000 20200714 1826586478



uesc 20200714 1221184413
Interview vom 6. Juli 2020



Im August 1982 lief im Fernsehen eine Ausgabe von Manfred Sexauers "Musikladen". Zu Gast war dort die Gruppe NENA, die bis dahin nur eine Hand voll Leute kannte. Kurz zuvor waren Sängerin Gabriele "Nena" Kerner und ihr Freund Rolf Brendel noch Teil der Gruppe THE STRIPES aus Hagen. Nur wenige Monate und einen Umzug nach Berlin später standen sie nun mit neuen Kollegen und neuem Namen auf der großen TV-Bühne, und präsentierten ihren ersten Song "Nur geträumt". Nach dem TV-Auftritt ging alles schnell. Das ganze Land sprach nur noch über den "roten Minirock", diese herrlich frische Kapelle und das Lied wurde ein Hit. Weitere Songs für ein Album wurden produziert, das 1983 veröffentlicht wurde. Dies alles war durch ein glückliches Zusammentreffen der Herren Heil und Praeker von der Gruppe SPLIFF, die als Produzenten diesen zeitlosen und wiedererkennbaren Sound der Lieder schufen, und der Herren Rolf Brendel (Schlagzeug), Carlo Karges (Gitarre), Uwe Fahrenkrog-Petersen (Keyboards) und Jürgen Dehmel (Bass), die allesamt erstklassige Musiker, Könner auf ihren Instrumenten und kreative Songschreiber waren, entstanden. Dazu kam Nena, die stimmlich vielleicht nicht ganz so gut ausgestattet war, aber das Publikum mit ihrer Art des Auftritts und Vortrags einfing. Nur knapp fünf Jahre bestand diese tolle Band, dann stieg Rolf Brendel aus. Er ging nach Amerika, die anderen Musiker suchten auch woanders ihr Glück, und Nena startete eine Solo-Karriere, die aber nie an die Erfolge der voran gegangenen Jahre mit ihrer Band anknüpfen konnte. Vielleicht haben sich viele Leser auch schon die Frage gestellt, was aus den Jungs in den Jahren danach wurde. Einer von ihnen, nämlich Rolf Brendel, meldet sich jetzt ... 33 Jahre nach seinem Ausstieg bei NENA ... mit einer Single zurück. Sie heißt "Vergessene Helden", erschien vor wenigen Tagen als Videosingle und ist Vorbote für das gleichnamige Album, das im Oktober veröffentlicht werden soll. Christian traf sich Anfang Juli - kurz nachdem die Single im Netz stand - mit dem Schlagzeuger, der nun das Singen entdeckt hat, und sprach mit ihm über seinen Werdegang und das, was er für die Zukunft geplant hat ...




Hallo Rolf … Wie kommt man im jugendlichen Alter von Ende 40 dazu, erstmals als Sänger in Erscheinung zu treten und einen Song wie "Vergessene Helden" zu veröffentlichen?
(lacht) Eine gute Frage, da hast Du völlig recht. Es hat verschiedene Ebenen. Zum Einen geht es um meine Leidenschaft, zu komponieren und Texte zu schreiben, was ich eigentlich schon immer gemacht habe. Irgendwann hatte sich das allerdings so perfektioniert, dass ich mir dachte, "Jetzt nimmst du das alles mal auf, und dann siehst Du mal, was dabei rauskommt." Ich habe hier zu Hause ein kleines Tonstudio, da geht das. Anfangs suchte ich aus der Not geboren noch nach einer Sängerin und einem Sänger, aber da die deutschen Texte, die ich schrieb, so persönlich sind, konnte ich mich nicht damit abfinden, es von jemand anderem zu hören. Ich sagte mir dann also: "Das singst du jetzt mal selbst." Aus meinem musikalischen Umfeld - zum Beispiel von meinem Gitarristen - gab es gute Reaktionen und der meinte: "Du musst eine Solo-Platte machen." Da war ich ziemlich überrascht und musste mich erst mal mit meiner eigenen Stimme abfinden. Irgendwann hatte sich das etabliert und inzwischen finde ich es total klasse, weil es mir auch eine unglaubliche Freiheit gibt. Wenn du alles selbst machst, brauchst du nicht immer nach Leuten suchen, die das interpretieren, sondern du machst es einfach so, wie es gedacht ist. Insofern funktioniert das super.
 




Siehst Du Dich denn selbst als einen vergessenen Helden?
Ach ich glaube, dass wir alle vergessene Helden sind. In dem Song geht es natürlich um Heldentum, aber auch darum, dass man in unserer Gesellschaft ständig gefordert und unter Druck gesetzt wird, etwas zu leisten. Man muss ständig ein Held sein und sich beweisen. Ob im Job, in Freundschaften oder global in der Gesellschaft, man muss immer etwas tun. Und man ist immer angespannt. Wenn du einmal den Status erreicht hast, ein Held zu sein - so lange man diesen Begriff "Held" romantisiert, das muss man vorausschicken, - dann steht der nächste schon vor der Tür und will ein Held sein. Insofern muss man sich ständig neu beweisen und neu erfinden. Der Hintergedanke ist auch ein wenig der, dass man - egal wie alt man ist und man den Arsch hoch kriegt - immer etwas auf die Beine stellen, immer noch seiner Berufung folgen und auch etwas leisten kann. Das ist das Schöne daran, glaube ich. Jetzt war es so für mich, dass ich den Text schon vor einem Jahr geschrieben habe, er war also nicht bewusst für diese Corona-Krise gedacht. Das entstand Tage vor dem Lockdown. Ich hatte das große Glück, nicht mehr weiter reisen zu müssen um das Album fertigstellen zu können. Um noch mal auf den Text zurück zu kommen: Wenn man ein paar Wochen oder Monate zurückdenkt, was manche Menschen geleistet haben im medizinischen oder im pflegerischen Bereich, das finde ich unglaublich. Das sind auch vergessene Helden. Das geht mal ein paar Wochen durch die Medien und dann sind sie wieder verschwunden. Ich finde, man sollte diesen Menschen Respekt zollen.002 20200714 1522741392 Damit meine ich nicht ein Denkmal aus Marmor in irgendeinem Park. Vielmehr das Bewusstsein in den Köpfen der Menschen wachhalten und diese Helden ab und zu mal würdigen und daran denken, was sie geleistet haben. Es gibt natürlich tausend andere Beispiele. Der Begriff "Vergessene Helden" ist für mich auch eine verwunschene Stadt, eine Maya-Pyramide, ein alter VW-Käfer, ein alter Plattenspieler oder ein Grammophon. Das sind ja auch vergessene Helden. Das waren meine Gedanken bei diesem Text ...

