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Interview vom 13. Februar 2018



Wenn Lieder zu Menschen kommen, um sie zu berühren, wenn Texte durchdacht sind und nicht nur krawallig, dann findet solches selten in der Aufmerksamkeit der "Vielen" statt. Muss es auch nicht. Viel wichtiger ist es, es zu tun. Stephan Krawczyk bekommt gerade von Freunden eine Audiographie seines Schaffens geboren. Der Länderwanderer und Sensible freut sich darüber. Und hat etwas zu erzählen. Hier im Gespräch:




001 20180214 1454587006Am 3. März 2018 kommt es in der Moritzbastei zu Leipzig zur offiziellen Geburt Deiner Audiographie "Wenn die Wasser Balken hätten". Was soll das denn sein, so eine Audiographie?
Es ist so etwas wie eine Biographie, aber eben auf Audio-Basis, von lateinisch audire "hören". Es musste ein Wort her, das die Intention ausdrückt, einen Überblick über mein Werk als Liedermacher zu geben. Die Lieder auf der CD sind ja innerhalb von fünfunddreißig Jahren entstanden. Das älteste, "Lied vom Clown", ist von 1982, das jüngste, "Bitte", vom vergangenen Jahr. Diese große Zeitspanne soll der Untertitel "Audiographie" verdeutlichen.

Das gute Stück erblickt die Welt, weil Benjamin Weinkauf und Johannes Kirchberg als Hebammeriche fungierten. Kannst Du uns etwas darüber erzählen, wie es zum Album kam?
Es wird erzählt, dass sich auf einer Insel in der Ostsee namens Hiddensee zwei gute Freunde trafen, die sich für den Gedanken erwärmten, mich zu einer Werkschau zu ermuntern. Einige meiner Lieder begleiten sowohl Benjamin als auch Johannes schon seit ihrer Jugend. Als mir Benjamin am Telefon von der Idee erzählte, empfand ich es als eine sehr schöne Geste mir gegenüber. Hört man in die öffentlichen Klangräume, ist die Liedermacherei nicht merklich vertreten. Der alltägliche Liedermacher denkt natürlich adäquat, was sein Glücksgefühl dämpft. Lärm allerorten, Dummheit in den Texten, wenn sie schon mal verstanden werden, noch dazu in der Muttersprache. Die Momente des Zweifelns überwiegen plötzlich. Aber dann schlägt die Welle um: Benjamin ruft an und fragt: "Was hältst du davon ...?" Ich erfuhr, dass Johannes mit im Boot ist, sogar als Kapitän des Schlachtschiffs, wie ein Label in den heutigen Kämpfen darum, sich Gehör zu verschaffen, durchaus genannt werden kann. Im Krieg um die Ohren ist Johannes besser aufgestellt als manch große Firma, denn er ist selber Liedermacher und kennt die Wege wie die alte Katze der Rockgruppe KARAT.

Wie muss ich mir den Entscheidungsprozess, welche Lieder mit aufs Album kommen, vorstellen?
Die erste Begegnung von uns Dreien war in meiner Küche, zuerst klingelte Johannes, wir kannten uns nur von kurzen Gesprächen, in der halben Stunde, bis Benjamin kam, hatten wir uns schon angefreundet. Es ist schön, wenn etwas, das entstehen soll, von sympathischen Leuten begleitet wird. Der Wert einer CD ist schon im Weg, der zu ihrer Herstellung führt, enthalten. Ich hatte Blumenkohlsuppe gekocht, die Benjamin, glaub ich, besser geschmeckt hat als Johannes. Die beiden sagten, welche Lieder sie sich auf der CD wünschen, und ich spielte ihnen meine Produktionen vor, die ich in meinem kleinen Studio "canor" (lateinisch "Klang") mit verschiedenen Instrumenten bei feiner Technik angefertigt hatte. Die Produktionen sind ziemlich modern oder besser unkonventionell. Obwohl ich alles allein eingespielt habe, klingt es doch recht musikantisch. Ich hatte den Eindruck, als hätten meine Gäste Freude daran. Einige Tage später habe ich einen Vorschlag über die Titelliste gemacht: Was sind die Lieder, die in ihrer Zusammenstellung sowohl die Vergangenheit meines Schaffens als auch die Gegenwart zeigen?

