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Interview vom 14. Dezember 2016



Der Mann, aus dessen Mund dieser Satz floss, ist am 13.Oktober sage und schreibe 70 Jahre alt geworden: Jörg Schütze, überall nur bekannt als Speiche. Er ist eine der Gallionsfiguren des ostdeutschen Blues und bis zum heutigen Tag unverwüstlich, energiegeladen, ungebrochen, voller Tatendrang. Der Zweite Weltkrieg war gerade vorbei, als Speiche zur Welt kam. Während die Menschen um ihn herum mit dem Wiederaufbau ihrer zerstörten Heimat beschäftigt waren, hörte er sich die Jazz- und Bluesplatten seines älteren Bruders an und lernte durch den Nachbarn Little Richard und den Rock'n'Roll kennen und lieben. Somit war der Grundstein gelegt für ein Leben auf der Bühne, wo er mittlerweile seit mehr als fünfzig Jahren zu Hause ist.001 20161217 1520135452 Was Speiche in dieser Zeit erlebt hat, würde ein mehrteiliges Buch füllen. Da dieses Buch noch nicht geschrieben wurde, war es an der Zeit, Speiche zu Hause in seinem Kiez im Prenzlauer Berg zu besuchen und mit ihm über sein Leben zu plaudern. Herausgekommen ist ein wunderbares Zeitdokument über eine beeindruckende Persönlichkeit, einen sympathischen Menschen, einen wunderbaren Musiker. Lasst Euch mitnehmen in Speiches Welt, erfahrt Details über seine verschiedenen Stationen als Musiker und wie schwer man es als Blueser in der DDR hatte, warum immer mal wieder ein gewisser Stefan Diestelmann Erwähnung findet, für welches Auf und Ab MONOKEL in Speiches Leben sorgte und immer noch sorgt, wie es mit der Band nach dem Abschlusskonzert der Jubiläumstour am 27.12.2016 in Berlin weitergeht und vieles mehr.




Wenn ich Dich jetzt mit "Hallo Jörg" begrüßen würde, müsste ich damit rechnen, ignoriert zu werden?
Nein, absolut nicht. In meiner Familie heiße ich üblicherweise Jörg. Speiche nennt man mich in Musikerkreisen. Und das seit 1962. Ich war damals sehr schlank, deshalb fing ich mir diesen Namen ein.

Als wir uns für dieses Interview verabredeten, hatte Dich gerade eine heftige Erkältung in die Kissen gezwungen. Ich hoffe, es geht Dir inzwischen wieder gut?
Ja danke, es geht mir zumindest wieder besser. Wenn Du in einem gewissen Alter bist, dauert das eben alles etwas länger. Ich weiß aber genau, dass ich früher mit denselben Symptomen niemals eine Mugge hätte ausfallen lassen. Diesmal hätte ich jedenfalls auf keinen Fall spielen können, so ehrlich muss ich schon sein.

Während der Vorbereitungen auf unser Gespräch fiel mir auf, dass Recherchen zu Deiner Person schwierig verlaufen, da man nur sehr spärliche Informationen über Dich findet. Bist Du eher ein medienscheuer Mensch oder muss man das eher dem Desinteresse der Journaille zuschreiben?
Nein, ich scheue weder die Medien noch liegt von deren Seite Desinteresse vor. Wir Musiker sind ja heute mehr denn je darauf angewiesen und man wäre ein Ignorant, würde man Anfragen der Presse nicht wahrnehmen. Warum so wenig zu finden ist, kann ich Dir im Moment auch nicht erklären.

003 20161217 1721312259Seit Deinem letzten Interview mit Deutsche Mugge sind schon wieder fünf Jahre vergangen. Wir dürfen inzwischen der Band zum 40. Geburtstag gratulieren und Dir zum 70.! Welches der beiden Jubiläen bewertest Du für Dich selber höher, welches ist Dir wichtiger? Kann man das überhaupt losgelöst voneinander betrachten?
Die 70 ist nichtssagend. Das ist einfach nur eine Zahl, die mit meinem Leben an sich überhaupt nichts zu tun hat. Ich habe genauso viel Bums wie immer, auch wenn mein Körper manchmal sagt: "Atze, pass ein bisschen auf Dich auf, Du bist schließlich auch keine 60 mehr!" Weißt Du, wann es mir seltsam zumute war? Mit 50! Das war richtig komisch. Ich hatte an meinem 50. Geburtstag eine Mugge und ein paar Wochen später bekam ich einen mächtigen Katzenjammer. Ich konnte nämlich nicht mehr mit dem vollen Brustton der Überzeugung sagen, man feiert jetzt Halbzeit. Das war nicht mehr glaubhaft. Aber die jetzigen 70 flutschen einfach so an mir vorbei. Da sind die 40 Jahre MONOKEL schon eine andere Hausnummer. Aber wichtiger ... Was heißt wichtiger ... Ich merke die 70 Jahre nicht, nur das ist wichtig.

Du könntest ja längst in aller Ruhe Rosen züchten oder Senioren-Golf spielen. Stattdessen stehst Du nach wie vor wie eine Eiche und mit der Dir eigenen stoischen Ruhe auf den Bühnen und gibst aus dem Hintergrund den Rhythmus vor. Wie hältst Du Dich fit, um die Belastungen zu ertragen und auszugleichen, die so ein Musikerleben mit sich bringt?
Da geht ganz viel über den Kopf. Außerdem habe ich, nachdem ich Rentner wurde, meine Kneipe abgegeben, die ich vorher zwanzig Jahre lang betrieben hatte. Jeden Tag zehn Stunden, das war ein ziemlicher Hammer und zehrte mächtig. Ich habe auch immer ein bisschen Sport gemacht, fahre auch heute noch ein bisschen Fahrrad auf dem Hometrainer.

004 20161217 1486651072Bereust Du manchmal doch ein bisschen, Deine Kneipe aufgegeben zu haben?
Nein, überhaupt nicht. Die Zeit ohne die Kneipe hat mir in den letzten Jahren eine Menge Freiheit verschafft und mir den Rücken für andere Dinge freigehalten.

