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Interview vom 02. Mai 2018



In steter Regelmäßigkeit meldet sich Heinz Rudolf Kunze mit einem neuen Album bei seinem Publikum zurück. Selten vergeht da mehr als ein Jahr, bis seine Fans wieder neue Lieder zu hören bekommen. Am 4. Mai dieses Jahres richtet Kunze "schöne Grüße vom Schicksal" aus, denn dann kommt sein gleichnamiges neues Album in den Handel (Rezension: HIER). Deutsche Mugge hatte kurz vor Erscheinen dieses Werks Gelegenheit mit HRK über dieses Album und ein paar Dinge mehr zu sprechen ...




001 20180502 1758480318Hallo Herr Kunze, erst einmal möchte ich Ihnen zu Ihrem sehr gelungenen Album gratulieren. Ich durfte ja schon reinhören und bin sehr begeistert.
Vielen Dank. Das freut mich sehr zu hören.

Es steckt voller Lebensfreude und Energie. Das perfekte Album für den Frühling. Sie haben es "Viele Grüße vom Schicksal" genannt. Was hat es denn mit dem Schicksal auf sich?
Man sucht ja immer nach einer passenden Überschrift für so eine Kollektion von Liedern. Und ich hatte lange Zeit mehrere andere Arbeitstitel und irgendwann ist mir diese Formulierung eingefallen und ich dachte, sie fasst diese 15 Lieder am besten zusammen. Denn das Schicksal ist ja schließlich eine bunte Angelegenheit. Es geht ja beim Schicksal nicht immer nur um Düsternis und schweres Schicksal, sondern das Schicksal kann ja auch mal etwas Amüsantes oder etwas schönes bereithalten. Und in all dieser Fülle und Vielfalt ist das eben ein Strauß aus 15 Liedern und zeigt, was das Schicksal uns bereithalten kann.

In dem Album-Fakt steht ein schönes Zitat von Ihnen: "Ich hoffe auf einen Plan, der hinter allem steckt - auch wenn ich den natürlich noch nicht erkennen kann." Das klingt schon ein wenig spirituell oder sogar religiös?
Nein, nicht direkt religiös, soweit würde ich nicht gehen. Ich bin nur kein leidenschaftlicher Atheist oder Materialist, der sich zusammenreimt, dass alles im Weltall nur eine zufällige "Zusammenklumpung" von Molekülen ist und dass es außer Biologie, Physik und Chemie nichts gibt. Ich möchte gerne einen Halt und einen Plan und einen Sinn in der Existenz unterstellen. Aber das wollen andere auch.

002 20180502 1556325912Nach vielen gemeinsamen Jahren habe Sie die Plattenfirma vor dem neuen Album gewechselt. Wie kam es dazu?
Warum ist das wichtig? (Kunze lacht.)

Reine Neugier.
Ich tue das ja nicht oft. Ich war 24 Jahre bei der WEA (Warner Music Group), ich war zwölf Jahre bei der Sony und nun bin ich eben bei der größten Plattenfirma - Universal - angekommen. Ich habe mich hochgeschlafen.

Hochgesungen eher, oder?
Ja, stimmt. Aber wie kommt das? Das hängt immer nicht nur am Geld, sondern auch an persönlichen Konstellationen. Wenn bestimmte Leute Plattenfirmen verlassen - und die Fluktation bei Plattenfirmen ist bekanntlich sehr hoch - dann hat man auch nicht mehr die gleichen Personen zum Zusammenarbeiten vor sich. Und wenn man dann gleichzeitig von woanders ein interessantes Angebot bekommt, von jemandem, den man schon lange gut kennt ... ja, dann geht man ab und zu mal. Das bringt dann neuen oder auch alten Wind mit rein. Mit Jörg Hellwich, der jetzt mein Chef ist, habe ich schon bei der Sony in den Anfangsjahren gearbeitet.

Sie sind selbst durch eine Nachwuchs-Talentshow entdeckt worden. Sie sagten in einem Interview, Ihnen gefallen die aktuellen Castingshows überhaupt nicht.
Gelinde gesagt, ja. (Kunze lacht.)