Du verfolgst sicher auch die derzeitigen Entwicklungen in diesem Land. Woran, denkst Du, liegt es, dass die Fronten sich derzeit so verhärten? Ich hatte das Gefühl, dass wir vom humanistischen Standpunkt her schon weiter waren ...
Klar, am weitesten waren die um die Wende zwischen 18. und 19. Jahrhundert. Seitdem gehts bergab - grob gesagt, dann noch der 31-jährige Krieg von 1914 bis 1945, da musst du schon sehen, wie du deine Seele bei Laune hältst. Die Vermassung mit Anspruch auf Individualität mündet automatisch in Unsinn. Sich dem zu entziehen und dennoch nicht zu vereinsamen, also in Schöpfersaft und -kraft die gegebene Zeit als einzige Möglichkeit zu begreifen, obliegt jedem selbst. "Ich lebe auf der Erde, / weil ich hier sterben werde. / Mach nicht so'n Gesicht, / als stürbest du hier nicht." Es war zu erwarten, dass die Globalisierung letztlich ins Chaos führt, das Prinzip der Ausdehnung ist vielleicht für's All günstig, für die Ausbreitung einer Art in einem durch Schwerkraft geschlossenen System ist es das nicht. Der Größenwahn wird uns töten. Aber die Zeit bis dahin soll für mich und Gleichgesinnte eine klingende Zeit sein. Eine Zeit, in der Schönheit ist, weil ich jetzt lebe und nicht nach dem großen Knall. Wir leben in einem ungerechten System. Nietzsche hatte recht, als er die Welt als Wille zur Macht beschrieb. Das haben wir nun davon. Es ist wie im Tierreich, der Stärkere gewinnt. Bei den Menschen ist allerdings Recht im Spiel, das macht die Sache noch unangenehmer.

Das letzte Mal trafen wir uns zu einem Deiner Konzerte in der Markthalle in Leipzig-Stötteritz bei Achim Richter. Es war ein äußerst bewegender Abend für mich, mit zwar recht wenigen Zuhörenden, aber dafür mit Hochinteressierten. Nun werden wir gemeinsam auf der Bühne sein. Damals lebtest Du ein sehr minimalistisches Leben, hast Dich von Besitz freigemacht. Frei nach dem Motto von Udo Lindenberg: "Freiheit ist, seinen Bedürfnissen ebenbürtig zu sein." Wie lebst Du heute? Eine große Villa am Park mit Pool und Dienerschaft wird es ja sicher nicht sein.
Ich bin alleinerziehender Vater, Zweiraumwohnung, altes Auto. Letztes ändert sich infolge rasanten CD-Absatzes schon bald! Mein Sohn wird im April vierzehn. Die Kindheit ist vorbei, die Jugend bricht hervor, Spätfrühling in der Ewigkeit des eigenen Lebens. Welche Früchte werden geerntet? Rätselhafte Zeit. Letztens prophezeite mir einer, ich würde noch mal heiraten: Aller guten Dinge seien drei. Es kann heiter werden. Kerstin vom Stern hat zweimal gesagt, ich sei der reichste Mensch den sie kenne. In der Berliner Zeitung stand letztens, ich sei ein armer Künstler, versuchte aber, es meinen Sohn nicht spüren zu lassen.

