Mia Diekow: 
 
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Interview vom 13. April 2018

 

002 20180416 1582837589Es gibt Künstler, die tauchen plötzlich wie der sagenumwobene Phönix aus der Asche auf, werfen ein exzellentes Album in die Runde und erschaffen sich damit aus dem Nichts eine große Fangemeinde. So geschehen 2012, als eine bis dato relativ unbekannte junge Musikerin aus Hamburg ihr Debütalbum "Die Logik liegt am Boden" in die Welt streute und damit viel Lob und Anerkennung bei Medien und Publikum gleichzeitig erntete (Rezension HIER).

Der Deutschpop war zwar damals durchaus salonfähig, mutete aber irgendwie an wie das Essen aus einer Großküche: es schmeckte alles gleich und fad. Wie wohltuend, dass mit Mia Diekow plötzlich jemand die Gourmetküche aufschloss. Ihren selbstkomponierten, ideenreichen Mix aus Pop, Lied, Chanson und einer kleinen Portion Rock garnierte sie mit intelligenten Texten, die so gar nicht in das vertraute Schema des schalen Radiopop passen wollten. Doch wie schon angedeutet, wurde es von jetzt auf gleich auch wieder relativ still um die junge Frau. Und so dauerte es sechs lange Jahre, bis plötzlich ein neues Album angekündigt wurde. Dieses erschien am 16. Februar 2018, trägt den bedeutungsschweren Titel "Ärger im Paradies" und verdient es unbedingt, näher betrachtet zu werden. Es ist gänzlich anders als alles, was derzeit auf dem deutschen Markt herumgeistert. Wer sich darauf einlässt - was ich dringend empfehle - sollte sich ein wenig Zeit nehmen und wird dafür in eine Welt entführt, die ... Doch ich will nicht zu viel verraten, sondern unsere Leserschaft wirklich animieren, sich ein eigenes Urteil zu bilden.

Deutsche Mugge ließ es sich natürlich nicht nehmen, sich mit Mia für ein ausführliches Interview zu treffen und Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu beleuchten, wobei der Schwerpunkt selbstredend auf dem neuen Album liegt ...




Hallo Mia, am 16. Februar erschien mit "Ärger im Paradies" dein zweites Album. Auf deinem facebook-Account konnte man deine Vorfreude, aber auch deine Aufregung vor der VÖ mit verfolgen. Ist bei dir inzwischen wieder Normalität eingezogen oder hält die Feierstimmung noch an?
Auf jeden Fall bin ich immer noch wahnsinnig glücklich, dass das Album endlich erschienen ist. Und ja, ich feier dieses Ereignis immer noch und das hält sicher auch noch ein Weilchen an. Aber natürlich ist der ganz große Rummel vom Anfang mittlerweile ein bisschen abgeklungen. Jetzt freue ich mich vor allem darauf, ein paar Liveauftritte zu machen, da werde ich dann wieder sehr aufgeregt sein. Allerdings ist das keine Aufregung im Sinne von Angst, sondern von Vorfreude.

Nun liegen ja zwischen Deinem Debütalbum "Die Logik liegt am Boden" und dem neuen Werk fast sechs Jahre. Warum diese lange Pause? Wo hast Du gesteckt?
Ich habe gearbeitet, ich habe produziert, ich habe geschrieben ... Es hat sehr lange gedauert, ein Label zu finden für die Produktion. Es war nämlich alles schon ein paar Jahre in der Mache und eigentlich auch fast fertig, aber ich musste halt so lange suchen und auch einige Rückschläge einstecken. Letztlich war die Freude natürlich riesengroß, dass es dann doch noch geklappt hat und ich mit dem Weltgast-Label einen Partner auf Augenhöhe finden konnte. Manche Dinge brauchen eben ihre Zeit. Gerade, wenn man Musik mit dem Herzen macht statt unter kommerziellen Aspekten, dauert es für einen Künstler manchmal wirklich lange, überhaupt erst mal eine Struktur zu finden, unter der man etwas veröffentlichen kann. Es wäre sehr schade gewesen, wenn dieses Album nicht erschienen wäre. Klar, ich hätte es auch selber veröffentlichen können, aber es ist doch schöner, wenn man einen Partner hat, der einen unterstützt. Ich bereue den Weg, den ich gegangen bin, jedenfalls nicht, auch wenn das alles ein paar Jahre früher hätte passieren können.

"Die Logik liegt am Boden" war 2012 für viele, so auch für mich, die Überraschung des Jahres und hat richtig gut gepunktet. Verschwindet man aber so wie Du anschließend jahrelang von der Bildfläche, gerät man auch ruck zuck wieder in Vergessenheit, denn das Musikbusiness ist bekanntermaßen sehr schnelllebig. Musstest Du tatsächlich bei null anfangen? Oder hast Du zumindest einen Teil Deiner Fanbase mitnehmen können?
Ich denke, meine treuesten Fans sind mir erhalten geblieben. Ich bekam ja auch ständig Nachfragen, wann denn endlich das neue Album kommt. Jetzt sind alle happy, fantechnisch brauche ich mir also keine Sorgen zu machen. Zumal ja über die Jahre auch ständig neue Leute dazugekommen sind. Erstaunt war ich nur über die Feststellung, dass nicht nur ich, sondern auch meine Fans älter geworden und mit mir mitgewachsen sind. Sie nehmen auch ganz wunderbar die neuen Sachen an, die vielleicht nicht ganz so poppig klingen. Es moserte auch niemand herum nach dem Motto: "Was machst denn Du jetzt für Musik?" Ganz im Gegenteil, die meisten sind dabei geblieben, sprachen mir Mut zu und freuten sich, wie sehr ich und meine Musik sich weiterentwickelt haben.

Also hat also diese Geduld und, wenn man es so nennen will, die Treue der Liebhaber Deiner Musik Dich auch ein bisschen darin bestärkt, weiterzumachen? Oder hatte das überhaupt keinen Einfluss auf Dich?
Ja natürlich. Diese Bestätigung zu erfahren und das Wissen zu haben, dass da jede Menge Leute auf neue Musik von Dir warten, das ist total schön und motiviert sehr.

