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Interview vom 26. Februar 2017



Das Jahr 1982 war das Jahr der Gruppe SPLIFF. Im Januar erschien das Album "85555", im November mit "Herzlichen Glückwunsch" eine weitere Langrille innerhalb kürzester Zeit. Single-Hits mit "Déjà Vu", "Carbonara" und "Das Blech", sowie eine erfolgreiche Tournee komplettierten die Erfolge und den vollen Terminkalender einer Band, deren Teil auch Herwig Mitteregger war. Viele Songs der beiden Alben stammen aus seiner Feder, wurden zudem auch von ihm gesungen.001 20170226 1798303840 Und bei all dem Stress, den der Erfolg von SPLIFF so mit sich brachte, fand der singende Drummer noch Zeit, an seinem ersten Solo-Album zu schrauben, das nur ein Jahr später unter dem Titel "Kein Mut, kein Mädchen" erscheinen sollte. Das ist nun 35 Jahre her und in diesem Monat ist Herwigs neuntes Studio-Album "Sol Mayor" erschienen. Inzwischen ist alles eine Nummer kleiner als damals, und die Fans warten nun schon seit 20 Jahren auf eine Konzertreise des Künstlers, der als Perfektionist gilt und deshalb hohe Ansprüche an sich und das stellt, was er abliefert. Egal ob im Studio oder auf der Bühne. Sein "Sol Mayor" ist über alle Zweifel erhaben. Da steckt Qualität drin, da steckt Mitteregger drin. Dieses "Sol Mayor" war mal wieder Anlass, sich mit HERWIG MITTEREGGER zusammenzusetzen und über sein neustes Werk zu unterhalten. Aber dabei blieb es nicht, denn es gibt noch mehr, über das man sprechen kann und muss. Man darf gespannt sein, welchen Verlauf dieses Jahr nehmen wird. Möglicherweise wird 2017 ja sogar das Jahr des HERWIG MITTEREGGER ...




"Insolito" und "Fandango" waren 2008 und 2009 zwei Alben, die innerhalb kürzester Zeit erschienen sind. Dafür hast Du sogar ein eigenes Label gegründet, als Du aus Spanien zurückgekehrt bist und Dein Comeback gegeben hast. Warum ließ die neue Scheibe, also "Sol Mayor", ganze acht Jahre auf sich warten? Erlebst Du etwa nix mehr?
Sehr schöne Anspielung auf den letzten Song auf der Scheibe, Herr Reder! Sehr schön! Sie haben das Buch also bis zu Ende gelesen! Ich bin begeistert! (lacht) Ich kann nicht sagen, dass mein Leben in den letzten Jahren öde und leer gewesen wäre. Allein wenn Du ein schulpflichtiges Kind hast und täglich verfolgst wie hier Bildung betrieben wird, hält es Dich schon in Atem. Was sich dieses Land an Bildungspolitik leistet ist der Brüller! Dann kommt die Frau an meiner Seite mit der Idee sich selbständig zu machen, und ich finde mich als bauleitender HiWi auf einer Baustelle wieder, wo die Nachbarn durchdreh'n und das Bauamt keinen Plan hat...!003 20170226 1235022930 Auf der Baustelle sieht es aus wie Beirut 1982, aber die Handwerker haben genug Bier und fragen mich nach Spider Murphy. Dann steige ich irgendwann auf mein Motorrad und sehe den Sand auf der Straße nicht rechtzeitig, breche mir den Knöchel und kann mich wochenlang nur auf allen Vieren bewegen, weil der Bruch als solcher auf dem Röntgenbild nicht erscheinen wollte. Ich ramme mir also todesmutig die Thrombose-Spritzen in die Bauchfalte, liege auf dem Sofa und checke die Trommler auf YouTube. Ich verzweifle weil die alle so gut sind und sogar Wirbel mit nur einer Hand spielen können. Kaum bin ich wieder fit kommen die Todesmeldungen. Erst Manne Praeker, dann meine Mutter nach einer elendig langen Leidenszeit. Ein Generve mit einem sog. Alleinerben des Kollegen geht los, und ich darf Akten scannen bis der Drucker streikt. Parallel dazu, und schon vorher, die ewig schlechten Nachrichten über den Musikkonsum und die bekiffte Piraten-Partei mit ihren putzigen Zukunftsvisionen. Ans Musikmachen war gar nicht mehr zu denken, man will eher eigentlich lieber gar nicht mehr damit anfangen. Aber ich habe locker schon 57 Mal aufgehört... und wieder angefangen. Und auch diesmal geht der Anfall vorüber. Dass die Tage bei dem ganzen Rauf-und-Runter immer schneller vorbeirasen kommt noch dazu. Langweilig war mir jedenfalls nicht und den Einhandwirbel habe ich jetzt auch drauf.

