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Interview vom 3. September 2018



001 20180904 1754003309Im Jahre 2000 war die Burg Ronneburg bei Altwiedermus, einem Ortsteil der Gemeinde Ronneburg im Main-Kinzig-Kreis in Hessen, Schauplatz eines ganz besonderen Ereignisses. Dort in den alten Gemäuern gründeten acht Musikanten die Mittelalter-Rockband SALTATIO MORTIS. Hier heißt keiner so, wie es im Ausweis steht, denn die Herren nehmen ihre Mission sehr ernst. Die Bandmitglieder haben Namen aus Rollenspielabenteuern des Fantasyrollenspiels "Das Schwarze Auge" angenommen. Zwischen 2001 und heute hat die Band ganze elf Alben veröffentlicht, wovon das Werk "Brot und Spiele" (Rezension HIER) gerade erst vor knapp zwei Wochen in den Handel kam. Unsere Kollegin Antje hatte vor ein paar Tagen die Möglichkeit, mit dem Schlagzeuger der Band, Timo Gleichmann, der auf der Bühne aber als "Lasterbalk der Lästerliche" auftritt, über eben dieses neue Album und einige Dinge mehr zu sprechen ...




Vielen Dank, dass du dir die Zeit für ein Interview nimmst ...
Ja, sehr gerne.

Beschreib doch bitte mal das neue Album mal mit drei Worten.
Abwechslungsreich, rockig und gute Livesongs.

Sehr gut. Gibt es einen roten Faden?
Ja. Man muss die Alben tatsächlich immer ein bisschen im Kontext sehen. Wo kommen wir her, wo wollen wir hin. Wir kamen ja vom "Zirkus Zeitgeist", was ein relativ gesellschaftskritisches Album war. Wir wollten ganz bewusst ein ausgewogeneres Album machen. Also große Geschichten erzählen, kleine Geschichten erzählen. Persönliches, Gesellschaftliches, Kritisches, Lustiges. Insofern ist der rote Faden wahrscheinlich eine gewisse Ausgewogenheit. Inhaltlich wie musikalisch.

Ich habe generell den Eindruck, dass ihr direkter und politischer geworden seid. Stimmst du da zu?
Ich würde ganz klar sagen: nein, stimmt nicht. Denn wenn du von der 'Regular Edition' ausgehst, da sind 13 Songs drauf. Davon sind gerade mal zwei politischer Natur. Das sind ganz klar "Europa" und der "Besorgte Bürger". Wenn man sagt, "Okay, noch ein gesellschaftskritischer Text",002 20180904 1470587372 dann ist das "Brot und Spiele". Das heißt, bei drei von dreizehn Liedern ist das eigentlich nicht so furchtbar politisch. Da war der "Zirkus Zeitgeist" deutlich politischer und gesellschaftskritischer.

Ich wohne in Chemnitz und kann derzeit "besorgte Bürger" so gut nachvollziehen ...
Ja das glaub ich. Ich hab so meine Theorie zum Thema "Besorgte Bürger". Letztendlich leben wir ja ein bisschen in einer postfaktischen Zeit. Leider gibt es auch unter unseren Fans eine Menge Leute, die keinen Bock mehr haben. Da wird dann krakeelt. Wenn die Diskussion kommt: "Das ist doch ein furchtbar politisches Album", dann sag ich: "Moment, stimmt doch gar nicht!" Zähl doch einfach mal die politischen Songs gegenüber der Tracklist. Und wenn du die Doppel-CD, als was sie ja eigentlich gedacht ist, mit dazu nimmst, wird es sogar noch krasser. Dann sind es 26 Tracks gegen drei Politik-Songs. Das sehe ich nicht als furchtbar politisches Album. ABER, und das ist sicherlich auch der Grund warum es so hohe Wellen schlägt: "Besorgte Bürger" ist mit Sicherheit ein Song, der auch einigen von unseren Fans nicht schmeckt. Aber genau für die ist es ja auch geschrieben. Ich kann mir aber auch vorstellen, dass die ein oder andere Negativ-Kritik, die da kommt, damit zusammenhängt, dass die Leute sagen: "Meine Lieblingsband soll gefälligst nicht solche Musik machen."

