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Interview vom 14. März 2018



In 20 Jahren ist viel passiert. Bei BELL BOOK & CANDLE ebenso wie bei den Fans der Berliner Kapelle. Bei manch einem Konzertgast vor der Bühne ist das Schädeldach mittlerweile grau-meliert oder das Haar hat schon vor längerer Zeit das Interesse an seinem Träger verloren. Die Jugend von einst ist verschollen wie so manches Schiff im Bermuda-Dreieck, aber die Sympathie für Band und Musik ist geblieben. Kein Wunder, denn das Trio hat Lieder für die Ewigkeit geschrieben. Und dabei ist nicht einmal ihr Megahit gemeint, sondern all die vielen Perlen, die in den Jahren bis 2005 so erschienen sind. Bei diesen Liedern, aber auch bei ihrer Sängerin Jana Groß, scheint die Zeit einfach stehengeblieben zu sein. Insbesondere Jana hat äußerlich wie stimmlich der natürlichen Alterung getrotzt und sich für das neue Album der Band sogar neu erfunden. Sie schreibt die Lieder inzwischen in unserer Muttersprache, bedient sich dabei für BBC völlig neuer Themen und macht dabei ebenso eine gute Figur, wie als Sängerin auf der Bühne.001 20180319 1012647476 Doch warum hat es so lange gedauert, bis die Band wieder in ein Studio ging? Wie kam es zum Wandel in der Art und Weise sich auszudrücken und was steckt hinter den neuen Liedern? Unser Kollege Christian hatte kurz vor der Veröffentlichung von "Wie wir sind", dem brandneuen Album der Gruppe BELL BOOK & CANDLE, Gelegenheit, mit Jana Groß zu plaudern. Mitten auf Promotion-Tour und im Zug zwischen Stuttgart und Leipzig hatten die beiden "ein Date" und hier ist das Ergebnis ...




"Wie wir sind" heißt Euer neues Album. Fangen wir mal mit einer einfachen Frage an: Wie seid Ihr denn?
Wir sind drei Freunde. Ganz einfach (lacht). Einfach mit der Maßgabe, unsere Leidenschaft auszüben und unsere Musik, die wir schon so lange machen, weitermachen zu können ... und dazu jetzt auch die deutsche Sprache zu benutzen.

Die Frage müsste ja eigentlich lauten, wo Ihr wart. Das letzte Album war "Bigger" aus dem Jahre 2005. Wieso seid Ihr dem Studio so lange fern geblieben und habt kein neues Album mehr gemacht?
Unsere Arbeitsweise lief bis zu diesem Album so, dass Andy die Songs auf der Gitarre entwarf, was Henne und mich dann inspirierte und wir so unseren Teil dazugeben konnten. Also die Bass- und Gesangslinie und den Text. Nach 2005 sagte Andy, es passiere einfach nichts mehr und er habe das Gefühl, dass es immer dasselbe wäre, was er schrieb. Es war eine Art ... naja nicht Depression ... aber schon sowas wie eine Schreibblockade. Henne und ich waren relativ verzweifelt und haben alles daran gesetzt, in Clubs, Theater und Kirchen zu gehen, um dort Konzerte zu spielen, die direkt an den Leuten dran sind, um Andy so nah wie möglich an die Bühne zu bekommen. Und zwar auf den Platz, den er so gut ausfüllt, nämlich an der Gitarre. Das war nach seiner Zeit am Schlagzeug (was er eigentlich an der Hochschule Hanns Eisler Berlin studiert hatte) bei uns genau der richtige Weg. Das hat dann funktioniert. Es dauerte zwar sieben oder acht Jahre, bis er vor zwei Jahren sagte, "Ich schicke Dir mal was, ich glaube, mir ist etwas eingefallen." Das war wirklich wie ein "Halleluja, jetzt geht es endlich wieder los." Dann haben wir wieder geschrieben. Zunächst waren es englischsprachige Songs, dann stiegen wir aber relativ schnell um. Das erklärt die lange Zeit ohne kreatives Schaffen, aber mit vielen Konzerten, in denen wir musikalisch und stilistisch auch nicht schlechter geworden sind.

Das ist wohl so, Ihr seid live ja ziemlich geil unterwegs. Das muss man schon sagen. Deswegen verwundert es ja, wenn man solch eine Spielfreude auf die Bühne bringt, diese aber nicht ins Studio transportiert ...
Ja, das liegt wirklich in der Natur des Menschen. Andy hatte vorher ja fünf Alben gemacht und auch immer die Impulse geliefert. Ich glaube, das geht vielen so. Ich las schon oft, dass Musiker das Gefühl haben, nicht mehr als acht oder neun Songs im Jahr schreiben zu können. Das ist scheinbar eine Begrenzung, die man sich selbst setzt. Er sagte aber, er hat das nun überwunden und es war eine Art Therapie innerhalb der Band. Jeder hat auf jeden einen gewissen Einfluss und wir konnten ihm - glaube ich - ganz gut helfen.