In dem Video dazu sind ja ein paar alte Bekannte zu sehen. Wer war alles an der Produktion beteiligt und wer hat Dich in der Umsetzung Deiner Idee unterstützt?
Das Album produzierte ich mit Lutz Fahrenkrog-Petersen, das ist der Bruder von Uwe Fahrenkrog-Petersen, mit dem ich gemeinsam bei NENA spielte. Der Lutz ist ein phantastischer und ausgebildeter Musiker, er ist Doktor für Medienwissenschaften, ein ganz feiner Typ und toller Musiker. Er kann Arrangements schreiben und notieren, das ist einfach umwerfend. Und vor allem auch als Toningenieur leistete er hervorragende Arbeit, er war 15 Jahre lang im Hansa-Tonstudio beschäftigt. Mit ihm nahm ich also das Album auf und er hat auch sehr gute Kontakte zu den Musikern, wie z. B. Alex Conti, der nun wieder bei LAKE spielt. Eine Ikone der deutschen Rockmusik. Gemeinsam mit Uwe nahm ich mit Jürgen Dehmel, dem Bassisten von NENA, auf. Wir sind noch immer gute Freunde. Und dann hatte ich noch Sabine Manke dabei. Sie stammt eigentlich aus dem Osten und sang damals bei JUST FRIENDS mit. Sabine ist eine phantastische Chorsängerin und hat mich chormäßig unterstützt. Dann waren der Pianist Carli Quiroz aus Argentinien und auch mein Schwiegersohn, ebenfalls Pianist, dabei. Darüber hinaus arbeitete ich mit einem Kinderchor, das sind zufälligerweise meine Enkel (lacht). Und ein befreundeter Heavy Metal-Gitarrist hier aus Cloppenburg, wo ich im Moment wohne. Also eine bunte Mischung von Freunden und Top-Musikern und das Album ist besser geworden, als ich es mir vorgestellt hatte.

003 20200714 1376201575Dem Ganzen entnehme ich auch, dass dies kein einmaliger Ausflug ans Mikrofon sein wird, Du planst also möglicherweise doch etwas Größeres?
Ich sage ganz ehrlich: Ich habe Blut geleckt! Ich finde es inzwischen so klasse, meine selbst komponierten und getexteten Songs zu singen, zu performen und aufzunehmen, dass ich es mir gar nicht mehr anders vorstellen kann. Ich spielte auf dem Album natürlich Schlagzeug, ich spielte hier und da Klavier, aber die richtigen geilen Piano-Sachen habe ich spielen lassen. Aber da ich über alles die Kontrolle habe und mir das so gut gelang, kann ich es mir nicht anders vorstellen. Das Album ist fertig und erscheint am 2. Oktober 2020. Es ist für mich ein Ausflug und ich muss mal sehen, wie es läuft. Aber die Reaktionen, die ich gerade im Netzt habe, sind so umwerfend, dass ich es kaum glauben kann.

Vor wenigen Jahren war es ja noch so, dass man seinen Song als Single veröffentlicht hat - das gibt es heute gar nicht mehr - und der Trend geht dahin, auch das Album nicht mehr physisch erscheinen zu lassen. Wie sieht es bei Dir aus? Du bist ja noch "Old School", Du kommst aus den 80ern, wo es so üblich war. Wird Dein Album auf CD oder Vinyl erscheinen?
Da sagst Du etwas Gutes, wenn ich an diese ganzen Streaming-Geschichten denke. Ich war schon überrascht, wie das heutzutage gemacht wird. Alles wird gestreamt und man kann inzwischen keinem jungen Menschen mehr mit gutem Gewissen empfehlen, Musiker zu werden, weil man an Streaming natürlich überhaupt kein Geld mehr verdient. Das war auch der Grund, weshalb ich sagte, dass ich diese Platte auf Vinyl herausbringen muss. Probepressungen liegen schon hier, sie sehen toll aus und können dann auch gekauft werden. Das ist, wie wenn man eine Katze im Arm hält, wenn man ein Vinyl mit einem Plattencover in der Hand hat. Das fasst sich gut an, es hat ein tolles, großes Format, die Texte sind groß geschrieben, das ist etwas Besonderes und das hat man gern im Schrank. Aber irgendwie nur Daten auf dem Handy … und auf dem Handy klingt die Musik dann auch noch schrecklich ,,, das kann ich mir irgendwie kaum vorstellen. Unsere Generation hat damals noch mit Plattenspielern Musik gehört, mit Endstufen, die dazu passen mussten, die Boxen mussten dazu passen - das ist ein ganz anderer Hörgenuss als heutzutage. Und deshalb dachte ich mir, das Album muss unbedingt auf Vinyl erscheinen und gekauft werden können. Ich weiß auch, dass die Nachfrage nach Vinyl inzwischen total gestiegen ist. Sie soll sogar größer sein, als die Nachfrage an CDs.

Kommt das Album trotzdem auch auf CD?
Ja, auf jeden Fall, logisch. Es geht ja auch ein bisschen um meine Altersklasse. Ich glaube nicht, dass die Kids von heute CDs bestellen. Die streamen das oder downloaden es sich auf ihr Handy, aber Leute in meinem Alter oder auch ein bisschen jünger kaufen gerne noch CDs.

Apropos "vor wenigen Jahren": Dich kennt die Welt ja eigentlich als Drummer der NENA-Band. Zusammen mit Nena und den anderen Musikern warst Du als Poster-Motiv in zigtausend Kinder- und Jugendzimmern zu finden und weltweit unterwegs ...
(lacht)

Wieviel vom damaligen Rolf Brendel steckt denn heute noch in Dir?
Ach na ja, jeder Mensch entwickelt sich weiter. Die ganze Zeit weiß ich natürlich zu schätzen und sie prägte mich auch. Ich merkte schnell, dass da nicht so viel dahintersteckt. Da wird unheimlich viel aufgebauscht und das, was wir damals erlebt haben, war alles total schön, aber auch irgendwie eine Märchenwelt. Im Nachhinein konnte man das gar nicht so richtig ernst nehmen. Die Kids haben uns natürlich verehrt, aber diese Verehrung hat - wenn man es sich richtig überlegt - keine echte Substanz. Es ist schön, bewundert zu werden und jeder Musiker genießt es, auf der Bühne zu stehen und beklatscht zu werden. Aber diese Hysterie, die wir damals erlebten, die war einfach nicht so richtig echt und nicht zu fassen. Schön, dass ich es erlebt habe, aber in der Art möchte ich es eigentlich nicht mehr erleben. Man hatte ja überhaupt keine Luft mehr zum Atmen, man hatte keine Freizeit mehr, man wurde völlig in Beschlag genommen. Man konnte nicht mehr aus dem Haus gehen, es war Wahnsinn und man hatte überhaupt keine Privatsphäre mehr. Insofern bin ich auf eine Art froh, dass es vorbei ist, denn jetzt kann ich mich endlich als Musiker ausleben. Damals war man eher ein Teenie-Star und kein echter Musiker. Du weißt sicher, was ich meine ...