Es hilft Dir sicher auch, dass die Kneipe bei Wolf Spors in guten Händen ist.
Das stimmt. Ich hätte bestimmt auch noch weiter gemacht, wenn ich den Laden in Ruhe hätte betreiben können. Aber Anwohner, Neider und sonstige Widerlinge haben mir die Lust genommen. Stellenweise kam täglich die Polizei vorbei wegen der Lautstärke. Das hat mich auf Dauer zu viel Energie gekostet, zumal ich ja nebenbei auch selber noch Musik gemacht habe. Irgendwann musste eben Schluss sein, denn auf Dauer hätte ich die Kneipe und das Musikmachen zusammen nicht mehr geschafft.

Mit 70 Jahren darf man durchaus schon mal ein wenig in den Rückspiegel schauen. Deshalb würde ich unser Gespräch gerne nutzen, um unseren Lesern nicht nur den Musiker Speiche, sondern auch den Menschen Jörg Schütze etwas näher zu bringen, wobei sich das, wie wir im Folgenden sehen werden, eigentlich kaum trennen lässt. Ganz allgemein gefragt: Auf welche Dinge in Deinem bisherigen Leben bist Du besonders stolz, worauf blickst Du mit Freude zurück?
Einer der schönsten und beeindruckendsten Momente in meinem Leben war der Fall der Mauer. Ich wurde in Altglienicke geboren und bin an der Grenze zu Rudow, was ja schon zu Westberlin gehörte, groß geworden. In den 60er Jahren zog ich dann in den Prenzlauer Berg und hatte nun die Mauer an der Bernauer Straße vor der Nase. Also wohnte ich eigentlich immer im Grenzgebiet. Und obwohl ich als junger Mensch viel im Westen unterwegs war, habe ich immer dem Osten den Vorzug gegeben. Klar gab es drüben viele Verlockungen, aber mein Herz war hier im Osten zuhause.

Was gab Dir die Überzeugung, dass Deine Haltung richtig war?
Ich war immer überzeugt davon, dass wir im Osten keine Nazis hatten. Und im Westen waren halt irgendwelche Drecksäcke an der Macht. Heute lebe ich immer noch im Osten in meinem alten Kiez und bin einem linken Denkmodell treu. Egal wie utopisch das ist. Auf jeden Fall ist das ein Fernziel, an dem man sich festhalten kann. Die Mauer war einfach nicht richtig.005 20161217 1003596970 

Bevor du Musiker wurdest, warst Du ein ganz normaler Junge, der in den Wirren der Nachkriegszeit aufgewachsen ist. Wodurch oder durch wen wurde in dieser schweren Zeit Dein Interesse an der Musik geweckt? Die Menschen hatten doch in den 50er Jahren anderes im Sinn.
Mein Bruder ist Jahrgang 1940. Der war schon immer Jazzfan. Rock'n'Roll zählte für ihn nicht. Jazz, Blues und Gospel dafür umso mehr. Das erste Mal standen mir so richtig die Haare zu Berge bei Mahalia Jackson. Ich hatte ja davon überhaupt keine Ahnung, aber diese Musik hatte mich getroffen und berührt. Dann kam in Sachen Jazz vor allem Duke Ellington und ähnliche Leute dazu. Mein Bruder hatte fast alles. Auch besuchte er alle möglichen Konzerte in Westberlin. Unser Nachbar jedoch war Rock'n'Roll-Fan. Der hörte wiederum solche Sachen wie Little Richard, der mir mit seiner Musik, ähnlich wie vorher Mahalia Jackson, die Hacken abgerissen hat. Das waren die beiden Schlüsselerlebnisse in meinem Leben.

Und dann hast Du Dir irgendwann gesagt: "Das will ich auch können, jetzt lerne ich Gitarre spielen".
Genauso war es. Aber ich ging nicht zur Musikschule, sondern bekam Privatunterricht von einem sehr kultivierten Lehrer. Als der aber merkte, dass ich Linkshänder bin, schlug er die Hände über dem Kopf zusammen und sagte zu meiner Mutter, so kann er mich nicht unterrichten. Er war eigentlich ein toller Mann, der, soweit ich mich erinnere, bei der Staatsoper arbeitete, aber das mit dem "links spielen" ging bei ihm nicht. Geschrieben habe ich übrigens auch mit links, was mir natürlich bei meiner Einschulung 1953 auch auf die Füße fiel. Damit ging der Mist los. Ich musste mich umstellen, was total wider meine Natur war und habe dadurch von jetzt auf gleich die Lust am Gitarre spielen verloren. Zwar habe ich versucht, mich durch mein Gitarrenlehrbuch durchzuwurschteln, aber es war eine einzige Quälerei. Es funktionierte auf diese Art nicht, das merkte ich sehr schnell. In meiner ersten Band, der RHYTHMUSGRUPPE 62, war zwar mein Instrument auch noch eine Konzertgitarre, damals noch mit Klaviersaiten. Allerdings waren die Gitarrenstellen wie üblich schnell besetzt, so dass nur der Bass übrig blieb.

Warst Du ein Naturtalent, oder warum konntest Du plötzlich auch Bassgitarre spielen?
Das hat mir unser Pianist beigebracht, denn ich wusste natürlich anfangs überhaupt nicht, was ich machen soll. Wir spielten ja durchaus schon Boogie und solches Zeug. Der Pianist - wie gesagt - brachte es mir dann bei, und zwar so, dass ich es mit der linken Hand spielen konnte, so wie es meiner Natur entsprach.