Bis eben zu diesem Album "Bigger" habt Ihr - ich glaube - fünf Studioalben mit Songs in englischer Sprache gemacht, es folgten zwei Unplugged-Platten. Mit "Wie wir sind" gibt es nun ein erstes deutschsprachiges Album von BBC. War es wirklich nur der Wunsch Eurer Fans bei den Konzerten, die sich Lieder in unserer Muttersprache gewünscht haben, oder ist das ein Trend, dem Ihr folgt?
Es geht natürlich darum, immer mehr Leute ins Konzert zu bekommen. Dafür braucht man mediale Aufmerksamkeit, die durch ein deutschsprachiges Album sicherlich mehr gegeben ist, wenn man vorher englisch gesungen hat. Wir haben eine Bandgeschichte, die ziemlich toll ist, wir waren überall in der Welt und deshalb behielten wir natürlich auch unseren Namen, weil er einfach zu uns gehört. Der Wechsel zur eigenen Sprache ist ganz klar auch ein Bekenntnis zu den Fans, die in der letzten Zeit häufiger danach gefragt haben. Nachdem wir zum Beispiel in unserem Programm den PUHDYS-Song "An den Ufern der Nacht" gecovert haben, fragten viele Menschen, "Warum macht Ihr nicht mehr in deutscher Sprache? Es ist schön, es direkt verstehen zu können." Da haben wir uns anfangs noch ein wenig gewehrt und schrieben weiter englische Songs. Das waren vier, um dann zu sehen, was kommt nun wirklich aus uns raus. Dann setzte ich mich einfach hin und sagte "Okay, ich versuche es", und dass das so wunderbar funktioniert, hätte ich selbst nicht gedacht.

Im Booklet steht unter fast jedem Songtext der Vermerk, dass Kompositionen und Texte von Jana Groß, Andreas Birr und Hendrik Röder stammen. Habt Ihr tatsächlich alle drei an den Texten geschraubt, oder versteckt sich hier der Kreative nur hinter der Gemeinschaft?
Genau, wir verstehen uns als Band und dritteln alles. Aber die Kompositionen kommen eindeutig von Henne und Andy. Die haben das gelernt, sind studiert, kennen die Noten usw. Damit kenne ich mich nicht aus, ich bin einfach das Gefühl in der Band und mache komplett alle Texte. Dass wir das dritteln, ist einfach unser Zugeständnis an die Band. In der Band hat jeder seinen Job und seine Aufgaben. Henne macht ganz viel bürokratisches Zeug, die Abrechnungen und die finanziellen Sachen. Andy ist unser musikalischer Kopf, er kümmert sich um alles, wie es umgesetzt wird, wenn wir spielen oder TV-Auftritte haben und um die GEMA. Und ich bin dafür zuständig, dass es nach außen hin schön aussieht, weil ich lange Haare habe und eine Frau bin (lacht), und dass die Texte schön werden und alle das gut finden.

Ich habe irgendwo gelesen, dass Du schon vorher mal Texte auf Deutsch verfasst hast. Stimmt das und wenn ja, für wen?
Wir hatten mal zu der ARD-Vorabendserie "Das Beste aus meinem Leben" mit Martin Engler zusammen die Lieder und Texte gemacht. Das ist in der Serie zu hören, wurde aber nicht veröffentlicht. Und für die Serie "Schloss Einstein" vom MDR-Kinderkanal schrieb ich für die Band, die für diese Serie zusammengestellt wurde, einige Texte. Auch für das erste Album der Berliner Band EISBLUME machte ich die Texte. Es sind auch einige Sachen, die Auftragsproduktionen waren. Dort sind die Maßgaben ganz andere. Da heißt es dann, "Für den und den wird etwas gesucht, und das soll so und so klingen." Da setzt man sich dann hin und gibt sich Mühe. Aber es hat nichts mit dem zu tun, was ich persönlich sagen wollte.

Das eine ist eine Auftragsarbeit, aber BBC ist eine Herzensangelegenheit.
Absolut.

Ist es Dir leicht gefallen, Dich beim Schreiben und bei der Auswahl der Themen auf die "neue" Sprache umzustellen?
Ja, es fiel mir leicht.

