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Interview vom 1. September 2020



Der Posaunist Konrad "Conny" Bauer feierte im Juli seinen 77. Geburtstag. Ob er diesen Tag - zumal auch noch mitten in der Corona-Kriese gelegen - groß feierte, ist hier nicht bekannt. Zu seinem 75. Geburtstag im Sommer 2018 gab es aber eine große Feier in Form eines Konzertes in der Berliner Christuskirche, bei dem er mit der neuen Besetzung seines Conny Bauer Trios spielte, zu dem neben ihm seit ein paar Jahren sein jüngerer Bruder Matthias Bauer als Bassist und der Schlagzeuger Dag Magnus Narvesen gehören. Dabei präsentierte das Trio ein neues Programm namens "The Gift". Es wurde damals mitgeschnitten und jetzt im Mai als gleichnamige LP veröffentlicht. Im 10" Sonderformat, limitiert auf nur 300 Exemplare und ausschließlich als Schallplatte kommt dieses Werk daher. Wir nahmen diese Platte zum Anlass, nun endlich auch mal Conny Bauer für ein Interview zu uns einzuladen. Schon lange hatten wir das vor, aber jetzt machten wir Nägel mit Köpfen. Der Meister aus dem Bereich des Free-Jazz nahm unsere Einladung an, und in der Unterhaltung zwischen ihm und unserem Kollegen Christian wurde auch ein Blick auf seine bisherige Karriere, den Ausstieg aus "seinem" Zentralquartett vor vier Jahren, seine Zukunftspläne und natürlich auf die eben erwähnte Schallplatte geworfen ...




Bevor wir in Deine Geschichte eintauchen, kurz ein paar Worte zur aktuellen Situation. Wie hast Du die Zeit des Lockdowns überstanden und seit wann kannst Du wieder arbeiten?
Na ja, im März, April und Mai ist einiges ausgefallen, aber ich sprang beim Moers Festival ein, wo alle möglichen Musiker wegen Corona nicht anreisen konnten. Das fand ohne Publikum, nur für die Kameras von Arte statt, und jetzt sind immer mal Konzerte in großen Kirchen, in denen man die Abstandsregelungen einhalten kann.001 20200911 1510360305 Es ist im Moment finanziell etwas schwierig, weil die Veranstalter oft sagen "Wir bekommen nicht so viele Leute rein, wir können deshalb auch nur weniger bezahlen." Aber wir sagen uns: "Hauptsache spielen", damit nicht alles einschläft.

Du sprichst das Thema ja schon an: Bei den Rockern, den Pop-Musikern und den Bluesern ist die Stimmung ziemlich schlecht. Viele fühlen sich von der Politik allein gelassen und einiges wird wohl auch auf der Strecke bleiben. Wie ist die Stimmung in der Jazz-Szene nach dem Spielverbot?
So viele Konzerte habe ich momentan gar nicht. Die Clubs sind ja meistens zu klein, um Abstandsregeln einhalten zu können, aber ich spiele auch eher selten in Clubs. Also jetzt war immer schönes Wetter, da gab es einige Konzerte im Freien. "Musik im Park" oder so ... Das sind zwar für unsere Musik - finde ich - nicht die besten Bedingungen, denn es ist eine Klangmusik und für sie brauchen wir Räume wo etwas zurückkommt. Aber bei den wenigen Konzerten die wir gerade an der Ostsee gespielt haben gab es immer ein dankbares Publikum.

Also ab Herbst wird sich zeigen, was bei Euch los ist ...
Ich denke, der Herbst wird etwas schwieriger, wenn man wieder in die Räume zurückgehen muss. Und ich denke auch, dass es mit Corona nicht so schnell vorbei sein wird. Im Mittelalter haben Seuchen ja auch immer gleich vier Jahre gedauert.

Nun male mal nicht den Teufel an die Wand ...
(lacht) Und damals gab es keinen Tourismus ...

Lass' uns zu etwas Angenehmen wechseln, nämlich zu Deiner Vita. Beim Stöbern und Recherchieren stellte ich fest, dass unser Interview spielend leicht auch ein abendfüllendes Programm werden könnte. Es gibt unzählige Stationen, zig Kooperationen und Gastauftritte von Dir und von dem, was abseits der Musik passiert ist, will ich gar nicht erst anfangen. Bist Du damit einverstanden, dass wir uns bei Deinem ersten Besuch bei uns erst mal auf einige markante Punkte konzentrieren?
Ja, na klar ...

Ich las, dass Du erst mit 16 Jahren begonnen haben sollst, Gitarre zu spielen. Das ist ja ziemlich spät für jemanden, der das mal beruflich machen möchte. Gab es vorher schon andere Berührungspunkte mit Musik und Instrumenten?
Wir sind eine Pastoren Familie gewesen, sangen in Kirchenchören, aber meine Eltern meinten, dass wir nicht musikalisch genug wären, um ein Instrument zu lernen. (lacht) Damit habe ich dann erst später selbst angefangen, ich arbeitete während der Schulferien und kaufte mir von dem verdienten Geld eine Gitarre. Ich habe viel geübt und als sich die ersten Erfolge einstellten bekamen die jüngeren Geschwister Instrumentalunterricht.

Das war ja so um 1959 bis 1960. Was war denn der Auslöser für die Gitarre? Was hast Du damals selbst für Musik gehört?
Ende der 50er Jahre natürlich Rock'n'Roll. In der Kirche gab es höchstens mal einen Vortrag über Gospelmusik von einem Gastreferenten, eigentlich ging es nicht in die Richtung Tanzmusik, das mochten die Eltern nicht so recht. Aber egal, ich habe es ganz einfach gemacht und ich versuchte, die Rock'n'Roll-Stücke von Bill Haley, Elvis Presley oder Little Richard zu kopieren ...

Ich nehme mal an, Du wirst es im Radio gehört und dann versucht haben, auf die Gitarre zu übertragen ...
Ja, erst mal viel Radio gehört, versucht, den Text mitzubekommen und dann konnte man sich von der Kirchengemeinde auch ein Tonbandgerät ausleihen. Ab da nahm ich das Ganze etwas genauer und schrieb die Musik ab. Ich konnte schneller schreiben, als lesen und dadurch lernte ich das Notenschreiben.

Als Du etwas älter wurdest, sollst Du ja in verschiedenen Tanzkapellen gespielt haben und dort nicht nur auf der Gitarre. Erzähle doch bitte mal kurz, wo Du aktiv warst, was Ihr gespielt habt und welche Positionen Du im Laufe der Zeit besetzt hast, denn es war ja nicht nur die Gitarre ...
Die Gitarre war schon mein Hauptinstrument, aber die ganzen 60er Jahre war ich eigentlich eher Sänger. Als ich 1960 anfing, war mein Vater Pfarrer in Sonneberg in Thüringen. Also in einer Kleinstadt, wo ich so mit 15 oder 16 gerne tanzen ging, die Bands aber nicht so toll fand. So fing ich an, mit Freunden von der Oberschule Musik zu machen. Es waren bis 1964 verschiedene Amateurbands mit denen ich zum Tanz spielte.

