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Interview vom 17. Juli 2018



Vor 18 Jahren entstand eher durch Zufall eine Band, die für die deutsche Musikszene zum Glücksfall wurde: 2raumwohnung. Das ehemalige NEONBABY Inga Humpe und der Komponist und Produzent Tommi Eckart, beide auch privat ein Paar, werkelten im Jahre 2000 an einer Werbemusik für eine ostdeutsche Zigarettenmarke. Dafür entstand ein kleiner Jingle, der in der Kino-Werbung für eben diese Zigarette zum Einsatz kam.002 20180718 2097943162 Damit fing die Geschichte der Band an, die eigentlich gar keine sein sollte. Der Song bekam mit "Wir trafen uns in einem Garen" einen Namen, wurde zum Hit, die Band legte weitere Hits nach und heute kennt sie speziell in der Club-Szene fast jeder. Ihre Musik ist erfrischend anders und belebt das Genre, in dem sie hauptsächlich einzusortieren ist, mit ordentlich Lebensfreude und Inhalten. Goldene Schallplatten, diverse andere Auszeichnungen und die Gewissheit, mit den eigenen Werken stets weit vorn in den Charts zu landen, wurden zu treuen Begleitern für Inga und Tommi. Im Mai des Jahres bekam Inga obendrein auch noch den begehrten Fred Jay-Preis der GEMA überreicht. Dies war dann auch ein schöner Aufhänger, um sich mit Inga zu einem Interview zu verabreden, dabei über die eben erwähnte Auszeichnung, ihre Band und über die Zukunftspläne ihrer 2raumwohnung zu sprechen, und natürlich um einen kleinen Blick zurück zu werfen, auch wenn das ja nicht das Lieblingsthema der Sängerin und Texterin ist ...




Es ist zwar schon ein paar Tage her, aber dennoch meine herzlichsten Glückwünsche zum Fred Jay-Preis der GEMA.
Vielen Dank!

Für die Leute, die es nicht genau wissen: wofür ist dieser Preis und wann hast Du ihn überreicht bekommen?
Die Übergabe war im Mai und man bekommt den Preis für die Qualität der Songtexte. Es gibt nur zwei Preise in Deutschland. Das eine ist eben dieser Fred Jay-Preis und das andere ist der GEMA-Autorenpreis.

Wie Du schon sagst, ist es kein unbedeutender Preis. Und die Reihe der bereits ausgezeichneten Künstler nimmt ja fast royale Züge an. Du hast in Deiner Karriere ja auch schon andere Preise bekommen, zum Beispiel die Eins Live-Krone oder die Goldene Stimmgabel. Welchen Stellenwert nimmt denn der jetzige Preis für Dich ein? Oder wertest Du so etwas nicht?
Doch, dieser Preis ist für mich schon etwas Besonderes, weil es nur diese beiden Preise für Liedtexte gibt. Viele Menschen hören ja leider gar nicht so sehr auf die Texte. Deshalb freue ich mich umso mehr, dass dadurch das Augenmerk eben auch mal auf den Inhalt der Lieder gelenkt wird.

Das ist ja auch deshalb so besonders, weil Du mit Deinem Lebensgefährten und Bandkollegen Tommi etwas machst, was es hierzulande gar nicht bzw. kein zweites Mal gibt. Ihr macht nämlich in erster Linie Clubsounds. Also Clubmusic mit inhaltsreichen Texten. Macht Ihr demnach Musik für Tänzer, die sich beim Bewegen zur Musik auch gerne noch gute Texte anhören?
Ja, das kann man so sagen. Aber natürlich auch für Leute, die einfach nur diesen Sound mögen, die ihn zuhause hören, im Auto oder sonst wo. Ich denke, wenn man den Text einmal verstanden und verinnerlicht hat, kann man ihn nebenbei mitlaufen lassen und sich freuen, wenn man beim Tanzen die eine oder andere Textpassage wiedererkennt.

Mit dem aktuellen Album "Nacht und Tag" bietet Ihr gleich zwei verschiedene Musikstile an. Auf CD 1 findet man die Tagversionen, auf CD 2 die Nachtversionen der gleichen Lieder. Welche Idee steckte hinter diesem Konzept?
Es gab mehrere Ideen. Eine war die, ein und denselben Text zu verschieden Musiken bzw. Sounds zu singen und die daraus entstehende unterschiedliche Wirkung zu beobachten. Gerade die akustischen Versionen sind ja etwas leerer und leiser, was den Vorteil hat, dass man den Texten viel besser folgen kann als auf den anderen Versionen, wo wir ein bisschen mehr hämmern.