Es ist ja bekannt, dass Du ein Perfektionist bist. Vermutlich wirst Du wieder eine ganze Weile an dem Album geschraubt haben bis es war, wie Du es Dir vorgestellt hast und wie es jetzt ist. Kannst Du dem Entstehungsprozess von "Sol Mayor" einen zeitlichen Rahmen geben? Wie lange hat es letztlich gedauert, bis das Album im Kasten war?
Schwierig. Weil ich vieles, was ich über die Jahre als Fragmente aufnehme, immer mal in einem anderen Zusammenhang ausprobiere. Dass ich tatsächlich wieder auf eine Scheibe hin arbeite habe ich erst Anfang 2016 gemerkt. Kurz davor hatte ich schon eine sehr gute Phase in der "Schmetterling", "Messi" und "Davon" entstanden. Aber da waren die Texte noch nicht so, wie ich sie haben wollte.

002 20170226 1333422416Vor einigen Jahren musste man sich für die Aufnahmen einer neuen Platte noch einen Termin im Studio besorgen, sowie Leute mit passenden Instrumenten und zweckdienlichem Talent zusammentrommeln, um mit denen dann in einem Rutsch die Songs aufnehmen. Das läuft bei Dir heute alles völlig anders. Erzähl bitte mal, wie Du heute arbeitest?
Naja, also ich werde morgens wach und eine Stimme sagt: Meister, gehe hin und spiele die Gitarren! - Nein ernsthaft, es funktioniert fast so, als würde ich den Studiomusiker einbestellen um mit ihm ein paar ernsthafte Tracks zu produzieren. Nur, dass ich mich halt selbst einbestelle. Und das kann ganz lustig sein, ist es aber meistens nicht weil der Produzent feststellt, dass der Mucker nicht genug geübt hat. (lacht)

Die Ideen und Noten auf "Sol Mayor" sind komplett von Dir selbst in Töne verwandelt worden oder genauer, alle Instrumente wurden von Dir gespielt. Laut Deinem Pressetext nervst Du Dich als Musiker Deiner eigenen Lieder selbst tierisch bei der Arbeit. Ist die Zusammenarbeit zwischen Herwig Mitteregger dem Komponisten und Texter und Herwig Mitteregger dem Studiomusiker wirklich so kompliziert wie Du es dort so augenzwinkernd dargestellt hast?
Es ist der Spaß meines Lebens! Ich vergleiche es mit dem Maler, der sein Bild entwirft, möglicherweise noch mal umskizziert, und es dann mit sehr feinen bis sehr fetten Pinselstrichen und Farben seiner Wahl mehr und mehr vervollständigt. Wobei ich den Vorteil habe, eine Farbe oder ein ganzes Stück des Bildes einfach mal wegzunehmen oder es auszutauschen. Während man in der herkömmliche Studioarbeit damit leben muss, was einmal auf dem Band ist, kann ich jederzeit jedes Instrument schnell neu einspielen und ersetzen.004 20170226 1615895175 Ich habe also alles selbst in der Hand. Und klar, das ist manchmal ein endloses Generve. Es will einfach kein Groove entstehen, oder man hatte die Idee fast schon realisiert, ändert aber mitten drin die Richtung, und dann ist alles auf Band und es ist ... entschuldige meine Ausdrucksweise ... ganz große Scheiße! Aber dafür gibt es Momente, die sind irgendwie ... überirdisch. Da langst Du was an, und es wird gleich ein Universum daraus und funktioniert so wie Du es Dir vorgestellt hast, oder sogar besser. Wenn's läuft, läuft's! Iss komisch, aber isso!