Wie Deine Kollegen erzählen, waren diese Tanzveranstaltungen immer wesentlich länger, als ein Konzert, wie man es heute kennt. Das ging ja bis zu sechs Stunden und länger. Woher hast Du damals die Ausdauer und Kraft genommen, so viele Stunden anderer Leute Lieder nachzuspielen?
Wenn man zum Tanz spielte, wollte man im Publikum ein wenig Stimmung erzeugen. Daher kam diese Kraft und man wollte natürlich auch gut spielen. Ich probierte dann alle möglichen Instrumente, mal ein geliehenes Saxophon, dann arbeitete ich wieder in den Ferien, kaufte mir eine Trompete und dann hörte ich, dass es in Sonneberg einen guten Posaunenlehrer gibt. Also kaufte ich mir eine Posaune und spielte bei ihm vor. Der Posaunenlehrer Hans Baake war sofort begeistert und meinte: "Sie müssen unbedingt Musik studieren." Ich war schon 18 und er bereitete mich quasi auf ein Studium in Dresden vor.

Im Internet ist zu lesen, dass Du zwischen 1964 und 1968 an der Carl Maria von Weber Hochschule in Dresden studiertest und ursprünglich Gitarre studieren wolltest. Aber der Kurs war voll. Stimmt das?
Ich war ein ziemlich flinker Gitarrist und mit der Posaune hatte ich erst zwei Jahre Unterricht. Herr Baake erklärte mir zwar genau was ich bei der Aufnahmeprüfung machen soll, aber ich glaube, auf der Gitarre war ich viel besser. Das war ja 1964, jeder wollte Gitarre spielen, da es überall mit den BEATLES losging. So gab es in Dresden also über 50 Gitarrenbewerber, aber kaum Bläser. Nachdem ich auf beiden Instrumenten vorgespielt hatte meinte dann die Prüfungskommission, wenn ich mich entschließen könnte, Posaune zu studieren, würden sie mich sofort nehmen.

Wäre aus Conny Bauer statt dem Jazz-Posaunisten möglicherweise der bekannte Rock-Gitarrist Conny Bauer geworden, wenn Du ins Gitarren-Studium gerutscht wärst?
Ich spielte auch während des Studiums noch immer Gitarre bei Tanzveranstaltungen. Es gab in den 60er Jahren kaum Konzerte. Entweder waren es ganz hoch angebundene Veranstaltungen, wie zum Beispiel Louis Armstrong, der für vier Konzerte in die DDR kam oder Mister Acker Bilk und einige Bands aus Holland oder England, die durch die Großstädte zogen. Einmal hörte ich - bevor er weg war - das Joachim Kühn-Trio, aber an eine richtige Konzertszene kann ich mich nicht erinnern. Und um etwas Geld zum Stipendium hinzu zu verdienen, spielten wir eben Tanzmusik. Da spielte ich immer Gitarre, an solchen fünfstündigen Abenden griff ich auch mal zur Posaune, aber eigentlich war ich immer Sänger.

Direkt nach Deinem Studium hast Du Dich gleich dem Manfred-Ludwig-Septett angeschlossen. Trotz des abgeschlossenen Posaunen-Studiums war Deine erste Aufgabe dort wieder die des Gitarristen und Sängers. Wann wurde die Posaune erstmals zur Hauptsache? War das noch bei dieser Gruppe oder später?
Das war dann später. Das Manfred-Ludwig-Septett war ja die Tanzband von Ernst-Ludwig Petrowsky. Das wurde Anfang der 60er Jahre mit zwei Saxophonisten, nämlich Manfred Schulze und Ernst-Ludwig Petrowsky, gegründet. Daher kommt der Name "Manfred-Ludwig-Septett". Die suchten jemanden, hatten mich irgendwo mal gehört und gefragt, ob ich nicht bei ihnen mitmachen wolle. Vorher hatten sie jemanden, der ganz gut Schnulzen und ähnliches singen konnte, aber sie wollten sich etwas modernisieren. Zu dieser Zeit war auch die Soul-Musik ganz frisch. Also James Brown, Otis Redding und so. Die Band hatte auch drei Bläser (Trompete, Altsaxophon und Bariton-Saxophon) und ich nahm dieses Angebot gerne an. Ich wollte auch in der Nähe von Ernst-Ludwig Petrowsky sein, der hatte noch eine Jazzgruppe beim Rundfunk, die bezahlte Proben und Aufnahmen hatten ... (lacht) Dafür übte er immer und da er stets übte, reizte mich das auch, morgens im Hotel schon mal eine Stunde zu üben. Das war sicher anstrengend, denn wir spielten abends ja auch fünf Stunden zum Tanz. Da wurde dann tagsüber also Posaune geübt.

Erinnerst Du Dich noch, wann Du das erste Mal mit einer Gruppe aufgetreten bist?
Ich stieg im letzten Studienjahr auf eine Art Fernstudium um, weil es der Hochschule irgendwie nicht passte, dass ich eben manchmal auch spielte. Da war ich noch bei einer Dresdner Band, die stand immer mit einem Bein im Spielverbot, weil bei ihnen die Fans immer Schlange standen. Wenn wir irgendwo spielten, saßen die Fans schon mittags dort, bevölkerten den Ort und warteten, bis der Abend dann losging. Um das Spielverbot zu umgehen, gingen wir dann in Dresden in die Kakadu-Bar und das ging dann bis nachts um drei. Das war so 1965, als wir Stücke zum Beispiel von den BEACH BOYS kopierten. Da war auch "Baby" Sommer in der Band und er sang auch mit. Nach wenigen Tagen war das dann Stadtgespräch und plötzlich saßen unsere Lehrer da drin, tranken ihren Wein und hörten zu. Die waren natürlich ein bisschen ängstlich und meinten, sie müssten das nun unbedingt der Hochschule melden. Wir bekamen also auch ein wenig Ärger an der Hochschule, woraufhin ich mich dann zum Fernstudium gemeldet habe. Das heißt, ich habe ohne Stipendium weiter studiert. Dadurch war ich zu dieser Zeit schon Profi.

Wie hieß die Band denn damals?
Das war die Uve Schikora Combo. Damals war Uve Schikora noch in Dresden.

Das erste Mal, dass Du als Musiker auf einer Schallplatte zu finden bist, war 1971 auf dem AMIGA-Sampler "Dann bist du da". Darauf enthalten ist der Song "Morgen" vom Manfred-Ludwig-Septett. War das tatsächlich Deine erste Plattenproduktion oder gab es davor schon andere?
Nein, das war keine Plattenproduktion, 1971 war ich gar nicht mehr beim Manfred-Ludwig-Septett. Das Lied entstand, wenn ich mich recht erinnere, 1969. Ich war zu dieser Zeit ziemlich heiser, denn wir spielten die ganze Saison über an der Ostsee in Ahlbeck auf der Seebrücke und ich sang jeden Abend fünf Stunden. Am freien Tag fuhren wir nach Berlin und machten dort einige Aufnahmen, unter denen sich auch dieses Lied befand. Ziemlich heiser, das ganze ... (lacht) Die Stücke auf dieser LP wurden alle vom Rundfunk aufgenommen und AMIGA übernahm sie dann 1971 für besagte LP.