Wie sind die Texte entstanden? Wie und nach welchen Kriterien hast Du die Themen ausgesucht?
Es ist zum ersten Mal in unserer Geschichte so passiert, dass ich vier Texte geschrieben habe, ohne die Musik vorher zu haben. Erst war also der Inhalt da, den wir dann gemeinsam vertont haben. Die Form folgte also dem Inhalt. Das war vorher noch nie so. Es handelt sich um Dinge, die ich sagen wollte. Zum Beispiel "Nullpunkt", der Abschied von unserem Tonmann und überhaupt dem Umgang mit dem Thema Tod. Oder "Wartesaal", in ihm geht es um Alzheimer-Demenz. In "Durch die Jahre" geht es um Obdachlose, ihr Leben und ihre tagtäglichen Hoffnungen, dass eine Veränderung in positiver Hinsicht stattfinden könnte. Und dann noch "Seelenverwandt". Der ist allerdings nicht auf diesem Album, sondern wird auf der Sonder-Edition als Bonus enthalten sein. Ansonsten sind die Themen das, was ich beobachte oder was ich zum Beispiel lese. Bertolt Brecht schrieb "Die unwürdige Greisin", darum geht der Text von "So nah". Dann gibt es natürlich auch Alltäglichkeiten, wie "Deja vu", was wohl jedem schon passiert ist. Man denkt ja manchmal - gerade in der Kindheit - "Das habe ich doch schon mal erlebt." Und daraus folgt die Hoffnung, dass man schon mal dagewesen ist und demzufolge das Leben auch danach weitergehen könnte. Also alles Sachen, die man in unserem Alter erlebt, gedacht und erlebt haben kann. Also alles sehr nah.

Hast Du in Sachen Texten Vorbilder oder Inspirationsquellen?
Nein. Es muss immer schön sein. Es muss mich selbst berühren, dass ich beim Schreiben denke, "Ja, das fühlt sich gut an." Es kann sich schon mal reimen, das ist überhaupt nicht schlimm. Es sollte nur nicht platt sein und einfach nur eine Hookline bedienen. Die Hookline muss toll und nachvollziehbar sein, aber es muss immer Sinn machen. Es darf nicht irgendwie platt oder stumpf daherkommen. Das ist eine Sache, die ich bei Songs doof finde, wenn es in die Richtung geht, Hauptsache, es reimt sich und dann wird der erstbeste genommen. Das würde ich nicht machen. Gerade mit der deutschen Sprache kann man sich wundervoll ausdrücken und dann sollte man das auch machen. Man muss ja nicht den Faden verlieren und der Anspruch an das, was Mainstream bedeutet, ist überhaupt nichts schlechtes, finde ich.

Du hast es schon beschrieben und ich finde auch, dass es inhaltlich ein sehr erwachsenes Album geworden ist und sich auch etwas von dem abhebt, was die Charts in der letzten Zeit so verstopft hat. Besonders heraus heben möchte ich z. B. den Titel "Wartesaal". Gibt es zu dem Thema Alzheimer bei Euch einen direkten Bezug?
Es ist leider so gewesen, dass es vor einigen Jahren zunächst bei Andys Oma begann. Er erzählte uns dann die Geschichte und es war anfangs noch sehr lustig, als er sagte: "Ich war da und sie sprach mich schon wieder mit Dieter an." Sie dachte also, dass er sein Vater wäre. Es gab dann noch einige andere Sachen, die zunächst lustig und seltsam waren, dann aber ziemlich schnell in die Richtung abdrifteten, wo wir dachten, dass das nicht normal ist. Und so kamen wir zum ersten Mal mit dieser Krankheit in Berührung. Kurze Zeit danach betraf es meine Oma, die mich plötzlich nachts anrief und verlangte, ich solle das Fahrrad aus ihrem Zimmer fahren. Dann lief sie bei uns in Friedrichshagen umher und versuchte, in den Einkaufsladen hineinzukommen. Sie brachte also die Zeiten völlig durcheinander und wir mussten sie dann auch in ein Heim geben, damit sie sicher ist. Die Konfrontation damit war wirklich erschreckend, aber ich wollte es in dem Lied so machen, dass es trotzdem schön ist ... Wenn man so lange zusammen ist als Paar. Meine Eltern sind seit 50 Jahren zusammen, lieben sich und halten alles miteinander aus. Einer bleibt zurück, das ist der Lauf der Dinge. Das wollte ich zeigen und wir wollten es musikalisch aber auch nicht so tragisch werden lassen. Deshalb ist es eine irgendwie positive Melodie, finde ich.