Der BRAVO-Boy ...
Ja, genau. Es ist schön mit 20, aber nicht mehr mit 120 ... (lacht)

Du hast mit NENA diesen ganzen Aufstieg live und in Farbe erlebt. Gabriele "Nena" Kerner und Du kanntet Euch schon von den STRIPES aus den 70ern. Wie habt Ihr Euch kennengelernt? Ging das über die Musik und diese Band oder über einen anderen Weg?
Heute gibt es ja Casting-Shows wie "Voice of Germany" oder "DSDS". Ich hatte damals mit einem Gitarristen zusammen Musik gemacht und die Überlegung war, eine Musik wie die der STONES oder der BEATLES zu machen. Also wieder "back to the roots". Die 70er Jahre waren vorbei und da gab es ja lange Arrangements, es gab LED ZEPPELIN, DEEP PURPLE oder PINK FLOYD. Das waren musikalisch gesehen ganz pompöse Arrangements, wir wollten aber zurück und wieder ganz einfache, klare Arrangements machen. Nachdem wir Songs geschrieben hatten, überlegten wir uns, dass wir eine Sängerin oder einen Sänger brauchen. Da fiel unsere Wahl auf eine Sängerin und wir gaben in Hagen eine Anzeige in der Zeitung auf. Da meldeten sich meist Mädels aus Chören, es waren also keine Rocksängerinnen, wie wir uns das vorstellten. Wir stellten uns so etwas wie damals Blondie oder Inga Rumpf vor. Das war also nicht das richtige und irgendwann hat der Gitarrist Rainer Kitzmann in einer Hagener Disco Nena gesehen und die tanzte so toll. Er fand sie attraktiv und anziehend, ging zu ihr und fragte: "Sag mal, hast Du nicht Lust, bei uns in der Band zu spielen?" Sie drehte sich zu ihm um und sagte: "Ja." (lacht) Das ist wirklich passiert und keine Rock'n'Roll-Geschichte. Er brachte sie und ihre Schwester mit in den Proberaum und es begann, sich zu entwickeln. Anfangs waren wir überhaupt nicht von ihr überzeugt. Sie sang sehr lasziv - so wie sie eben singt - und das war nicht das, was wir als "rockig" verstanden. Trotzdem hat sie uns nach einer Weile total gepackt mit ihrer anderen Art zu singen. Dann entwickelte sich das immer weiter und in der Band gab es Streit. Die Plattenfirma schlug uns - nachdem sich die STRIPES aufgelöst hatten - deshalb vor, nach Berlin zu gehen.

Dazu kommen wir auch noch. Du warst zum Zeitpunkt, als die STRIPES gegründet wurden, schon 21 Jahre alt. Das ist ja schon ein etwas fortgeschrittenes Alter in der Pop-Welt. Daher gehe ich davon aus, dass das nicht Deine erste Band war. Was hast Du vor den STRIPES gemacht?
Das hat mich noch nie jemand gefragt, sehr interessant ... (lacht) Mein Bruder ist auch Schlagzeuger, er ist neun Jahre älter als ich. Er spielte in den 70er Jahren in diesen Beatbands. Dadurch kam ich eigentlich zur Musik, es faszinierte mich total. Wir hatten ein 6-Familien-Haus, in dem die ganze Familie wohnte, also mit Omas, Opas, Kindern usw. Die Bands probten unten im Keller und so kam ich zur Musik. Ich half dann anfangs in seiner Beatband aus und danach spielte ich in Coverbands. Das waren aber keine Coverbands, wie man sie heute kennt, sondern das waren Tanzbands, die auf Polterabenden oder Hochzeiten gespielt haben. Dadurch blieb ich bei der Musik und wurde Schlagzeuger.

Die STRIPES waren dann aber auf jeden Fall die erste Kapelle, mit der Du im Studio und auch im Fernsehen warst. Wie kam es überhaupt dazu, dass Ihr diesen Plattenvertrag bekommen habt? Immerhin bei der CBS und nicht bei irgendeiner Wald- und Wiesenfirma ...
Rainer Kitzmann kannte einen Zeitungsverleger, der in Hagen eine Zeitschrift hatte, die "Musikertreff" hieß. In ihr veröffentlichten wir einen Artikel mit unserem Konzept und daraufhin rief die CBS, die später zu SONY wurde, bei uns an. Die beiden Verantwortlichen bei der CBS waren Geschäftsführer Jochen Leuschner und Andreas Kirnberger, der A&R. A&R heißt "Artist & Repertoire", das sind die Leute, die die Bands einkaufen. Mit den beiden hatten wir uns getroffen, sie waren völlig begeistert von uns und boten uns einen Plattenvertrag an. Dann veröffentlichten wir "Ecstasy" und "Tell Me Your Name", das waren die ersten beiden Singles. Sie liefen aber nicht so richtig. Es war kein kommerzieller Erfolg, wahrscheinlich, weil wir englisch sangen. Und dann schlugen die uns vor, deutsch zu singen und nach Berlin zu gehen. Das konnten wir uns überhaupt nicht vorstellen, machten es aber trotzdem. Dort lernten wir dann über die CBS und Jim Rakete die SPLFFer kennen. Dadurch wurde das ganze dann etwas professioneller.