Wie müsste eine Talentshow aufgebaut sein, dass sie Ihr Interesse weckt?
So wie es damals war. Das war von der Deutschen Phonoakademie und diese ist ja eine seriöse Einrichtung. Und da ging es darum, in den Sparten Jazz, Folk, Lead-Song und Rock Leute zu entdecken, die nicht so wie Marionetten oder wie dressierte Affen in den Castingshows irgendwas Fremdes nachmachen mussten, sondern ihr eigenes Material spielen sollten.003 20180502 1452366958 Also es ging um die Förderung von Gesamtpersönlichkeiten, die Komponisten, Texter und Interpret sind. Das hat mir sehr gefallen und das würde mir auch heute gefallen. Heutzutage werden die Teilnehmer abgerichtet und deswegen kommt da auch nie etwas Originelles bei raus.

Zum Thema Deutsche Musik. Haben Sie die diesjährige Echo-Verleihung verfolgt? (Info der Redaktion: Das Interview fand vor der Entscheidung statt, dass der Echo abgeschafft wird)
Ich war nicht da, habe es aber auf Facebook kommentiert, mit großem Respekt vor Marius und ich bin da jetzt nicht in der Pflicht, denn ich habe noch keinen. Ich habe "nur" ... was heißt "nur"? ... ich habe den Deutschen Schallplattenpreis - den Vorgängerpreis des Echos. Den habe ich schon für mein zweites Album 1982 bekommen. Ich finde, der Echo muss reformiert werden - nicht abgeschafft. Es sollte noch mehr in Richtung Jury-Auswahl und in Sachen Qualität gehen. Denn eingeführt war der Echo - da machen wir uns doch nichts vor - als eine Art Dankeschön der Industrie für Vielverkäufer. Mehr war das ja nicht. Und Qualität spielte dort eine untergeordnete Rolle. Beim Deutschen Schallplattenpreis ging es ausschließlich um Qualität. Außerdem müsste man sich auch mal überlegen, dass so eine Preisverleihung auch eine ethische und moralische Dimension hat und die müsste mehr zu tragen kommen.

Leider sind die Verkaufszahlen auch bei den meisten Radiosendern ausschlaggebend, damit Lieder gespielt werden.
Richtig. Leider. Auch hier sollte ein Umdenken stattfinden.

004 20180502 1575017996Das stimmt. Nur wenige Sender trauen sich "Unbekanntes" zu spielen. Ist Ihnen auch in den letzten Jahren der Trend zurück zur Muttersprache aufgefallen?
Ja, natürlich. Doch, nur weil nun mehr auf Deutsch gesungen wird, heißt es ja nicht, dass es direkt bessere Musik ist. Musik muss authentisch sein. Sonst nimmt einem der Hörer das nicht ab. Aber es gibt ja auch Künstler, die singen erst Deutsch und dann Englisch. Wenn das eine Pferd nicht läuft, dann sattelt man halt das andere.

Nochmal zurück zum Album. Was mir auch besonders aufgefallen ist. Zum einen spielen Sie sehr viel mit Ihrer Klangfarbe, mit Laut und Leise, intensiven und sanften Worte, unterstreichen dies aber besonders auch mit den Instrumenten. So ist mir beispielsweise bei "Schieß" aufgefallen, dass man im Hintergrund Schießgeräusche hört. Oder auch bei "Schorsch genannt ‚die Schere'" klingt die Schere im Hintergrund.
Ja, das war tatsächlich eine echte Schere. Ich habe immer Angst gehabt, dass die Leute das nicht erkennen, aber schön, dass Sie es erkannt haben. Ich dachte, viele denken, dass sei ein Zitat von "Money" von Pink Floyd, aber wenn Sie es richtig erkannt haben, ist das gut.

Ein weiteres Thema Ihres Albums ist die Zufriedenheit. Beispielsweise mit "Immer fehlt was" oder "Nie wieder besser".
Oder auch die Ungerechtigkeit bei "Schorsch".

005 20180502 1874649438Genau. Sind Sie denn zufrieden mit Ihrem Leben?
Ja, auf jeden Fall. Ich habe doch einen sehr schönen Beruf ergreifen dürfen und durfte das doch schon unglaublich lange machen. Da muss man unterm Strich doch schon sehr zufrieden sein, denke ich. Ich wüsste nicht, was ein schönerer Beruf wäre als meiner.