Sind die Lieder auf der Scheibe allesamt in den vergangenen acht Jahren entstanden oder hast Du Dich erst vor Kurzem hingesetzt und die Songs innerhalb kurzer Zeit geschrieben?
Teils teils. Die Gitarren-Chords von "Sommerwind" habe ich locker 10 Jahre mit mir herumgeschleppt, "Hellster Stern" ist komplett vergangenen Juli passiert. Als letztes kam nach ewigen Wochen ununterbrochenem Aufenthalt im Studio "Ich erleb nix mehr". Das Schlagzeug dazu ist ein First-Take. Einfach reingeprügelt, das Zeug! Hatte ich dem Trommler garnicht mehr zugetraut. (lacht)

Welcher Song auf "Sol Mayor" ist der älteste bzw. mit welcher Songidee bist Du schon länger im Kopf spazieren gegangen?
"Für immer" muss so 2010 entstanden sein, als ich in die Stadt reinfahren musste und vor lauter Hagel die Kräne im Hafen nicht mehr sehen konnte. Das Bild hat mich nie wieder losgelassen und ich weiß noch heute genau an welcher Stelle es entstand. Sie sollten dort einen Stein aufstellen: Herwig-Mitteregger-konnte-die-Kräne-nicht-mehr-sehn-Platz. Ahoi! Es gibt ja schon eine Straße namens Herwigredder in der Gegend. Da war der Schildermacher aber betrunken. (lacht)

005 20170226 1004962449Was mir beim ersten Hören besonders aufgefallen ist, sind die jazzigen Töne auf dem Album (z.B. bei "Schmetterling" und "Sieben Gazellen"). Sie ragen dort jetzt nicht wer weiß wie heraus, aber ich nehme sie wahr. Hat sich das da unbemerkt eingeschlichen oder hast Du im Laufe der Jahre einen Hang zum Jazz entwickelt?
Ach, Jazz habe ich schon immer gehört. Angefangen 1971 mit John McLaughlins Mahavishnu Orchestra, Miles Davis, Zawinuls Weather Report, etc. Grade finde ich Jakob Karlzon ziemlich cool. Die besseren Spieler sind halt immer die Jazzer. Und an ihnen orientiert man sich.

Ebenso die beiden Instrumentalnummern "Serenade" und "Drama" muss ich ansprechen. Das ist etwas, was ich von Dir bisher gar nicht kannte, dass Du "textlos" arbeitest. Das zuerst genannte Stück ist fast schon der Klassik zuzuordnen, "Drama" hat eher was Sphärisches und klingt alles andere als nach "Drama". Welche Ideen stecken dahinter?
"Serenade" ist für mich eine Geschichte die sich selbst erzählt. Es wirkt wie eine Betrachtung aus verschiedenen Perspektiven. "Drama" könnte auch "Abschied" heißen. Und manche Abschiede, zumal die Endgültigen von nahen Verwandten, sind ja Dramen ... und es bleiben einem die Worte weg. Ich frage mich sowieso schon seit der Zeit an der Musikhochschule immer wieder, wieso Popmusik ohne Worte nicht auskommen kann. Für mich liegt in Ravels Bolero und den 3 Gymnopédies von Eric Satie mehr drin, als Poplyrik zusammenreimen kann.