Das muss ca. 1981 gewesen sein, da sind Nena und Du aus Eurer Heimatstadt Hagen nach Berlin gezogen. Ein großer Schritt, die STRIPES waren damit Geschichte. Wollten die anderen Jungs nicht mit Euch gehen oder war von vornherein klar, Ihr beiden macht das und stellt in Berlin etwas Neues auf die Beine?
Nein, es war so, dass wir uns gestritten hatten. Aus diesem Streit heraus sagten Nena und ich, wir gehen jetzt nach Berlin. Wir haben dann noch Frank Röhler, der später im Jahre 1996 beim Flughafenbrand in Düsseldorf ums Leben kam, gefragt, ob er mitkommen wolle. Er wollte aber nicht, ihm war es ein zu großes Wagnis, von Hagen nach Berlin zu ziehen. Mit Rainer hatten wir uns zerstritten, das kam also nicht in Frage. Und die anderen wollten irgendwie auch nicht. So packten wir unseren VW-Käfer voll und fuhren von Hagen nach Berlin. Dort besuchten wir Carlo Karges, den Nena schon aus Hagen kannte und der bei den RAMBLERS Gitarre gespielt hatte. Den trafen wir in Berlin und haben praktisch eine neue Band formiert.

Was haben denn die anderen Jungs danach gemacht? Du sagtest, einer ist mittlerweile nicht mehr am Leben. Was wurde aus den anderen? Blieben sie der Musik treu oder nahmen sie andere Jobs an?
Ich habe den Kontakt zu ihnen verloren. Der Bassist von EXTRABREIT, Wolfgang "Hunter" Jäger, spielte zwischendurch mit und verstarb auch bereits. Dann gab es noch Frank Becking, er lebt in Berlin und macht als guter Gitarrist noch immer Musik. Was aus den anderen, die zwischendurch mal bei uns spielten, geworden ist, weiß ich nicht.

Nun ist es ja nicht so, dass man in eine große Stadt wie Berlin kommt und sofort den konkreten Plan vor Augen hat, wie es laufen soll. Wie in dieser Zeit seid Ihr denn auf Jim Rakete und die Jungs von SPLIFF gestoßen? Dieses Zusammentreffen muss ja auch irgendwie entstanden sein, wie kam es dazu?
Das hatten wir überhaupt nicht ins Auge gefasst. Als die Plattenfirma hörte, dass wir uns mit den STRIPES auflösten, riefen sie uns an und meinten, sie hätten eine Idee: "Ihr macht deutsche Texte und trefft die NINA HAGEN BAND bzw. die Leute von SPLIFF. Die haben ein Studio, die können produzieren, das sind tolle Musiker. Und Ihr könnt Jim Rakete treffen, er ist zwar Fotograf, managt aber gerade eine ganze Menge erfolgreicher Bands in Berlin." Wir konnten uns zu dieser Zeit dennoch nicht vorstellen, deutsch zu singen. Aber okay, wir wollten uns das alles mal ansehen, denn es waren ja immerhin erfolgreiche deutsche Musiker. Wir flogen von Düsseldorf nach Berlin und haben im Flugzeug "Nur geträumt" getextet. Als wir den Song aufnahmen - Uwe Fahrenkrog-Petersen hatte die Musik dazu komponiert - merkten wir, dass Nena einen tollen Zugang zur deutschen Sprache hat und entwickelten das weiter.

Nun sagtest Du gerade, als Ihr nach Berlin gefahren seid, besuchtet Ihr sofort Carlo, den Nena schon kannte. Wo kamen denn Uwe und Jürgen her und wie wurde aus Euch diese NENA-Band?
Bei Musikern ist es einfach so, ein Musiker kennt den anderen. So ist das wirklich. Carlo hat erst mal seinen Freund und Bassisten Clemens Domning mit in die Band geholt. Der wollte aber irgendwann nicht weitermachen und stieg wieder aus. Carlo kannte Uwe und Uwe war sehr eng befreundet mit Jürgen und machte gemeinsam mit ihm Musik. So entstand das, also eine Kette von Musikern, die sich kennen, und der eine fragt den anderen. Eigentlich ein großer Zufall, Carlo hätte auch irgendjemanden fragen können und es wäre vielleicht eine ganz andere Band mit anderen Songs geworden. Wahrscheinlich weniger erfolgreich, aber vielleicht auch erfolgreicher. Ich habe keine Ahnung ... (lacht) Aber das sind Zufälle, die kannst du nicht planen. Man sucht Musiker, spricht einen an und der ist es dann für alle Zeiten oder wird am nächsten Tag wieder ausgetauscht. Das kann man vorher nicht bestimmen.

Du erzähltest gerade: Zwischen der letzten Single von den STRIPES - das war 1981 - und der ersten Single mit NENA "Nur geträumt" lag gerade mal ein Jahr. Das muss ja ziemlich kompakt gewesen sein, wenn Du sagst, Ihr sitzt im Flugzeug und habt die Idee zu diesem Titel. Wie war es denn möglich, nach diesem Richtungs- und Sprachwechsel dieses Konzept so schnell umzusetzen und auf die Beine zu stellen?
Die Plattenfirma hatte uns mit Reinhold Heil und Manfred Praeger zusammengebracht, die dieses Studio in Berlin betrieben und es gab zunächst lediglich ein Kennenlernen, mehr war das nicht. Man war sich sympathisch und wir besprachen, einfach mal einen Song in Deutsch zu versuchen. Uwe meinte, er hätte eine ganz gute Musik komponiert und wir haben den Text, den wir geschrieben hatten, auf diese Musik gesungen. Es ist ja so, du hast ein Playback und du versuchst, zu einem deutschen Text die Melodie dazu zu finden. Das ist eine bestimmte Arbeitsweise und das funktionierte total gut. Wir nahmen das dann in Berlin auf und merkten, dass vor allem Nena einen Zugang zur deutschen Sprache hatte. Also sagten wir: "Dann lass' uns mal in diese Richtung weiterarbeiten." Wir haben diesen einen Titel - "Nur geträumt" - gemacht und dieser eine Titel gefiel der Plattenfirma dermaßen gut, dass sie sagten: "Ja, wir machen gleich ein Album und nicht erst nur eine Single, um zu sehen, wie es läuft." Und dieser Titel wurde dann dem "Musikladen" in Bremen angeboten und kurze Zeit später war er ein Riesenerfolg.