004 20180214 2068973777Im Inneren des Albums sagst Du zu den Songs immer ein, zwei Sätze. Zum Song "Heute" verweist Du auf einen Vers, den Du schon oft in Gästebücher geschrieben hast: "Mit den Farben unserer Stunden malen wir ein Bild von Gott." Da muss ich einfach nachhaken: Wieviel Gottglauben ist da in Dir? Ich persönlich glaube nicht an ein höheres, einschreitendes Wesen, welches Rettung bringen könnte. Hat Gott überhaupt noch Macht? Oder sind es die Algorithmen?
Die sogenannte Menschheit wird leider dazu missbraucht, den Reichen das Leben zu verschönern. Wenn es schöner nicht mehr geht, wird die Menschheit abgeschafft. Dann muss es genügend Roboter geben, die den Dreck wegräumen. Faustregel: Es darf nicht so viele Roboter geben, wie nötig sind, um den Dreck wegzuräumen, denn dann bedürfte es der Menschheit nicht mehr. Schwarzsehen ist das neue Hellsehen. Das hat mir ein polnisches Schneiderlein geflüstert. Spaß beiseite. Ich muss aufpassen, dass ich nicht vollständig in den Abwarte-Modus umswitsche. Wir malen mit den Farben unserer Stunden ein Bild von Gott, wenn wir Gott als das Prinzip begreifen, Schönheit zu schaffen, Seele zu zeigen, einen guten Einfluss auf das Große Ganze auszuüben, und sei es durch das Denken der richtigen Gedanken. Wir selbst sind das höhere, einschreitende Wesen. Solange wir das nicht erkennen, werden wir im Kleinklein herumstänkern, in den Algorithmen, in den Molekülen, in den Genen. Der Faustische Mensch sollte nicht länger unser Anführer beim Fortschreiten sein.

Du hattest einstmal den Ruf, der Schreihals der Opposition zu sein. Ich fand diese Einschätzung schon immer völlig verfehlt, schließlich war die Position des Schreihalses auch schon besetzt mit einem viel Lauteren und Aggressiveren. War das eigentlich anstrengend, wenn so viele Menschen ein Bild von einem haben, welches ja nicht wirklich stimmt - und dann bestimmt auch mit Erwartungshaltungen Dir gegenübertraten?
Ja, es ist anstrengend, aber nicht nur das. Es nervt regelrecht. Mittlerweile versuche ich keine Gefühle mehr darauf zu verschwenden. Die Leute reagieren halt innerhalb ihres Verständnishorizonts auf so etwas wie mich. Was wissen sie, wovon sie denken, dass sie damit alles wissen? In den letzten Jahren scheint sich dieses festgefahrene Bild, das von mir existiert, zu bewegen. Immer häufiger kommen Leute nach den Konzerten zu mir und sagen, wie schön es war und wie gut es ihnen getan hat. Nach einem der Konzerte, es ist gar nicht so lange her, sagte ein Mann um die Siebzig: "Unübertrefflich." Ich freue mich noch heute darüber. So was bleibt.

Ich lese gerade Dein Buch "Der Himmel fiel aus allen Wolken", ein sprachlich weises und warmes Buch. Hat das Buch eigentlich seine Leserschaften gefunden? Ich schreibe ja selber und quäle mich öfter herum mit dem Literaturbetrieb. Zwischen all dem Krach ist so selten Einkehr. Alles so schlimm bunt hier. Gibt es Momente, in denen Du den Stift einfach mal weglegen willst? Rimbaud hat ja auch irgendwann aufgehört. Ich trage mich immer wieder einmal mit diesem Gedanken, weißt Du?
Ich nicht. Es ist mir ja eine Freude, etwas aus dem Ungesagten ins Wort zu holen, und was man geschrieben hat, kann man getrost nach Hause tragen. Zum Beispiel letztens, einer meiner Vierzeiler des Genres "Sekundenlyrik": "Hat das Glockenläuten / Schlimmes zu bedeuten? / fragt sich der Muslim. / Nein, ist halb so schlimm." Mit so einem Vers hebst du dich über diese ganze hirnverbrannte Logik des öffentlichen Sprachstreits, an dessen Ende Gesprächophobe stehen. Ich habe keine Lust mehr auf jene Geistesarmut, die den öffentlichen Raum besetzt. Um so höher ist die Lust, etwas zu finden, über das nicht nur ich herzlich lachen kann, sondern, zum Beispiel, auch mein guter Freund, der Flötist Mila Morgenstern. "Der Himmel fiel aus allen Wolken" ist in der EVA erschienen (Evangelische Verlagsanstalt). Kaum war es veröffentlicht, hat der Besitzer des Verlages gewechselt, und der hat den Titel nicht ins neue Verlagsprogramm übernommen. So hielt sich die Leserschar in Grenzen. Aber die es gelesen haben, freuen sich wie Du über des Buches Atmosphäre.