Hattest Du die Unterstützung Deiner Eltern, oder waren die konservativ eingestellt und wollten Dich lieber erst einmal in einem ordentlichen Beruf sehen?
Nein, Unterstützung hatte ich überhaupt nicht. Meine Mutter war zwar eine sehr tolerante und wunderbare Frau, aber mein Vater wollte davon gar nicht wissen. Zum Glück war er Lokführer und dadurch relativ selten zuhause. Was mir wiederum viele Freiräume verschaffte. Ich habe mein Ding jedenfalls durchgezogen. Außerdem ist es ja fast ein Naturgesetz, dass man sich gegen seinen Vater auflehnt.

Lass uns auch Deine musikalische Karriere etwas näher beleuchten. Schon 1962 hast Du als 16-jähriger in Deiner ersten Band gespielt, das war die RHYTHMUSGRUPPE 62.
Das stimmt. Die haben mich in die Band geholt, weil sie mich irgendwann vorher mal mit dem Gitarrensack durch die Gegend laufen sahen. Interessant war, dass das alles schon ältere Kollegen waren. Zwei von denen hatten sogar schon in Westberlin mit den GI's gespielt, die richtig was über Musik wussten. Wenn ich sage, die waren älter, meine ich damit so etwa drei Jahre älter als ich. Das ist schon eine gewaltiger Unterschied zu mir gewesen.

Das war sicher eine gute Schule für Dich.
Unbedingt! Vor allem war es auch eine ernstzunehmende Band. Also keinesfalls eine Schülerband. Erwähnen muss ich noch, dass wir Ende 1963 Nachfolgeband des FRANKE ECHO QUINTETTs wurden, als diese vom Volkshaus Bohnsdorf ins Gesellschaftshaus Friedrichshagen umzogen. Das war für uns eine extrem große Ehre, den mächtigen Mann Franke Echo abzulösen. Franke war übrigens Anfang der 60er Jahre auch mein Lehrer.

Dann kam die SPUTNIK BAND POTSDAM.
Die waren nicht zu verwechseln mit den SPUTNIKS, deshalb hatten die auch das "Band" hinten dran. Ja, das war auch eine schöne Zeit. Die beiden Sadowski-Brüder waren gute Jungs.

1965 kamst Du dann zum DIANA SHOW QUARTETT, dem u.a. auch der leider inzwischen verstorbene Achim Mentzel angehörte. Da habt Ihr plötzlich richtig deftige Rockmusik gemacht.
Leider sind die alle tot. Zigeuner-Maxe und auch der extrem gute Trommler ... Ja, das stimmt, wir haben echten Rock gespielt. STONES, KINKS, LORDS ... Auch unsere Shows haben richtig gekracht. 1964 war im alten Friedrichstadtpalast das erste und gleichzeitig auch letzte Big Beat Festival. Die dort verwendete Anlage haben wir uns gekauft und in einem ganz kleinen Klub aufgedreht. Im Jugendklub "Freundschaft" in Friedrichshain. Das werde ich nie vergessen! Es sah unglaublich aus, überall grüne Lampen. Die Band war ohnehin der Hammer. Es gab damals eigentlich nur zwei Bands, die extrem auf den Putz gehauen haben. Das waren wir und das waren die BUTLERS aus Leipzig, die später zu RENFT wurden. Es gab zwischen uns auch einen regen "kulturellen" Austausch.

Heutzutage gibt es überall im Netz diverse Möglichkeiten, sich Texte und Noten der Songs zu beschaffen. Das war in den 60er Jahren ja alles noch etwas anders. Da Ihr ausschließlich gecovert habt, frage ich mich, wie habt Ihr Euch denn diese ganzen Titel beigebracht, mit denen Ihr Euer Publikum zum Ausrasten gebracht habt? Ohne irgendwem zu nahe zu treten, vermute ich mal, dass Euer Englisch nicht wirklich perfekt war.
Ganz einfach: wir saßen vor dem Radio und versuchten die Texte nach Gehör aufzuschreiben. Es gab Nummern, die wurden nur auf Radio Luxemburg gespielt. Dieser Sender war in Berlin etwas schwierig zu empfangen, deshalb gab es immer wieder Schwankungen. Was zu verstehen war, schrieb man auf, den Rest musste man sich dazu denken. Und was noch dazu kam: auf AFN wurde beispielsweise nie Little Richard gespielt, was blöd war, wenn man Rock'n'Roll nachspielen wollte. Keine Ahnung, warum das so war. Also den Gesang empfanden wir lautmalerisch nach und die Akkorde und so übten wir so lange, bis wir sie konnten. Wenn wir dann wirklich selber nicht weiter wussten, fragten wir bei erfahreneren Kollegen nach. Meistens bei Henry Kotowski oder Franke. Die setzten uns dann die Finger auf die richtige Stelle und schon klangen die Songs so, wie es sein musste. Der Franke muss wahrscheinlich auch irgendwann mal Gitarrenunterricht gehabt haben oder der ist eine absolute Hochbegabung. Als Erster in der Welt, so denke ich jedenfalls, hat das FRANKE ECHO QUINTETT als Gitarrenband hochkarätige Stücke von Miles Davis oder Charlie Parker ins Big Beat-Konzept gebracht.007 20161217 1903591856 Harmonisch ging es da richtig zur Sache. Ich kann immer wieder nur sagen, was ich bei Franke schon vor fünfzig Jahren gehört habe, habe ich dieser Tage bei Joe Bonamassa wieder gehört. Das ist doch unglaublich. Wie hoch ich Franke einschätze, kann sich gar keiner vorstellen. Mir ist echt rätselhaft, warum dieser Mann keine Karriere gemacht hat.

War Dir zu diesem Zeitpunkt schon klar, dass Du die Musik zu Deinem Beruf machen möchtest?
Wenn man bedenkt, welche Kraft mir die Musik gegeben hat, kam nie etwas anderes für mich in Frage. Es hat mich förmlich übermannt. Außerdem musst Du bedenken, dass der Krieg Mitte der 60er zwar schon zwanzig Jahre vorbei war, aber eigentlich ist das ja noch keine so riesige Zeitspanne gewesen. Berlin war noch immer ziemlich zertrümmert. Es gab die aufgeräumte Stalinallee, aber dahinter fingen die Ruinen an. Da stand auch unser Klub. Allein aus diesem Grund, und um von der Scheiße loszukommen, die in dieser Zeit bei den Alten im Radio lief, wollte ich meine eigene Musik machen. Das war für mich die Befreiung und der einzig gangbare Weg. Ich musste diesen Weg einfach gehen, das war wie ein Zwang für mich.

