richtigen Spaß.

Die nächste Frage dürfte nur schwer zu beantworten sein, wenn man sich den Hintergrund für Deine Reisen anschaut. Aber welche Konzertreise hat besondere oder die meisten Eindrücke bei Dir hinterlassen?
Die besonderen Eindrücke habe ich auf jeden Fall während meiner zahlreichen Konzerte in der Sowjetunion gesammelt. Ich habe da ja fast zweitausend Vorstellungen gegeben, zusammen mit den verschiedensten Gruppen. Es gab jährliche Tourneereisen unter dem Namen "Melodien der Freunde". Aus neun sozialistischen Ländern waren jeweils eine Sängerin und ein Sänger dabei. Ich fing an mit zwei Titeln und das steigerte sich dann nach und nach soweit, dass ich einmal mit den PUHDYS zusammen eine Programmhälfte ganz allein gestaltet habe. Lustig war auch eine Sache, die in Bulgarien passierte, als ich da mal acht Monate lang zu Gast war. Die brachten plötzlich eine Schallplatte raus, bei der auf der einen Seite ein bunter Sänger und die BEE GEES drauf waren und auf der anderen Seite war Walendy drauf. Für mich war das natürlich eine riesige Werbung. Bei uns in der DDR musste man ja regelrecht darum buhlen, auch mal einen Titel aus dem Westen singen zu dürfen. In Bulgarien sagte man mir: "Was Du singen willst, das singst Du auch, da fragen wir nicht erst in der DDR nach". Deshalb machte ich in Bulgarien Aufnahmen mit Titeln, die ich bei uns niemals hätte aufnehmen dürfen.

Das sind jetzt natürlich alles sehr schöne Erlebnisse und Erinnerungen. Aber gab es denn auch mal eine Tournee oder eine Gastspielreise, die Du rückblickend besser nicht gemacht hättest?
(überlegt…) Nein, wirklich nicht. Mir hat alles Spaß gemacht. Meine Prämisse war immer: wenn ich das erste Mal ein Angebot aus einem Land bekam, in dem ich vorher noch nicht war, dann habe ich vorher nie nach der Gage gefragt. Wenn ich dann aber da war und auch noch Erfolg hatte, fing ich beim nächsten Mal natürlich an, Forderungen zu stellen. Die Künstleragentur war auch manchmal richtig beleidigt, denn wenn ich von einer Tournee aus der Sowjetunion zurückkam, hatte ich oftmals schon den Vertrag für das nächste Jahr in der Tasche. Das gefiel denen überhaupt nicht, weil ich ja ziemlich hohe Gagen aushandelte. Ich hatte mit meiner Band, den PUHDYS, höhere Gagen als eine Bigband, die in die Sowjetunion fuhr. Das hat man mir schon ein bisschen angekreidet. Aber wenn es mit der Künstleragentur prekär wurde, hatte ich zum Glück immer jemanden, der mich darauf hinwies. Und so wusste ich immer rechtzeitig Bescheid und konnte entsprechend reagieren.

Es ist auch zu lesen, das Du Deine Lieder in elf (!) Sprachen gesungen hast. Hast Du das alles in einem Programm untergebracht oder hast Du die Sprache der Lieder dem jeweiligen Land angepasst, wo Du gerade aufgetreten bist?
Absolut richtig. Als ich zum Beispiel das erste Mal in Georgien auf Tour war, da habe ich das Lieblingslied von Stalin auf Grusinisch gesungen. Da kannst Du Dir vorstellen, was für Standing Ovations ich dafür bekam. Im Baltikum, also in Lettland, Litauen und Estland, war es so, dass man wegen meiner blonden Haare immer sagte: "Das ist unser Sohn, unser Sohn ist da". Wie viele Töchter ich da heiraten sollte ... Das war schon richtig lustig.