Sechs Jahre Pause bedeuten ja nicht gleichzeitig auch sechs Jahre Arbeit an der CD. Wann ist denn in Dir die Entscheidung gereift, ein neues Album zu machen und wie lange hat es vom dem ersten aufgenommenen Ton bis zum letzten Mastering gedauert?
Das Mastering passierte relativ spät, so um 2016/2017 herum. Die erste Aufnahme hingegen ist schon etwas älter, die wurde sogar noch vor Erscheinen meines ersten Albums angefangen. Das war der Titel "Wildes Leben". Da wusste ich aber genau, der Titel passt allein schon inhaltlich nicht auf das Album. Den Großteil der Nummern habe ich dann Ende 2013 bis hinein ins Jahr 2014 recorded. 2015 und 2016 vergingen dann fast komplett mit dem Mischen und mit der Suche, Partner für das Erscheinen des Albums zu finden. Am letzten Song werkelte ich sogar noch 2016 herum. Es war auf jeden Fall ein langer Prozess mit verschiedenen Kapiteln. An dieser Arbeit bin ich selber sehr gereift, was mir dabei half, mit den ganzen Rückschlägen umzugehen.

Für Dein Debütalbum hattest Du damals mit Sony Music einen klangvollen Partner an Deiner Seite, der Dir nicht nur einen gewissen finanziellen Spielraum garantiert hat, sondern Dir sicherlich auch in Sachen Vermarktung gute Dienste geleistet hat. Warum hast Du Dich diesmal trotzdem entschieden, auf ein Major Label zu verzichten und die Sache allein in die Hand zu nehmen?
Du hast Recht, finanziell hat Sony Music mich recht gut unterstützt. Beim Thema Marketing blieben für mich aber viele Fragen offen. Ich hatte das Gefühl, sie wussten nicht so richtig, wo sie mich hinstecken sollen. Den ESC-Vorausscheid zum Beispiel habe ich gerne mitgemacht, aber im Nachhinein halte ich dieses Ding marketingtechnisch eher für einen Move, der überhaupt nicht richtig zur Musik gepasst hat, was man ja auch an der Resonanz des Publikums ablesen konnte. Ich glaube also, ich war damals bei dem Major Label nicht passend untergebracht, weil die Dinge von mir wollten, die ich nicht wollte. Ich merkte schnell, dass ist nicht so unbedingt meine Welt, denn ich möchte meine Freiheiten haben und genau das hatte ich beim Major Label nicht. Da hast Du ganz klare Auflagen, was Du zu tun und zu lassen hast und was nicht. Mir ist es nicht wichtig, so wahnsinnig viel Kohle mit der Musik zu machen, sondern für mich stehen die Musik und das Handwerk im Vordergrund. Und wenn das durch ein Major Label verhindert wird, werde ich dort auch nicht stattfinden. Ich schließe keinesfalls aus, dass ich eines Tages wieder bei einem Major Label unterschreiben werde. Aber dann unter ganz anderen Voraussetzungen bzw. mit einem Plan, der mir entspricht. Die Entscheidung, diesmal alles selber zu machen, war ohnehin ziemlich naheliegend. Am Anfang hatte ich noch überlegt, ob ich mir einen Produzenten suche, merkte dann aber, ich bin ja schon so verdammt weit in der Vorproduktion und brauche eigentlich nur noch einen Engineer, der mich dabei unterstützt, gewisse Sachen aufzunehmen, z.B. laute Sachen, die ich zuhause nicht machen kann. Das hat dann auch wunderbar funktioniert. Ich bin total glücklich darüber, weil es auch ein Riesenschritt für mich war, um mich auf eigene Füße zu stellen und mich von gewissen Strukturen zu emanzipieren.

Unabhängig davon, dass es für Dich aber auch viel mehr Arbeit bedeutet, vom ungleich höheren finanziellen Aufwand mal ganz zu schweigen, war es am Ende also die richtige Entscheidung, die Platte in völliger Unabhängigkeit von irgendwem zu machen?
Ja, das war es. Und viel teurer war es auch nicht. Klar, mehr Arbeit musste ich da schon reinstecken, aber das bereue ich überhaupt nicht, weil mich das Ergebnis total zufriedenstellt. Das Schöne an meinem neuen Album ist, dass es ziemlich zeitlos ist. Das kann ich aber auch nur so sagen, weil ich glücklicherweise keine Musik mache, die tagesaktuell ist. Dadurch ist auf der Musik kein Datum drauf, sie kann also nach dem Ablaufdatum nicht schlecht werden. Die Platte hätte ich demnach auch vor zehn Jahren oder erst in zehn Jahren veröffentlichen können.

Du hast es bereits erwähnt: erschienen ist die aktuelle Produktion bei einem Label namens Weltgast. Schaut man sich deren Webseite an, scheint es sich dabei um eine Art Start Up für junge und kreative Künstler zu handeln. Wie bist Du zu Weltgast gekommen und warum ist das der richtige Partner für Dich und Deine neue Platte?
Ich bin da gelandet, weil Jennifer Schild, die bei Weltgast als Managerin fungiert, mich schon kannte und Lust hatte, mit mir zusammenzuarbeiten. Und ja, Du siehst das völlig richtig, Weltgast ist ein junges Label, welches Lust hat, die Kreativität zu fördern. Der rote Faden ist der, dass sie auf eigenständige und eigenwillige Kunst setzen und sich auf den ersten Blick nicht von Marktinteressen leiten lassen. Das Tollste war für mich, dass ich bei meiner Arbeit völlige Freiheit hatte, mir niemand reinredete. Dazu kommt, dass wir Partner sind. Wir haben einen speziellen Deal, der besagt, jeder Partner existiert gleichwertig und jeder Partner verdient am Ende auch gleichwertig. Einen solchen Deal finde ich aus meiner Sicht fair und gut. Mitgehangen, mitgefangen. Alles passiert in Absprache, nichts wird über meinen Kopf hinweg entschieden. Das ist ein großartiges System.

Voll im Trend liegt ja derzeit das Crowdfunding, bei dem die Musiker ihre Fans um Beteiligung an den Produktionskosten bitten und sich anschließend mit ein paar Gimmicks dafür bedanken. Hast Du auch mal mit diesen Gedanken gespielt?
Ja klar, so etwas kann ich mir für die Zukunft durchaus mal vorstellen. Beim aktuellen Album war es aber gerade nicht das Thema für mich. Ich glaube, bei diesem Modell gibt es einige Tücken, die man beachten sollte, aber es gibt auch viele Vorteile. Ich denke, Crowdfunding funktioniert besonders gut, wenn man schon eine große Fanbase hat. Ich schließe es jedenfalls für eine spätere Gelegenheit nicht aus. Warum auch nicht? Man muss da auch kein schlechtes Gewissen haben, denn es ist ja letztlich von den Fans und für die Fans. Ob ich nun das Geld für die Produktion von meinen Fans bekomme oder vom Label, am Ende des Tages geht es einzig und allein darum, ob die Platte erscheinen kann.