Es gibt ja auch viele Leute die sagen, dass ihr kommerziell geworden seid ...
Das sind ja gleich zwei schlimme Sachen in einem. Dieses "Früher habt ihr ja so geklungen, bleibt gefälligst so ..." Das ist ja relativ schnell ad Absurdum geführt. Wenn du Verschiedene fragst, welches das beste Album ist, kommen da auch zig verschiedene Antworten. Was ist denn also SALTATIO MORTIS? Was ist denn dieses früher, von dem alle reden? In welche Zeit wollen wir zurückspringen? Das nervt mich so, dass die Fans nicht akzeptieren, dass es nicht nur um sie und ihren Nabel geht. Es ist völlig in Ordnung wenn jemand sagt, "Mir gefällt das Album nicht, ich mag es mir nicht kaufen." Oder: "Die Entwicklung der Band gefällt mir nicht." Das kann ich nachvollziehen. Aber manche Fans tun so als hätten wir sie persönlich beleidigt, weil wir ihren Geschmack nicht getroffen haben. Also, geht's noch? Diese Kommerz-Geschichte ist doppelt lächerlich. Zunächst mal: wenn wir wirklich kommerziell wären, würden wir Lieder wie "Besorgte Bürger" sicherlich nicht veröffentlichen. Zudem uns auch nicht ein Video dazu leisten. Dann würden wir es machen wie beispielsweise Helene Fischer. Nach Möglichkeit Reibungspunkte vermeiden, sehen dass wir möglichst eine breite Masse erreichen und möglichst Anschlusskompatibel sind. Und dann würden wir auch im Radio laufen. Verschiedene Verantwortliche sagen: "Was, eine Band mit so einem Namen und Dudelsäcken? Sowas spiele ich nicht." Das heißt, in der Radiolandschaft finden wir eigentlich nicht statt. Dass man da von Kommerz spricht, zeugt bestenfalls von Unkenntnis.

Jeder Mensch verändert sich ja auch. Logisch, dass auch ihr als Persönlichkeiten und damit die Band sich mal verändert.
Ja logisch. Und weißt du ... Als wir angefangen haben, waren wir auch noch gut 20 Jahre jünger. Da ging es auch noch um ganz andere Themen.

003 20180904 1460211901Genau, verschiedene Faktoren lassen den Menschen sich nunmal verändern, zum Beispiel wenn man eine Familie gründet. Das spielt ja immer alles irgendwie mit rein.
Sind wir doch mal ehrlich: Die Fans, die sich die Vergangenheit zurückwünschen, haben sich doch auch entwickelt. Es ist ja nicht nur so, dass wir uns als Band entwickeln, sondern auch sie. Weißt du, deine Hörgewohnheit ist doch bestimmt auch nicht mehr die gleichen wie vor 20 Jahren. Das liegt doch in der Natur der Sache, dass sich manche Wege auseinander entwickeln und manche zusammen. Was ich nicht verstehe ist die schlechte Stimmung dabei.

Ihr habt mit dem dem neuen Album seinen Namen gebenden Song "Brot und Spiele" ein Stück gegen die sozialen Medien und die Verblödung im TV mit dabei ...
Das ist eben das Problem der Zeit. Fangen wir mal mit der Wortbedeutung an. In Meinungsbildung steckt das Wort Bildung drin. Das heißt, wenn ich mir eine Meinung bilden will, muss ich mich im wahrsten Sinne des Wortes bilden. Also mit Quellen auseinander setzen, mit Meinungen und Ansichten auseinander setzen, ich muss die einschätzen können. Am besten in einen Diskurs gehen, Thesen und Antithesen aufstellen. Synthesen gewinnen. Das ist Arbeit. Das funktioniert vor allem nicht durch stumpfes nachplappern von Parolen. Ich respektiere Meinungen. Was ich nicht respektiere ist faktenverleumdnerische Propaganda. Das ist keine Meinung. Das ist genau das ... das ist Propaganda.

Seid ihr nach der kurzen Zeit seit seiner Veröffentlichung zufrieden, wie das Album bei den Leuten ankommt?
Wieviel mehr kann man denn erwarten? Platz 1 in der ersten Woche, in der Zweiten wahrscheinlich auch noch. Oder in den Top 5, mal sehen. In der Schweiz sind wir auf Platz 6, die beste Platzierung die wir da je hatten. Viel erfolgreicher geht in der ersten Woche nicht mehr.

Hast du einen Favoriten-Song auf dem Album?
Das ist ein bisschen Tagesformabhängig. Die beiden politischen Songs sind schon meine Favoriten. "Europa" finde ich textlich wie musikalisch toll, aber es ist kein Song für alle Tage. Dann inhaltlich, weil es auch sehr ruhig und sehr persönlich ist, mag ich "Spur des Lebens" sehr sehr gern. Und ich glaube "Große Träume", weil es ein wunderschöner Autofahr-Song für mich ist.