Deine ersten Plattenaufnahmen fanden 1970 bei Melodija in Moskau statt. Ein Jahr später, Du hast es gerade erwähnt, warst Du in Bulgarien und bei Balkaton erschienen zwei Singles und ein Album von Dir. 1972 brachte Melodija in der UdSSR zwei weitere Platten von Dir heraus, unter anderem Deine erste Eigenkomposition, nämlich "Nur bei Dir will ich sein". Erst 1973 wachte AMIGA auf und veröffentlichte Deine erste Single in der DDR. Hast Du sie geweckt oder sind sie von selbst wach geworden?
Das Ganze war ein ziemliches Politikum. Nachdem man nämlich in der Sowjetunion bereits über 13 Millionen Schallplatten von mir verkauft hatte und bei uns die Fans kamen und mich immer wieder fragten, ob ich ihnen nicht mal eine Platte von mir schenken könnte und ich dann immer sagen musste, "Ich habe leider keine", nahm das auch in der DDR Fahrt auf. Irgendwelche Reiseleiter, die ich ja immer als Aufpasser dabei hatte, müssen das mal gemeldet haben. Und jemand vom Ministerium für Kultur meinte dann, "Es kann doch nicht sein, dass der Walendy in unserem Bruderland Millionen von Platten verkauft und in der DDR wurde noch gar nichts produziert!" Dabei war ich ja vorher schon oft beim Rundfunk und bei AMIGA zum Vorsingen. Die hatten aber immer eine Ausrede. Mal war ihnen meine Stimme zu "westlich", ein anderes Mal war mein Timbre zu rau, es passte ihnen halt nicht ins Konzept. Ich erinnere mich an eine Fernsehsendung mit Heinz Quermann. Und zwar war das in der Zeit, als man etwas gegen lange Haare hatte. Deshalb sollte ich vor der Sendung zum Friseur gehen und mir die Haare abschneiden lassen. Daraufhin habe ich gesagt: "Leute, dann holt euch jemanden mit kurzen Haaren. Ich lasse jedenfalls keinen Friseur an meine Haare ran!" Das war natürlich ein Affront gegen das Ministerium für Kultur. Aber es gab noch weitere Geschichten. Als ich z.B. 1986 in der CSSR ein internationales Liederfestival gewonnen hatte, behauptete plötzlich ein offizieller Vertreter des Ministeriums für Kultur nicht für meine Stimme bekommen, sondern für meinen weißen Anzug, den ich trug. Letztendlich habe ich mich aber immer durchgesetzt und habe nie klein beigegeben.

Du warst zu dem Zeitpunkt in der UdSSR ein Superstar. Aber auch in anderen Ländern kannte man Siegfried Walendy. Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen, dass in Deiner Heimat so wenig mit Dir passiert ist. Wie sah denn die öffentliche Wahrnehmung Deiner Person in der DDR aus?
Das hat mich eigentlich gar nicht interessiert. Ich habe wirklich meine Hauptgage im Ausland verdient und konnte diese Gage auch größtenteils alleine abklären, ohne dass mir da jemand reinreden konnte. Irgendwann musste man mir ja auch meinen Berufsausweis geben, aber man wollte mich am liebsten immer durchfallen lassen. Ich war dann irgendwann an der Dresdner Musikhochschule zur Aufnahmeprüfung, denn mir war klar, wenn es auf dem einfachen Weg nicht geht, muss ich wohl richtig Musik an der Hochschule studieren. Ich kam dann also zu einer Aufnahmeprüfung und dort gab es die sogenannten Dresdner Tanzsinfoniker unter der Leitung von Günter Hörig, mit dem ich vorher bereits gemuggt hatte. Der war überrascht, mich da zu sehen und fragte nach dem Grund. Also sagte ich ihm, dass ich das machen muss, denn die wollen mir sonst keinen Berufsausweis geben. Günter Hörig bestätigte mir dann schriftlich, dass meine gesangliche Entwicklung so weit fortgeschritten ist, dass sie ein Studium nicht für nötig erachten. Daraufhin bekam ich dann sofort das Okay.

Mit Wahrnehmung meinte ich eigentlich das Publikum. Es ist ja so, dass man Dir in der Sowjetunion die Bude eingerannt hat. Aber wie war das in der DDR? Es ist ja schwierig, wenn Du keine eigene Platte hast. Wie konntest Du die Leute auf Dich aufmerksam machen und wie war der Zuspruch?
Also wir haben in der DDR durchaus viele Tourneen gemacht. Es gab sogar richtige Jahresprogramme, da standen jeden Monat ungefähr 15 Konzerte auf der Liste. Da traten manchmal Leute auf, die in der DDR wesentlich bekannter waren als ich. Aber ich hatte mehr Erfolg mit meiner Art und Weise, wie ich mich gegeben habe. Und dort, wo ich aufgetreten bin, war mir der Erfolg immer sicher. Man machte da keinen Unterschied, ob jemand schon eine Platte draußen hatte oder nicht.