Von Manfred Ludwig ging es dann zur MODERN SOUL BAND ...
Ja und die Band gibt es ja heute noch. Sie spielen noch immer diese alten Hits und nur ein paar wenige eigene Stücke. Außer dem Chef Hugo Laartz ist gar keiner mehr von damals dabei. Teilweise leben sie nicht mehr oder machen keine Musik mehr. Ich war dort über drei Jahre und die Leute waren immer sehr tolerant. Ich fing damals an, nebenbei mit der Posaune freiere Musik, also Free-Jazz, zu spielen und sie sagten immer "Mach' das ruhig, wir nehmen uns auch mal eine Aushilfe, wenn Du nicht kannst." Das fand ich toll, denn es ist nicht üblich. Jeder Musiker findet das, was er selbst macht, am besten… Immer, wenn sie mal wieder ein Jubiläum haben, fragen sie mich, ob ich mitspiele und wenn ich kann, bin ich auch dabei, weil ich wirklich super finde, dass sie damals so tolerant waren.

Wie kamst Du denn damals zu MODERN SOUL?
Ernst-Ludwig Petrowsky bekam im Herbst 1969 das Angebot, zur Radio Bigband gehen zu können. Das Manfred-Ludwig-Septett war ja eine freie Band, die sich selbst managte und eine Radioanstellung war natürlich eine sichere Sache. Als Petrowsky uns dann an einem Tanzabend während der Pause erzählte, dass er das vorhat, sagte ich ganz spontan: "Dann steige ich auch aus." Das war ja eine Dresdner Band und ich fuhr meistens dienstags nach Berlin, weil dort Jam-Session war und ich dort Posaune blasen konnte. So etwas gab es in Dresden nicht. Die Session war in der Nähe vom Ostbahnhof, in dem so genannten "Fredersdorfer Club" in der Fredersdorfer Straße.004 20200911 1070100677 Also ca. 500 Meter vom Ostbahnhof entfernt. Das war einfach, ich fuhr mit dem Zug nach Berlin ging die paar Schritte zu diesem Club und spielte mit den Berliner Musikern. Bei einer dieser Sessions spielte die MODERN SOUL BAND. Als ich erzählte, dass ich beim Manfred-Ludwig-Septett ausgestiegen bin, sagten sie sofort: "Ach, dann kommst Du zu uns!" Sie hatten nur zwei Bläser, also Trompete und Saxophon, und übernahmen mich als dritten Bläser. Ab 1. Januar 1970 hatte Petrowsky dann diese Stelle bei der Radio Bigband und ich wechselte zur MODERN SOUL BAND.

In unserer Redaktion gibt es tatsächlich noch Zeitzeugen, die Dich damals live erlebt haben. Mein Kumpel Reinhard erzählte mir von einer Mugge in Rostock zum Studentenfasching, wo die MODERN SOUL BAND spielte. Das Konzert sei schon zu Ende gewesen, aber die Bläsersektion spielte noch eine ganze Zeit einfach weiter. Kannst Du Dich daran noch erinnern? War das bei jedem Konzert so oder war es in Rostock eine Ausnahme, dass Ihr verlängert habt?
Nein, daran kann ich mich nicht mehr erinnern. Dafür haben wir viel zu viel gespielt. Wir spielten jede Woche vier oder fünf Mal, dann waren zwei Tage frei und es ging wieder los. Ich weiß nicht, was er da für eine Erinnerung hat oder was dort genau war. Bei der MODERN SOUL BAND war es oft so, dass es zum Ende eines Titels noch eine Art Schlusskadenz gab, die dann zehn Minuten in ein Free Jazz-Spektakel ausartete. Es nahm kein Ende, alle spielten mit und das war dann auch nichts mehr zum Tanzen ... (lacht) Vorher lief eben eine James Brown-Nummer und die Schlusskadenz dauerte dann noch mal zehn Minuten. Das ist oft passiert. Dass nur die Bläser gespielt haben, kann aber natürlich schon sein.

Ja, das ist bei ihm bleibend in Erinnerung geblieben ...
Da ich in meinem Leben schon so oft in Rostock gespielt habe, kann ich mich an einzelne Abende wirklich nicht erinnern. Wir spielten damals ja fast nur in der DDR, ich glaube nicht, dass wir mit MODERN SOUL jemals in Polen oder Tschechien waren. Wenn wir es irgendwie machen konnten, sind wir mal als Zuhörer nach Prag zum Jazz-Festival oder nach Warschau zur Jazz-Jamboree gefahren, aber als Band spielten wir dort nie.

Du erzähltest gerade von Ernst-Ludwig Petrowsky und hattest ihn auch sehr lobend erwähnt als Musiker, mit dem Du gerne zusammengespielt hast. Etwa zur gleichen Zeit, als Du bei der MODERN SOUL BAND warst, hast Du Dich dann dem Ernst-Ludwig-Petrowsky-Quartett angeschlossen. War er damals wieder vom Rundfunk zurück oder wie kam es dazu?
Petrowsky war in der Radio Bigband beim Rundfunk und wir hatten mit MODERN SOUL Lust, auch mal ein Konzert zu spielen. Das war für Rockbands damals allerdings nicht üblich und auch nicht erlaubt. Wir waren einfach dazu verdonnert, Tanzabende zu bestreiten. Dann baten wir Petrowsky, als Gast bei uns mitzuspielen, was er auch gern machte. Die Band ging richtig gut los und es machte ihm Spaß, als Gast dabei zu sein. Zusätzlich luden wir uns noch Karl-Heinz Drechsel ein. Er moderierte im Radio eine Jazz-Sendung und moderierte quasi unser Programm mit Ernst-Ludwig Petrowsky als Gast. Das ist dann ziemlich oft passiert und so hatten wir dann doch allerhand "Jazz"-Konzerte.

Das gehörte dann also noch zu MODERN SOUL und nicht zu besagtem Quartett...
Ja, das war alles MODERN SOUL. Auch die Idee mit SYNOPSIS begann schon, jeder spielte mit jedem. Ulrich Gumpert und Günter Sommer spielten bei Klaus Lenz, der dann wiederum aus seiner eigenen Band ausgestiegen war. Die hießen dann SOK, aber wir untereinander trafen uns immer wieder und machten Free-Jazz. Oder wir spielten mal im Dresdner Studentenkeller oder auch in Greiz, wo es ebenfalls eine Szene gab. Wir haben dann außer bei unseren Bands auch öfter mal kleinere Gruppen gemacht, auch mit Petrowsky zusammen. Das waren also auch schon Vorläufer von SYNOPSIS.