Nun habe ich mit Dir jemanden am Telefon, der ja auch kreativ stark eingebunden war. Du hast nicht nur an "Nur geträumt" mitgewirkt, "Lass' mich dein Pirat sein" kommt mit von Dir, auch Albumtitel wie "Kino" oder "Utopia" stammen aus Deiner Feder. Den Schliff bekamen die Titel immer erst im Studio durch Manne und Reinhold von SPLIFF. Wie groß würdest Du den Anteil der beiden an Eurem Erfolg in den ersten fünf Jahren, also von 1982 bis 1986, einstufen?
Gigantisch groß. Weißt du, wenn Menschen einen Song hören, der ihnen gefällt, dann denken die meisten gleich an die Sängerin oder den Sänger und weiter denken sie meistens gar nicht. Aber was alles dahinter steckt, ist enorm. Nicht nur die einzelnen Musiker, die gespielt haben, sondern die Produktion ist wahnsinnig wichtig. Man kann einen Song in alle möglichen Richtungen drängen, man kann Jazz, Funk, Rock- und Pop-Musik oder Schlager daraus machen. Deshalb spielt die Produktion eine wahnsinnig große Rolle. Die Songs, die wir damals mit NENA gemacht haben und die von Manne und Reinhold produziert wurden, kannst du dir heute noch anhören und die klingen immer noch phantastisch und es käme nie einer auf die Idee, zu sagen, "Das ist ja altes Zeug, das ist Retro der 80er ..." Es ist noch immer zeitgemäß. Die Produktionen und was die beiden da geleistet haben, ist toll. Manne ist leider inzwischen verstorben und Reinhold ist ausgebildeter Tonmeister, ein phantastischer Pianist und Keyboarder. Also die wussten schon, was sie taten und machten das phantastisch. Ohne die beiden wäre dieser Erfolg möglicherweise gar nicht möglich gewesen. Jetzt weiß man natürlich nicht, was passiert wäre, hätten es andere Produzenten gemacht. Mit Sicherheit hätte es anders geklungen, aber das ist natürlich völlig spekulativ.

Wie war denn überhaupt die Zusammenarbeit mit den beiden? Wenn ich so die Besetzungsliste auf den Platten lese, war ja sogar Reinholds Freundin Cosa Rosa mit im Studio und machte den Background-Chor. Klingt irgendwie nach "Musizieren mit Familienanbindung" ...
(lacht) Nein, so war das überhaupt nicht. Das war ein Akzent und ein einmaliges, kurzes Gastspiel. Ansonsten spielten wir alles selbst, ich spielte schlagzeugmäßig alles selbst, obwohl die Leute manchmal sagten, "Das hat doch bestimmt alles Herwig Mitteregger getrommelt ..." Sie trauten uns das einfach nicht zu, weil sie dachten, wir wären eine Teenie-Band. Aber das, was Du gerade sagtest, das spielte eine große Rolle: Wir waren alle schon über 20, als ich Nena kennenlernte, war sie 19. Als 1983 unser erstes Album rauskam, war Nena 23 Jahre. Wir waren eigentlich keine Teenie-Band. Carlo war schon Ende 20. Wir sind aber als Teenie-Band durchgegangen und verkauft worden, aber wir waren alle eigentlich schon - ich will nicht sagen etablierte, aber - erfahrene Musiker. Carlo war wirklich ein etablierter Musiker, er hatte teilweise Musik studiert, auch wenn er das Studium nicht beendete. Alle Beteiligten waren schon gute Leute.

Wie hast Du denn diese Zeit damals konkret erlebt, als Ihr mit dem "Musikladen" den Grundstein gelegt habt und dann über Nacht - wie Schmidts Katze - medial und kommerziell abgegangen seid? Ihr seid ja bis nach Japan gekommen, habt dort Tourneen gespielt, hattet diese ganzen Chart-Erfolge, u.a. auch in dem Staaten. Ist das an Dir vorbei gerauscht oder hast Du bewusst wahrnehmen können, was da gerade so passiert?
Als Musiker träumst du natürlich von einem so großen Erfolg, aber diese Ausmaße konnte kein Mensch absehen. Das war so wie "Vom Tellerwäscher zum Millionär". Wir haben eine Fernsehsendung gemacht, waren natürlich gestylt, denn Mode spielte damals eine große Rolle. Das hatten Nena und Uwe in der Hand, weil sie ein Händchen dafür hatten. Dann kamen wir ins Studio und sahen ganz anders aus, als die Schlager-Fraktion und die anderen erfolgreichen Leute und waren schon irgendwie etwas Besonderes, was auch eine große Rolle für den Erfolg spielte. Und als ich dann in allen Fernsehsendungen war, Geld verdiente und auch angesehen war, konnte ich das kaum glauben und irgendwie fassen. Das war einfach sensationell, wir fühlten uns wie im Traum oder im Rausch. Das ist schon eine Sache, die man irgendwie verkraften muss, denn teilweise ist das auch nicht mehr witzig. Man stellt sich das immer romantisch und toll vor, aber wenn du nicht mehr auf die Straße gehen kannst, ohne dass die Kids hinter Dir herlaufen ... Damals war das so, heute ist das etwas anders. Es gibt heute viel viel mehr erfolgreiche Musiker als früher - vor allem in den Großstädten. Das war einzigartig, die NENA-Musik war Grund für den Erfolg und wir hatten kaum Konkurrenz. Eine weibliche Persönlichkeit in der deutschen Rock-Pop-Musik, die deutsche Texte sang und so gestylt war, dass sie auch noch gut aussah, das passte schon alles zusammen.

Ihr hattet fünf Jahre, die Euch die Welt von ganz oben haben sehen lassen, Ihr hattet zwei mit Platin und ein mit Gold ausgezeichnete Alben, dafür mussten früher richtig viele Platten verkauft werden. Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen, denn heute bekommt man schon für ein paar Tausend Downloads ein solches Ding hinterher geschmissen ...
(lacht)

Es folgten Japan Tourneen und der schon erwähnte Chart-Erfolg in den USA. Wieso endete nach dieser kompakten Zeit und diesen Erfolgen 1985 die Zusammenarbeit mit den SPLIFFern?
Ja, Du hast völlig recht, ich habe hier irgendwie über 35 gold- und platinveredelte Schallplatten aus der ganzen Welt rumstehen. Dieser Chart-Erfolg von "99 Luftballons" potenzierte das ganze natürlich und war etwas völlig Besonderes. Ansonsten wären wir eine normal erfolgreiche deutsche Band geworden. Ich glaube, wenn man zu viel macht, sind irgendwann der Markt satt und auch die Fans satt. Man muss an so eine Sache auch schlau rangehen. DIE ÄRZTE sind für mich ein gutes Beispiel: Die waren auch wahnsinnig erfolgreich und sagten plötzlich "So, wir hören jetzt auf und ziehen uns zurück." Die hörten dann fünf Jahre auf, als DIE ÄRZTE Musik zu machen, was total schlau war. Nach fünf Jahren kamen sie zurück, veröffentlichten einen Artikel im "Musikmarkt" und in dem stand: "Beste Rockband der Welt sucht Plattenvertrag!" Dann wurden sie wieder überhäuft ... Wir haben nicht aufgehört, machten immer weiter, bis die Leute uns nicht mehr sehen konnten. Das war ein großer Fehler und hatte nichts damit zu tun, dass wir nicht mehr mit den SPLIFFern arbeiten wollten. Die Leute wollten uns einfach nicht mehr. Wir spürten das, zogen uns zurück, schafften es nicht mehr, uns zusammenzuraufen und Nena machte solo weiter.