Lass uns über das Album an sich reden. Wer Dich und Deine Musik kennt, dem dürfte klar sein, dass auf dem neuen Werk kein 08/15-Dudelpop zu hören sein wird, sondern die Ansprüche deutlich höher liegen. Und zwar so hoch, dass die CD selbst bei mir einige Extrarunden im Player drehen musste, bis sie richtig zündete und ihr wahres Potential offenbarte. Beunruhigt Dich eine solche Einschätzung oder sagst Du: Prima, dann hab ich ja alles richtig gemacht!
Nein, mich beunruhigt das keineswegs. Jeder soll sich schließlich auf seine Art an die Platte herantasten. Genau dieses Feedback bekomme ich des Öfteren, dass also die Leute mehrfach ins Album rein hören und erst dann das Gehörte einsickert bzw. dass erst dann die Offenheit da ist. Viele sagen auch, beim zweiten oder dritten Hören haben sie sich plötzlich total in die Musik verliebt und das Album läuft seitdem in Heavy Rotation. Für mich hat das jedenfalls nichts mit schlechter Kritik zu tun. Dasselbe passierte mir auch mal, und zwar bei einem tollen Album von Beth Gibbons und Rustin Man. Beim ersten Durchlauf habe ich das überhaupt nicht verstanden. Ein Jahr später hörte ich es mir noch einmal an und bin seitdem totaler Fan davon. Mir geht es also nicht anders, vor allem, wenn es sich um etwas tiefgehendere Musik handelt.

Wie würdest Du selber beschreiben, was auf dem neuen Album zu hören ist? Lässt sich das überhaupt in Worte fassen? Oder muss man sich einfach mal trauen, sich treiben lassen und zuhören?
Beides ist richtig. Man sollte sich trauen und sich treiben lassen, aber man sollte sich vor allem Zeit nehmen dafür. Wenn ich das Album beschreiben müsste, würde ich sagen, es ist ein bisschen düster und auch ein Stück weit dunkelbunt. Es ist elegisch, es ist verträumt. Und vor allem ist es ein mutiges Album. Sicher ist es sehr feminin, hat aber auf der anderen Seite auch durchaus "Eier". Schön ist die Vielfalt und Abwechslung, denn ich bediene mich beim Chanson, habe Jazz-Einflüsse, aber auch durchaus bluesige Akzente drin. Jemand nannte das Ganze mal "urbaner Blues". Das finde ich auch nicht ganz falsch.

Ich sollte ja eigentlich neutral sein, wenn ich Dich interviewe. Trotzdem darf ich Dir verraten: nach den erwähnten Anlaufschwierigkeiten finde ich "Ärger im Paradies" inzwischen großartig. Wie sehen denn die Reaktionen und Feedbacks der Fans und vor allem der Medien auf das neue Album aus?
Die Fans finden es richtig super und sind froh, dass die Platte endlich draußen ist. Bei den Medien ist es natürlich wie immer etwas geteilt. Natürlich führt dieser Effekt, den Du für Dich ja auch festgestellt hast, dass nämlich das erste Hören nicht gleich entsprechend zündet, bei solchen Leuten zu Startschwierigkeiten, die ohnehin nur durch das Album zappen. Die hören also gar nicht richtig rein, sondern nur oberflächlich, was dann logischerweise zu geteilten Meinungen führt. Der "Musikexpress" zum Beispiel hat das Album regelrecht gefeiert. Endlich deutscher, femininer Pop, der nicht bedeutungslos ist, der wirklich in die Tiefe geht, der nicht platt klingt, sondern sich nach echtem und erwachsenem Pop anhört. Also viele Medien haben absolut positiv auf die Platte reagiert. Und die, denen es nicht so gefallen hat, die haben sich möglicherweise auch nicht die nötige Zeit dafür genommen. Was soll's, das kann man eben nicht steuern.

Da gebe ich Dir Recht. Aber die Tatsache, dass Du kein süßes blondes Popsternchen sein willst, dass es auf Deinem Album auch durchaus mal etwas düster bis verstörend zugeht, dass man beim Hören der Platte schon ein etwas erweitertes musikalisches Verständnis mitbringen sollte - all das wird vermutlich dazu führen, dass zwar die Medien die Platte positiv bewerten, aber die Radiostationen einen großen Bogen um dich machen. Kannst Du das bestätigen? Wenn ja, inwieweit ärgert Dich das?
Ich denke, die sogenannten Erwachsenen-Radios können damit etwas anfangen, aber Sender, die ausschließlich formatmäßig ticken, haben dafür natürlich überhaupt keine Verwendung, das ist mir schon klar. Aber solche Dinge wusste ich bereits im Vorfeld. Dass die Radiowelt in Deutschland ohnehin ziemlich marode ist und nur nach gewissen Marktmechanismen agiert, ist natürlich traurig und tragisch, doch das kann ich persönlich nicht verändern. Ich kann höchstens ein bisschen mehr auf meine Medienpartner zugehen und versuchen zu verstehen, was sie sich wünschen, aber letztlich muss ich das ja dann trotzdem nicht machen. Jeder Künstler muss für sich selber herausfinden, wie sehr ihn solche Dinge beeinflussen und ob er unbedingt ins Radio möchte. Es gibt ja zum Glück ein paar kleinere Indie-Labels und Studentenradios, die solche Musik wie meine dann eben mal "per Handeinsatz" spielen. Nur hast Du dann keine Rotation wie bei den großen Sendern, sondern Du wirst eher mal in die Sendung zum Gespräch eingeladen.

Du hättest ja auch den einfachen Weg gehen und zugunsten einer gewissen Popularität ein Tralala-Popalbum mit zehn Hits schreiben können.
Stimmt. Aber genau das war für mich nun überhaupt keine Option, die in Frage kam.