Der richtige Vorläufer von SYNOPSIS war allerdings EXIS, die Du 1971 als eigene Band gegründet hast. Unter anderen gehörte auch Eberhard Klunker mit zur Gruppe. Wie ist diese Band entstanden und wo kamen die anderen Musiker her?
Ich weiß nicht unbedingt, ob das meine eigene Band war. Die drei spielten schon gemeinsam, machten Kirchenkonzerte mit einem Pfarrer, der auch sang. Sie sprachen mich bei einem MODERN SOUL-Konzert an, ob ich nicht mal zu ihnen kommen möchte. Wir verabredeten uns und ich hörte mir das mal an. Ich sagte dann: "Wenn Ihr Lust habt, probe ich etwas mit" und daraus entstand EXIS. Da gab es dann auch Konzerte und die Band hat sogar auch mal im Ausland gespielt bei einem Amateur-Festival in der Tschechoslowakei.

005 20200911 2067275189Aus dieser Gruppe - so heißt es - ging 1973 die Gruppe SYNOPSIS hervor. Dort gab es auch das Wiedersehen mit Ernst-Ludwig Petrowsky, außerdem gehörten Ulrich Gumpert und Günter "Baby" Sommer dazu. Wie entstand diese Gruppe? Hervorgegangen aus EXIS wäre etwas weit hergeholt, denn außer Deiner Person ist ja kein anderer aus dieser Band bei der Gründung von SYNOPSIS dabei gewesen.
Der Gitarrist Hansi Biebl stieg bei MODERN SOUL aus und ich fragte Eberhard Klunker, ob er bei MODERN SOUL mitmachen will. Dadurch war er mit 19 Jahren schon in einer solchen Band. EXIS waren sehr junge Musiker und zwei von ihnen wollten doch lieber Blues spielen, die anderen eher Free-Jazz. Der Schlagzeuger Andreas Aigmüller wollte zur Oper, was er dann auch tat. EXIS hatte sich also quasi aufgelöst und mit dem Bassisten Christoph Niemann zusammen überlegten wir uns dann die nächste Band. Das war FEZ. Bei einer Session entdeckten wir den Schlagzeuger Peter Gröning und fragten ihn. Wir wollten damals auch etwas traditionellen Jazz spielen und fragten Hannes Zerbe, der damals harmonisch schon sehr fit war. Wir spielten ja ziemlich wilden Free-Jazz und Hannes Zerbe konnte uns immer ganz gut sagen, welche harmonischen Strukturen so ein Jazz-Standard hatte. Also aus EXIS ging für mich FEZ hervor. SYNOPSYS war noch eine andere Band. Die MODERN SOUL BAND hatte sich 1973 für ein paar Monate mit der Klaus Lenz Band zusammengeschlossen. Das war also eine Big Band mit zwei Posaunen, drei Trompeten und Saxophonen. Das lief dann so zweieinhalb Monate, denn es gab in der DDR immer irgendwelche Orte, in denen man damit auftreten konnte. Danach hörte ich dann bei MODERN SOUL auf. Das ging völlig friedlich, denn ich fand es einfach blöd, dass sie sich wegen mir immer um eine Aushilfe bemühen mussten. Ich sagte, sie sollen sich doch besser um einen festen Posaunisten kümmern, denn ich wollte es mit meiner Musik, dem Free-Jazz, freiberuflich probieren. Seit 1973 war ich somit frei und habe dann zusammen mit Gumpert, Sommer und Petrowsky SYNOPSIS angefangen. Das lief quasi parallel zu FEZ.

Mit dieser Band hast Du dann das Album "Auf der Elbe schwimmt ein rosa Krokodil" veröffentlicht. Nicht wie man denken könnte bei AMIGA in der DDR, sondern bei FMP in der Bundesrepublik. Bitte erzähl doch mal, wie es zu dieser Plattenveröffentlichung und der Zusammenarbeit mit dem Westlabel kam.
Im Deutschen Theater Berlin gab es die Veranstaltungsreihe "Jazz in der Kammer" und dort tauchte auch immer mal Jost Gebers von FMP auf. Beim Rundfunk gab es einen Redakteur, der öfter im Deutschen Theater war, um dort Konzerte für den Rundfunk aufzunehmen und dort lernten sich die beiden kennen. Also Rolf Reichelt vom DDR-Rundfunk und Jost Gebers. Ich denke, das mit dem "Krokodil" wurde beim DDR-Rundfunk aufgenommen. Da war dann Jost Gebers aber dabei, obwohl es nicht leicht war, einen Westberliner Menschen in dieses Rundfunkgelände hinein zu bekommen, aber irgendwie hat Rolf Reichelt es geschafft. Jost Gebers war also dabei und gab schon beim Aufnehmen dramaturgische Tipps für eine Plattenproduktion. Damals konnte noch niemand von uns in den Westen fahren, das fand alles im DDR-Rundfunk statt.

Im gleichen Jahr brachte AMIGA dann die LP "Synopsis '74" als Schallplatte heraus. Geschah das deshalb, weil sie sich nach der BRD-Platte nicht lumpen lassen wollten oder war die Veröffentlichung der LP unabhängig von der Westplatte vorgesehen?
Daran kann ich mich jetzt gar nicht erinnern, aber ich denke schon, dass es irgendeinen "Befehl" gab. Der Jazz war ja eigentlich eine amerikanische Musik und keiner traute sich so recht, Jazz zu veranstalten. Inzwischen gab es aber Leute, die in den 50er Jahren studiert und zu Swing Musik von DDR Bands getanzt hatten,006 20200911 1143013653 Leute die nun in wichtigen Positionen waren und meinten Jazz wäre doch international. Bei Allem was international war, wollte die DDR dabei sein. Jedenfalls wurde diese "Synopsis" Platte direkt im AMIGA-Studio und wahrscheinlich unabhängig von der Westplatte aufgenommen.

Du warst in all den Jahren und auch schon weit vor der Wende viel im Ausland unterwegs, hast Konzerte gespielt und mancher Mitschnitt, der letztlich auf Platte landete, wurde auch außerhalb der DDR gemacht. Ab wann konntest Du als Musiker durch den eisernen Vorhang hindurch in den Westen? Wo und wann war Deine erste West-Mugge?
In den 70er Jahren war die Grenze wirklich zu und niemand wäre auf die Idee gekommen, zu fragen, ob er mal in den Westen kann. Ich weiß noch, dass ich 1977 ins Kulturministerium bestellt wurde und nichts ahnend dort hinging. Dort erklärte mir der für die Unterhaltung zuständige Fachminister: "Wir wollen in diesem Jahr eine Studiendelegation zu den Westberliner Jazztagen zusammenstellen und wir haben da an Sie gedacht." Ich bin bald vom Stuhl gefallen. Dann hat es noch sechs Wochen gedauert und ich konnte mir nach allen möglichen Belehrungen meinen Pass abholen und obendrein einen ganzen Stapel teurer Eintrittskarten für sämtliche Konzerte. Das war die erste Erfahrung im Westen, das war schon verrückt. Ich glaube, Günther Fischer war damals mit und Petrowsky wahrscheinlich auch. Schizophrener Weise mussten wir alles Mögliche unterschreiben, ja keinen Kontakt zu Westdeutschen zu haben und auf der anderen Seite sagten uns die Leute vom Kulturministerium - kurz bevor wir losfuhren - "Da kommen ja alle hin, Veranstalter und Manager, Ihr müsst da schon ein paar Kontakte knüpfen. Wir wollen ja den DDR-Jazz auch im westlichen Ausland repräsentieren. Das könnt aber nur Ihr, wir können das nicht." So verrückt war das. Auf der einen Seite machte man sich total strafbar, auf der anderen Seite hatte man einen richtigen Auftrag. (lacht)