Kirchberg sagte in einem Interview mit mir über Dich: "Ich denke, er hegt keinen Groll." Wie ist das? Wie entspannt bist Du wirklich? Reißt Dir auch einmal die Hutschnur? Und wenn ja, wann?
Da hat Johannes recht. Es wäre schlimm, müsste ich Groll hegen. So was kann man sich ja nicht raussuchen. Wenn man so ist, dass man Groll hegen muss, bleibt dir nichts anderes übrig, als Groll zu hegen und zu pflegen, bis der Groll groß ist und stark und dir am laufenden Band in die Magengrube schlägt, bis du Geschwüre kriegst. Nein, da habe ich Glück. Meine Erfahrungen haben hoffentlich sämtlich dazu geführt, mich besser im Leben zurechtzufinden. Fragst du nach dem Grad meiner Entspanntheit, antworte ich lässig: "Tiefenentspannt."

Im Wiki-Lexikon las ich, dass zwischenzeitlich 80 (!) Stasi-Spitzel auf Deine ehemalige Frau und Dich angesetzt waren. Das muss man sich einmal vorstellen. 80! Ist das überhaupt greifbar, rein intellektuell? Ich bin da soweit weg davon, ich kann mir da kein Bild von machen.
Ich auch nicht. Manchmal äußerte ich mich kabarettistisch dazu: Man müsste mal ein Spitzeltreffen organisieren, eine Art Klassentreffen für eine ganze Jahrgangsstufe. Jeder von den Spitzeln hatte einen bestimmten Teil von mir zu bespitzeln, der eine den linken Arm, der andere den rechten großen Zeh ... Hinterher lacht man drüber. Aber nur gemeinsam mit welchen, denen der Kommunismus ebenso die Zähnen gezeigt hat, und die eine gewisse Leichtigkeit im Umgang damit erlangt haben.

Wenn Du am 3. März 2018 in die Moritzbastei kommst, kommst Du da alleine?
Falls du damit eine Begleitperson meinst, kann ich die Frage, soweit das heut' schon zu sagen ist, bejahen. Aber sicherlich werden einige Bekannte unterm Publikum sein. Benjamin und Johannes sind auch da, und du, Volly, kommst ja auch. Also von "allein" kann eigentlich keine Rede sein.

Ich durfte letztes Jahr live vor Publikum anderthalb Stunden mit Roland Jahn über sein Leben reden. Ihr kennt Euch ja aus zurückliegenden Jahren. Er ist mittlerweile recht angesehen als Bundesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen. Seht Ihr Euch noch?
Das letzte Mal traf ich ihn zum großen Reformationsempfang im Schauspielhaus vor anderthalb Jahren. Da wollte er unbedingt wissen, woher ich mein Jackett habe. Das hat so einen raffinierten Stehkragen. Und dann hat er mich noch mit zwei ranghohen Funktionärinnen bekannt gemacht, damit ich diese Kontakte für mein Fortkommen nutzen möge. Die Funktionärinnen hätten sich etwas mehr für meine Sache ins Zeug legen können. Roland hat offenbar zu gut von ihnen gedacht.



Interview: Volly Tanner
Bearbeitung: cr
(Februar 2018)






 

 


   
   
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