Lange konntest Du Dich aber nicht in der Band austoben, denn während der Zeit beim DIANA SHOW QUARTETT kam es zu Deinem ersten Kontakt mit der Stasi. Man hat Dich, was für mich unvorstellbar klingt, direkt von der Bühne weg verhaftet. Du warst damals gerade mal 18 Jahre jung. Was haben diese Erfahrungen mit Dir gemacht, inwieweit haben sie Dein späteres Weltbild beeinflusst?
Ich habe Dir ja vorhin von meiner Einstellung zum Osten erzählt. Mein Herz schlug immer für den Osten, trotz aller Verlockungen, die es im Westen gab. Als ich aber gemerkt habe, die wollen uns hier gar nicht haben, beschloss ich zu gehen. Du musst Dir vorstellen, wir bekamen beim DIANA SHOW QUARTETT pausenlos Spielverbote, Gerichtsverfahren wegen Steuerhinterziehung und so weiter. Irgendwann hatte ich die Nase voll. Ich wollte dahin gehen, wo die Musik herkommt. Ich unternahm dann einen Fluchtversuch, der allerdings schon durch die Stasi beobachtet wurde. Das war am 19. September 1965, also sechs Tage vor dem STONES-Konzert in der Waldbühne.

Da wolltest Du unbedingt dabei sein.
Ja klar. Aber das war nicht der Hauptgrund für meinen Fluchtversuch, sondern ich wollte deshalb weg, weil man uns nicht haben wollte im Osten und weil ich hier keine Zukunft für unsere Musik gesehen habe. Das hatte sich ja dann bestätigt, als ich im Knast saß und am 31. Oktober 1965 in Leipzig auf dem Leuschnerplatz diese berühmte Beat-Demo stattfand.008 20161217 1780438171 Vorher wurden bei uns in Berlin schon alle Langhaarigen weggefangen. Das waren ungefähr zwanzig Leute, die konnten also in Leipzig nicht dabei sein. Trotzdem demonstrierten noch mindestens eintausend Leute auf dem Leuschnerplatz, aber letztlich wurden die alle zusammengeschlagen und verhaftet. Anschließend wurden fast alle Beatbands in der Stadt verboten. Zwei Wochen später fand dann die Bitterfelder Konferenz statt, auf der die sozialistische Kulturpolitik neu geregelt wurde. Allerdings nicht zum Besseren.

Du wurdest zu zwei Jahren Haft verurteilt, die Du auch bis zum letzten Tag abgesessen hast. Kann man so etwas irgendwann vergessen und verzeihen oder verfolgt einen der Groll über das Erlebte bis zum heutigen Tag? Zumal das ja nicht Deine einzige Verhaftung war.
Also ich hätte das niemals überlebt, wenn ich nicht irgendwelche Mechanismen im Körper gehabt hätte, die mich vor dem Irrewerden bewahrt haben. Allerdings hätte ich auch niemals einem Schließer begegnen dürfen. Egal, ob zur damaligen Zeit oder später nach dem Mauerfall. Ich habe z.B. mal zu meinem ehemaligen ABV gesagt, der hier um die Ecke gewohnt hat und der mich 1973 zu den Weltfestspielen morgens um 5:00 Uhr vor meiner Tür verhaftet hat: "Du bist so erbärmlich ...". Den Rest meiner Worte erspare ich mir hier lieber. Er hat nichts dazu gesagt. Aber ich glaube auch nicht, dass er mich überhaupt verstanden hat. Der war total verbohrt in seinen Ansichten und war heilfroh, dass er so glimpflich davon gekommen ist. Für mich war das ein armes Würstchen, nachdem er nicht mehr jeden Tag in seiner Uniform durch die Straßen laufen konnte.

Aber nicht nur Du, sondern das gesamte DIANA SHOW QUARTETT war scheinbar in Ungnade gefallen, denn bereits 1966 hat sich die Band notgedrungen aufgelöst. Da wurde also richtig Druck ausgeübt?
Ja, da wurde mächtig Dampf gemacht. Die mussten alle zur gleichen Zeit zur Armee. Damit war der Fisch gegessen. Das waren die Konsequenzen der eben erwähnten Bitterfelder Konferenz.

Du hast schon damals lange Haare getragen, womit Du als ziemlich rebellisch und asozial galtest und was ausgereicht hat, Dir bei den Kulturfunktionären dauerhaft ein negatives Image zu verschaffen. War das reiner Protest oder Deine wirkliche Lebenseinstellung?
Natürlich war das meine Lebenseinstellung! Außerdem war es das optische Zeichen, niemals eine Uniform tragen zu wollen. Deshalb habe ich ja auch den Wehrdienst verweigert.

009 20161217 1536959690Hattest Du keine Angst, dass die Dich völlig aus dem Verkehr ziehen und z.B. mit Berufsverbot belegen?
Klar hatte ich Angst. Das ist ja in verschiedenster Form auch wirklich passiert. Ich wurde unzählige Male auf der Straße kontrolliert oder sogar verhaftet. Ich bin deshalb niemals ohne Ausweis oder Schlüssel aus dem Haus gegangen. Dazu kommt, dass ich zu der damaligen Zeit noch viel gesoffen habe und oft einen Filmriss hatte. Wenn die mich dann ohne Ausweis erwischt hätten, hätten die mich wochenlang dafür festhalten können.