Na über Sie und andere Künstler zu schreiben.
Oh. Dann auch Glückwunsch an Sie. (Kunze lacht.) Aber ja, ich muss doch sehr dankbar sein, dass ich das jetzt in meinem Fall schon sooooo lange machen durfte - seit 1981. Es ist ja auch nicht immer so. Die jungen Kollegen heute haben es sicherlich sehr viel schwerer, da eine langfristige Karriere aufzubauen, als wir es damals hatten. Damals waren die Zeiten einfacher, die Musikindustrie war noch reich, die Umsätze stimmten noch ... heute ist das ja alles sehr nervös und hektisch und kurzlebig geworden. Und ich werde auch oft gefragt, was ich jungen Kollegen denn raten würde und da kann ich nur einen Satz sagen: "Ich hab es mir 100 Mal überlegt, überlegt ihr es euch 1.000 Mal." Künstler werden heutzutage nicht mehr langfristig aufgebaut. Und das halte ich für den größten Fehler der Musikindustrie. Selbst wenn die Portemonnaies jetzt ein bisschen kleiner geworden sind ... Ein Künstler muss langfristig gepflegt werden. Von einem Bruce Springsteen und von einer Madonna hat man mehr als von einer Eintagsfliege.

In "Hartmann" singen Sie von einem ehemaligen Soldaten. Hatten Sie dazu eine bestimmte Inspiration?
Ja, ich habe mir in einem Army-Laden ein Hemd gekauft und darauf stand "Hartmann". (lacht)

006 20180502 2024993958Und inhaltlich?
Naja, dann hab' ich mir überlegt, wie viele Jahrzehnte die Amis Lieder über Veteranen vom Irak, von Korea, von Afghanistan machen und dass wir jetzt in Deutschland auch in einem politischen Punkt angekommen sind, wo wir auch Soldaten zurück bekommen aus fernen Ländern und wo wir auch Lieder machen sollten. Weil es einfach ein gesellschaftliches Thema ist. Insbesondere weil hier ja die politische Rückendeckung auch sehr gering ist für die Soldaten. Das wird ja alles immer sehr schamhaft behandelt und heruntergespielt. Ich habe oft das Gefühl, dass die Soldaten gar nicht wissen, für wen sie das eigentlich machen. Mit welcher Legitimation, mit welcher moralischen politischen Rückendeckung. Es ist ein unglaublich schwerer Job und ich finde, der hat einfach mehr Anerkennung verdient.

Aktuell wird viel über die Lage in Syrien diskutiert. Wie sieht Ihre Sicht auf die aktuelle Situation?
Da habe ich keine, weil ich da momentan überhaupt nicht durchblicke. Ich habe das Gefühl, dass trotz der sogenannten Vielfalt der Medien in den letzten Jahren ein erbarmungsloser Krieg gegen die Wahrheit geführt wird. Es gibt so viele Lügen, Falschinformationen - sogenannten Fake News - angefangen von dem "Monster im Weißen Haus" bis hin auch zu deutschen Verhältnissen, da ist es sehr schwer, sich überhaupt ein Urteil zu bilden. Mein Instinkt sagt mir, dass die Russen in diesem Fall die absolut Guten sind und dass im Moment eine unglaublich unerträgliche Kampagne gegen Russland gefahren wird, wahrscheinlich unter amerikanischem Druck. Das ist aber auch nur ein Instinkt, das kann ich nicht beweisen. Und ich habe da überhaupt keine Ahnung, wie es da wirklich zugeht. Ich weiß nur, dass solange die Menschheit sich erinnern kann, kriegerische Handlungen, Bombardierungen jetzt in der Neuzeit, nie das gebracht haben, was sie sollten - Nie! Es hat immer die Lage nur schlimmer gemacht.

007 20180502 1105503228Das höre ich immer wieder. Es ist schwierig, sich wirklich ein Bild über die Situation zu machen.
Wie denn auch?!? In Afghanistan ist die Welt noch in Schutt und Asche, im Irak ist die Welt noch in Schutt und Asche, die amerikanischen Präsidenten haben gelogen, dass sich Balken bogen und nichts ist besser geworden. Und jetzt wird wieder bombardiert und viele Menschen lassen sich verhetzen von irgendwelchen Medien und fallen schon wieder darauf rein und halten das für richtig.

In den 80ern gab es zahlreiche Friedensbewegungen, denen sie auch angehörten. Wo sind diese heute?
Sie sind nicht mehr da. Das ist dem Kapitalismus gelungen, die Menschen so zu entsolidarisieren und zu vereinzeln - jeder sitzt zu Hause vor seinem Smartphone oder vor seinem Bildschirm. Zusammen gemeinschaftlich für Dinge einzutreten findet nicht mehr statt. Die Gesellschaft ist atomisiert und damit hat der Kapitalismus sein Endstadium und seinen Triumph erreicht. Die Menschen sind ganz leicht beherrschbar, weil sie nicht mehr in großen Schaaren auftreten.