Wie bist du auf den Text von "Die Spur des Lebens" gekommen?
Wo wir gerade herkommen. Mit 20 habe ich mir noch keine Gedanken darüber gemacht, Kinder in die Welt zu setzen. Jetzt, mit über 40, sieht das schon anders aus. Da hänge ich so ein bisschen in einer Entscheidungsschleife fest. Will ich das? Will ich das in dem Sinne, ich gucke mir die Entwicklung der Welt an und damit meine ich nicht nur Chemnitz, sondern in einem globaleren Rahmen. Will ich ein Kind in eine Welt setzen die aktuell eine Kurve nimmt, die ich gar nicht gut finde? Da hab ich ganz klassisch einen Text geschrieben. Einen Brief an eben dieses Kind, um mich mit dem Thema auseinander zu setzen. Dabei ist mir klar geworden, dass es wunderschöner Stoff für einen Song ist. Zudem hat das Thema großen Anklang in der Band gefunden. Und vor allem, dass es auch eine sehr stark diskutierte Nummer war, da die Meinungen dazu sehr auseinander gingen. Sonst sind wir relativ oft zumindest auf der gleichen Straße unterwegs, aber in dem Fall gar nicht. Da gab es welche die gesagt haben, "Ich will auf jeden Fall ein Kind", welche die gesagt haben, "Du machst das an einem völlig falschen Punkt fest, ist doch egal wie sich die Welt entwickelt." Also wirklich sehr unterschiedlich. Aber witzigerweise fand ich die Diskussion darum toll, denn die hat mir viel Stoff zum Nachdenken gegeben. Wir haben dann den Text so verändert, dass der für alle schön war.

Kannst du schon einen kleinen Ausblick auf die Tour geben?
Natürlich "Brot und Spiele", das ist klar. Also sehr viel vom neuen Album, das ist uns auch jetzt schon klar. Aber daneben werden wir versuchen, von den älteren Songs ein gutes Best of dazu zu packen. Vielleicht den einen oder anderen akustisch spielen, das müssen wir noch sehen. Das wird sehr bunt, sehr schweißtreibend und es wird sicherlich eine tolle Party, darauf freue ich mich schon.

Könnt ihr euch vorstellen, mal die Songs komplett akustisch zu machen?
Ja. Das haben wir ja im Prinzip mit dem "Zirkus Zeitgeist - Ohne Strom und Stecker" schon gemacht. Wir denken gerade über etwas ähnliches nach, aber wir wollen "Ohne Strom und Stecker" auch nicht einfach kopieren. Aber ich kann dazu noch nicht allzu viel sagen.

Die VÖ des Vorgängeralbums ist nun drei Jahre her. Habt ihr an der neuen Platte so lange gearbeitet, oder euch dazwischen auch eine Auszeit gegönnt?
Tatsächlich haben wir sehr schnell mit den Arbeiten am neuen Album angefangen. Aber wir waren mit dem "Zirkus Zeitgeist" auch sehr eingespannt. Dazu noch "Ohne Strom und Stecker", das Release dazu, eine DVD, dazu auch wieder das Release und dann noch eine Live-CD. Für unsere Verhältnisse haben wir spät angefangen mit dem Songwriting. Meistens gibt es während der Tour schon die ersten Skizzen, spätestens aber danach. Nach der Platte ist vor der Platte. Meistens geht es dann im November, Dezember, Januar, dass man sich gemütlich zurückziehen und arbeiten kann. Aber dadurch, dass wir uns erst im März, kurz vor dem zweiten Teil der Tour, getroffen haben, hatten wir zwar schon Material, aber die Meinungen gingen noch sehr stark auseinander, wie stark das prägt. Da hatten wir zwei Fraktionen in der Band. Die eine hat gesagt, "Wir schaffen das in zwei Jahren", die andere war davon noch nicht so überzeugt. Im Sommer 2016 haben wir uns dann entschlossen, eine größere Schleife zu drehen. Also auch uns bewusst zu reseten, externe Feedbacks einzuholen und einfach neue Songs noch zu schreiben, bewusst Songs nochmal auf links zu drehen. Das hat einfach gedauert. Der zweite Part war dann einfach auch zeitintensiv und hat bis ins Jahr 2017 gedauert, bis in die Sommermonate.

Ich würde gerne nochmal den Bogen zurück zum Duett mit Marta spannen. Wie kam es zu der Zusammenarbeit?
Naja man hat das gleiche Management, wir kennen uns schon eine Weile. Ich bewundere Marta auch sehr für ihren professionellen Umgang mit allem, was einem im Showgeschäft begegnen kann. Ihre Band DIE HAPPY habe ich auch eine zeitlang verfolgt. Auch wenn ich mich nicht unbedingt als Fan bezeichnen würde. Man kannte sich irgendwie. Bei "Spur des Lebens" war es so, dass wir in der Diskussionsphase gesagt haben, "Wir hätten gerne mal die Sicht einer Frau auf das Thema." Dann war natürlich auch sehr naheliegend, dass man da auch eine Gastsängerin bittet, mitzuarbeiten.