Hat das denn geklappt mit dem Kontaktknüpfen? Wann warst Du denn das erste Mal als auftretender Künstler in der BRD?
Ich lernte schon ein paar neue Leute kennen, zum Beispiel Frieder König aus Weikersheim. Die Westmusiker kannten wir schon ganz gut, da sie ja schon eine ganze Weile in der DDR auftraten. Nach den Konzerten in der Philharmonie gab es nachts im Quartier Latin das "Total Music Meeting". Ich glaube, ich ging dann noch mit Michael Pilz nach nebenan in ein Café und dort saß eben dieser Veranstalter aus Weikersheim. Und so kamen wir ins Gespräch und wir sagten, dass wir mal bei ihnen spielen wollten. Das ging also mehr über die Musiker. Es gab dann auch wirklich mit Michael Pilz, Buschi Niebergall, "Baby" Sommer und mir ein paar West-Konzerte. Das war ein halbes Jahr später, denn das musste ja erst offiziell klargemacht werden. Ich erklärte dem Frieder König dann, wie er das machen musste. Er schickte dann also ein offizielles Schreiben mit Stempel von seinem Bürgermeister in Weikersheim an die staatliche Künstleragentur der DDR und das hat dann auch funktioniert. Er organisierte dann auch noch weitere Konzerte, insgesamt waren es - glaube ich - vier Konzerte.

Kommen wir noch mal zurück zu SYNOPSIS. Wenn Du an diese Zeit mit der Gruppe zurückdenkst - es ging ja so von 1974 bis 1975 - was ist Dir angenehm in Erinnerung geblieben? Gibt es Ereignisse, die Du bis dahin erlebt und bis heute nicht vergessen hast?
Es waren ja nicht so viele Konzerte, aber mir fällt ein Konzert im Dresdner Studentenclub "Bärenzwinger" ein. Wir hatten damals ja keine Telefone und eines Abends kam Petrowsky bei mir vorbei und sagte, dass er morgen nicht mit nach Dresden fahren könne, da er Dienst habe. Ich fuhr am nächsten Morgen zu Manfred Schulze und fragte ihn. Er war gerade dabei, ein Bild zu malen, packte sein Saxophon ein und meinte "Na klar, ich komme mit." Wir steigen ins Auto, holten Ulrich Gumpert ab und fuhren nach Dresden. Und "Baby" Sommer ist bald umgefallen und meinte: "Was ist denn das jetzt? Nun kommst Du mit Manfred Schulze hier an?" Na ja, "Petrowsky hat heute Morgen abgesagt." (lacht) Aber das war ein schönes Konzert und es fällt mir ein, weil es eben nicht komplett SYNOPSIS war. Die Kollegen nahmen mir dann irgendwann ein wenig übel, dass ich 1975 mit FEZ begann. Die Leute verdienten ihr Geld hauptsächlich in Tanzkapellen, ich wollte aber eine Band haben, in der alle nur für diese eine Band tätig sind. Die hörten dann auch tatsächlich in ihren Tanzkapellen auf, damit wir auch jeden Tag proben konnten und ich sagte fairerweise auch meine Geschichten ab, das waren SYNOPSIS und auch die Ulrich Gumpert Workshop Band. Das haben sie mir lange übelgenommen, aber es ging ja nicht anders. Ich kann ja nicht verlangen, dass die Kollegen ihre sicher gut bezahlten Jobs aufgeben und selbst mache ich noch andere Sachen. Es blieb mir also auch in Erinnerung, wie die Sache endete ...
 
Also ein nicht so schönes Ende ...
Na ja, für mich schon, denn mit FEZ ging es sehr gut vorwärts. Hannes Zerbe und ich, wir haben beide gemanagt, jeder hatte sein eigenes Netzwerk und bei unseren täglichen Proben konnten wir uns gut absprechen.

Irgendwann hatten sich diese Wogen aber wieder geglättet und neun Jahre später kam es mehr oder weniger zur Reunion von SYNOPSIS. Auslöser war - wie man liest - eine Konzertreihe in Frankreich. Wie lief das damals genau ab und wie viel Überredungskunst war nötig, dass Euch "Baby" Sommer wieder alle an den Start gebracht hat?
Ach ja, "Baby" muss immer alles gewesen sein, aber in Wahrheit war ich das. Ich hatte den Auftrag vom Theatre du Noir in Paris, doch mal ein DDR-Jazz-Weekend zusammen zu stellen. Das war natürlich für alle etwas ganz Besonderes und alle sagten ohne zu überlegen sofort "Ja". Es brauchte nicht viel Überredungskunst, das Zauberwort war PARIS. Ich wollte vor allem SYNOPSIS wieder zusammen bringen und so spielte von da an wieder das originale Quartett mit E.L.Petrowsky, Uli Gumpert, Baby Sommer und Conny Bauer zusammen. "Baby" hatte noch eine andere Connection in Frankreich, wodurch wir in Paris noch eine LP unter seinem Namen aufnehmen konnten, aber ich glaube nicht, dass das auch ohne mein Weekend zustande gekommen wäre.

Das liegt vielleicht auch daran, weil diese LP nämlich auch "Baby Sommer & seine alten Freunde" heißt. Unter diesem Namen wurde sie auf Französisch veröffentlicht. Daher kommt wahrscheinlich auch der Irrglaube, dass das "Baby" Sommer war und nicht Du.
Ja, ja. Er hat dann sofort geschaltet und diese Platte noch angekurbelt, aber dieses Weekend hab' ich gemacht. Das wissen die anderen auch noch. Nur "Baby" war der Meinung, dass er es gewesen sei, weil er diese Platte immer hoch hält ... (lacht) Er hätte sie nicht gemacht, wenn ich nicht dieses Weekend organisiert hätte. Die anderen Musiker waren Klaus Koch, Uwe Kropinski, Jo Sachse, Johannes Bauer und geplant war damals noch ein Mitwirken des Trompeters Heinz Becker,007 20200911 2028428167 der war aber ein paar Tage vorher bei einem Konzert mit Petrowsky im Westen geblieben. Dadurch konnten wir mit ihm nicht mehr spielen. Es wäre zwar möglich gewesen, ihn nach Paris zu bestellen, aber das haben wir uns dann auch nicht getraut und er wollte uns ganz sicher auch nicht gefährden. Mit jemandem, der abgehauen war, noch Kontakt zu haben, war ja schon nicht ohne ...