Das klingt alles wie aus einer fernen Welt. Kommt Dir das heute nicht auch manchmal alles irgendwie unwirklich vor?
Na ja, ich habe das ja alles wirklich erlebt! Und ich könnte stundenlang Geschichten aus dieser Zeit erzählen. Aber das soll ja nicht das Hauptthema unseres Interviews sein. Glücklicherweise ist das meiste hier in meinem Kiez passiert, wo ich bekannt war wie ein bunter Hund, aber auch sehr beliebt. Wenn ich mal irgendwo besoffen gelegen habe, hat mich immer jemand nach Hause gebracht. Und stellenweise hatte ich richtig viel Geld bei mir, weil ich damals sehr gut verdient habe.

Bis zu Deinem Einstieg bei MONOKEL im Jahr 1976 sollte noch etwas Zeit vergehen, was hast Du bis dahin getrieben?
1967 bin ich bei B-CLUB 66 eingestiegen. Die gibt es heute noch unter den Namen HOF-BLUES-BAND. Das war damals die einzig mir bekannte Band, die Bluessongs gespielt hat. Die hatten John Mayall im Programm, oder auch Eric Burdon. Das ebnete mir den Weg zum Blues. Ich hörte also hier nicht nur erstmals Bluesmusik, sondern spielte sie auch gleich. Ein Jahr später wurde ich anlässlich des Prager Frühlings mal wieder denunziert, als wir Flugblätter verteilten. Außerdem spielte ich auch hin und wieder mal bei ENGERLING mit oder habe bei manchen Kellerbands die eine oder andere Session gemacht. In Bewegung war ich also immer irgendwie, aber das hatte alles nicht wirklich Hand und Fuß.

Hier muss ich kurz einhaken. Stimmt es, dass Du in dieser Zeit auch kurzzeitig in der Havemann-Kommune gelebt hast?
Das stimmt. Ich war allerdings nur marginal dort, weil mir in dieser Kommune einige Dinge nicht gefallen haben. Die haben das fast schon russisch aufgezogen. Es wurde mit Wandzeitungen gearbeitet und die hatten sogar ein eigenes Plenum. Aber vieles konnte man auch gar nicht anders machen, weil es eine recht große Truppe war. Es gab einen festen Kern um Frank Havemann, der Rest war sehr fluktuativ. Letztendlich halfen diese Leute mir, dass ich nach dem Knast wieder Fuß fassen konnte, wofür ich ihnen auch dankbar war.

Kann man sagen, dass Du politisch aktiv warst?
Das ergab sich einfach auf Grund meiner Einstellung zu bestimmten Dingen. Außerdem bist Du schon in dem Moment politisch aktiv, wenn Du Flugblätter verteilst. Das habe ich gemacht, war also somit aktiv tätig.

Wer hat Dich letztlich 1976 zu MONOKEL gelotst?
Gelotst ist das falsche Wort, denn die Band gab es ja im eigentlichen Sinne vorher gar nicht. Die spielten mal zwei Tage zusammen und rannten wieder auseinander. Die Urbesetzung sind wir. Aber die Frage war ja, wie ich zu MONOKEL kam. Stefan Diestelmann hat gleich bei mir um die Ecke gewohnt. Der wusste, dass ich musikalisch nicht so richtig untergebracht war und dass MONOKEL neue Musiker brauchte. Es waren ja zu dem Zeitpunkt nur noch Basti Baur und Peter Schneider übrig. Ich stellte mich vor, habe ein Weilchen mitgedudelt und war drin in der Band.

Und wo kam Gala her?
Gala habe ich etwas später bei einem VAI HU-Konzert (Anm. des Verf.: damals gehörte Diestelmann noch zu VAI HU) entdeckt, wo er bei einer Session mitmachte. Bis dahin hatte Michael Mierk, der dann Techniker bei ENGERLING wurde, sich an der Mundharmonika probiert. Mit Gala bekam das Ganze natürlich eine ganz andere Qualität.

011 20161217 1319140717An dieser Stelle möchte ich mal eine Sache geklärt haben, über die es verschiedene Aussagen gibt. War der 1979 gekommene Michael "Lefty" Linke tatsächlich vorher schon als Techniker für die Band tätig oder gehört das eher ins Reich der Fabeln?
Nein, Micha Linke war vorher nicht als Techniker bei MONOKEL tätig. Wo auch immer das herkommt, es stimmt nicht.

Ihr hattet in der DDR relativ schnell eine unglaubliche Beliebtheit in der Bluesszene erlangt, was darin gipfelte, dass Euch die Kunden und Tramper von Auftritt zu Auftritt hinterher reisten und sich zu MONOKEL-Konzerten schon mal mehrere tausend Fans einfanden. Wart Ihr Euch dessen bewusst, dass Ihr unter Euern Anhängern eine Art Kultstatus inne hattet und dass "Bye bye Lübben City" zur Hymne der Szene aufstieg? Wie seid Ihr mit diesem Ruhm umgegangen?
Nein, das war uns überhaupt nicht klar. Außerdem gab es ja nicht nur uns, sondern es gab z.B. Jürgen Kerth oder ENGERLING, bei denen genau dasselbe abging wie bei uns. Da waren überall die 500-Mann-Säle mit eintausend Leuten oder noch mehr belegt zu den Konzerten. Streckenweise standen die Leute sogar draußen. Und im Winter, wenn die da draußen gefroren haben, dann tauschten die während der Mugge mit den drinstehenden Leuten die Plätze. Das war eine irre Zeit. Klar, wir fühlten uns immer geehrt in solchen Momenten, doch irgendwann gewöhnt man sich an den Erfolg, jedoch ohne dabei abzuheben. Ich für meinen Teil habe das alles ganz still genossen.