Im Jahr 1973 wurde in der UdSSR dann das Album aufgenommen, welches in diesem Jahr im März erstmals auf CD wiederveröffentlicht wird. Mit Dir im Studio waren die PUHDYS. Wie kam es zu der Zusammenarbeit mit den PUHDYS?
Ganz einfach. Als ich in der UdSSR mein erstes eigenes und abendfüllendes Programm machen durfte, suchte ich in der DDR eine Band, die in der Lage und willens war, meine Titel auf der Bühne live und ohne Notenständer zu begleiten. Ich wollte keine Band haben, die immer diese Notenpulte vor sich hat und wo die Musiker ständig auf ihre Notenblätter guckten. Ich brauche eine Truppe, die sich das drauf drückt. Und so kam ich zu den PUHDYS. Wir haben dann also ein paar Mal geprobt. Bevor es los ging, musste ich aber noch etwas abklären. Ich wollte nämlich nicht, dass die in einem verschwitzten Turnhemd auftreten. Die Jungs mussten sich also vorher noch richtige Klamotten, z.B. vernünftige Sakkos, anfertigen lassen. Das klappte auch wunderbar. Unsere Tournee dauerte dann volle drei Monate. Das sind also 90 Tage. Gespielt haben wir aber in diesen 90 Tagen tatsächlich 99 Konzerte. Das ging wie die Feuerwehr. Du kannst Dir nicht vorstellen, wie wir gefeiert wurden. Ich hatte übrigens immer ein kleines Notizbuch dabei, wo ich von fünfzehn verschiedenen Sowjetrepubliken die Begrüßungstexte in der jeweiligen Landessprache zu stehen hatte. Wenn ich zum Beispiel in Estland war, bin ich raus auf die Bühne, hielt meine Ansprache zuerst in Deutsch, dann hielt ich sie auf Estnisch und dann kaufte man mir es auch ab, wenn ich zum Schluss alles auf Russisch brachte. Wer dagegen sofort auf Russisch anfing zu reden, der war natürlich gleich unten durch bei den Leuten. Als ich in der UdSSR richtig populär war, schrieb mal ein russischer Journalist, dass es in der UdSSR nur zwei bekannte DDR-Bürger gab. Das eine war unser erster Kosmonaut Sigmund Jähn und der zweite war ich. Und viele Spalten später kam dann erst Erich Honecker.

Kein Wunder, dass Du den staatlich tätigen Herrschaften in der DDR ein Dorn im Auge warst.
Aber absolut! Es gab ja auch mal in Radebeul bei Dresden eine sogenannte Protokoll-Veranstaltung auf einem Weingut. Dazu hatte mich die erste weibliche Kosmonautin der Sowjetunion eingeladen. Da spielte ich dann meine Lieder, auch einige Volkslieder und russische Lieder zur Gitarre. Von diesem Tag an kenne ich zum Beispiel unseren Freund Wladimir Putin. Der war zu der Zeit KGB-Chef in Dresden. Das war also ein ganz lustiges Erlebnis. Natürlich hat damals noch niemand geahnt, dass der Putin mal russischer Präsident wird!

Zurück zu diesem Album mit den PUHDYS. Ihr seid dann in Moskau im Studio gewesen und habt die Platte eingespielt. Habt Ihr das so gemacht, dass ihr alle gleichzeitig ins Studio rein seid und alles live eingespielt habt?
Nein, das kann sich heute kein Mensch mehr vorstellen, wie das abgelaufen ist. Es gab ja bei den Russen gar kein Tonstudio, wie wir es kennen. Wir waren stattdessen in einer Kirche, weil da eine besonders gute Akustik war. Dann haben wir erst einmal unsere Grundbänder eingespielt.007 20190216 1675713077 Der Gag war: die Russen hatten auf irgendeiner Messe für die Aufnahme eine 32-Spur-Maschine bekommen. Die konnte aber keiner von denen bedienen! Und wir hätten es bedienen können, wie Peter Meyer mir später mal erzählte, aber in der DDR gab es sowas noch nicht. Ich weiß aber noch, dass dann ein Musiker eines Sinfonieorchesters und ich jeweils acht Schieber genommen haben und irgendwie die Platte zusammengefummelt haben. Heute unvorstellbar!