Ihr habt ja dann als SYNOPSIS einfach weitergemacht, aber stattdessen den Namen ZENTRALQUARTETT gewählt. Warum?
Das war "Babys" Idee. Es gab wieder Konzerte mit SYNOPSIS und nach ein paar Monaten meinte er wir brauchen einen neuen Namen und er würde es gerne, weil im Osten alles so zentral ist und es ja auch ein Zentralkomitee gibt, ZENTRALQUARTETT nennen. Es sollte eigentlich ein Spaß sein.

Wurde die Anspielung auf das Zentralkomitee von den Leuten dort eigentlich verstanden oder bedurfte es nach der Wende einer Aufklärung?
Ich denke, das wurde schon verstanden. Es war in den 80ern, also schon zur Gorbatschow-Zeit. Ja, das wurde schon verstanden ...

Diese Formation hat in der ursprünglichen Besetzung ziemlich lange gehalten. Erst 2016 bist Du ausgestiegen, als eine Zusammenarbeit mit Wolf Biermann anstand. War es wirklich die Nichtkompatibilität Eurer Musik mit der eines Liedermachers, die Deinen Ausstieg verursachte oder gab es womöglich persönliche Probleme mit Herrn Biermann?
Letzteres eher nicht. Als "Baby" mit der Idee Wolf Biermann und das ZENTRALQUARTETT kam, fand ich, war es 20 Jahre zu spät. Früher wäre es witzig gewesen. Aber dann dachte ich, mit Wolf Biermann, seinen tollen Texten und lauter Stimme könnte man etwas back to the roots zu unseren Free-Jazz-Wurzeln gehen, und Biermann oben drüber. Ich dachte so in Richtung LAST POETS, die so etwas in den 60er und 70er Jahren manchmal gemacht haben. Als das Projekt mit den Proben losging, merkte ich, dass Gumpert und Sommer von den Biermann-Liedern einfach die Gitarrenstimmen auf die Instrumente umgelegt hatten und ich wusste nicht, was das sollte. Ich dachte in Richtung einer Collage, aber es ist einfach so geworden, dass anstatt Gitarrenbegleitung eben eine Band gespielt hat. Das fand ich dann schon nicht mehr so spannend. Und dann hatte ich - das hatten die anderen gar nicht richtig mitbekommen - versucht, an irgendwelchen Stellen mal etwas von mir mit hinein zu bringen. Also mal Multiphonics oder so und dann kam Biermann immer an mein Pult und meinte, "An der Stelle, da möchte ich das aber nicht und an der Stelle möchte ich das auch nicht ..." Was dann übrig bleib, das hätten tausend andere Posaunisten machen können, das musste ich nicht sein. Und als es dann darum ging, ins Studio zu gehen, um eine Platte zu machen, sagte ich: "Ach, nehmt Euch doch mal einen anderen, da muss nicht mein Name draufstehen, wenn ich da nicht zu erkennen bin oder es auch nicht notwendig ist."

Was ging denn in Dir vor, als Du den Kollegen die Mitteilung machen musstest? Immerhin ging das ZENTRALQUARTETT ja aus Deiner ersten Band hervor und Du hast sie über Jahrzehnte mitgestaltet. Tut so ein Schritt nicht unfassbar weh?
Na ja, das war ja nicht das ZENTRALQUARTETT mit Biermann, es war wieder etwas ganz Anderes.

Es steht aber auf der Platte so drauf ...
Ja, das war ja auch die Idee ... Tja, was ging da in mir vor? Ich sagte: "Leute, Ihr könnt Euch auch jemand anderen nehmen", und da merkten sie, dass es dann natürlich nicht das ZENTRALQUARTETT wäre. Ich finde es heute noch konsequent. Biermann hat damals in der DDR tolle Texte gemacht, mit dem Rausschmiss wurde ihm meiner Meinung nach auch der Boden unter den Füßen weggezogen. Dann machte er einen Haufen Liebeslieder, was auch alles in Ordnung ist. Aber das ist eben nicht mehr DER Biermann ... Und es ist auch eine völlig andere Geschichte, denn ich habe ja nichts gegen Wolf Biermann. Es denken immer alle, ich wollte nicht mit ihm, aber das stimmt nicht. Spezielle Sounds wollte er einfach nicht haben ...

"Luten" Petrowsky folgte Dir zwei Jahre später - allerdings wohl aus gesundheitlichen Gründen. Nun heißt die Band in anderer Besetzung "Das neue ZENTRALQUARTETT". Verfolgst Du das Geschehen dort heute noch und hast Du noch Kontakt zu Gumpert und Sommer?
Ja, wir rufen uns mal zum Geburtstag an und mit Sommer habe ich sogar mal wieder gespielt. Und dann fragte er auch, "Wollen wir nicht mal wieder?" Aber ich denke, er hat allerhand gehört, denn ich habe ja jetzt ein ganz gut funktionierendes Trio, in ihm spielt mein jüngerer Bruder Matthias Bauer den Kontrabass und Dag Magnus Narvesen, ein Norweger, der in Berlin lebt, das Schlagzeug. Wir haben noch nicht so wahnsinnig viel gespielt, aber die Leute haben immer davon geschwärmt. Und ich denke mal, das wird Günter Sommer zu Ohren gekommen sein ...

Das ZENTRALQUARTETT hat sich durch "Luten" Petrowskys Ausfall ja erledigt, das wird wohl nichts mehr, man wird auch nicht jünger. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass Du mit Gumpert und Sommer noch mal Musik machen wirst - wie hoch ist die denn?
Wenn ich das jetzt anbieten würde, würde sich sicher auch eine Möglichkeit finden. Das Problem bei mir ist, dass Johannes Bauer verstorben ist, DOPPELMOPPEL und das ZENTRALQUARTETT gibt es nicht mehr. Und eine Band mit jungen Leuten ist auch nicht so einfach. Zum Beispiel bei Dag Magnus Narvesen hieß es erst immer, "Wer ist das denn? Den kennt keiner." - nun spielt er viel, inzwischen heißt es "Den hatten wir schon". Aber ich bin sicher, wenn wir jetzt mit Gumpert und Sommer mal wieder als Trio spielen würden, das würde auf jeden Fall funktionieren. Da kämen auch viele Fans, die das mal wieder hören wollen.

Diese Frage kam nämlich auch gleich, als ich erzählte, dass ich mit Dir sprechen werde. Also die Leute interessiert es tatsächlich ...
Ja, da bin ich sicher.

Ich sagte ja eingangs schon, dass ein Interview mit Dir schnell den zeitlichen Rahmen sprengen würde. So möchte ich an dieser Stelle wieder etwas machen, was ich mit anderen Kollegen von Dir, die ebenso lange aktiv und überall beschäftigt sind, gemacht habe. Ich nenne Dir jetzt ein paar Stichworte und Du antwortest bitte spontan mit einem oder zwei Sätzen ...