Der Text zu "So nah" geht auch unter die Haut. Ein weiterer Titel, in dem es um einen Rückblick und um "dahin ziehende Jahre" geht und am Ende der Satz "... dass ich höchstwahrscheinlich nie wie Du sein kann". Für wen ist das Lied?
Im Grunde genommen lieferte Bertolt Brecht dazu die Vorlage. Es ist die Geschichte "Die unwürdige Greisin" und in ihr geht es um eine Frau, die ihr Leben aufopfert für die Familie und das wird ganz positiv dargestellt. Am Ende, die Kinder sind aus dem Haus, stirbt auch noch der Mann. Sie geht dann noch mal raus und hat schöne Erlebnisse. Sie stirbt später und das ist ein Abschluss des Lebens, was es in dieser Zeit nicht mehr zu geben scheint und so für mich auch nicht in Frage kommt, dass man einfach alles für andere macht. Natürlich war es auch eine andere Zeit, in der man aus der Kriegszeit lernte, sich einzuschränken, dass man beieinander bleibt und all solche Tugenden. Es hat sich also alles gewandelt und ich will das auch gar nicht bewerten. Ich wollte nur sagen, dass ich befürchte, dass es mir nicht so passieren wird. Das ist es auch schon.

Es wird in "Woran glauben wir" gar die Frage zu einem sehr aktuellen Thema gestellt. Was hat Dich zu diesem Text inpiriert?
Das liegt daran, dass wir ja oft in den Garderoben warten. Wir haben dann die Gitarren zum Einspielen dabei. Kurz vor dem Konzert ist es dann meistens so, dass Holger Jagsch auf der Gitarre einfach ein Riff spielt. Er hat eine geile Gitarre und spielte immer wieder dieses Riff. Immer wieder und wieder ... (lacht) In den letzten Jahren haben wir verstärkt das Gefühl, dass wir immer dümmer werden. Wir nehmen so viel auf und nehmen auch noch viel auf, was kommentiert wird. Ich hatte mal eine Zeitung abonniert, damit ich mal etwas unkommentiertes bekomme, irgendeine Nachricht, wo der Sinn nicht gleich wieder enthoben wird. Trotzdem hat man das Gefühl, es wird nicht besser, sondern es wird alles komplizierter. Man blickt nicht mehr durch, man weiß nicht mehr, wie man sein soll. Und so bot es sich an, mit diesem Riff zusammen zu singen "Woran glauben wir". Ich strickte den Text also um dieses "Woran glauben wir" herum und so entstand der Sinn.

Ich kann's mir eigentlich schon denken, aber für wen ist "Sieben Seen" gemacht worden? Für Deinen Sohnemann?
Ja, genau. Das ist für Tom, der im letzten Jahr mit 26 ausgezogen ist. Das fiel mir sehr schwer, aber das ist eine Sache, die vereint mich mit anderen Menschen, die Kinder haben. Das ist schwierig, aber es ist ganz normal und es ist gesund. Trotzdem geht das nicht so spurlos vorbei und Freundinnen hatten schon vorher gesagt, "Pass mal auf, das wird ganz schlimm und dann heulst Du immer und so ..." Das schöne ist, dass Tom meistens bei uns ist, wenn wir Konzerte geben und er Schlagzeug spielt. Dann habe ich ihn noch, aber es ist ein Abschnitt des Lebens, der komplett anders sein wird und das wird einem erst bewusst, wenn das Kind geht. Genau so, wie mir bewusst wurde, als ich ihn bekam, dass jetzt eine Zeit beginnt, die bestimmt 20 Jahre läuft und ganz anders als die 20 Jahre vorher sein würde. Das Bewusstsein, dies zu erleben, ist schon sehr krass. Deshalb wollte ich das mal zum Thema machen.

Den Song selbst gab es aber schon unter dem Titel "Seven Seas", richtig?
Ja, genau, die Grundlage ist "Seven Seas", der auch auf unserer DVD drauf ist. Dort war es einfach ein Liebeslied und für's Deutsche dachte ich, ein Liebeslied wäre mir zu einfach. Und so widmete ich es Tom und auch den Eltern, die genau so damit zu tun haben. In den Konzerten ist es sehr schön, wenn dann viele Mamis kommen und mir sagen, dass sie verstehen, was ich meine. Das ist eine tolle Sache.

Wie lange habt Ihr im Studio gebraucht, bis die Platte fertig im Kasten war?
Wir haben vor zwei Jahren begonnen zu schreiben und sind dann mit den ersten vier Songs zu Ingo Politz gegangen. Der sagte, dass er es toll fände und gern ein komplettes Album machen würde. Dann machten wir weiter, hatten die nächsten vier Songs und noch mal vier weitere und dann kamen noch zwei oder drei hinzu. Wir entschieden uns dann für 12 Songs, produziert wurden letztlich 15 Songs. Das ging also nach und nach, blockweise sozusagen. Und das ist auch ziemlich cool, man arbeitet zwei oder drei Wochen zusammen und ist auf die Songs fokussiert. Dann geht man wieder raus und kann ein wenig nachladen, denn man braucht ja auch Inspirationen und Themen. Das Gute ist, dass ich mir über die Zeit schon viel aufgeschrieben hatte. Schöne Sätze oder wenn ich dachte, darum müsste es mal gehen. Es ist also nicht so, dass ich mir alles in einer Stunde aus den Fingern sog, sondern es baute sich alles auf. Es klingt jetzt ein bisschen technisch, ist es aber eigentlich nicht. Es kommt aus dem Bauch, ist von der Zeit her gesehen aber eher eine Art "Stückwerk".