Vorher kam noch das 1986er Album "Eisbrecher", welches handwerklich ja eigentlich auch ein tolles Werk ist, aber überhaupt nicht mehr die vorderen Plätze der Charts erreichen konnte. Ihr hattet den Produzenten gewechselt, statt den SPLIFFern hat Klaus Voormann das Album produziert, Nena saß dabei neben ihm. Lag es aus Deiner Sicht möglicherweise an der Arbeit von Klaus Voormann?
Nein, Klaus Voormann ist ein exzellenter Produzent und auch einer der etabliertesten Musiker Deutschlands. Es lag nicht an ihm. Es lag einfach daran, dass die Leute den Namen NENA nicht mehr hören wollten und konnten. Wir hatten mit diesem Album versucht, wieder zurück zu den Anfängen zu gehen. Aber das ist uns irgendwie nicht gelungen. Wir brachten die Platte auf den Markt, hatten ein paar Fernsehsendungen, aber die Luft war raus. Es ist schwer zu beschreiben, man kann nicht sagen, es lag daran oder daran, an den Arrangements oder an unserem Verhalten. Es gab die Verkäufe nicht mehr. Aber überlege mal: Was wir von dem letzten Album verkauft haben und wenn Du das vergleichst mit der heutigen Zeit, dann wären wir dennoch ein Jahr lang auf Platz 1 der Charts gewesen. Lutz Fahrenkrog-Petersen, mit dem ich mein neues Album produzierte, hat eine Dozentenstelle an der Humboldt-Universität in Berlin und hat seinen Studenten mal ausgerechnet, was in Deutschland eine fünfköpfige Band verdienen würde, wenn sie in den Top-Ten landen würden. Das war so lächerlich wenig, davon hätte keiner leben können. Ein Student stand auf und fragte ihn: "Sind Sie der Teufel?" (lacht) Die Zeiten haben sich geändert, die Konzepte haben sich geändert, vor allem durch digitale Downloads und Streaming verdienst du heute kein Geld mehr mit Musik. Das ist total eingebrochen.

Zur damaligen Zeit hat zum Beispiel einer wie Joachim Witt beklagt, dass ihn die Presse hat fallen lassen. Hattet Ihr das Gefühl zu dieser Zeit auch, wo das Interesse der Leute rückläufig war?
Du weißt ja selbst, wie das mit der Presse ist. Die brauchen immer Schlagzeilen, das ist ja ganz klar. Die schreiben nicht nur immer "Tolle Band, tolle Band, tolle Band", sondern suchen auch nach Möglichkeiten, es anders darzustellen. Und wir haben uns dann auch nicht immer toll verhalten, aber diese Jammerei kann ich auch nicht nachvollziehen. Na klar, die Presse hat eine unglaubliche Macht, aber dass sie uns hat fallen lassen, würde ich nicht sagen. Sie haben auch nichts Gutes geschrieben zum Schluss, aber das war auch unserem eigenen Verhalten geschuldet. Man hätte ja auch sagen können: "Wir hören jetzt auf, fertig, aus und dann warten wir mal ab, was passiert." Das machten wir aber nicht ...

Du bist ein Jahr nach der "Eisbrecher"-Veröffentlichung raus aus der NENA-Band, trenntest Dich von der Band und auch von Nena selbst. Was waren die Gründe für Deinen Ausstieg und den Umzug in die USA, wo Du ja noch mal die Schulbank gedrückt und Schlagzeug studiert hast?
Ich hatte schon immer vermisst, keine Ausbildung gehabt zu haben. Bevor ich Nena kennenlernte, wollte ich in Dortmund Schlagzeug studieren, dort gab es die Möglichkeit. Ich hatte mich schon mit denen unterhalten und wollte dorthin, es war eigentlich alles klar. Dann kam Nena dazwischen und der Erfolg mit den STRIPES ... Ich konnte es also nicht machen, aber es war schon immer mein Wunsch, das irgendwie nachzuholen. Und so studierte ich damals in Los Angeles für eineinhalb Jahre Schlagzeug. Das war super, für einen Musiker ist das eine tolle Welt. Solche Musikschulen gibt es heute in Europa und Deutschland natürlich auch, aber damals war das etwas Einzigartiges und ich traf dort meine Helden. Jeff Porcaro zum Beispiel. Auch bei seinem Vater Joe Porcaro hatte ich Unterricht, das war einfach genial und eine tolle Zeit, in der ich viel lernte.

Du kamst dann nach zwei Jahren wieder zurück nach Deutschland. Stimmt es, dass Du dann in der Band von Herwig Mitteregger getrommelt hast?
Ja, genau. Das war auch eine tolle Sache ...

Das ist ja auch ein kurioses Ding, von dem ich bisher gar nichts wusste. Herwig ist ja selbst einer der geilsten Drummer, die wir haben. Wie war die Zusammenarbeit mit ihm? Er gilt ja als Perfektionist und hat immer eine besondere Vorstellung vom Ergebnis der Studio- und Livearbeit. War das nicht kompliziert mit ihm?
Überhaupt nicht. Es war total klasse. Wie Du schon sagtest, ist Herwig ein ausgebildeter Schlagzeuger und ein phantastischer Musiker, der viele Hits für SPLIFF geschrieben hat. Wir haben zu zweit synchron Schlagzeug gespielt, also alles musste synchron sein und abgesehen von einem Solo konnte niemand davon abweichen. Es war total spannend und machte wahnsinnig viel Spaß, mit ihm zu arbeiten. Es war wirklich eine der geilsten Zeit als Musiker und Schlagzeuger. Diese Zusammenarbeit beschränkte sich aber nur auf das Live-Business. Alben habe ich im Studio nicht für ihn eingetrommelt.