Es finden sich aber auch Songs auf dem Album, die eher als eine Art Übergang zum Tag oder zur Nacht gemacht sind, wie zum Beispiel "Bonjour Cherie". Sehe ich das richtig?
Ja, das stimmt. Dieses Lied verharrt immer irgendwie in der Dämmerung, egal ob Du es morgens oder abends hörst. Aber so ein Lied entwickelt ja auch oftmals eine Art Eigenleben.

Bei "Bonjour Cherie" wirkt Dieter Meier von YELLO mit. Wie kam es denn zu dieser sehr interessanten Kooperation?
Wie so oft im Leben passierte das auch hier eher zufällig. Dieter Meier war gerade in Berlin. Er hat bei uns in der Nähe ein Restaurant, wo ich ihn dann seit den 80er Jahren zum ersten Mal wiedersah. Ich dachte mir, es wäre hochinteressant, seine Stimme auf unserer Musik zu hören. Das war aber noch, bevor wir das letzte Album rausbrachten. Wir verabredeten uns, ich ließ ihm den Liedtext zukommen und dann erledigten wir die Sache an einem einzigen Nachmittag. Dieter hat das auch sehr gerne gemacht. Wie er sagte, ist das für ihn eine Art Urlaub.

Nun lese ich immer sehr aufmerksam die CD-Booklets. Auch der Fred Jay-Preis lässt ja der Phantasie relativ wenig Spielraum, wer denn bei 2raumwohnung für die Texte zuständig ist. Wie entstehen bei Dir die Texte? Bist Du ein aufmerksamer Beobachter oder gräbst Du in Dir selbst und verarbeitest Inhalte Deiner eigenen Biografie?
Das habe ich mich auch schon des Öfteren gefragt. Ich glaube, es ist immer eine Mischung aus allem. Ich habe Phasen, da bin ich sehr textorientiert, was beim Schreiben dazu führt, dass logischerweise auch viele Ideen kommen. Aber dann gibt es auch immer mal wieder Phasen, wo mir nicht so viel einfällt, darauf folgt wieder eine Zeit, in der sich wieder Ideen ansammeln, wo ich mir Sachen aufschreibe, die ich geträumt habe ... Dabei kommen manchmal ganz absurde Sachen heraus, die aber wiederum eine unerklärliche Kraft haben. Es kommen also ganz viele Ebenen ins Spiel.

Sind die langen Abstände zwischen den letzten drei Alben ein Zeichen dafür, dass diese Textideen jetzt doch nicht mehr ganz so doll sprudeln?
Nein, überhaupt nicht. Diese großen Abstände sind eher auf eine gewisse Erschöpfung zurückzuführen, die man zwischendurch verspürt, weil wir eben auch sehr viel live gespielt haben. Auch sollte die Arbeit nicht nur eine Erfüllung bestimmter Erwartungen sein, sondern es sollte immer alles aus einer echten Erwartung und eigenen Impulsen heraus passieren.004 20180718 1390003373 Die Freude an der Sache muss spürbar sein und es müssen Ideen entstehen, die wirklich aus uns raus wollen. Deswegen diese Abstände von mal drei, mal vier Jahren zwischen den Platten. Am Anfang von 2raumwohnung haben wir in den ersten vier Jahren gleich drei Alben gemacht, aber da waren auch noch unendlich viele Ideen vorhanden, die wir vorher gesammelt hatten und die nun alle raus wollten.

Das ist der Luxus, den Ihr Euch leisten könnt, weil Ihr bei keinem Major Label seid, richtig?
Zwischendurch waren wir auch mal bei Major Labels, aber irgendwie waren wir doch immer schon relativ unabhängig. Heutzutage macht es bei einem Major Label keinen Sinn mehr zu unterschreiben, denn die verkaufen ja auch keine Platten mehr.

Live seid Ihr nochmal etwas ganz anderes. Was einen beim Hören der CDs oder Platten schon ordentlich anspringt und kräftig vor das Standbein tritt, kommt von der Bühne um ein Vielfaches heftiger. Wie viele verschiedene Liveformationen gibt es von 2raumwohnung eigentlich?
Das weiß ich auch nicht so genau. Aber ich glaube, die Formation, in der wir im Moment live zusammenspielen, also zu dritt, die entwickelt einen sehr kräftigen Sound. Das ist aber nicht wirklich eine Band, weil wir uns entschieden haben, die Drums wieder zu programmieren. Deshalb wirkt der Sound jetzt auch wieder richtig knackig und ich fühle mich damit deutlich wohler als mit dem real gespielten Schlagzeug. Das war auch technisch echt aufwändig, weil das Schlagzeug immer mit Scheiben abgetrennt werden musste, ich konnte mich dadurch nicht so richtig frei bewegen. Und so waren die Auftritte durch den Einsatz des echten Schlagzeugs für mich ein paar Jahre lang schwieriger als jetzt. Diese Entscheidung habe ich gefällt und ich glaube, dabei wird es auch bleiben.