Ihr habt mit "Große Träume" einen Song auf der neuen Platte, in dem ihr von früher singt, wie ihr früher als Band wart. Seid ihr heute noch ähnlich unbeschwert, oder seid ihr ernster und gesetzter?
Wir haben ja schon davon gesprochen, dass wir uns alle verändern. Aber ernster und gesetzter würde ich uns nicht bezeichnen; das wäre nicht typisch SALTATIO MORTIS. Aber natürlich haben wir uns verändert. Während wir früher mehr und wildere Parties hatten, sind die heute deutlich weniger. Jeder ist sich mittlerweile völlig bewusst, wenn du dich einmal um die Uhr trinkst und in den Tourbus steigst, wartet trotzdem die nächste Show auf dich. Und vielleicht steckt man sowas mit 20 noch locker weg, mit 40 aber eben nicht mehr so einfach. Da überlegt sich jeder, "Muss ich mich einmal um die Uhr trinken, oder kann ich mir das auch sparen?" Dann hat ganz sicher ein gewisses Gesundheitsbewusstsein eingesetzt, was ich vor 10 oder 15 Jahren nicht für möglich gehalten hätte. Aber tatsächlich ist das was wir tun, sehr anstrengend. Zusätzlich diese Ultrakonzentration bei jeder Show. Das ist anstrengend. So hat jeder seinen Sport, den er macht, und achtet auf die Ernährung. Das sind furchtbar langweilige Sachen, die früher undenkbar waren, heute aber völlig normal sind. Ich merke das sehr deutlich, wenn wir uns einschließen im Studio oder so, wie sich der Speiseplan verändert hat. Wir haben immer noch Parties, wir haben immernoch einen höheren Bierverbrauch als der Durchschnittshaushalt, würde ich mal behaupten. So ganz ohne blaue Augen geht es eben doch nicht, aber ich denke, es hat ein gesundes Mittelmaß erreicht.

Ich fand es übrigens sehr schön, dass man die Entstehung des neuen Albums auf Facebook quasi verfolgen konnte.
Du meinst die Fotostrecke? Die ist ja von mir. Ich bin Fotograf im Nebenberuf und hab schon zum zweiten Mal die Entstehung ein bisschen auf Fotos dokumentiert. Vor ein paar Jahren habe ich mir die Frage gestellt, "Wie stellt man Musik fotografisch dar?" Das geht nur über die Menschen, die Musik machen, in dem Moment, wo sie sie machen. Das war der Aufhänger, und stieß schon beim "Zirkus Zeitgeist" auf große Resonanz. Witzigerweise auch innerhalb der Band.

Als Fan weiß man ja oft auch gar nicht, wie lange die Arbeiten eigentlich dauern. So weiß man dann: ah, sie sind fleißig dabei.
Ja genau. Sicherlich kann man es durch kleine Videos oder so noch etwas ausbauen. Ich finde die Fotoserie hat mittlerweile seine Fans, was mich natürlich sehr freut.

Zu den Fotos kann man sich auch so schön seinen Teil denken.
Ich schreibe ja immer einen kleinen Text dazu. Bei einem Foto hab ich geschrieben: "Alea lauscht ergriffen." Da gab es dann 20 Frauen, die drunter geschrieben haben, "Quatsch, er schaut skeptisch" oder "... er schaut so und so, du hast ja keine Ahnung." Da dachte ich, "Ich muss es ja wissen, ich habe zwei oder drei Meter neben ihm gesessen." Ich weiß exakt welche Situation es war. Das passt vielleicht auch ganz gut zum Zeitgeist. Jeder sieht, was er will und glaubt einem sowieso nichts mehr.

Was hörst du privat gern?
Das ist sehr unterschiedlich. Das reicht von RISE AGAINST aus den USA über Punk und Rock, CREAM. Früher habe ich mal die TOTEN HOSEN gern gehört. Wirklich, das variiert und ändert sich.

Möchtest du unseren Lesern zum Abschluss noch etwas mit auf den Weg geben?
Ich würde mich sehr freuen, wenn noch mehr Menschen aufstehen und Gegenrede halten. Sagen: "Nein, liebe besorgte Bürger, nein, liebe Partei deren Namen ich nicht nennen möchte, ihr habt nicht recht mit dem was ihr sagt. Ihr verdreht die Fakten oder schafft gar Neue, ich lasse das nicht mit mir machen." In jedem Gespräch, in jedem Kommentar muss man sagen, auch wenn es anstrengend ist, "Guck, so ist die Welt." Im Zweifelsfalls, wenn es Hart auf Hart kommt wie in Chemnitz, muss man aufstehen und sagen: Stop!

Das waren sehr schöne Schlussworte, ich danke dir für deine Zeit.
Dankeschön, und alles Gute nach Chemnitz



Interview: Antje Brandt
Bearbeitung: cr
Fotos: Pressematerial Plattenfirma (u.a. Robert Eikelpoth)