Das bringt mich zu der Frage, wie Du den Erfolg deiner eigenen CD bemisst. Verkaufszahlen sind es scheinbar nicht, denn die sind Dir nicht so wichtig bzw. sorgen nicht für graue Haare bei Dir. Wann also sagst Du, Du bist zufrieden mit dem Ergebnis Deiner Arbeit?
Ich bin in dem Moment zufrieden, wo ich sagen kann, ich habe etwas geschaffen, das in sich stimmig ist und eine Aussage trifft, die ich auf lange Sicht unterschreiben kann. Diese Zeitlosigkeit, die ich angestrebt habe, die ist mir mit dem neuen Album ganz gut geglückt. Dazu gehören auch die überaus stimmigen Videos, die ich machen konnte, obwohl ich nur ganz wenig Geld zur Verfügung hatte. Da konnte ich jedenfalls meine Kreativität komplett ausleben. Aber auf die Videos werden wir ja sicher noch zu sprechen kommen. Gemessen an dem bisschen Budget, welches ich insgesamt zur Verfügung hatte, habe ich wirklich eine Menge herausgeholt und kann total stolz auf das Ergebnis sein. Man darf es natürlich nicht mit einer dieser wahnsinnig großen Pop-Produktionen vergleichen, bei denen Millionen ausgegeben werden, aber ich finde, meine Arbeit, mein Album muss sich überhaupt nicht verstecken. Ganz im Gegenteil, es klingt besser als viele andere Produktionen in Deutschland, es sieht besser aus als viele andere ... Das ist alles in allem eine große Leistung, für die ich mich auch gerne feiere. Ich darf da ruhig mal etwas unbescheiden sein und sagen: es ist einfach gut geworden. Das würde ich auch keineswegs als arrogant bezeichnen, sondern meine lange und harte Arbeit, die in dem Album steckt, hat sich eben ausgezahlt. Ich kann auch wirklich jedem nur empfehlen und raten, sich selber zu vertrauen, denn in dem Moment, wo Du wirklich hinter den Sachen stehst, die Du gemacht hast, dann schaffst Du auch etwas, das in sich rund ist. Das kann dann gar nicht schlecht sein oder nicht erfolgreich sein. Wenn Du mich also nach meinem persönlichen Erfolg fragst, dann ist es das, was ich eben beschrieben habe, selbst wenn die Verkaufszahlen jetzt nicht durch die Decke gehen wie bei anderen Pop-Acts.

Alle Songs auf "Ärger im Paradies" wurden von Dir komponiert und getextet und zu einem Großteil sogar von Dir selbst aufgenommen. Auf dem Cover ist zu lesen: "Recorded@Mias Wohnzimmer". Du hast also tatsächlich manche Nummern bei Dir zuhause aufgenommen? Hast Du da ein Studio versteckt?
Ja genau. Ich habe im Wohnzimmer ein kleines Studioset stehen, wo ich die Vorproduktionen mache. Nicht bei mir zuhause aufgenommen wurden die Drums, das Klavier und die Bässe. Aber alles andere entstand direkt bei mir.

Ist Dein Wohnzimmer in der Regel auch der Geburtsort Deiner neuen Lieder oder wie und wo fallen Dir die Ideen zu den Songs ein?
Die Ideen fallen mir ständig und überall ein, das ist nun wahrlich nicht auf das Wohnzimmer begrenzt. Ich habe viele Inspirationen durch Träume, mir fällt vieles beim Spazierengehen ein. Es kann mich wirklich überall und in jeder Situation erwischen.

Durch Träume finde ich interessant. Du träumst also quasi Deine späteren Lieder?
Ja, das ist so. Im Moment schreibe ich wieder sehr viel und habe schon überlegt, ob ich nicht ein Konzeptalbum mache, bei dem die Inspiration und die Lieder dafür nur aus meinen Träumen kommen. Das fände ich total spannend. Mein Kopf arbeitet auch nachts, ich träume viel Musik, was für mich eine großartige Sache ist.

Als weitere Aufnahmeorte nennst Du Chéz Cherie und Zwischengeschoss. Wer oder was verbirgt sich hinter diesen phantasievollen Namen?
Das Chez Cherie-Studio sitzt in Berlin-Neukölln in der Sonnenallee. Dort hat mir der Engineer Tilman Hopf zur Seite gestanden. Das ist ein toller Ort und ein kleiner Hippieverein, wo man eine riesige Spielwiese vorfindet. Da gibt es alles an Percussionsinstrumenten, an Drums, an Klavieren und und und. Im Zwischengeschoss habe ich nur einmal die Drums aufgenommen. Aber auch dort sitzen sehr nette Kollegen wie zum Beispiel Philipp Schwär, der das Album gemischt hat.

Philipp Schwär, den Du eben genannt hast, ist ja mittlerweile eine echte Hausnummer unter den deutschen Produzenten geworden. Er hat wie schon 2012 auch diesmal einen großen Anteil an der Produktion des Albums. Hat er aber überhaupt noch Einfluss auf das Endprodukt oder setzt er lediglich Deine Ideen um? Denn ich könnte mir vorstellen, in Deinem Kopf sind die Songs schon lange fertig und Du willst sie genauso und nicht anders haben.
Beim ersten Album haben wir die Produktion sehr stark selbst gestaltet. Wir haben zusammen daran gearbeitet, was auch dazu führte, dass das Album relativ voll wurde. Aber bei "Ärger im Paradies" lag die Produktion allein in meinen Händen und Philipp hat "nur" gemischt. Die eine Hälfte der Songs wurden von Giovanni Nicoletta gemischt und die andere Hälfte, die ich im Nachhinein noch ein bisschen ändern wollte, hat Philipp gemischt. Er ist immer noch ein toller Begleiter für mich und ich habe von ihm auch irre viel gelernt. Dadurch, dass ich bei der ersten Produktion direkt daneben saß, konnte ich viele Prozesse hautnah beobachten und habe dabei eine wertvolle Schule durchlaufen, denn Philipp ist sehr ideenreich und kreativ und dazu auch noch technisch unglaublich begabt. Ich habe mich während der Produktion eben nicht wie andere Künstler auf das Sofa gesetzt und gechillt, sondern ich saß neben ihm und habe ihn mit Fragen gelöchert wie "Was machst Du da?" Oder "Wie hast Du das eben gemacht?" Oder "Warum machst Du das jetzt gerade so und nicht anders?" Das hat mir irre viel gebracht und ich habe viel gelernt.