Dieses einmalige Feeling, was heutzutage nur noch aus Büchern oder Erzählungen bekannt ist, existierte also wirklich? Die Leute sind Euch durch die gesamte Republik hinterher gefahren, haben auf Wiesen und Äckern oder sonst wo im Freien übernachtet usw.
Das war alles noch untertrieben, was man hört und liest. Ich nannte das, was da abging, immer "Dauer-Woodstock". Das meinte ich wirklich so. Das galt und gilt aber nicht nur für MONOKEL, sondern es gab diverse Bands, bei denen das gang und gäbe war. Kürzlich habe ich auf youtube eine Aufnahme von uns aus den 80er Jahren gehört, die ich ziemlich beeindruckend finde. Wenn ich das höre, dann kann ich mir auch heute noch so ungefähr vorstellen, was damals los war. Und das sind in diesem Video noch nicht mal die ganz scharfen Songs, sondern da sind zwei ZZ TOP-Nummern und ein langes Medley zu hören.

Ihr wart ja Amateurmusiker, was bedeutet, dass Du nebenbei einen Job nachweisen musstest. Viele Musiker hatten irgendwelche Alibiberufe und somit ihre Ruhe vor den Behörden. Wie war das bei Dir?
Ich habe nicht gearbeitet und stand deshalb immer mit einem Bein im Knast. Gelernt hatte ich mal Kühlanlagenbauer, aber das habe ich zugunsten der Musik irgendwann aufgegeben. Nach dem Knast musste ich dann leider diese vorgeschriebene Arbeitsplatzbindung über mich ergehen lassen. Beim ersten Mal steckten die mich zu Berlin Chemie. Das war grausam, da musste ich DDT verladen. Das war dieses Pflanzenschutzgift, was mittlerweile weltweit verboten wurde. Nach dem zweiten Knastaufenthalt musste ich im Akkumulatorenwerk in einer Bleibude arbeiten. In diesem Werk ackerten auch Gefangene, weshalb die UNESCO dann irgendwann ein Verbot dafür durchsetzte.

In Eurer Bandbiografie ist zu lesen, dass MONOKEL sogar als Begleitband von Stefan Diestelmann unterwegs war. Wann war das und wie kam es dazu?
Mit Diestelmann haben wir ganz kuriose Sachen gemacht. Zum Beispiel trat er am 8. Mai 1981 im Frauengefängnis Dessau auf und nahm uns mit. Da wir noch lange nicht dran waren, spielte ich zum Zeitvertreib mit dem Anstaltsleiter Schach. Immer, wenn ich am Zug war, rutschte mein Ärmel hoch und die Tätowierung wurde sichtbar. Ich habe immerzu an mir rumgenestelt, damit der das nicht sieht. Das war unglaublich. Insgesamt habe ich zweimal im Knast gespielt. Nach Dessau hatte ich zwar ohne Diestelmann, dafür aber mit meinen wunderbaren Kollegen Heinz Glass und Jürgen Bailey noch einen wunderbaren Auftritt in der Haftanstalt Moabit. Das war vor zehn Jahren auf dem dortigen Freistundenhof.

Monokel hat bei Diestelmann mit dem vollen Besteck gespielt, oder? Ich frage deshalb, weil ich Stefan Diestelmann nur akustisch kenne.
Wir hatten die Stecker eingestöpselt, falls Du das meinst. Das machte Stefan hin und wieder auch mal richtig Spaß. Ich möchte noch erwähnen, dass wir richtige Freunde waren, und zwar schon bevor er seinen großen Bekanntheitsgrad erreicht hatte.

Wie hast Du von Diestelmanns Tod erfahren?
Wir haben ja noch Anfang der Neunziger zusammen gespielt. Von seinem Tod haben wir erfahren, weil wir mit ihm eine Mugge machen wollten. Eddy Czesnick, unser Manager, hatte da was angeschoben. Geplant war, wenn ich mich richtig erinnere, Diestelmann unbedingt zur Kunden Blues Nacht auf die Bühne zu holen. Aber daraus wurde ja nun nichts mehr. Sehr schade. Stefan erging es wie fast allen Ost-Musikern, die rüber gegangen sind. Sie konnten an ihre Karriere im Osten nicht anschließen.

Die Blueserszene stand Mitte der 70er Jahre mehr denn je unter Beobachtung der DDR-Staatsorgane. Da machte MONOKEL sicher keine Ausnahme, oder?
Da kannst Du aber sicher sein. (Anmerkung des Autors: jetzt liest Speiche aus dem Buch "Bye bye Lübben City" die Seiten 494/495 vor) Wie Du siehst, taucht der Name MONOKEL hier ungleich öfter auf als jede andere Band. Damit ist die Frage beantwortet, ob wir unter Beobachtung standen. Unser Name wird hier achtzehn Mal genannt. Und dann guck mal, wie oft andere Bands auftauchen ...

Da ist es ja wenig überraschend, dass MONOKEL in den Wertungssendungen des Rundfunks oder auch im Fernsehen im Gegensatz zu anderen Bluesacts wie ENGERLING oder KERTH relativ selten bis gar nicht stattfand. Hat Euch das gestört oder war das eher Motivation und Bestätigung?
Warum sollte uns das gestört haben? Wir waren doch daran gewöhnt. Ich sag mal so: wenn wir durch Zufall und ohne uns zu verbiegen an Auftritte im Fernsehen gekommen wären, warum nicht? Kein Mensch hat etwas gegen Geld. Obwohl wir für eine Bluesband schon ganz gut verdient haben. Kompromisse waren jedenfalls damals undenkbar für uns, so etwas wäre niemals passiert.

Hat diese fehlende Akzeptanz der Medien vielleicht dazu beigetragen, dass es immer wieder Besetzungswechsel gab, bei denen solche Leute wie Gala und Basti Baur die Band verließen?
Ja, das war einer der Mitgründe. Es war absehbar, dass sich an diesem Zustand so schnell auch nichts ändern würde. Basti allerdings ging noch aus einem anderen Grund. Ihm war das, was wir machten, eindeutig zu zahm. Obwohl wir beispielsweise auch Rory Gallagher oder CANNED HEAT im Programm hatten. Das half jedoch nichts, denn Basti wollte unbedingt Hardrock spielen. Das machte er ja dann auch, als er zu KEKS ging und anschließend zu MCB. Das war eine tolle Band, die auf wunderbare Art wilde Sau gespielt hat.