Und dann gibt es da wieder eine ganze Menge Lieder, die so typisch für Dich sind. Da nenne ich z.B. "Winnetou". Musikalisch trägt es Deine Handschrift, es rumst ordentlich, die Gitarren sind schön rotzig. Aber ist das wirklich so einfach? Einen Strich drunter und zu sagen, "kannst nix machen", außer mit der Erde zusammen um die Sonne zu ziehen?
Nein, absolut nicht. Im Gegenteil. Der Song ist ein einziger Aufschrei gegen die Rechtsdreher. Uns hat so gegen 1980 ein Konzertveranstalter mit diesem Spruch genervt: "Wir können die Welt nicht ändern, wir können nur mit ihr um die Sonne fliegen!" Das hat mich nachhaltig negativ beeindruckt. Es war nur eine Dekade nach der 68er Revolution, und mitten drin in der Aufrüsterei und den Demos gegen die Pershings.008 20170226 2086346469 Der Typ war gutmütig, hatte aber echt keine Ahnung in welcher Zeit er lebte. Wir sehen gerade, wie einige, meist ältere Herrschaften, meinen, sie müssten das Rad wieder zurückdrehen. Denen ist das alles hier zu fortschrittlich. Sie wollen zurück zu Ausgrenzung, zu unreflektierten Vorurteilen, zu Hass und Intoleranz. Im Song macht der Chef den Lehrling mit autoritären Sprüchen nieder. Ich habe das als Teenie selber noch so erfahren, und möchte nicht, dass mein Sohn das Gleiche wieder erlebt.

Luftig und locker kommt dagegen "Hellster Stern" daher. Eine zeitlos schöne Nummer der man anhört, dass Du beim Schreiben richtig gute Laune gehabt hast. Liege ich da richtig?
Völlig richtig. Es war ein strahlend schöner Tag, die Natur hatte richtig gute Laune, ich dann auch, nachdem das Hammering auf der Klampfe in die richtige Form gekommen war.

Ebenso "entspannt" klingt der Song "Kann ja gar nicht sein". Ein autobiographischer Text oder wessen Gedankenwelt hast Du da eingefangen?
Klar, alles voll autobio! ... mehr oder weniger (lacht). Am Besten finde ich die Zeile, "... ich bin 'ne Choriphäe - ich bin was ich brauch'". Die Zeile ist für die Trumps dieser Welt gemacht.

"All die langen Nächte" ist - wie ich finde - so ein Stück, das auch gut und gerne auf "Immer mehr" hätte drauf sein könnte. Greifst Du beim Komponieren und Arrangieren bewusst auch mal in die Klamottenkiste und entwickelst Ideen von vor 30 oder 40 Jahren weiter?
Nö. Nicht, dass ich wüsste.

009 20170226 1671926917Wer wird in dem Song denn konkret so schrecklich vermisst?
Konkret? Oh je! Du weißt doch, dass ich es mit der Konkretisierung meiner Texte nicht so habe. Wenn es um Trennung geht, brauche ich übrigens keine konkreten Anlässe. Das Gefühl dafür ist seit frühester Kindheit seelenmäßig eintätowiert.

Einige Ohrwürmer sind drauf und insgesamt wünscht man Dir und der Platte, dass sie möglichst viele Menschen erreichen wird. Hoffst Du auf Einsätze im Rundfunk und/oder im TV, oder hast Du die Hoffnung aufgegeben, dass Neues "Made in Germany" noch an überwiegend langweiligem Scheiß aus Übersee vorbei kommt?
Ich überlasse diesmal den Redakteuren zu 100 Prozent die Initiative mein Zeug zu spielen. Wir haben keinen Rundfunkpromoter engagiert. Mal sehen, was dabei rauskommt.

Das Erkunden und Finden von Musik hat sich im Vergleich zu den 70ern bis 90ern, als man noch in Platten- und CD-Läden stiefelte um sich die wöchentlichen Neuerscheinungen anzuhören und zu kaufen, komplett verändert. Würdest Du mir zustimmen wenn ich sage, dass das Internet und die Digitalisierung der Untergang einer kreativen und abwechslungsreichen Musik ist?
Musik ist unstoppbar. Es wird sie immer geben, die Frage ist wieviele Musiker davon leben können, oder ob die Zeiten wiederkommen, wo man sich den Spaß nur noch als Hobby leisten kann. So wie es momentan aussieht steuern wir darauf hin. Wenn Du bei Spotify nur 0,003 Cent pro Stream bekommst, brauchst Du Dir keine Gedanken mehr zu machen ob Du davon leben kannst. Ich habe neulich in anderem Zusammenhang das Wort Brot-Beruf gehört und mich fürchterlich erschreckt.