Aber eingespielt wurde die Platte live. Also die komplette Band spielte und es wurde mitgeschnitten, oder?
Nicht ganz. Zuerst spielte die Band und ich sang meinen Part dann später drauf, weil ich ja auch noch im Backgroundchor mitsang und auch Gitarre mitspielte. Bei 32 Spuren konnte man das ja alles drauf spielen.

Auf dem Album enthalten sind zwei eigene Kompositionen von Dir, aber auch Songs von SWEET, von Udo Jürgens, von Jürgen Marcus und anderen international erfolgreichen Stars. Nach welchen Kriterien hast Du die Lieder ausgewählt, die auf die Platte sollen? Hattest Du da freie Hand oder wollte Melodija bestimmte Songs dabei haben?
Nein, das war einzig und allein meine Entscheidung. Was mir übrigens die Popularität in der Sowjetunion einbrachte, war folgendes: Ich sang den Udo Jürgens-Titel "Es wird Nacht, Senorita" mal im DDR-Fernsehen. Mit einer ganz lieben Russischlehrerin von mir haben wir dann zu diesem Lied einen russischen Text geschrieben. Solche Textzeilen wie "Nimm mich mit in Dein Bettchen, ich will gar nichts von Dir" waren für die Russen damals ja fast schon wie ein Porno. Deshalb habe ich alleine von diesem kleinen Song alleine über zehn Millionen Platten verkauft. Dadurch wurde ich in der Sowjetunion quasi über Nacht bekannt. Ich war übrigens auch der erste DDR-Sänger, der ein großes, richtig farbiges Plakat hatte. Ein paar davon hatte ich mit in Leningrad, wo ich im großen Kulturpalast spielte. Die Plakate waren aber immer wieder verschwunden, also wurden die dann in eine große Glasvitrine gehängt. Und daneben standen zwei bewaffnete Posten, die aufpassten, dass keiner mehr die Plakate klaut.

AMIGA selbst hat dieses Album ja nie verlegt. Dafür wurde es aber in der UdSSR mehrfach neu aufgelegt. Das ist ja ein untrügliches Zeichen dafür, dass es dort unglaublich gut lief. Ist es denn trotzdem als Import-LP in der DDR erhältlich gewesen oder gab es das in der DDR wirklich nicht zu kaufen?
Nein, das gab es nie. Da hatten eben die falschen Leute das Sagen. Aber ich selber hatte so gut zu tun im Ausland, dass ich sagen konnte: Rutscht mir doch den Buckel runter! Ich wusste immer genau, was ich will und das habe ich dann auch durchgesetzt. Ich ließ mir von niemanden reinreden. Siehe damals die Geschichte mit dem Fernsehen und dem Haareschneiden. Wenn sie einem Frank Schöbel gesagt haben, du musst deine Haare kürzer tragen, hat er das mit sich machen lassen und schnitt sich die Haare. Walendy machte das eben nicht. Das passte eben vielen Leuten nicht. Trotzdem war ich einige Male im Friedrichstadtpalast, wo ich auch meine Frau kennenlernte, die dort bis kurz vor der Wende Solotänzerin war.

Am Ende gab es bei AMIGA gerade mal drei Singles von Dir. Sonst wurde wirklich nichts weiter veröffentlicht, was es insgesamt auch sehr schwer macht, etwas über Dich im Internet zu finden, weil vieles ja auch mit Plattenveröffentlichungen zusammenhängt. Wie ging denn Deine Karriere speziell in der DDR ohne eigene Platten weiter? Warst Du der typische Konzert-Künstler oder ein Fernseh- und Radiokünstler?
Es gab bei Radio DDR 1 die wöchentliche Sendung "Die Schlagerrevue". Da war ich mit dem Titel "Nur bei Dir" in der Jahresauswertung auf dem zweiten Platz. Und es gab auch noch eine Fernsehsendung, wo ich im Endausscheid landete, der dann im Kulturpalast Dresden stattfand. Und ich kann immer wieder nur sagen, wo ich auftrat, hatte ich auch Erfolg. Für mich war immer wichtig, dass ich selber mit dem zufrieden war, was ich abgeliefert hatte. Es war für mich nicht entscheidend, ob die Leute gejubelt haben.