015 20161217 1983664776Immerhin kam es aber dann 1986 zur Produktion Eurer ersten AMIGA-LP. War das eine Zusammenstückelung von bereits früher produzierten Songs oder habt Ihr die Platte richtig im Studio eingespielt?
Vorher waren wir ja schon auf einer Kleeblatt-LP drauf. Unsere große, eigene LP haben wir dann an einem einzigen Tag eingespielt, weil wir das Studio nicht länger buchen konnten. Deshalb wurden auch gleich drei Nummern von der Kleeblatt-Platte so übernommen, wie sie waren. Der Grund, weshalb wir überhaupt eine Platte machen durften, war unser zehnjähriges Jubiläum. Wir haben uns aber keinesfalls angebiedert, um die LP einspielen zu dürfen. Aber wir hatten durchaus auch Leute in den Chefetagen, die auf uns standen. Es gab immer welche, die uns gewogen waren und uns den Rücken freihielten. Beispielsweise wurden wir mal beim Schmuggeln von Instrumenten erwischt. Man hatte uns verraten. Irgendwelche Drecksäcke gab es immer und überall. Das war umgerechnet unglaublich viel Geld, was sie uns weggenommen und beschlagnahmt hatten. Aber wir bekamen alles zurück von der KGD, der Konzert- und Gastspieldirektion. Also hatte irgendwo jemand für uns gesprochen.

Wart Ihr zu dem Zeitpunkt immer noch Amateure?
Normalerweise schon, aber irgendwann haben sie uns notgedrungen den Berufsausweis gegeben. Es ging nämlich gar nicht mehr anders, weil wir inzwischen schon zweimal "Hervorragendes Amateurtanzorchester der DDR" wurden. Das war im Amateurbereich die höchste Auszeichnung. Quasi der Ritterschlag. Mehr konnte man nicht holen, deshalb bekamen wir alle einen befristeten Berufsausweis.

Habt Ihr auch im Ausland gespielt?
Als Bandleader stellte ich immer und immer wieder bei der Konzert- und Gastspieldirektion Anträge, um ins Land des Blues fahren zu dürfen und jedes Mal wurden diese Anträge abgelehnt. Irgendwann habe ich die Bonzen mal gefragt, warum wir nicht fahren durften. Ich sagte ihnen: "Wir kommen garantiert alle wieder und ich bringe sogar noch ein paar Leute aus dem Westen mit, die am Sozialismus mit bauen würden", bekam aber nie eine Antwort. Am Ende waren es über hundert Anträge. Irgendwann erfuhr ich aber doch, dass ich von der Stasi ein striktes Reiseverbot aufgebrummt bekommen hatte. Ich würde die DDR im Ausland nicht würdig vertreten, hieß es als Begründung. Einmal durften wir dann doch fahren, und zwar 1988 an die Trasse. Das machten wir sogar ganz freiwillig. 36 Konzerte an 18 Tagen. Wir spielten immer abwechselnd für die Früh- und die Nachtschicht. Zusammen mit Hans die Geige. Die Reise war der Hammer! Du musst Dir vorstellen, ich durfte - wie schon gesagt - nie irgendwohin. Unser Gitarrist Kuhle Kühnert erzählte aber immerzu von seinen Touren nach Georgien und sonst wohin, zeigte uns Bilder von diesen unvorstellbaren Gebirgen und Seen. Und plötzlich darf ich selber nach Russland! Für mich war das etwas echt Extremes. Mehr als fünftausend Kilometer von zuhause weg! Bis Moskau saßen wir im Flieger und den Rest haben wir mit der Transsibirischen Eisenbahn zurückgelegt. Ein unvergessliches Erlebnis. Wir kamen auch richtig gut an bei den Trassen-Arbeitern, während Bands, die Mist gebaut hatten oder nicht gefielen mit ihren Auftritten, abgerissene Klodeckel als "Ehrung" bekamen. Wir hingegen wurden richtiggehend hofiert. Diese FDJler, die an der Trasse gearbeitet haben, waren sowieso ganz eigene Typen, die waren so ein bisschen wie Jack London. Die waren in der Wildnis an vorderster Front, die trugen selbstgeschossene Mützen und waren keine weichen Heinis, sondern richtige Kerle.

Es gab ja seinerzeit im Osten eine sehr lebendige Blueswelt. Das Zentrum war zweifelsohne Thüringen, aber auch Berlin und Sachsen hatten diesbezüglich einiges zu bieten. Wie war denn das Verhältnis der Bands untereinander?
Sehr gut. Vor allem Jürgen Kerth war damals der Oberhammer. Musikalisch gab es nichts Besseres. Auch seine Bandkollegen waren absolute Spitze. Die Kontakte untereinander kamen allein schon dadurch zustande, dass die großen Open Airs so gestaltet waren, dass die Bands nacheinander auftraten. Kerth, ENGERLING, MONOKEL ...

Dem Blues zu frönen war - zumindest in der DDR - nicht nur Schwärmerei, sondern für sehr viele eine Lebenseinstellung mit allen Konsequenzen, die sich daraus ergaben. Die Rockbands und auch ihre Anhänger waren da durchaus eine andere Klientel. Gab es trotzdem Schnittmengen zwischen Euch und den Rockbands oder habt Ihr in einer Art Blase gelebt?
Nun ja, es existierte schon dieses Schubladendenken im Osten. Hier der Blues, da die Rockmusik. Aber natürlich gab es auch immer mal wieder gewisse Überschneidungen. Auf unseren Konzerten sah man oft die kettentragenden Hardrocker oder sogar Punker, als es mit dieser Kultur losging. Die Blueser waren eine Subkultur, die es so wohl nie mehr geben wird. Die waren die Ersten, die sich einfach an keine Regeln hielten. Ich bin damit groß geworden und kannte es nicht anders. Aber auch die Rock'n'Roller teilten unser Schicksal, die waren genauso verfemt und galten wie die Blueser als Outlaws. Was die Rockbands angeht, weiß ich gar nicht so richtig, ab wann man in der DDR von Rockmusik sprechen und wen man dazu rechnen konnte. Die PUHDYS z.B. klangen ja lange Zeit wie URIAH HEEP, das war Käse. Aber früher war ich in meinem Urteil über die Rockbands ohnehin recht unversöhnlich. Heute sehe ich das alles viel moderater.