Ingo Politz begleitet Euch auch schon fast über all die Jahre als Produzent. Wieviel Einfluss nimmt er auf die Musik?
Wir haben unsere Ideen festgehalten und arbeiteten so, dass wir Gitarre, Bass und Gesang vorgaben. Wir nahmen das auf unserem Laptop auf und haben uns entgegen der vorigen Alben, wo wir so viel wie möglich selbst machten und das Material erst dann vorspielten, dafür entschieden, einen rohen funktionierenden Song vorzuspielen. Erst dann haben Ingo Politz und unser Keyboarder Lukas Scharf - er ist Co-Produzent bei BENG Music - unsere Gitarren und die Gesänge noch mal im großen Studio aufgenommen und entwarfen dann praktisch das ganze Kleid, was für mich auch sehr schön geworden ist. Es ist laut, epochal, es glitzert und es sind viele Stimmen drauf. Das ist aber eine Entscheidung, die man zusammen fällt, in welche Richtung es geht. Aber machen müssen letztlich die beiden das.

Könnte man sagen, dass Ingo nach so langer Zeit irgendwie auch schon ein Mitglied der Band geworden ist?
Ja ... (lacht). Er hat ja am Anfang bei uns Schlagzeug gespielt. Wenn Du Dir zum Beispiel das Video von "Rescue Me" ansiehst, siehst Du ihn dort am Schlagzeug sitzen. Das war eine schöne Zeit, wir waren alle noch so klein bzw. wir hatten noch nichts vorzuweisen. Er hatte damals gerade Pittiplatsch und Schnatterinchen oder so einen Quatsch gemacht (Jana meint Sandmann's Dummies und den Hit "Ach Du meine Nase") und die Arbeit mit der Gruppe EXPERIENCE im Ansatz. Das Studio war noch im Keller und irgendwie fingen wir alle gemeinsam an. Das ist natürlich toll, wenn die Geschichte so weitergeht und man nach so vielen Jahren noch so gut befreundet ist. Jeder hat so viel anderes erlebt, er mit unterschiedlichen Bands und wir in unterschiedlichen Teilen der Welt, und dass man dann wieder zusammen kommt für etwas Neues. Und dass es wirklich etwas Neues, etwas Deutsches wird, war uns wichtig und ihm auch. Es hat also sofort wieder gefunkt.

Auf der Scheibe ist auch der Titel "Junimond" von Rio Reiser zu finden. Ein oft und gern hergenommener Song zum Covern. Ist Reiser so eine Inspirationsquelle, nach der ich Dich vorhin schon fragte, oder warum habt Ihr seinen Text neu bearbeitet und aufgenommen?
Wir haben ja auf verschiedenen Seiten der Mauer gelebt. Er war in Westberlin und wir in Ostberlin. Zu der Zeit, als ich begann mich für Jungs zu interessieren, brachte er dieses Lied heraus. Ich fand mich in diesem Song sowas von wieder, ich weiß auch nicht. Es gibt so vier oder fünf Songs aus dieser Zeit, die ich immer bei mir habe. Und wenn ich die höre, ist mir wieder so und ich weiß genau, was damals passiert ist.

Nun hat man das Gefühl, dass Ihr mit dem neuen Album medial überall irgendwie präsent seid. Für mein Empfinden mehr, als bei den VÖs Eurer letzten Platten. Trügt der Schein oder ist das wirklich so?
Es liegt wahrscheinlich daran, dass wir das letzte Album "Bigger" selbst und unter eigener Regie gemacht haben. Wir hatten MULTI RECORDS, das ist ein kleines Brandenburger Label und dahinter steckte nur ein Mann. Der war der vierte Teil, ihn nahmen wir dazu und haben alles gemeinsam finanziert. Wir steckten einen Großteil unseres bis dahin verdienten Geldes in dieses Album,aber selbst das hat nicht dazu geführt, dass das Album so viele Menschen erreicht hat, wie es jetzt gerade schon der Fall ist. Das macht uns froh, aber letztendlich liegt es wahrscheinlich auch am Material. Vielleicht war es einfach nicht groß genug, es gab keine Single, keinen richtigen Aufhänger, ich habe keine Ahnung. Obwohl "Louise" eigentlich ganz gut gelaufen ist. Ich habe denselben Eindruck wie Du. Mal sehen, was noch passiert ...