Es blieb aber auch bei Melodija bei diesem einen Album. Woran lag es, dass es keine weiteren Plattenveröffentlichungen von Dir in der UdSSR gab, denn die Nachfrage nach Deiner Person war ja dort ziemlich groß?
Ich will es mal so ausdrücken: Ich bin in ein gewisses Alter gekommen und sagte mir, ich habe jetzt fast die ganze Welt gesehen, jetzt bleibe ich erst mal ein Weilchen zu Hause. Zumal ich inzwischen auch im Friedrichstadtpalast meine Gattin kennengelernt hatte. Ich bin dann also etwas ruhiger getreten. Übrigens wurden auch meine Platten, die bei AMIGA erschienen, gar nicht dort aufgenommen, sondern im Rundfunk. Da gab es ein Orchester namens Martin Hoffmann. Der Martin Hoffmann hatte mal die Aufgabe, für eine Veranstaltung im Friedrichstadtpalast eine internationale Band auf die Beine zu stellen. Wir kannten uns, deshalb sagte ich ihm, wenn er mich braucht und haben will, bin ich dabei. Na jedenfalls hat Martin Hoffmann für mich meine Titel beim Rundfunk eingespielt und AMIGA hat die dann irgendwann übernommen. Irgendwer muss denen einen Tipp gegeben haben. Kennst Du übrigens noch Egon Krenz? Wenn irgendwelche Empfänge waren oder Politiker kamen, rief Egon bei mir an und sagte: "Siggi, ich brauche Dich mal wieder, hast Du Zeit?" Im Gegenzug habe ich immer dann, wenn die Künstleragentur mal wieder nicht wollte, zu Egon gesagt: "Du, Egon, ich will mal wieder auf Tour…". Der hat das dann geklärt und das lief dann auch.

Es heißt, Du hättest mit der Wende in Deutschland, also 1989, auch Deine Karriere als Sänger beendet. Stimmt das?
Ja. Ich habe zwar noch bis zum Juni 1989 eine Tournee gemacht, war aber seit Januar oder Februar desselben Jahres schon für eine deutsche Firma tätig. Ich war sozusagen der erste DDR-Bürger in einer Westfirma. Und zwar war das die damals größte Firma auf dem Gebiet der Heizkostenabrechnung. Für mich war das überhaupt kein Problem. Ich habe immer gesagt, ich habe 24 Jahre lang Lieder verkauft und jetzt verkaufe ich eben Wasserzähler und Wärmezähler. Das Gute war, die Leute kannten mich, speziell im Tal der Ahnungslosen, also in Dresden. Ich hatte die ganze DDR für mich, was die Wessis überhaupt nicht verstehen konnten. Ich kam fast jeden Tag mit fetten Verträgen zurück in die Firma. Wenn es hoch kam, haben die pro Tag mal zehn oder zwanzig Wasserzähler verkauft, während ich mit Verträgen über eintausend, zweitausend oder gar fünftausend ankam. Ich muss sagen, das hat die Firma mir auch sehr gedankt. Vor mir in der Vitrine steht zum Beispiel ein Ehren-Oscar, mit dem wurden jährlich die besten Vertriebler ausgezeichnet. Und ich bekam für mein Lebenswerk bei dieser Firma den Ehren-Oscar. Den halte ich aber auch wirklich in Ehren. Ich war für die Firma auch drei Jahre, nämlich von 1996 bis 1999, als Geschäftsführer in Bulgarien tätig. Und das Lustige daran war, wenn ich zum bulgarischen Energieminister nach Sofia musste, war der ganz überrascht und sagte zu mir: "Sag mal, Walendy, hast Du hier nicht vor fünfzehn Jahren mal "Marina, Marina" gesungen?" Durch meine Popularität konnte ich meiner Firma also wirklich unwahrscheinlich helfen.