Deswegen war mir das wahrscheinlich gar nicht bekannt, dass Du bei Herwig dabei warst. Du tauchst in meiner Erinnerung dann erst 1992 auf dem Album "Bongo Girl" von Nena als Komponist zweier Songs wieder auf. Hast Du da auch im Studio mitgewirkt?
Ja, na klar. Ich weiß gar nicht mehr, welche Alben es waren, aber ich trommelte - glaube ich - anfangs noch bei zwei Alben mit. Da waren wir auf den Bahamas, um aufzunehmen. Das hat sich dann irgendwann immer mehr verloren. Ich spielte anfangs auch noch mit Jürgen gemeinsam live mit, danach erledigte sich das aber nach und nach. Jeder hatte seine eigenen Sachen im Kopf, die er realisieren wollte.

Gibt es sonst noch Stationen, die erwähnenswert sind?
Ich spielte in einigen Bands. Eine Platte machte ich bei EXTRABREIT mit und ich spielte auf dem Solo-Album "Vive la KaBum" von Stefan Klein, dem Gitarristen von EXTRABREIT, mit. Die Aufnahmen zu diesem Album machten wir in London. Dann spielte ich in einer Punkrock-Band namens STROM mit einem Freund zusammen und alles andere waren Sachen, die nicht so bekannt sind und Dir wohl nichts sagen werden.

Dann hast Du Anfang des neuen Jahrtausends das Management von einem Nachwuchskünstler namens Marlon übernommen, der mit einer ziemlich beeindruckenden Single namens "Lieber Gott" plötzlich da war. Bei dem Song und dem dazugehörigen Video wirkten mit Joachim Witt, Herbert Dreilich von KARAT und ich weiß nicht, wer da noch alles dabei war, echt große Namen mit. Was war denn das für eine Aufgabe, die Du da übernommen hattest?
Das war auch eine ganz spannende Sache. Ich war zu dem Zeitpunkt in einem Tonstudio in der Nähe von Hamburg und schrieb Songs. Also das, was ich heute auch mache. Irgendwann kam ein befreundeter Gitarrist zu mir und meinte: "Ich habe hier mal meinen Sohn mitgebracht und er singt so gern. Kannst Du Dir das nicht mal anhören?" Er war damals - glaube ich - neun Jahre, ich stellte den Jungen vors Mikrofon und ließ ihn einfach ein paar Dinge singen. Ich bin fast hintenüber gefallen, der Junge hatte eine unfassbar tolle Stimme, eine so gute Intonation, eine richtig tolle Bluesstimme. Im Nachhinein wusste ich, warum: Ihm war ein Ohr in den Gehörgang gewachsen und wenn Sänger sich besser hören wollen, halten sie sich ein Ohr zu. Er sang echt toll. Mit ihm schrieb und produzierte ich ein paar Songs und dabei kam auch "Lieber Gott" mit Peter Maffay, Nena, Udo Lindenberg, Joachim Witt heraus.

Hast Du die vielen Gast-Sänger damals um den Jungen herum zusammengetrommelt?
Nein, das war die Plattenfirma. Wir hatten überlegt, was wir machen können, denn damals gab es diese Oder-Flutkatastrophe. Wir wollten im Rahmen dessen Geld sammeln und brachten diesen Song heraus. Durch diese Hilfeleistung konnten wir die Leute alle engagieren und dafür gewinnen. Sie machten alle gerne mit, es war eine Charity-Geschichte für die Flutopfer. Wir sammelten 500.000 Euro und das war auf jeden Fall eine gute Sache .

013 20200714 1148385128Was wir auch nicht unerwähnt lassen sollten, Du hast auch ein Buch geschrieben. Es heißt "NENA - Die Geschichte einer Band". Das Buch erschien 2014. Wie kamst Du denn dazu, plötzlich als Schriftsteller den Schreibstift in die Hand zu nehmen?
Das wollte ich schon immer machen. Als es damals mit dem Erfolg von NENA begann, sammelte ich alle Zeitungsschnipsel und alles, was irgendwie interessant war. Ich wollte immer ein Buch schreiben, weil ich es ganz spannend fand. Ich führte Tagebuch, machte mir hier und da Notizen. Und irgendwann sagte ich mir: "Okay, jetzt schreibst du ein Buch." So kam es dazu. Aber leider ist es gerade vergriffen. Ich muss mal sehen, ob eine Nachauflage möglich sein wird. Das Buch ist für mich ein Resümee und auch eine Hommage an unsere Band und das, was in dieser Zeit alles passiert ist. Ich schrieb also alles auf, was wichtig war, was ich mit Nena und der Band erlebte und vor allem auch viele lustige Geschichten. Das ist echt gut gelungen und ich bin froh, dass ich es gemacht habe. Es ist ein schönes Lesebuch für die Enkelkinder ... (lacht)

Du bist damit ja auch auf Lesetour gewesen, es gab also Veranstaltungen, bei denen Du aus diesem Buch vorgelesen hast. Da bist Du dann ja quasi direkt vor Ort gewesen und konntest ungefähr abschätzen, wie viel Interesse an diesem Thema noch da ist. Ist das Interesse an dieser Zeit, an der Musik, an NENA und dem ganzen Drumherum noch immer so groß?
Ja, das Interesse ist auf jeden Fall da. Es gibt wahnsinnig viele Foren im Internet, denn Nena ist ja noch immer sehr erfolgreich. Das Interesse ist ungeheuerlich. Die Leute gehen natürlich nicht so zahlreich zu Lesungen, wie auf Konzerte, aber das Interesse an den 80er Jahren und an Nena ist nach wie vor ungebrochen, möchte ich sagen.

Nun kommen wir noch mal ganz auf den Anfang unseres Gesprächs zurück, nämlich auf Deine Musik und darauf, dass Du jetzt in Erscheinung trittst und selbst als Solist auftrittst. Es wird im Oktober ein Album geben, vielleicht kannst Du ja schon mal einen kleinen Einblick geben auf das, was die Leute da erwartet. Was kommt auf sie zu, was hast Du da aufgenommen?
Die musikalische Idee zu diesem Album war die, was passiert wäre, wenn wir damals nicht aufgehört hätten, mit NENA Musik zu machen, sondern wenn wir weitergeschrieben und weiterkomponiert hätten. Das alles kann ich natürlich nur aus meiner Sicht darstellen. Ich fing an, Songs zu schreiben, deutsche Texte zu schreiben und das alles in dem Stil der 80er Jahre, aber verbunden mit dem neuen Zeitgeist. Das ist - glaube ich - eine ganz gute Melange aus den 80er'n und der aktuellen Zeit. Alles natürlich auch sehr persönliche Dinge. Ein Song ist dabei, der mir besonders nahegeht. Er heißt: "Das Meer berührt den Horizont" Das ist ein Text über meinen verstorbenen Freund Carlo Karges, der "99 Luftballons" getextet hat, mit dem ich sehr viel Zeit verbrachte und von dem ich wahnsinnig viel gelernt habe. Er war ein phantastischer Musiker. Auf dem Album sind zehn Songs drauf, denn auf Vinyl passt nicht viel mehr drauf, ohne dass die Qualität leidet. Auf der einen Seite gibt es ganz schnelle Uptempo-Nummern, im Stil von "Vergessene Helden" und da geht es auch sehr rock'n'rollig zu. Auf der anderen Seite wird es ein bisschen langsamer, da sind die Tempi nicht ganz so schnell. Balladen, eine Liebeserklärung an meine Frau, ein Song über die Umwelt oder wie ich mir das nächste Leben vorstelle und so etwas ...