Ihr seid wieder bei einem großen Label, nämlich Universal und dem Label Airforce1. Wie kam es denn dazu?
Das lag daran, dass ich einen Termin mit Joe Chialo, dem Chef von Airforce1 Records gemacht habe. Der sitzt quasi um die Ecke am Hackeschen Markt. Ich spielte ihm die ersten Songs vor, die noch mit einem englischen Text versehen waren. Er hörte es sich an, war interessiert, sagte, dass er unsere Geschichte mag und fragte mich, wie es aussähe, wenn ich mal deutsch singen würde und mir fiele doch bestimmt etwas Gutes ein. Und dann dachte ich, "Na ja, weiß ich nicht." - "Du bist doch eine toughe Frau, versuch' es doch mal, Du hast doch was zu sagen." Er piekste mich also ein bisschen an und ich dachte, dann versuche ich das eben mal. Wir nahmen bei Ingo Ploitz auf und ich erzählte ihm davon. Daraufhin rief Ingo bei Joe an und spielte ihm die vier Songs vor. Am Nachmittag rief Ingo mich an und sagte "Wir haben einen Vertrag, ich habe ihn hier liegen." Weißt du, wenn du eine Newcomer-Band bist, dann ist es der absolute Traum, wenn Dir so etwas passiert. Und wir sind alte Menschen und dann kommt so ein Anruf ... Ja, von da an konnten wir weitermachen. Wir hatten freie Fahrt, er sagte in keiner Weise, in welche Richtung es gehen soll, welche Themen angesprochen werden sollen. Er sagte lediglich: "Du machst es mit den Texten so, wie Du denkst, und alles andere mache ich." Das ist natürlich ein Geschenk.

Damit zurück zur Promotion, in der Ihr ja jetzt mittendrin steckt. Wie oft wirst Du bei diesen Interviews und Auftritten nach "Rescue Me" gefragt und gibt es zu diesem Thema eigentlich noch irgendwas als Antwort, was dazu nicht schon gesagt wurde?
(lacht) Ich verstehe es, weil es einfach ein schönes Lied ist. Gerade sind wir auf Radiotour und dieses Lied wird tatsächlich bei allen Sendern, bei denen wir waren, gespielt, das weiß ich. Aber sicher auch dort, wo wir nicht zu Besuch sind. Es ist eine Art Gassenhauer oder Evergreen geworden, da hatten wir wirklich großes Glück. Und das schönste ist, wenn man das selbst geschrieben hat, hat man natürlich auch etwas davon in der Form, dass GEMA kommt und in der anderen Form, dass man sich nicht dafür schämen muss, was man irgendwann mal gemacht hat, sondern dass wir das Lied von Anfang an total geil fanden. Es ist unser Lied. Und ich verstehe auch, wenn andere Menschen es gut finden. Es gibt bestimmt Sachen, die man in seinem Leben macht, wo man hinterher sagt, "Es ist nicht so toll, dass man immer wieder darauf angesprochen wird." Aber der Song ist tatsächlich geil und wenn wir jetzt gerade irgendwo in den Radiosendern sind, die Gitarre dabei haben und wir gefragt werden, ob wir das mal spielen können weil da jemand ist, der das gut findet, dann spielen wir das natürlich. Das ist überhaupt kein Ding. (lacht)

Das ist auch richtig so, trotzdem finde ich ziemlich unfair gegenüber Titeln wie zum Beispiel "Read My Sign". Das war ja auch eine tolle Nummer, könnte man alternativ ja auch mal spielen ...
Das ist richtig. Komischerweise ist es so, dass Menschen, die sich für Musik interessieren oder zumindest mehr als andere, schon von Anfang an gesagt haben, "'Rescue Me' ist cool ... ja ja ... aber 'Read My Sign' ist viel schöner. Irgendwie ist das musikalischer."

Dann lese ich bei meiner Vorbereitung auf dieses Interview die Überschrift, "20 Jahre nach RESCUE ME: Bell Book & Candle sind zurück". Ihr wart ja eigentlich nie weg, habt ununterbrochen gemuggt. Hat die Presse nach der eingangs schon angesprochenen langen Studio-Abstinenz denn trotzdem Recht, wenn sie jetzt von einem "Comeback" spricht?
Naja, ich glaube, es muss einfach ein Aufhänger her. Das ist ja normal und ich bin sehr froh, dass überhaupt darüber geschrieben wird, dass davon Notiz genommen wird. Und wenn dann der Aufhänger sein soll, dass wir zurück sind, dann ist mir das auch recht. Ich werde also jeden Aufhänger vertragen, der dieses Album nach vorne bringt und der ihm Aufmerksamkeit beschert. Du weißt ja, es ist so megaschwer, es gibt so viele gute Musik und so viele gute Musiker und so wenige schaffen es, bemerkt zu werden. Natürlich gehört da in erster Linie Glück dazu, wie ich finde, aber natürlich auch Können. Dann kommen noch so viele andere Faktoren dazu. Aber in erster Linie ist es - glaube ich - Glück, dass sich die nächste Tür öffnet und dann noch eine und man irgendwann an dem Punkt ist, an dem man sagt, "Da wollte ich mal hin" oder " Das war mein Traum." Und wenn das eben darüber stehen muss, dann ist es okay. Dass wir nicht weg waren, wissen wir und es wissen viele Leute, die uns verfolgt haben, aber das wissen bei Weitem nicht alle. Also der größte Teil der Deutschen, die haben das ganz sicher nicht auf dem Schirm und erinnern sich möglicherweise an das eine Lied und das war es dann auch schon. Das ist aber natürlich auch dem Internet geschuldet, das es damals noch nicht gab. Es gibt niemanden, der uns aus der Zeit folgt, es war auch eine komische Farbe, es war eben der Anfang. Wenn danach kein Hit mehr kommt ist es normal, und es ist auch nachvollziehbar und völlig in Ordnung.