Ist Dir das nicht schwergefallen, diese kreative Geschichte mit der Musik an den Nagel zu hängen und dann wie ein Vertreter durchs Land zu fahren?
Du, ich will Dir mal sagen, die Verkäufe, die ich getätigt habe, das war für mich auch Kreativität. Du musst ja erst mal jemanden überzeugen, der Dir einen Vertrag unterschreibt, wo drauf steht: 5000 Wasserzähler und Heizkostenabrechnung für zehn Jahre. Und in Bulgarien war es ja so, dass ich maßgeblich daran beteiligt war, die sogenannte Heizkostenverordnung einzuführen. Ich habe dann Pressekonferenzen auf Bulgarisch gegeben usw., was mir kolossal geholfen hat und auch entsprechend gut honoriert wurde. Für mich war das alles wie Neuland unterm Pflug. Ich hatte immer das Gefühl, etwas auf einem Gebiet machen zu müssen, wo ich etwas bewegen kann. Und gerade in Bulgarien klappte das unter Ausnutzung meiner Popularität wunderbar.

Aber ich stelle mir das schon als einen riesigen Unterschied vor, wenn man als Einzelner vor zig Tausend Leuten auf der Bühne steht oder irgendwo auf einem Sofa sitzt und einen Vertrag abschließt.
Ja, aber wenn Du einen Vertrag abschließt, der andere unterschreibt und dieser Vertrag hat einen Umfang von zwei Millionen, dann ist das schon eine gewisse Befriedigung. Zumal Du auch genau weißt, das hat bisher noch kein anderer in dieser Firma geschafft. Also ich hatte damit wirklich kein Problem.009 20190216 1814658095 In meinen Augen war ich nämlich immer schon ein Verkäufer. Und ein Sänger muss sich eben auch verkaufen können, denn er kann singen wie ein junger Gott - wenn er sich nicht verkaufen kann, wird er niemals Erfolg haben.

Bist Du danach jemals wieder mit einem Mikrofon in der Hand aufgetreten oder bist Du bis heute konsequenter Gesangsruheständler?
Ich habe danach durchaus nochmal eine Fernsehsendung gemacht. Ich glaube, das hieß "Damals war's". Mit Frank Schöbel habe ich noch gesungen, auch mit Cindy & Bert. Mir hatte das richtig Spaß gemacht, die alte Garde mal wieder zu sehen. Aber es war dann so, dass man oft an mich herangetreten war mit Bitten wie: "Kannst Du mal nach Dresden kommen, da möchte Dich ein Kulturhaus unbedingt haben". Ich sagte darauf: "Das ist ja furchtbar lieb und nett gemeint, aber bestellt den Leuten mal einen schönen Gruß, die können mich sowieso nicht bezahlen". Dann gab es mal eine Veranstaltung, wo Gunter Gabriel eingeplant war, der aber gerade nicht kommen konnte. Also holte man mich und was soll ich Dir sagen? Ich bekam an Gage das, was ich haben wollte! Mein Motto war immer, ich mache es entweder gratis, weil es mir Spaß macht. Oder wenn mich jemand bezahlen wollte, dann aber nicht nur einen Appel und ein Ei, sondern dann will ich auch richtig Geld sehen. "Ja, aber der und der hat doch auch für 150 Mark gespielt…". Meine Antwort war: "Na dann holt euch doch den Mann, ich spiele jedenfalls nicht für 150!" Und siehe da, sie konnten mich dann doch bezahlen. Heute hat man im Showgeschäft seine Berater. Früher war jeder sein eigener Berater. Und Du musstest immer wissen, was Du willst und wie weit Du gehen kannst.

Was machst Du heute? Ich nehme mal an, dass Du jetzt mit 75 keine Wasserzähler mehr verkaufst? Nö, aber die laden mich immer noch zu ihren jährlichen Events ein und dann wird von der guten alten Zeit geplaudert. Vor allem, wenn ich da Leute wie die PUHDYS wiedersehe. Zum Beispiel fragte mich Peter Meyer mal: "Sag mal, weißt Du noch, als wir in Novosibirsk waren? Da ist Quaster beim Spazierengehen mal mit dem Kopf gegen den Briefkasten gelaufen und hatte eine leichte Gehirnerschütterung. Er kam ins Krankenhaus und schon am nächsten Morgen kam er zurück, war noch im Schlafanzug, hatte seine ganzen Klamotten in Zeitung eingewickelt und meinte, er musste da weg, weil die ihm seine Uhr klauen wollten." Solche Sachen vergisst man halt nicht.