Schon beim ersten Hören der Songs fällt auf, dass Du das Spiel mit den Worten bis zur Vollendung ausreizt. Das fängt schon beim Titel der CD an. "Ärger im Paradies" scheint nämlich ein Widerspruch in sich zu sein, denn Paradies steht ja normalerweise für etwas Schönes, da gibt es eigentlich keinen Ärger.
(lacht) Na ja, der biblischen Geschichte nach gab es durchaus Ärger im Paradies. Aber grundsätzlich hast Du natürlich Recht, da scheint es einen Widerspruch zu geben. Aber genau diesen Widerspruch kann ich in meinem eigenen Leben beobachten. Klar, es gibt viele Dinge auf dem Album, die schön sind, es gibt viele Gefühle, viele romantische Aspekte. Aber das Ganze ist ebenso durchzogen von Brüchen, von Leid, von Verzweiflung. Und wegen dieser Widersprüche fand ich den Titel für die CD sehr passend. Uns umgeben so viele schöne Dinge in unserem Leben, die aber auch immer sehr fragil sind und so ein Kartenhaus kann auch sehr schnell einbrechen. Wenn einem so etwas passiert, dann wird einem klar, man hat zwar eigentlich ein Paradies um sich herum, aber sowohl durch sich selbst als auch durch äußere Einflüsse ist das alles irgendwie brüchig. Ich denke aber auch, das genau das das Spannende an unserem Leben ist, denn ohne diese Brüche würden wir vieles gar nicht erst haben und besitzen. Das Schlimmste, was einem Künstler meiner Meinung nach passieren kann, ist die Tatsache, dass es ihm zu gut geht, denn dadurch wird er genügsam und satt. Ich bin zwar kein Verfechter davon, dass man ständig leiden muss, doch man sollte schon ab und zu spüren, dass alles nur auf wackligen Füßen steht. Gerade in der heutigen Zeit sind diese Widersprüche sehr stark spürbar. Da ist einerseits das Wissen um all die schrecklichen Dinge, die in der Welt passieren. Gleichzeitig leben wir in einem Land, in dem eine unglaubliche Privilegiertheit und ein großer Reichtum herrscht. Als sensibler Mensch mit diesem Widerspruch zu leben und umzugehen, empfinde ich als eine riesige Herausforderung. Darunter leide ich sehr, und das schon ein Leben lang. Das ist irgendwie ganz schön seltsam, dass es uns hier so gut geht und in Afrika die Kinder hungern, vielleicht sogar bedingt durch meinen eigenen Lebensstil. Da gibt es also unheimlich viele spannende Themen rund um diese Welt und ich finde, solche Fragen muss ein Künstler stellen. Was bedeutet es beispielsweise für uns, nur eine limitierte Zeit auf dieser Erde zu sein? Wir müssen ja nicht jede dieser Fragen auch beantworten, aber zumindest gestellt werden müssen sie, damit sich jeder selbst mal hinterfragen kann. Ich frage mich manchmal, ob den Leuten hier überhaupt bewusst ist, wie gut es ihnen geht? Haben die das Gefühl für sich selbst verloren? Haben sie vergessen, was Krieg und Leid bedeutet hat und auch heute wieder bedeutet? Da kann ich jedem nur empfehlen, sich mal mit der eigenen Großmutter zu unterhalten, um zu erfahren, was Hunger bedeutet.

Diese Gedankenspiele hast Du ja auch im Titel "Mondaugen" verarbeitet, mit dem das Album beginnt. Du hast mir mit Deiner vorherigen Antwort schon ein bisschen diese Frage vorweggenommen, denn für mich klingt "Mondaugen" und speziell die darin enthaltene Textzeile "Wir beißen in Zitronen, wir ertragen keine Limonade mehr" sehr nach Aufbruchsstimmung und Wut einerseits, aber irgendwie auch nach Resignation und Weltschmerz. Das trifft ja genau den Kern dessen, was Du eben schon gesagt hast, richtig?
Ja, denn ich glaube, das ist auch die Frage meiner Generation. Die Problematik ist doch, dass wir eine gewisse Ohnmacht spüren, uns aber aus unseren Strukturen nicht wirklich lösen können oder wollen. Wir sind alle ein bisschen apolitisch, wissen nicht genau, wo wir hin sollen. Deshalb ist die saure Zitrone manchmal die bessere Alternative als immer nur die süße Limonade zu trinken. Da geht es genau um dieses sich-selber-spüren, was ich vorhin ansprach. Jan Böhmermann piekst immer wieder auf eine ganz clevere Art in diese Wunde. Man kann von ihm halten, was man will, ich jedenfalls mag ihn ganz gerne. Er deckt Dinge auf, guckt tiefer als manch anderer, er zeigt auch gerne mal die Brüchigkeiten der Gesellschaft auf und sagt immer wieder, dass die Leute sich nicht mehr spüren. Das finde ich absolut nachvollziehbar, denn jemand, der nichts mehr spürt, muss zwangsläufig sich und andere verletzen. Man kann das Ganze übrigens auch ins Positive kehren. Ich beobachte das beispielsweise an unserer Arbeit mit den Medien. Da gibt es immer mal so kleine Mikroorgasmen. Zum Beispiel dann, wenn Deutsche Mugge mein Album liked. Darüber freue ich mich kurz, aber mit Dir persönlich zu sprechen und von Dir zu hören, dass Du mein Album toll findest, das hat für mich eine ganz andere Konsequenz und Qualität. Ich finde, da müssen wir wieder mehr hin, wir müssen uns also wieder mehr direkt miteinander auseinander setzen, damit wir unsere eigenen Emotionen und die der anderen wieder besser wahrnehmen. Dann sollte das Thema sich-selber-spüren auch nicht mehr so ein Drama sein.

Dieser ruhige Start mit "Mondaugen" täuscht etwas über das hinweg, was noch kommt, denn der Rest ist zwar nicht gerade Rock'n'Roll pur, aber doch eine wahnsinnig interessante Melange aus Chanson, etwas Jazz und Swing, ein wenig Pop und Rock, also insgesamt etwas, was sich nur schwer einordnen lässt. Man hat das Gefühl, da hat sich über die Jahre wirklich eine Menge unterschiedlichstes Material angestaut, das jetzt mit Macht ans Licht will. Sehe ich das richtig?
Richtig, das hast Du sehr treffend und gut analysiert. Das alles hat sich angestaut und musste unbedingt aus mir raus. Ich selber höre so vielfältige Musik und habe so viel unterschiedliche Stimmungen in mir, dass diese Dinge fortlaufend in meine Arbeit einfließen. Das wird sich auch in der Zukunft nicht großartig verändern.