Du sagst es ... BBC hat in einer Zeit losgelegt, als es Viva und MTV noch gab. Ihr habt Euch in zwei Musiksendern im TV ganz wunderbar präsentieren und Eure Musik so verbreiten können. Viva gibt's inzwischen nicht mehr und MTV läuft meines Wissens nur noch hinter'm Vorhang - also verschlüsselt. Wie macht Ihr diese Werbung in eigener Sache heute?
In der heutigen Zeit ist es ganz gut, wenn man ein Label hat, welches genau weiß, an wen man sich wenden muss. Wir zählen noch immer auf's Radio und deshalb machen wir auch eine Radio-Tour, die - wenn auch nicht an jedem Tag - über mehrere Wochen geht. Aber man bedient natürlich alle Medien, wir haben ganz viele und auch schöne TV-Sendungen und wir hoffen, dass das auch viele Menschen erreicht. Auch die, die nicht jeden Tag im Internet unterwegs sind. Wenn ich meine Eltern sehe oder eben auch andere Leute in unserem Alter, die streamen nicht gleich alle, sondern gehen auch einkaufen und sehen fern. Der herkömmliche Weg ist für uns also auch der, den wir kennen. Aber wir sind für alles offen und lernen auch noch ... (lacht)

BBC war anfangs ein Trio, dann kam hin und wieder mal ein Gastmusiker dazu. Seit einiger Zeit sitzt Dein Sohn Tom auch an den Trommeln. Ist BBC inzwischen offiziell ein Quartett oder firmieren die schon länger bei Euch spielenden Kollegen immer noch als Gäste?
Es sind Gastmusiker, obwohl Holger schon fast von Anfang an dabei ist. Er war ja Sänger bei ROSALILI und ist natürlich auch ein Freund. Lukas an den Keyboards, der vor vier Jahren aus dem Sauerland kam, ist ebenfalls mittlerweile ein Freund. Aber trotzdem bleiben wir zu dritt, das wird nicht geändert.

Ihr geht jetzt auf eine kleine Tour, die im April startet. Wo wird es Euch hinziehen?
Wir haben - glaube ich - 10 Termine in Mecklenburg, Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, dort wird es in Erfurt sein. Also erst mal auf der östlichen Seite und im Herbst wollen wir auf die westliche Seite, wo wir jetzt auch gerade mit dem Radio angefangen haben. Dort ist offensichtlich die Hörerschaft sehr groß, die auch verlangt, dass wir da auch live spielen. Jetzt beginnen wir schon mit einigen Radioshows. Wir haben natürlich auch in den Jahren vorher schon dort gespielt, sind aber eben eher im Osten beheimatet, da wir aus Berlin kommen. Und das liegt nun mal im ostdeutschen Teil. Wir liefen dort wohl auch desöfteren im Fernsehen und es gestaltete sich mit den Konzertterminen so super, dass wir das erst mal so machen werden. Und dann sehen wir mal, wie es mit dem Album läuft und wo es hingeht.

Aber wir aus den verbrauchten Bundesländern dürfen uns trotzdem auf Euch freuen im Herbst?
Ja. Wenn wir in den Jahren zuvor dort unplugged spielten, war es zum Beispiel in Baden-Württemberg so, dass wir das Gefühl hatten, die Menschen dort verstehen uns sehr gut. Die Kritiken fielen stets sehr nett aus. Der Tenor war, dass da keine Eintagsfliege spielte, sondern eine echte Band. Und das macht mich sehr glücklich. Die Offenheit und Unvoreingenommenheit uns gegenüber gefällt mir sehr gut.