006 20170226 1654657780Woher nimmt man als Musiker noch die Motivation, eine neue Platte aufzunehmen, Herzblut in die neuen Lieder zu stecken und sich wer weiß was für Gedanken zu machen, wie alles klingen soll, wenn Hinz und Kunz inzwischen Musik streamt oder runter lädt, und nur noch nebenbei "konsumiert"?
Keine Ahnung. In meinem Fall ist es tiefe Verbohrtheit, stein-steirische Dickschädeligkeit und eine hochentwickelte Kunst der Verdrängung.

Ich sag immer "Platte" ... das Album gibt es ausschließlich auf CD. Gibt es Überlegungen, sie auch auf Vinyl zu veröffentlichen? Die Nachfrage nach dem schwarzen Gold ist ja inzwischen wieder beachtlich und auch ich kaufe wieder Schallplatten ...
Das würde ich nur machen, wenn es genügend Nachfrage gäbe. Da muss ich als Labelchef leider mit dem Taschenrechner spielen ... (lacht). Als Musikproduzent, der weiß was für ein Affentanz es ist für Vinyl zu mischen, sage ich: Wenn Du unbedingt Knistern beim Hören von Musik brauchst, kauf Dir einen Kamin. (Lacht)

Die folgende Frage muss eigentlich kommen und Du wirst sie sicher oft gestellt bekommen: Wird es Herwig Mitteregger nochmals live auf einer Bühne, mit eigener Band und Live-Versionen seiner Lieder geben? Immerhin schreien die Songs auf "Sol Mayor" förmlich nach einer Live-Umsetzung ...
Ich schaue jetzt erst einmal wie die CD läuft. Alles andere kommt dann von selbst.

Am lieben Geld scheitern so viele Dinge. Hast Du mal darüber nachgedacht, sinnvolle und zweckdienliche Erfindungen des Internet für Deine Dinge zu nutzen? Es gäbe da ja die Möglichkeit, mit dem sogenannten "Crowdfunding" eine Tour oder ein paar einzelne Konzerte von Fans und Interessierten vorfinanzieren zu lassen ...
Das Wort "vorfinanzieren" sagt doch schon alles. Das bedeutet ja, dass am Schluss abgerechnet wird. Und sollte am Ende ein Minus entsteh'n bleibt irgendwer darauf sitzen. Allein bei der Vorstellung, dass andere dafür bluten sollen, weil in meine Konzerte nicht genügend Leute kommen, lässt mich schaudern. Kommt nicht in Frage.

007 20170226 1218062588Vor knapp fünf Jahren hatten zumindest ein paar Leute das große Glück, Dich zusammen mit Stoppok nochmal live erleben zu können. Du bist u.a. in Nürnberg beim Badentreffen mit ihm und seiner Kapelle aufgetreten. Wie fühlte es sich nach so langer Zeit an, wieder vor großem Publikum aufzutreten? An was erinnerst Du Dich gern zurück, wenn Du an die Tour und das Bardentreffen denkst?
Ich war in Spanien mit der Familie in den Ferien und flog nach Nürnberg. Ich wusste vom Wetterbericht, dass es heiß werden würde. Und es war tatsächlich heißer in Nürnberg als in Spanien. Wir probten in einem engen Raum ohne Klimaanlage. Meine Klamotten waren im Koffer, der unterwegs verloren gegangen war und Dany Dziuk wusste zu dem Zeitpunkt mehr über die Chords im "Deja Vu"-Refrain als mein ganzes Langzeitgedächtnis hergeben wollte. Ich war zig Jahre nicht mehr auf einer Bühne gewesen und als ich dann "Rudi" mit Playback aus dem Walkman hinter mir hatte, war ich erstens leicht überrascht, dass der Vortrag so nicht mehr funktionierte, und zweitens, dass es ab jetzt nur noch besser werden konnte. Wurde es auch. (Lacht) Die Konzerte mit Stefan Stoppok waren Klasse. Er schafft es eine große Vielfalt von Musik und Leuten auf der Bühne zusammen zu bringen. Das Publikum liebt diese Vielfalt und wie er sie präsentiert macht ihm so schnell keiner nach.