Wie könnte sich das ändern?
Vielleicht in dem man über politische Alternativen grundsätzlicher Art nochmal nachdenkt. In dem man nicht der Meinung ist, dass Karl Marx für alle Zeiten begraben sein muss. Indem man wirklich eine andere Gesellschaft anstrebt.

Wir brauchen also eine Alternative für Deutschland, aber nicht DIE Alternative für Deutschland.
Die wollen keine andere Gesellschaft, die wollen nur eine radikalere Form von dieser. Aber das ist natürlich auch ein wichtiges Thema. Das ist auch ein Grund, der Sorgen macht. Denn es gibt einfach viele ganz anständige Bürger, die nur einfach verzweifelt sind und wütend, die dahin rennen und diese rechte Partei wählen.008 20180502 1535573219 Ich halte die nicht alle für Nazis, vielleicht zehn Prozent sind richtig unbelehrbare Nazis. Aber 90 Prozent sind einfach nur Menschen, die von der Politik enttäuscht sind und wo sich die normale etablierte Politik verdammt nochmal mehr drum kümmern muss. Es kann nicht sein, in einem Land wie unserem, dass eine Erzieherin oder eine Krankenpflegerin mit 1.100 Euro netto im Monat nach Hause geht und irgendwelche Bankenverbrechen Millionen Boni bekommen, dafür dass sie ihre Banken ruinieren. Das ist einfach ungerecht und das ist eben diese soziale Schere, die immer mehr auseinander geht und das macht die Menschen immer wütender.

Hat die Regierung Ihrer Ansicht aus den letzten Bundestagswahlen gelernt?
Nein bisher habe ich nicht den Eindruck. Sie machen einfach wenig. Ich habe das Gefühl, es gibt immernoch keine Regierung. So fühlt es sich jedenfalls an.

In Ihrem letzten Song auf dem Album besingen Sie "die ganz normalen Menschen". Eine sehr schöne Hommage an "dich und mich". Was hat sie dazu inspiriert?
Ich wollte damit zum Ausdruck bringen, dass ich mit meinen bescheidenen Möglichkeiten als Musiker versuche, die Menschen nicht aus den Augen zu verlieren, die ganz normal sind.009 20180502 1883423072 Insbesondere deswegen, weil mir manchmal in der Vergangenheit das Klischee angeheftet wurde, meine Musik sei schwierig und man müsse Deutsch studiert haben, um überhaupt Spaß daran zu haben. Das ist alles Quatsch. Ich rede mit ganz vielen Hörern, die nicht alle Germanistikprofessoren sind und da sind genau diese Leute drunter, die ich in diesem Lied anspreche. Und dass ich den Respekt auch zeigen wollte gegenüber diesen Leuten und ich mich nicht als abgehoben von ihnen definiere. Obwohl ich sicherlich einen exotischen bizarren Beruf habe, den man nicht als normal bezeichnen kann. Aber ich habe manchmal schon ein schlechtes Gewissen, wenn ich daran denke, wie früh die morgens aufstehen müssen, wo ich noch liegen bleiben kann. Aber ich kann allen Lesern versichern, ich bin für Musiker ein revolutionär frühaufstehender Mensch. Ich bin vor 9 aus dem Bett und das ist unter Musikern sehr selten.

Ich finde, man muss auch nicht zu jedem Lied eine seitenlange Erklärung abgeben. Dann bleibt genug Platz für die Fantasie und Interpretation vom Hörer.
Genau. Ein Maler oder ein Komponist kann ja auch nicht immer seine Werke genauer erklären. Dann könnte der Künstler auch direkt die Erklärung veröffentlichen.

Ich bedanke mich sehr herzlich für die Zeit, die Sie sich genommen haben und gebe Ihnen nun noch Platz für Ihr Abschlusswort.
Sehr gerne. Vielleicht sollte ich noch erwähnen, dass auch eine Tour kommt. Aber das ist noch eine Weile hin. Die Leute können das Album jetzt ganz lange hören, damit sie dann textsicher sind. Denn die Tour beginnt erst im Januar.

Ich wünsche Ihnen viel Erfolg für die Album-Release und ich freue mich auf ein Konzert im Januar.
Ich danke auch und alles Gute!



Interview: Sarah Müller
Bearbeitung: cr
Fotos: Pressematerial Universal Music



 

 

 

 


   
   
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