Ich gebe Dir Recht, der Sound ist geil. Ich habe das ja kürzlich in Recklinghausen erleben dürfen. Man muss dazu sagen, das war eine Open Air-Veranstaltung. Und was da vor der Bühne abgegangen ist, lässt einen ausverkauften Diskotempel am Samstagabend ja eher wie eine Senioren-Stricktruppe kurz vor der Medikamentenausgabe erscheinen. Wie erklärst Du Dir diese Chemie zwischen Band und Publikum, wie kann da innerhalb von Sekunden eine solche Stimmung entstehen?
Das weiß ich eben auch nicht. Vielleicht liegt es ja daran, dass wir jetzt wieder diesen elektronischen Sound haben. Wir sagen den Leuten ja auch immer: "Tanzt, lasst den Sound in euch rein, lasst ihn wirken, dann passiert etwas mit Euch". Das führt zu dieser Verbindung zwischen uns und den Fans. Wir wollen auch weg von dem klassischen Rockkonzert, weil die Leute auch mal einfach nur mit dem Nachbarn tanzen sollen als ständig nach vorne auf die Bühne zu gucken, was da gerade passiert.

Wenn ich das mal vergleiche mit Eurer Anfangszeit, als Ihr mit diesem Demo losgelegt habt und dann sehe, was Ihr heutzutage live abliefert, dann ist es schon ziemlich beeindruckend, wie sich 2raumwohnung entwickelt haben. Habt Ihr damals überhaupt damit gerechnet, dass Ihr eines Tages mal da ankommt, wo Ihr heute seid?
Nein, gar nicht. Bevor der "Garten" und das erste Album "Kommt zusammen" rauskam, hatten wir Sachen für Film und Fernsehen gemacht, auch ein bisschen Werbung, aber wir wollten eigentlich überhaupt nicht auf die Bühne. Ich schon gar nicht.

Hört man sich Eure acht Alben, die bisher erschienen sind, nacheinander an, dann stellt man sehr schnell fest, dass Eure Musik kein Stück altert. Das ist erstaunlich, denn Ihr macht ja diesen Clubsound, der normalerweise schnell verwelkt. Bei Euch kann ich das aber überhaupt nicht feststellen. Was ist das Geheimnis hinter diesem "forever young"-Syndrom?
Also wir orientieren uns so ein bisschen an dem 90er Jahre-Sound. Und dieser Sound wurde ja niemals so richtig abgenudelt. Na gut, manche Bands schafften das schon, aber wir sind nie in Trompeten-Techno oder solche Sachen reingegangen. Dadurch behält unser Sound eine gewisse Würde und Eleganz und wirkt eben zeitlos. Das ist wie bei einem alten schrammeligen Sofa, das ein schönes Design hat und irgendwie immer funktionstüchtig bleibt. Auch wenn es bereits zwanzig Jahre oder noch älter ist.

Ich habe ja eben schon erwähnt, dass Ihr bisher acht Alben gemacht habt. Nun gibt es Musiker, die sagen: "Das Album oder diese Platte ist mein Lieblingswerk". Hast Du so etwas auch? Gibt es eins der acht Alben, welches Du besonders hervorheben kannst?
Nein, das kann ich nicht. Im Moment beschäftige ich mich aber verstärkt mit allen unseren Texten, weil im Jahr 2020 unser Jubiläum kommt und da möglicherweise ein Buch mit meinen Texten erscheint. Und vor allem von unseren ersten drei Alben gefallen mir die Texte sehr gut. Gerade das Debütalbum verdient da besondere Beachtung. Von "Kommt zusammen" werden wir jetzt auch einen neuen Mix rausbringen, weil die Nummer eigentlich nie als Single erschienen ist. Da steckt eine gewisse Essenz von den 90er Jahren drin, wo die Musik und die ganze Musikszene ungeheuer innovativ war.