"Ich hätte lernen müssen zu trinken" ist ein Song, der mich mit jedem Hören immer mehr abholt und begeistert. Hier schwingt eine greifbare Bitterkeit mit, die mich fasziniert und ein Schmerz, den man direkt fühlen kann. Kann man solche tiefgehenden, emotionalen Texte überhaupt überzeugend singen, wenn man sie nicht selbst erlebt hat?
Viele meiner Texte basieren ja auf persönlichen Erfahrungen. Was "Ich hätte lernen müssen zu trinken" angeht, so habe ich genau so etwas selber erlebt. Ich bin in meinem Leben mit einer Person zusammengeknallt, die sehr viel getrunken hat und die immer wollte, dass ich mit ihr gemeinsam in diesen Rausch gehe. Ich mochte diese Person sehr, sie war interessant und liebenswert, aber insgesamt hat es mich total überfordert, was letztlich auch unser Verhältnis zerstört hat. Diese Erfahrungen, die ich in dieser Zeit gesammelt habe, wollte ich unbedingt mal verarbeiten. Und ich nehme außerdem wahr, wie viele Menschen sich jeden Tag betäuben und in einen Rausch hineingehen und wundere mich dann, wie wenig das bei uns kritisch hinterfragt wird. Immerhin ist Deutschland ein Land, das selber sehr viel Alkohol produziert. Dahinter steckt für mich eine sehr widersprüchliche Moral, denn andere Drogen, wie zum Beispiel Marihuana, das zumindest ab einem gewissen Alter für den Körper viel harmloser und auch medizinisch wertvoller ist, werden kriminalisiert. Alkohol hingehen ist kulturell akzeptiert und ich finde es sehr bedenklich, wenn dann jemand wie ich, der kaum Alkohol trinkt, auf Feiern deswegen immer schief angeguckt wird und auf völliges Unverständnis stößt.

Auch das dazugehörige Video ist beeindruckend. Du schreibst dazu auf Deiner facebook-Seite: "Mein neues Musikvideo ... ein filmgewordener Selbstversuch". Erzählst Du also in diesem Video die Geschichte, die Du selbst erlebt hast?
Ja, und nicht nur das, denn ich habe in diesem Video tatsächlich Alkohol getrunken. Ich wollte eben so authentisch wie möglich zeigen, was da mit einem passiert und das ging eben nur, wenn ich es wirklich tue. Interessant war dabei, dass die erste Einstellung, die zirka dreißig Sekunden lang war, noch wunderbar funktioniert hat. Aber zum Ende hin in den letzten Einstellungen sind mir einige Sachen missglückt, weil ich da einfach schon zu betrunken war. Ich führte ja auch selber Regie bei dem Video und es ging um solche Dinge wie das Durchgehen der Checkliste, ob wir eine bestimmte Totale schon aufgenommen haben oder dieses und jenes Bild schon im Kasten haben. Das war eben alles etwas schwierig und wir mussten manches hinterher beim Schnitt des Videos bereinigen. Ich fand auf jeden Fall diesen Ansatz, sich selber einer bestimmten Situation auszusetzen, überaus spannend. Und mir war von Anfang an klar, nur so kann es für diesen Song das perfekte Video werden.

Ich habe selten ein deutschsprachiges Album gehört, welches so stark von seinen Texten lebt. Ich darf mal zwei weitere spezielle Textzeilen in den Raum werfen: "Dann tritt die Tür ein und hör auf so verdammt leise zu schreien" ("Du willst mich") oder auch "Ich wohn inzwischen auf dem Mars und hab drei Kinder und wir trinken grüne Dosenmilch" ("Am Ende musst Du immer wieder rennen"). Man könnte es beliebig fortsetzen. Spricht das Finden solcher Wortschöpfungen für das Genie in Dir oder ist das schon Wahnsinn? Natürlich Wahnsinn im positiven Sinne.
Ach Mensch, das sind so große Worte ... Das sind halt meine Phantasien, die ich spielen lasse! Wahnsinn ... das ist schwierig und auch immer eine Definitionssache. Ich fühle mich auf jeden Fall normaler als manch einer, der eine düstere Zweitexistenz in seinem Keller hat. Ich lebe meine Impulse und Phantasien aus und diese Dinge sind eigentlich überhaupt nicht erschreckend, zumal ich sehr offen damit umgehe. Es ist immer gut, seine Gedanken fliegen zu lassen, denn ich bin ein großer Science Fiction-Fan und mag Utopien, wie man vielleicht seit "Die Logik liegt am Boden" weiß. Es passiert so vieles und meine Mutter lebt eines Tages vielleicht noch auf der Erde, aber ich inzwischen auf dem Mars. Und dann ist es eben nicht mehr so einfach, Hollywood-mäßig hinterherzurennen und am Ende immer noch ganz locker auf den ausfahrenden Zug aufzuspringen, denn vielleicht ist der Zug diesmal schon weg. Ich mag es halt, kleine Geschichten zu erzählen und dieses Interesse am Geschichten erzählen verleitet mich dann dazu, solche Texte zu schreiben. Ich kann das gar nicht richtig begründen. Meine Liebe zur Sprache war schon immer da und ist vermutlich der Ursprung dessen. Was mir allerdings schwerfällt, ist weniger die Kreativität zu finden, sondern die Worte singbar zu machen.

Was sicherlich hauptsächlich an der deutschen Sprache liegt ...
Genau. Es ist nämlich unglaublich schwer, die Melodien zu schreiben, die ich mir wünsche und diese dann mit den Texten zu kombinieren. Ich bleibe immer hinter meinen Vorstellungen und Begabungen zurück, zumindest aus meiner Sicht, und glaube, dass meine Gedichte besser sind als meine gesungenen Texte. Wenn ich mich da noch mehr lösen könnte, wäre es toll, aber das ist echt schwer.

Du hast es aber immerhin geschafft, für einen Vers wie "Ich wohn inzwischen auf dem Mars und hab drei Kinder und wir trinken grüne Dosenmilch" eine Melodie zu finden.
Das stimmt, aber das liegt wohl auch daran, dass ich mich davon befreit habe, alles reimen zu müssen. Denn hier reimt sich ja nun gar nichts. Das ist eben das Geheimnis. Mal kann man etwas reimen, weil es passt und sich schön anhört, aber manchmal muss man es auch einfach bleiben lassen. Das habe ich zum Glück schon relativ früh bemerkt, weshalb das Ganze für mich auch kein Thema mehr ist. Aber natürlich gibt es auch hier wieder eine Menge Puristen, die das furchtbar und gruselig finden.