Hat es eigentlich auch Anfragen anderer Kollegen gegeben, die Dich mit auf die Bühne holen wollten?
Ja, schon. Ich habe aber kein großes Verlangen danach. Es ist halt etwas anderes mit einer fremdem Band auf einer Bühne zu stehen. Man hat sich gerade warmgespielt, schon ist wieder Schluss.

An dieser Stelle binde ich ein paar Fragen ein, die mich per Mail von Lesern erreicht haben. Sie fragten, ob Dein Besuch für ein Interview zum neuen Album bei Deutsche Mugge vorgesehen ist und ob sie Fragen schicken dürften. Merkst Du eigentlich so ohne "vor die Haustür zu treten" (also den direkten Kontakt bei Konzerten zu haben), dass da noch eine große Fanbasis vorhanden ist?
Nein. Bei den Konzerten mit Stoppok waren einige Fans, aber ich lebe nicht vom Ruhm. Es tut natürlich gut, wenn man Zuspruch bekommt, Lob ist bei mir immer willkommen! Kritik weniger. (lacht) Aber ich habe ausreichend Songs über den bescheuerten Zustand des Popstars geschrieben.010 20170226 1707367051 Ich kenne das, wenn man von einer Tour nach Hause kommt, und keiner stellt einem den Weckruf, keiner macht Dir das Frühstück, keiner fragt Dich was Du brauchst. Musst Du alles wieder selber machen. Besser man gewöhnt sich garnicht erst daran gepampert werden ... mental wie materiell.

Also komme ich zu den vier Fanfragen, die mich erreicht haben: Im vergangenen Jahr haben Blank & Jones Deinen Song "April" gecovert. Wie weit warst Du in diese Produktion eingebunden und gab es auch eine Anfrage, dass Du die neue Version selbst singen würdest?
Nein, singen stand nie zur Debatte. Sie haben mich gefragt, ob sie den Song covern dürfen, was mich gewundert hat, denn covern darf jeder, ausser er verändert wesentlich das Original. Aber das war nicht der Fall, und ich war gespannt aufs Ergebnis.

Ich finde die Version ehrlich gesagt ganz schlimm. Wie siehst Du die Arbeit der Kollegen und wie stehst Du generell zum Covern Deiner und anderer Lieder?
Ganz schlimm? Das klingt ja bitter. Ich nehme nicht an, dass die Jungs den Song nur gemacht haben um jemanden derart zu enttäuschen. Coverversionen haben ihren Reiz und ich sehe sie als Kollegen-Applaus. Neue Interpretationen stoßen aber immer wieder auch auf völliges Unverständnis mancher Fans. Das scheint hier der Fall zu sein. Die Solo-Piano-Version von Blank&Jones finde ich jedenfalls herzzerreißend geil!

Käme für Dich ein Album wie das von Heinz Rudolf Kunze in Frage, auf dem Du Lieder anderer Musiker coverst? HRK hat ja die "Meisterwerke" von Kollegen in eigenen Versionen veröffentlicht.
Kaum, und wenn dann nur anglo-amerikanische und/oder spanische Songs in Originalsprache.

011 20170226 1988180025Gibt es einen deutschsprachigen Song, bei dem Du "neidisch" bist, dass er Dir nicht eingefallen ist?
"Über 7 Brücken" von Karat. Neidisch nicht, sondern respektvoll. Als Wessi habe ich zu DDR-Zeiten des öfteren die Qualität mancher Songs im Ost-Radio bewundert.

Du kannst ja inzwischen auf über 40 Jahre Profimusikerdasein zurückblicken. Ein Leser möchte wissen, ob es Songs aus Deiner Vergangenheit bei Lok Kreuzberg, Nina Hagen Band, Spliff oder solo gibt, zu denen Du heute überhaupt nicht mehr stehst und die Dir vielleicht sogar unangenehm sind.
Alle, bis auf "Schau mir in die Augen, Kleines!", aber das ist von Humphrey Bogart. Scherz! Manche von den alten Songs kommen einem heute schon etwas komisch vor, aber was will man machen? Es klingt eben so, wie wir uns damals vorgestellt haben, dass es klingen müsste. Gleichzeitig sind die alten Songs ja auch Soundtapete unserer Vergangenheit, und die Erinnerungen und Empfindungen von damals sind schlagartig wieder da.