Carlo Karges, den Namen müssen wir auch noch mal erwähnen. Da hieß es immer, er wäre derjenige gewesen, der stets versucht hätte, diese ganze Geschichte noch mal auf die Beine zu stellen, also mit Nena und den Musikern noch mal ein Comeback zu feiern. Stimmt das?
Ja, er hatte das zwischenzeitlich versucht. Zuerst spielte ich live mit Nena und mit Jürgen zusammen. Als wir nicht mehr mitmachten, versuchte Nena, mit Carlo live zu spielen, aber aus irgendeinem Grund funktionierte das nicht mehr. Der Geist, den wir in den 80er Jahren hatten, war einfach nicht mehr da. Und Uwe hatte auch inzwischen ganz andere Projekte, er macht zum Beispiel sehr erfolgreich Filmmusiken, jeder machte plötzlich andere Sachen und konnte sich nicht vorstellen, die Band zu reformieren. Wir haben so viel erlebt und uns auch auseinandergelebt. Wir wollten das auch gar nicht mehr, es war nicht mehr möglich. Alles hat seine Zeit und man muss es auch akzeptieren, wenn etwas auseinandergeht, denn es hätte nicht mehr funktioniert ...

Da möchte ich noch mal nachfragen, weil ich las, Carlo hätte das offensichtlich nicht akzeptieren können und sei daran letztlich zerbrochen. Kannst Du das bestätigen oder ist das einfach nur Gerede der Boulevard-Medien?
Nein, das lediglich ein Gequatsche von den Medien. Carlo hatte ja auch danach verschiedene Bands, er machte seine Musik und er schrieb tolle Texte. Das war alles nicht so erfolgreich, wie in den 80er Jahren, aber man kann ja nicht erwarten, dass man ständig auf einem solch unglaublich hohen Erfolgslevel Musik macht. Das geht gar nicht. Daran wird man aber von den Medien gemessen. Die Leute denken, wenn du einmal in einer erfolgreichen Band gespielt hast und anschließend in einer Band spielst, die nur halb so erfolgreich oder gar nicht erfolgreich ist, dann muss es schlechter sein und eine Welt bricht zusammen. Das ist überhaupt nicht so. Wir alle wissen diese Zeit sehr zu schätzen und wir lernten wahnsinnig viel. Und welcher Musiker erlebt so etwas? Wer ist in der Lage, einen so großen Erfolg mitzumachen? Da kann man doch stolz und glücklich sein, dass man so etwas erreicht hat. Ob es nun Glück war oder woran es auch immer lag, es ist etwas, woran man gerne zurückdenkt und deshalb formulierte ich auch das Buch sehr positiv.

Eine provokante Frage muss ich noch stellen: Ich muss vorausschicken, ich fand Euch total geil, der Sound war geil, es waren herausragende Musiker in der Band, keine Frage. Ich hatte stets mit Nena selbst, mit ihrer Stimme, meine Probleme. Mich interessiert aus Deiner Sicht, ob das ganze Ding mit einer anderen Sängerin oder einem anderen Sänger auch funktioniert hätte? Wir stellten ja vorhin schon fest, eine "Rockröhre" war oder ist sie nicht ...
Das ist genau der Punkt, das ist schwer zu sagen. Es ist alles sehr fiktiv und auch spekulativ. Vielleicht wäre es besser gewesen, vielleicht aber auch viel schlechter. Ich glaube, es wäre viel schlechter geworden. Musik hat ja nicht immer was mit Stimmen zu tun, sondern mit einer Überzeugung dessen, was man da vorträgt, was man da singt, was es für Texte sind. Glaubt man das demjenigen, der es singt oder ist er unglaubwürdig und wie präsentiert er sich? Und Nena hat nun mal eine Stimme, die nachvollziehbar ist.015 20200714 1005305383 Auch von vielen jungen Sängerinnen, die wie sie sein wollten. Sie hat - das war nicht konzipiert - wirklich nur sich dargestellt. Was sollte sie machen? Sie konnte nur so sein, wie sie ist und wie sie schon immer war und die Leute fanden es toll. Sie hat ein Charisma, sie hat eine Ausstrahlung, die einfach umwerfend ist. Ich war acht Jahre mit ihr zusammen, ich kann es bestätigen. Sie hat eine unheimliche Anziehungskraft auf Menschen und das ist in der Musik auch total wichtig. Nicht nur "Rockröhre", das ist nicht alles. Wie viele wahnsinnig tolle Sängerinnen und Sänger gibt es, die überhaupt nicht erfolgreich sind? Man muss eine Ausstrahlung haben. Da kommt jemand in einen Raum und alle sagen: "Oh, man weiß gar nicht, warum." Diese Präsenz, dieses "Rockstar-Gen" hat nicht jeder. Ich glaube, das war bei ihr auf natürliche Art und Weise gegeben.

Ich wünsche Dir auf jeden Fall viel Erfolg für die Sachen, die Du jetzt angeleiert hast und hoffe, dass sie auch wahrgenommen werden.
Das hoffe ich auch, vielen Dank!

Ich gehe mal davon aus, dass Du dann irgendwann auch mal live auf einer Bühne zu sehen sein wirst ...
Das ist natürlich auch mein großer Wunsch, obwohl zurzeit die Wahrscheinlichkeit, in den nächsten Monaten auf Tour zu gehen, ziemlich gering ist, da man nichts planen kann. Im Moment können keine Konzerte stattfinden und man weiß nicht, wie es sich entwickeln wird.

Na ja, vielleicht 2021 ... Wir bleiben in Kontakt und wir wünschen Dir und Deinem Projekt alles Gute!
Dankeschön!



Interview: Christian Reder
Bearbeitung: MB
Fotos: Rolf Brendel privat, Jim Rakete





   
   
© Deutsche Mugge (2007 - 2023)

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.