Diese kreativen Texte sind also nicht nur einem Ideenüberschuss in Dir wegen der langen Pause zwischen den beiden Alben geschuldet, sondern das ist einfach Dein Naturell, es quillt förmlich und ständig aus Dir heraus.
So ist es. Ich schreibe ständig und sehe pausenlos Bilder vor mir, die ich dann versuche zu verarbeiten. Eigentlich bin ich sehr dankbar, dass mich die Muse so oft küsst.

Allein schon wegen dieser genialen, anders gearteten Texte verbietet es sich, Dein Album nur als Hintergrundmusik aufzulegen. Das bedeutet aber auch, dass Du dem Hörer eine gewisse Konzentration abverlangst, um in die Songs einzutauchen und sie zu verstehen. Hast Du keine Angst, gerade den einen oder anderen neuen Konsumenten Deiner Musik damit etwas zu überfordern?
Nein, absolut nicht. Ich freue mich, wenn sich jemand auf meine Musik einlässt so wie Du gerade. Das ist ja ein Gewinn für beide Seiten, also einerseits für mich als auch für den Konsumenten. Was Du vorhin gesagt hast, sagen mir sehr viele. Erst wenn man die CD ein paar Mal gehört hat, finden die Leute Zugang zu manchen Liedern. Dann öffnen sich Räume, die vorher nicht zu sehen waren und die Leute sind gefesselt von Nuancen und Details in den Liedern. Das ist für mich ein großes Kompliment. Ich selber finde schon immer Kunst mit verschiedenen Bedeutungsebenen super interessant. Oder anders gesagt: Werke, egal welcher Kunstrichtung, die relativ oberflächlich und einfach zu lesen sind, müssen schon formal so spannend sein, dass ich an ihnen hängen bleibe. Also Kunst, die mich interessiert, hat meistens mehrere Ebenen. Das gilt auch für populäre Kunst. Nimm zum Beispiel mal "Die Simpsons". Du kannst die Filme gucken, die lustigen bunten Bilder und den Slapstick genießen, aber wenn Du an der amerikanischen Politik dran bist, weißt Du auch immer, worauf die sich gerade beziehen. Großartige Kunst hat also immer diese Bedeutungsebenen. Die ganz genialen Künstler, zu denen ich mich jetzt aber nicht zählen möchte, schaffen es, dass Du diese Pop-Ebene hast, die fast jeden einfängt. Aber darunter gibt es Ebenen, die nur Leuten auffallen, die sich ganz intensiv damit befassen.

Bist Du selber denn im echten Leben auch so ein vielfältiger Mensch, der schwer zu durchschauen ist und entdeckt werden will oder bist Du eher ein offenes Buch und man erkennt bereits nach wenigen Minuten, wie Du tickst und was Du für ein Mensch bist?
Bis zu einem gewissen Grad bin ich sehr einfach zu lesen, zugänglich und sehr freundlich. Das war ich wohl schon immer, denn meine Mutter erzählt, ich hätte schon als Kleinkind aus dem Buggy heraus alle Leute angestrahlt und jedem "Hallo!" gesagt. Aber natürlich behalte ich auch manche Dinge erst mal für mich, bis ich dann einigen Menschen sehr weit vertraue. Aber das finde ich auch richtig, denn alles nach außen zu kehren, macht einen sehr verletzbar. Wenn ich aber jemandem vertraue, dann bin ich sehr offen.

Welches ist denn Dein persönlicher Favorit auf dem Album?
Oh, das ist schwierig. Bei dem von Dir genannten "Ich hätte lernen müssen zu trinken" ist es die Produktion, auf die ich richtig stolz bin. Hier finde ich die Instrumentierung und das Arrangement echt gelungen. Aber emotional sehr nahe gehen mir Stücke, die auf dem Album weiter hinten liegen wie "Wildes Leben", "Taschenlampe" und "Das Lied". Vor allem "Das Lied" macht mich, wenn ich es mir anhöre, immer noch traurig und geht mir sehr nahe. "Das Lied" und "Die Ozeane sterben" sind Lieder, die in der Improvisation entstanden sind. Das habe ich in einem Stück assoziiert und aufgenommen. Die Texte dieser Lieder sind sehr emotional und handeln vom Gefühl der Einsamkeit. Es sind Songs, die mir sehr an die Nieren gehen, weil es eben um Einsamkeit und den Verlust von Menschen geht, die einen verstehen. Ich bin, so glaube ich, seit Anbeginn der Zeit auf der Suche nach Seelenverwandten bzw. nach Menschen, die mit meiner Tiefe umgehen können und mich auf dieser Ebene auch verstehen. Wenn du einen solchen Menschen verlierst, ist das viel heftiger als jemanden nicht mehr zu haben, den Du nur oberflächlich kennst. Deswegen berühren mich diese Lieder so sehr.

Einen Song muss ich noch kurz ansprechen, nämlich "Pfeile gegen die Sonne". Das ist ja von der Machart her so ein kleiner Ausreißer auf dem Album, weil es da ein wenig rockiger zugeht. Auch da klingt es wieder irgendwie nach Anklage und Wut, die Du raus lässt. Kann es sein, dass der Text verschiedene Deutungen erlaubt, vielleicht sogar Missbrauch?
Ja, man kann es verschieden deuten, aber in erster Linie geht es hier um Verlust und das Verarbeiten der Dinge, die zwischen uns passieren können. Ich bin von Natur aus eher konfliktscheu und es fällt mir schwer, in den Konflikt reinzukommen. Dieses Gefühl der Ohnmacht und des Verarbeitens habe ich in "Pfeile gegen die Sonne" und auch im Song "Ich prügel mich mit Dir" beschrieben. Ich bin immer sehr reflektiert und verständnisvoll für andere und vergesse dabei oftmals meine eigene Seite. Also meine Pfeile, die ich gegen Dich abschieße, weil Du ein Arsch warst, kommen gar nicht bei Dir an, weil die auf dem Weg zu Dir verbrennen. Es geht also um meine Wut, mit der ich nicht weiß wohin. Im Grunde gibt es aber kein spezielles Thema dahinter. Jeder kann was eigenes da rein lesen, so wie Du es ja auch getan hast und genau das finde ich so herrlich spannend.