Seit unserem letzten Gespräch ist ja einiges passiert, speziell was die eigene Vergangenheit und den Kollegenkreis von früher betrifft. Wie hast Du z.B. den Tod Deines Spliff-Kollegen Manne Praeker erlebt. Wie hast Du davon erfahren und konntest Du Dich noch verabschieden?
Über Manne sag ich erst wieder was, wenn ich ihn getroffen habe.

Damit dürfte das Thema Spliff-Comeback wohl endgültig erledigt sein, oder?
Wir haben immer gesagt: Entweder alle oder keiner.

014 20170226 1633518198Ein weiterer Kollege, nämlich Potsch, macht nach vielen Jahren wieder Rockmusik und bringt speziell die alten SPLIFF-Klassiker in Rockversionen auf die Bühne. Hattest Du schon Gelegenheit, Dir das anzuhören?
Ich war zum Zeitpunkt der Gigs nicht in Deutschland und kenne die Arrangements nicht. An Coverversionen von Spliff-Songs haben sich schon viele Leute vergeblich versucht. Ich hoffe, dass es Potsch nicht auch so ergeht.

Verfolgst Du die Musikszene aufmerksam oder eher nebenbei? Was gefällt Dir heute persönlich sehr gut und worauf könntest Du in Sachen Musik durchaus verzichten?
Die Musikszene ist nicht unbedingt mein Ding. Nie gewesen. Ich kenne nur wenige Musik-Zeitungen vom Inhalt her und weiß nicht was der letzte Schrei ist. Ich höre verschiedene Musik, klicke mich durch die Online-Musikanbieter und kaufe, wenn mir was gefällt. Verzichten kann ich auf bestimmte Stilelemente aus dem Techno, wie diese immer gleichen Maschienen-Wirbel von langsam auf schnell. Da geht mir jedesmal der Draht aus der Mütze. Na, und dann natürlich auf die manierierte Art zu singen und das Dünnbrettbohrertum der Texte im sogenannten Schlager. Atemloser Stumpfsinn.

In diesem Jahr jährt sich die VÖ Deines Albums "Jedesmal" zum 30. Mal. Sieht Deine alte Plattenfirma eigentlich so gar keine Veranlassung, Deinen Backkatalog mal wieder neu aufzulegen, wie sie es für jeden anderen Künstler auch tun? Solch "runde" Jahrestage sind doch da eigentlich ein beliebter Anlass ...
SONY in München? Gibt es die denn noch? Und wenn ja, wissen die selber, dass es sie noch gibt? Die Industriefirma greift ein Produkt aus dem Backkatalog nur dann wieder auf, wenn der Künstler aktuell viel verkauft. Dann hängt sie sich quasi ran. Da das bei mir nicht der Fall ist - jedenfalls momentan nicht - wird sie den Teufel tun.

Kann man als Fan da irgendwo Druck machen, dass sich da mal was bewegt?
Nach meinen Erfahrungen spielen da ökonomische Faktoren die allergrößte Rolle und der Druck kann eigentlich nur durch den Markt entstehen.

Bevor wir zum Ende kommen: Gefällt Dir das Leben in Hamburg noch oder zieht es Dich schon wieder weg ... womöglich zurück in die Sonne?
Das entscheidet bei uns der Familienrat. Und der hat, soweit ich das übersehe, momentan keine Ambition den Lebensmittelpunkt zu verändern. (lacht)

Ich danke Dir für die Zeit und die Antworten auf meine vielen Fragen. Hast Du zum Schluss noch etwas auf dem Herzen, das Du die Leute da draußen wissen lassen möchtest?
Leute, lasst uns dafür sorgen, dass Europa nicht vor die Hunde geht! Lasst uns den Populisten und Rechtsdrehern zeigen wo ihre Grenzen sind!



Interview: Christian Reder
Bearbeitung: cr
Fotos: Pressematerial (u.a. von Oliver Reetz, Jim Rakete), Archiv Deutsche Mugge (u.a. Gerd Müller)