Halle an der Saale …

In Halle an der Saale war mein Vater Pfarrer, ich verbrachte dort meine Kindheit, interessierte mich überhaupt noch nicht für diese Musik, außer für Rock'n'Roll im Radio, sang aber im Kinderchor.

Hans-Rempel-Oktett …
Hans Rempel war ein Musikwissenschaftler, der eine Radiosendung machte und der die Idee hatte, einige Kompositionen zu schreiben und stellte für deren Umsetzung dann dieses Oktett zusammen.

DOPPELMOPPEL …
Es heißt DOPPELMOPPEL wegen der zwei Instrumente, nämlich der beiden Posaunen. Mein jüngster Bruder Matthias Bauer ist von seinem ersten West-Konzert nicht zurückgekommen, er war also abgehauen. Dann haben Johannes und ich überlegt, was wir denn machen könnten. Eine Rhythmusgruppe war schwierig, der bassspielende Bruder war sowieso weg und als Schlagzeuger gab es nur "Baby" Sommer. Und dann dachten wir, wenn wir als zwei "Posaunen-Brüder" etwas machen wollen, dann sehen wir mal, ob wir jeder noch eine gute und interessante Persönlichkeit kennen. Ich schlug Uwe Kropinski vor und Johannes kam auf Joe Sachse. Über die Idee lachten wir erst mal, weil das mit zwei Posaunen und zwei Gitarren irgendwie komisch war. Aber nach einem halben, dreiviertel Jahr haben wir dann fast alle zwei Wochen in einem Club, in dem ich jeden Mittwoch einen Improvisationsabend machte, mit diesem Quartett gespielt.
 
 
FO(U)R BONES …
Das entstand in den 90er'n. Ich hatte mal dieses Jazzorchester der DDR, bei dem ich gar nicht spielte, sondern dirigierte. Da gab es drei Posaunisten, Jörg Hoke, Iven Hausmann und Johannes Bauer. Jörg oder Iven hatte die Idee, ein Posaunenquartett zu machen. Das ging aber erst nach der Wende los und hat auch nicht oft gespielt.

Orchester Walter Kubiczeck …
Damit habe ich eigentlich gar nichts zu tun. Wer kommt nur immer auf diese Idee ...???

Da gibt es zwei Singles mit der Musik zum Film "Das unsichtbare Visier", bei denen Du als Posaunist in den Credits aufgeführt bist ...
Ja, der Walter hatte mich wohl mal gefragt, da ging es - glaube ich - um einen Termin im Studio der STERN-COMBO MEISSEN am Stadtrand von Berlin. Ich fuhr dort hin und er sagte, was er sich vorstellte und ich spielte ihm etwas vor. Das fand er gut und meinte, das könne er so nehmen. Das war's aber auch. Ich habe das nie gehört, er brauchte etwas für seine Filmmusik, aber ich hörte es wirklich nie. Ich gehörte auch nie zu diesem Orchester, ich war mit ihm ganz allein und mit lediglich noch einem Kollegen von der STERN-COMBO, der das aufnahm. Wir waren also zu dritt ... Vielleicht habe ich damals auch zwei Stücke eingespielt und Walter hat das dann irgendwie für die Filmmusik verwendet ...

Anmerkung der Redaktion: Bei nachträglicher Recherche fanden wir heraus, dass Conny tatsächlich nie zum Orchester Walter Kubiczek gehörte und auch die Filmmusik zum "unsichtbaren Visier" nicht mit eingespielt hat. Die Fernsehserie "Das unsichtbare Visier" mit Darstellern wie Armin Müller-Stahl und Rolf Hoppe wurde von 1973 bis 1979 im Auftrag des DDR-Fernsehens vom DEFA-Studio für Spielfilme produziert und umfasste 16 Folgen. Ursprünglich sollte die Serie fortgesetzt werden, man entschied sich 1981 letztlich jedoch für einen eigenständigen TV-Zweiteiler unter dem Titel "Feuerdrachen". Auch für ihn stammte die Filmmusik aus der Feder von Walter Kubiczeck, Conny Bauer spielte beim Stück "Feuerdrachen II" die Solo-Posaune. Zu finden ist dieses Stück auf der 1984 bei AMIGA erschienenen LP "Heiße Spur - Original-Filmmusik von Walter Kubiczeck". Die Aufnahmen dazu dürften im damaligen Tonstudio von STERN MEISSEN entstanden sein, welches 1979 von Martin Schreier und Harry Jeske in Berlin aufgebaut wurde.


009 20200911 1692007974Okay, das letzte Stichwort ist "Woodstock am Karpfenteich" ...
Das ist das Buch von Ulrich "Ulli" Blobel. Der hatte damals quasi eine Konkurrenz-Veranstaltung zum "Jazz in der Kammer" im Deutschen Theater. Ulli Blobel machte mit seinem Freund Peter Metag in Peitz bei Cottbus in einem Kino regelmäßig - so vier Mal im Jahr - Veranstaltungen. Ende der 70er oder Anfang der 80er gab es dann sogar Open Airs, zu denen einige tausend Leute kamen. Rund um Peitz gibt es lauter Karpfenteiche und deshalb heißt das - glaube ich - "Woodstock am Karpfenteich".

Dein erstes Solo-Album erschien bei AMIGA im Jahre 1980. Das gibt es bis heute in keiner neuen Auflage, weder auf Platte, geschweige denn auf CD. Warum ist so ein wichtiges Werk eines so bekannten Jazz-Musikers immer noch verschollen?
Ich überlegte immer, das selbst noch mal neu aufzulegen, aber ich bin da auch etwas träge. Ich kümmere mich lieber um Konzerte, weil es mir Spaß macht, wenn man spielt und die Leute haben Spaß dabei und sind fröhlich. Das macht mir viel mehr Freude, als mich um eine Platte zu kümmern. Aber ich sollte vielleicht mal bei EDEL in Hamburg fragen. Die bringen ja gern solches DDR-Zeug auf CD raus ...

Oder bei Jörg Stempel von Sechzehnzehn ...
Jörg Stempel - ja, das ist auch eine gute Idee ...