Das Booklet verrät den Einsatz eines ganzen Arsenals verschiedenster Instrumente. Einige davon hast Du gleich mal selber eingespielt, so z.B. Gitarre, Ukulele, Percussions, Babypiano und Vibraphon. Woher kannst Du das alles? Hast Du das mal alles gelernt oder ist es eher learning by doing?
Ich bin absoluter Autodidakt und spiele tatsächlich nach dem learning by doing-Prinzip. Wobei ich eigentlich wahnsinnig schlecht spiele. Aber ich habe ja das Glück einen Computer zu haben und da immer wieder von Neuem auf die Record-Taste drücken zu können. Es ist wahnsinnig tragisch für mich, dass ich meine Instrumente so schlecht spielen kann, damit gehe ich auch ganz offen um. Trotzdem bin ich in der Lage, für den Moment etwas aus den Instrumenten rauszuholen. Vielleicht bin ich technisch nicht die Begabteste, aber ich habe Ideen und habe immer die Traute, es trotzdem zu versuchen. Keinen Menschen interessiert doch am Ende, ob Du den Kram studiert hast. Es gibt so viele großartige Musiker, die sich ihr Instrument selber beigebracht haben und die machen trotzdem eine geile Mucke. Deshalb sollte man sich keinesfalls davon abhalten lassen, sein Ding zu machen.

Wie schon beim ersten Album greifst Du auch diesmal wieder auf eine Menge Musiker zurück. Gibt es dabei so etwas wie eine Stammband?
Nicht so richtig. Aber ich habe Musiker, die ich total liebe und die ich immer wieder ins Studio einlade. Dieser Pool wächst natürlich mit der Zeit immer weiter an, da ich ständig neue und tolle Leute kennenlerne. Jeder einzelne, der auf dem Album mitgewirkt hat, war großartig und ein Geschenk für mich.

Und wer von diesen Musikern gehört zu Deiner Liveband?
Im Momet begleitet mich auf der Bühne Christopher Noodt, der auf dem Album ein paar Klaviere gespielt hat. Theoretisch auch Marco Möller, der die Drums bedient, doch der ist selber stark beschäftigt. Da ich auch keine riesigen Gagen zahlen kann, ist es natürlich schwierig, immer alle zusammen zu kriegen. Es wechselt also häufig, aber ich habe immer tolle und erstklassige Leute auf der Bühne stehen.

Freuen dürfen sich auch die Freunde der Vinyl-Scheiben, denn für die hast Du etwas Besonderes angerührt: eine LP ganz in Weiß gehalten. Das Teil sieht wirklich edel aus. Einfach nur so, ganz normal, geht bei Mia Diekow nicht, oder?
Ja, so ein bisschen stimmt das schon, aber es ist ja nicht so, dass ich nicht auch einfach nur eine schwarze Vinyl hätte bringen können. Ich dachte mir einfach, das Weiß passt wunderbar zum Artwork und ist mal etwas Spezielles. Und wenn man schon die Möglichkeit hat, so eine Vinyl zu machen, will man es natürlich auch ausreizen.

Irgendwie werde ich beim Hören der CD das Gefühl nicht los, Deine Songs könnten auch die Bewerbung für ein Filmmusik-Casting sein. Wäre das für Dich ein erstrebenswertes Ziel, eines Tages den Soundtrack für einen Film zu machen?
Absolut, hundertprozentig Ja! Filmmusik ist für mich eine große Inspirationsquelle und ich hätte wirklich Lust, in dieser Richtung mehr zu machen. Ich habe schon für einen Kurzfilm die Musik gemacht und würde das unwahrscheinlich gerne ausweiten. Filmmusik ist auch deshalb so schön, weil es da nicht um das eigene Ego geht, sondern da geht es in erster Linie um eine Geschichte. Da kann man Welten bauen und erschaffen und ein bisschen rumbasteln, was ja genau mein Ding ist.

Wir haben es schon angerissen, die Videos zu Deinen Liedern nehmen einen besonderen Raum ein. Wer unterstützt Dich bei der Umsetzung Deiner Ideen, denn ich vermute mal, auch hier steckt in erster Linie Deine eigene gedankliche Kreativität drin?
Die Konzeption der Videos habe ich gemacht, aber in der Umsetzung haben mich einige tolle Leute unterstützt. Allen voran Benedikt Schnermann, Spitzname Beppo, der die Kamera geführt hat bei "Ich hätte lernen müssen zu trinken" und bei "Pfeile gegen die Sonne". Mein Kumpel Tim hat mir beim Grading geholfen. Kristin Herziger hat mich bei der Regie zu "Pfeile gegen die Sonne" unterstützt. Kristin ist eine klasse Regisseurin. Dazu kommen noch unzählige Freunde und Kumpels, die geholfen haben, ansonsten wären die Videos gar nicht umsetzbar gewesen, vor allem finanziell.

Du hast gleich nach dem Erscheinen von "Ärger im Paradies" an zwei Abenden das Vorprogramm von Elif gestaltet und trittst nun auch einige Male als Support für Alina auf. Kann man denn auch mit einer komplett eigenen Mia Diekow-Tour rechnen? Nur einige Male die Vorband zu geben, kann doch nicht Dein Ziel sein, oder?
Wir werden sicher eigene Gigs spielen. Im Moment ist auch etwas in Berlin und Hamburg in Planung und ich hoffe, dass noch weitere Orte folgen werden. Das ist immer ein ganz schöner Kraftakt, weil wir eben auch nicht so viel damit umsetzen. Wir müssen also abwarten. Auf jeden Fall ist das auch ein großer Wunsch von mir.

Wie geht es jetzt weiter mit Dir? Machst Du wieder sechs Jahre Pause, ehe wir Neues von Dir hören können?
Da will ich mich nicht festlegen, aber sechs Jahre wird es hoffentlich nicht wieder dauern. Was da genau und wann passieren wird, ist noch geheim. Ich habe jedenfalls viele Pläne. Es kann auch sein, dass ich mal ein anderes Album produziere, aber da kann und will ich noch nicht sagen, um wen es sich handeln wird. Ebenso könnte ich mir ein Filmmusik-Projekt vorstellen. Und natürlich muss ich nebenbei auch noch Geld verdienen, was ich mit der Synchronsprecherei erledige.

Liebe Mia, sei herzlich bedankt für das Interview. Möchtest Du abschließend noch ein paar Worte an unsere Leser richten?
Sehr gerne. Guckt weiterhin fleißig bei Deutsche Mugge rein, seid immer gespannt auf Neues und guckt Euch bitte auch mal Künstler an, die noch nicht so bekannt sind. Ansonsten habt weiterhin viel Freude beim Musik hören.



Interview: Torsten Meyer
Bearbeitung: cr






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