Das war's eigentlich schon. Hast Du die CD schon in den Händen gehalten, die jetzt wieder neu aufgelegt wird?
Eine hat man mir schon geschickt. Ich rief dann nochmal dort an und fragte, ob ich nicht noch vier oder fünf Stück bekommen könnte. Na gut, bekam ich dann zu hören, wir schicken Dir noch fünf, die musst Du auch nicht bezahlen, wenn Du versprichst, dafür mit Deutsche Mugge ein Interview zu machen. Das habe ich natürlich sofort zugesagt.

Beobachtest Du eigentlich die aktuelle Musikszene noch oder interessiert Dich das nicht mehr?
Ja, ich beobachte das schon noch. Es tut mir nur in der Seele weh. Ich denke, zu meiner Zeit und auch noch vor zehn, fünfzehn Jahren gab es Lieder, die Melodien hatten. Heutzutage ist für mich der größte Horror, wenn irgendwelche Rapper auftreten und behaupten, sie würden singen. Das ist kein Singen, was die machen, sondern das ist Sprechen. Und sie behaupten, sie wären Musiker, aber auch das stimmt nicht. Ansonsten waren meine Highlights, wenn ich in Konzerten von Tina Turner oder Barbara Streisand war. Das waren für mich innere Vorbeimärsche. Das ist Musik! Das sind Showleute! Heute ist es ja so, da treten Leute wie Lena auf, die mal kurz was gewonnen haben und schon sitzen sie in einer Jury und urteilen über andere Leute. Da fasse ich mir an den Kopf und verstehe nicht, dass es sowas gibt.

Nun haben wir eine richtig spannende Karriere in knapp einer Stunde kompakt zusammen gefasst. Hoffentlich haben wir nichts Wichtiges vergessen ...
Ja ... Ich denke auch noch daran, dass ich 1969 mit dem Friedrichstadtpalast in Budapest war und erstmals Udo Jürgens kennenlernte, der dort auch gerade Konzerte gab. Abends haben wir zusammengesessen und gequatscht und wenn Udo Jürgens dann in die DDR kam und wir uns da wieder trafen, waren das für mich auch wieder die inneren Vorbeimärsche. Oder als wir in Moskau und Leningrad unterwegs waren, war auch James Last und seine Band da. Ich ging in sein Konzert und hinterher sagte die Dolmetscherin zu James Last: "Herr Last, das hier ist Siegfried Walendy, der bekannte Sänger aus der DDR." Er guckte mich an und sagte: "Mensch, entschuldige, dass ich Dich nicht gleich erkannt habe". Das ZDF war übrigens auch da und ich bekam von denen eine schriftliche Einladung zur "Starparade". Für das Ministerium für Kultur war das allerdings Vaterlandsverrat, weil das Schreiben nicht sofort an die Künstleragentur ging, sondern an mich direkt. Und ein anderes Mal war ich in Bremen. Das war aber noch zu DDR-Zeiten und ich durfte nur kurz meine Schwester besuchen, die dort lebte. James Last hatte in der Stadthalle Bremen gerade ein Konzert. Ich ging natürlich hin und die Leute im Publikum erkannten mich und fragten mich gleich: "Siggi, bleibst Du hier?" Und ich sagte: "Nein, warum denn? Mir geht es doch in der DDR gut. Ich habe Haus und Hof, warum soll ich also hier bleiben?" Dann gibt es dort im Fernsehen so eine Regionalsendung, die nennt sich "Binnen und buten". Dort war ich eingeladen und wurde interviewt. Das wurde aber im Westen nie gesendet, weil ich da auch wieder gesagt habe, mir geht es in der DDR gut. Das wollten die nicht hören.

Ich danke Dir für dieses Gespräch und wünsche Dir weiterhin alles Gute.
Vielen Dank.



Interview: Christian Reder
Bearbeitung: tormey
Fotos: Privatarchiv Siegfried Walendy, Autogrammkarten