Also gibt es Hoffnung, dass es das noch mal geben wird?
Ja, meine Agentin hatte ja sogar schon mal alle Beteiligten angeschrieben, sogar den Uli Wüst, der das Coverfoto machte, ob sie einverstanden wären, das Ganze noch mal für eine CD zu verwenden. Die sagten auch alle zu, wir ließen das dann bloß irgendwann wieder fallen ... (lacht)

Du hattest gerade schon Deinen Bruder Johannes erwähnt, mit dem Du ganz ganz viele Jahre zusammen Musik gemacht hast, als DOPPELMOPPEL und auch verschiedene andere Sachen. Vor vier Jahren ist er verstorben. Was ist denn da passiert?
Er hatte Krebs, klagte immer über Rückenschmerzen kurz unter dem Genick. Ich hatte ja auch oft Rückenschmerzen, weil ich immer viele Boxen getragen habe. Das mache ich auch heute noch, wenn ich beim Solo Elektronik verwende, baue ich meine Anlage selbst auf. Da passiert es natürlich, dass man sich mal einen Hexenschuss einfängt oder einen Nerv einklemmt oder der sich dann entzündet. Aber das ist ja viel weiter unten und ich wunderte mich immer, warum er so weit oben solche Schmerzen hat. Dann ging er stets zu physiotherapeutischen Behandlungen, bis irgendwann mal ein Therapeut sagte, er solle sich mal röntgen lassen, denn das wäre nichts für Physiotherapie. Und da wurde eben festgestellt, dass in ihm etwas gewachsen war. Das dauerte ein halbes Jahr, bis er gar nicht mehr spielen konnte und dann waren die Metastasen schon überall und am Ende auch in der Leber. Das war dann das Ende ...

Gab es noch gemeinsame Ideen, die nun leider nicht mehr umgesetzt werden konnten, hattet Ihr zu dieser Zeit zusammen noch etwas geplant?
Gerade in der Zeit, als er die Chemotherapie bekam, wurden die Behandlungstermine immer so gelegt, dass er zwischendurch noch Konzerte spielen konnte. Ich bot ihm dann noch an, dass wir vielleicht noch etwas zusammen spielen, denn das ist ein bisschen leichter, als wenn man alleine Posaune übt, um wieder den Ansatz zu bekommen. Das nahm er auch gerne an und wir spielten ganz schön zusammen in der Hoffnung, dass man das vielleicht mal wieder machen kann. Also wieder öffentlich. Wir haben ja auch viele Duo-Konzerte gemacht und es gibt ja auch eine Duo-Platte aus dem Leipziger Völkerschlachtdenkmal, die 1993 veröffentlicht wurde.

Was aber umzusetzen war, ist das aktuelle Album, welches den Titel "The Gift" trägt. Das ist in vielerlei Hinsicht wieder bemerkenswert, unter anderem, weil es nur auf Schallplatte erschienen ist. Wieso nur auf diesem einen Medium? Hast Du einen Werbevertrag mit einer Firma, die Plattenspieler herstellt, oder wie kommt das?
Es ist gar nicht mehr so leicht, irgendwas zu machen. Und dann sagte mir ein Fan aus München, "Versuche es doch mal bei NoBusiness Records." Da hieß es, für eine CD müsse man zwei Jahre warten, aber eine LP könnten sie machen. Also sagten wir, "Dann wenigstens das." Und das Konzert heißt "The Gift", weil es ein Geburtstagskonzert zu meinem 75. Geburtstag in der Christuskirche in Berlin-Schöneweide war.

010 20200911 1974674030Stimmt es, dass dieses Label aus Litauen kommt?
Ja, das ist richtig.

Ihr habt es auf 300 Exemplare limitiert. Nochmals eine sehr spezielle Veröffentlichungsstrategie ... Hatte das einen besonderen Grund oder lag es einfach daran, dass es gewisse "Pakete" gab, wie man sie mit diesem Label abschließen konnte?
Ich machte das nicht selbst, die Verhandlungen führte Matthias Bauer. Ich denke, das hat was mit Verkauf zu tun, kann mir aber vorstellen, dass sie die Platte noch mal auflegen würden, denn in Litauen scheint das alles nicht sehr teuer zu sein.

Die Musik auf dieser Platte stammt von einem neuen Trio, Du nanntest es ja selbst so. Es ist Deine neue Band. Bitte erzähle doch mal etwas dazu, Dein Bruder und Euer norwegische Kollege spielen dort mit ... Wie kam es dazu, dass es diese Gruppe jetzt gibt? Entstand das aus Anlass Deines Geburtstags oder war die Idee schon früher da?
Da muss ich jetzt wirklich nachdenken, das war schon eher da. Zu Zeiten des Geburtstagskonzerts gab es uns schon. Wir probierten es in verschiedenen Berliner Clubs, weil man in ihnen so etwas ganz wunderbar ausprobieren kann. Oder hatten wir sogar schon vorher ein Konzert? Das Konzert in der Christuskirche hatte meine Agentin Lena Panzer-Selz selbst organisiert und hatte deshalb ziemliche Diskussionen, weil der Assi vom Jazzkeller 69 sich dagegen sträubte. Man könne schließlich keinesfalls mit einem Schlagzeug in einer Kirche spielen. Er hatte aber scheinbar Dag Magnus Narvesen noch nicht gehört, denn der ist ja eher ein Perkussionist und kann mit einer solchen Akustik sehr gut umgehen. Am Ende sagte der Assi sogar noch selbst an, dass er eines Besseren belehrt wurde (lacht), weil es wirklich sehr gut ging und es klingt auch auf der Aufnahme sehr gut.

Die einzelnen Songs auf der Platte heißen schlicht wie das Album und sind nur von 1 bis 3 durchnummeriert. Welche Idee steckt hinter den einzelnen Liedern oder stand hier die Freude an der Improvisation im Vordergrund?
Das sind einfach Improvisationen. Ich kann nicht leiden, wenn Free Jazz-Gruppen anfangen, zu spielen und zu spielen und nach 40 Minuten ist das Stück dann zu Ende. Ich bin eher dafür, kürzere Stücke zu improvisieren, denn das schwerste an der Improvisation ist ja die Dramaturgie. Und das ewige Hoch und Runter was in den meisten Free Jazz-Bands passiert finde ich nicht so gut. So war es verhältnismäßig einfach, ein paar Stücke heraus zu suchen und diese Platte zu machen. Eine Platte - das kenne ich noch von früher - ist dramaturgisch mit zwei Mal 20 Minuten bedeutend einfacher, als einmal 50 Minuten bei einer CD.

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Was liegt als nächstes bei Dir an, gibt es schon Pläne für die nächste Zeit?
Im Moment ist es gar nicht so leicht, etwas zu planen. Anfang September wollte ich eigentlich ein Duo-Konzert mit Nils Wogram in Slowenien spielen und das Trio Bauer/Bauer/Narvesen spielt am 12. September in Villingen-Schwenningen und etwas Ähnliches wird es auch in Leipzig und in Wangelin (Mecklenburg-Vorpommern) gemeinsam mit Warnfried Altmann geben. Und dann spiele ich noch mal Ende November in St. Johann in Österreich mit Louis Rastig. Also viel ist es nicht, aber vielleicht kommt ja noch was hinzu ... (lacht)

Damit sind wir erst mal am Ende mit unserem ersten Interview. Vielleicht bekommen wir bei der nächsten Platte ja ein weiteres hin und dann füllen wir die Lücken ...



Interview: Christian Reder
Bearbeitung: MB
Fotos: Dr. Lena Panzer-Selz, Siegmar Förster, Uli Wüst, Georg Krause





   
   
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