Im nächsten Jahr feiert Ihr 25-jähriges. Wird es das was in Sachen Geburtstagsparty geben? Habt Ihr was geplant?
Nein, da ist noch nichts in Planung. Das Gute ist ja, wir haben uns 1994 gegründet und 1997 den Hit gehabt, insofern hätten wir gute Gründe, verschiedene Jubiläen zu feiern. Wir sehen mal, ob wir zum 25-jährigen etwas machen, hört sich auf jeden Fall gut an, klingt aber auch echt ganz schön alt oder? (lacht) 25 Jahre noch nie getrennt, das ist schon auch lustig. (lacht)

Wenn Du auf die vergangenen 25 Jahre zurückblickst: Würdest Du heute alles noch einmal genauso machen oder gibt es Kapitel in der Bandgeschichte, deren Anfang Du heute am liebsten ganz anders schreiben würdest?
(denkt nach) Nein. Ich glaube, es ist alles okay, obwohl ich noch nicht wirklich darüber nachdachte. Ich bin eigentlich ganz zufrieden mit dem Leben und wie der Plan so gelaufen ist. Ich bin froh, dass wir eine Struktur und gewisse Gleichförmigkeit erreichen konnten, in der man spielt, dann schreibt, dann wieder spielt. In den Anfangsjahren war das bedeutend krasser. Und wir sind alle recht ausgeglichen und deshalb sollte man - glaube ich - nichts verändert haben wollen.

Wir sprachen ja gerade über diese Überschrift von wegen "wieder da". Ihr seid fast 25 Jahre im Geschäft, nehmt Platten auf und geht auf Tour ... Gab es in all der Zeit möglicherweise mal Auflösungserscheinungen oder Müdigkeit, mit der Bandarbeit weiter zu machen?
Naja, man ist nicht immer einer Meinung. Henne und ich haben uns vor 17 Jahren getrennt und da stellt man sich schon die Fragen, "Wie macht man weiter? Kann man noch zusammen arbeiten?" Wir bauten aber ein Verantwortungsbewusstsein Andy und auch unserem Sohn gegenüber auf, wobei es schon etwas schwieriger war, die Konzerte zu machen. Und es war für vielleicht ein halbes bis ganzes Jahr eine etwas angespannte Situation. Aber es wurde dann wieder alles gut. Wir haben beide relativ schnell wieder neue Partner gefunden, die wir auch noch haben, die uns unterstützen und nicht rumnerven. Es gibt ja immer neue Leute, die dazu kommen, gerade eben auch in einer Partnerschaft, wo der Partner, der außenstehend ist, dann Fragen stellt wie "Warum kommst du nachts nicht nach Hause?", "Warum müsst Ihr denn im Hotel sein? Du könntest in zwei Stunden doch auch zu Hause sein." Alle solche Sachen stellen sich für uns nicht, weil wir tolle Partner haben. Deshalb können wir das auch noch so gut machen, wie wir es eben machen.

Eine Frage noch zum Abschluss: Wir, die wir mit BBC alt geworden sind, sind das im wahrsten Sinne des Wortes. Du hingegen wirst irgendwie nicht älter, womit Du Dir sicher nicht nur meines Neids sicher sein kannst. Nun mal raus damit, bevor es die Boulevard-Presse heraus findet: Wurde Jana Groß in der Zwischenzeit bei BBC durch ihre - der Öffentlichkeit bisher vorenthaltenen - Tochter ersetzt, oder was ist da los?
(lacht laut los) Das ist aber süß! Vielen Dank. Das ist aber eine reine Äußerlichkeit. Ich bin natürlich froh darüber, dass das alles so gut läuft und ich nicht total zerknittert bin oder irgendwie aus dem Leim gehe, weil viele in meinem Alter natürlich auch schon mit hormonellen Umstellungen zu kämpfen haben. Bei mir ist noch alles im grünen Bereich, aber ich rechne jeden Tag damit. Und wie ich las, hat Sandra Bullock gesagt: "Man altert über Nacht und irgendwann stehst Du früh auf und denkst, na super." Der Punkt war bei mir noch nicht, es ist alles cool und ich versuche, dranzubleiben, dass es weiterhin okay ist. Wenn ich alles in Maßen mache, aber ich mache es. Ich rauche, ich trinke auch Wein, aber ich versuche, mich zurückzuhalten und ich versuche auch, zwei Mal in der Woche laufen zu gehen. Das ist auch schon alles. Der Rest ist - glaube ich - Vorlage. (lacht)

Dann möchte ich Dir und Deinen Musikanten an dieser Stelle alles Gute und viel Glück für die Platte und die Tour wünschen und bedanke mich für die Zeit und dieses Gespräch.
Danke! Ich bedanke mich für Dein Interesse, es waren wirklich sehr schöne Fragen. Bis bald, Christian!



Interview: Christian Reder
Bearbeitung: MB
Fotos:  Sandy Reichel