Wenn Du sagst, Ihr macht von "Kommt zusammen" einen neuen Mix, meinst Du dann damit, Ihr nehmt Euch das komplette Album noch einmal vor, oder bleibt es bei dem einen Song?
Nein, nur den Song. Wir haben auch gerade von "36 Grad" wieder etwas angefangen zu machen. Das Lied an sich ist ja ein Dauerbrenner, aber ich finde, man muss ihm immer mal wieder eine andere Note geben bzw. ihn ab und zu mal erneuern.

"36 Grad" ist ja quasi Euer "Last christmas". Jeden Sommer taucht der Song wieder auf.
So ist es. Das Lied ist aber auch wirklich Klasse, eben ein typischer Sommerdauerhit.

Ich weiß nicht, ob es stimmt, deshalb frage ich einfach mal ... Ich habe irgendwo gelesen, dass Du nicht so gern über die alten Zeiten sprichst. Also ich meine damit die Zeiten vor 2raumwohnung.
Ja gut, ich bin halt nicht so ein 80er Fan. Diese Zeit und dann Anfang der 90er, das mag ja musikalisch ganz interessant gewesen sein, aber ich selbst habe da nichts veröffentlicht. Ich war viel in England unterwegs und befand mich in einer Art Lehre, habe viel mit Produzenten und Autoren gearbeitet. Es gibt über diese Zeit also nicht viel zu erzählen. Und mit der Verklärung der 80er ... davon bin ich wie gesagt nicht unbedingt ein Freund.

005 20180718 1254262773Trotzdem hast Du gemeinsam mit Deiner Schwester Annette bleibenden Eindruck mit Humpe & Humpe hinterlassen. Ihr seid ja dafür auch mit dem Preis für's Lebenswerk ausgezeichnet worden. Das war, wenn ich mich recht erinnere, die Eins Live Krone. Das ist doch ein Meilenstein, den man nicht einfach so unter den Tisch kehren kann.
Das stimmt natürlich. Aber es ist auch eine Sache, die nicht mehr so lebendig ist. Für mich ist das eher so etwas wie ein Museumsstück.

Besteht die Möglichkeit, dass das nochmal wiederholt wird?
Nein. Das ist auch viel zu anstrengend. Annette und ich sind musikalisch in ganz verschiedene Richtungen gegangen. Für mich ist ja gerade das Schöne, dass ich mit 2raumwohnung machen kann, was ich will. Mit Tommi bin ich absolut gut eingespielt, habe jeden erdenklichen Freiraum, das ist mit keiner anderen Person zu realisieren.

Du hast Dir damals mit Deinem Wohnortwechsel nach England ziemlich viele neue Einflüsse abgeholt. Kannst Du Dein Leben in England mit dem heutigen Leben in Berlin vergleichen?
In musikalischer Hinsicht war England damals natürlich deutlich interessanter. Da ging ja schon die Rave-Zeit los. Ich hatte das Glück, einige der wichtigen Leute wie z.B. KLF zu kennen und zu sehen, wie die arbeiten. Andererseits war da aber auch Trevor Horn und andere große Pop-Produzenten. Das war eine echte Lehrzeit für mich.

Du kanntest KLF?
Ja, die kannte ich tatsächlich. Die waren richtig gut. Jimmy Cauty, einer der beiden Miglieder von KLF, ist heute bildender Künstler und Maler, der macht Skulpturen und ähnliche Dinge.

Inga, was liegt im Sommer noch an? Ich habe gelesen, da stehen noch zwei Open Airs auf dem Plan?
Ja, wir spielen in Basel, auf Usedom und in Stade. In Stade treten wir im Rahmen eines kleinen Festivals auf und in Basel findet ein sogenanntes Flussfest statt. Da spielt man direkt auf dem Rhein. Und auf Usedom spielen wir die Bädertour, wie wir es nennen.

Du hast ja vorhin schon kurz auf das Jahr 2020 vorausgeblickt. Das neunte Album wird demnach nicht solange auf sich warten lassen, oder?
Doch, das wird wirklich erst 2020 kommen. Das ist unser Jubiläumsalbum. Dazu gibt es ein Buch und viele andere Sachen, die wir in Planung haben.

Kommen wir zur Abschlussfrage. Wie viel NEONBABIE steckt denn heute noch in Inga Humpe?
Ich würde mal sagen ... (überlegt)… eine Kinderhand voll.

Inga, ich danke Dir für dieses schöne Gespräch.
Ich danke Dir ebenfalls.



Interview: Christian Reder
Bearbeitung: tormey
Fotos: Christian Reder




   
   
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