016 20161217 1755190569Mitte bis Ende der 80er Jahre verblasste die Blueskultur in der DDR zusehends, stattdessen rückten die sich reihenweise formierenden Punk- und Heavy Metal-Bands nach vorne.
Richtig, das ging mit den Punkern schon Mitte der 80er los. Die Metal-Leute hatten im Gegensatz zu den Punks ja keine politische Aussage. Der Punk war richtig extrem, das war die Totalverweigerung, die machten den harten Cut. Wir waren ja ähnlich, aber es war bei uns dann doch alles ein wenig legerer. Trotzdem wären diese Entwicklungen ohne uns gar nicht möglich gewesen, wir haben alles vorbereitet und den Grundstein gelegt.

Wenn man durch das nachlassende Interesse am Blues immer weniger Auftritte hat, die Fans wegbleiben, macht man sich da schon mal Sorgen um seine berufliche Zukunft?
Das stimmt ja nur zum Teil. Natürlich haben Ende der 80er die Besucherzahlen auf unseren Konzerten deutlich nachgelassen. Aber weißt Du auch, warum das so war? Weil die Hälfte der Leute inzwischen im Westen war. Mitte der 80er Jahre gab es noch gewisse Überschneidungen, da liefen auf den Blueskonzerten noch jede Menge Hahnenkämme umher, da rockten die Punker bei uns richtig ab. Das legte sich später, da gingen die dann nur noch zu ihren Punkbands. Es gab übrigens eine Band, die war so was wie ein Bindeglied zwischen Blues und Punk, das war FREYGANG. Die spielten durchaus leicht bluesig, waren aber gleichzeitig schon auf der Rio Reiser-Schiene unterwegs. Durch FREYGANG hat sich das anfangs alles noch etwas vermischt.

Dann kam ja bekanntlich alles ganz anders, die DDR war am Ende. Was hast Du eigentlich am 9. November 1989 getrieben? Wie und wo hast Du die Maueröffnung erlebt?
An der Bornholmer Brücke. Nachdem wir davon gehörten hatten, meinte meine Frau, wir müssen da sofort hin. Ich dachte jedoch, das ist wieder nur so eine Bolschewistenschote und wollte nicht mitgehen. Meine Frau überzeugte mich dann aber doch. Den Weg zur Bornholmer Brücke mussten wir allerdings zu Fuß zurücklegen, weil keine Straßenbahn mehr fuhr. Die kam einfach nicht durch, weil die Straßen voll waren mit Menschenmassen. Selbst die Bornholmer, die ja nun wirklich eine breite Straße ist, war voll bis zum Anschlag. Wir kämpften uns irgendwie bis nach vorne durch und als ich dann endlich über die Grenze gehen konnte, kamen mir die Tränen. Ich habe damals in diesem Land zwei der wichtigsten Jahre meines Lebens verloren. Auch musikalisch war das ja eine ungeheuer aufregende Zeit, die ich verpasst habe. Ich fuhr mit den STONES in den Knast ein und kam mit Hendrix und CREAM wieder raus. Diese Gedanken kamen mir wirklich als erstes hoch. Dafür habe ich nun zwei Jahre gesessen, damit ich eines Tages diesen einen lässigen Schritt über die Grenze gehen kann.

017 20161217 1473948986Was ging in den nächsten Tagen in Dir vor, welche Emotionen haben Dich beherrscht? War es Angst, war es Freude oder hast Du das Ende der DDR auch als Chance für Dich als Musiker gesehen, jetzt richtig durchzustarten?
Es waren vor allem Ängste, die ich hatte. Solche Dinge wie Volkseigentum zu schätzen, das war ja nun vorbei und abgegessen. Wenn ich mir aber angucke, wie schön unsere Häuser heute aussehen, ist das für mich einer der Effekte, den die Rettung der Zone mit sich gebracht hat. Wir sind ja mit MONOKEL nun wirklich in jedem Winkel der DDR gewesen. Manchmal sogar im dichten Grenzgebiet, dann aber unter einem anderen Namen. Es gab nämlich eine Sperrzone von ca. 60 Kilometer vor den Grenzen. FREYGANG machte das auch sehr oft und selbst beim DIANA SHOW QUARTETT haben wir diesen Trick angewendet. Das war also nicht neu.

Wie ging es mit Dir und MONOKEL dann nach dem Mauerfall weiter?
Zuppe verließ 1989 aus gesundheitlichen Gründen die Band. Dafür stieg Basti Baur dann zum zweiten Mal bei uns ein und übernahm auch gleichzeitig den Gesangspart von Zuppe. Nach dem Mauerfall gingen wir gleich auf eine vierwöchige Tournee durch die alten Bundesländer. Das hatte damals Heinz Glass für uns klargemacht und organisiert.

Wie hat das westdeutsche Publikum auf Euch reagiert?
Super, das lief richtig gut. Wir spielten in Rheinland-Pfalz, im Saarland, in Baden-Württemberg und in Bayern. Dasselbe machten wir dann nochmal mit Diestelmann in Bayern. Die Tour ging auch wieder über drei Wochen. Auf den Plakaten stand "MONOKEL feat. Stefan Diestelmann" und war extrem erfolgreich. Später versuchten wir das dann noch einmal ohne ihn, doch leider wurde das ein totaler Flop und ein finanzielles Minusgeschäft. Das mit den Finanzen war doppelt so bitter, weil wir immer alles erst anmieten mussten, also eine PA und einen Bus, denn wir selber hatten ja nichts. Doch die Sache nahm zum Glück ein gutes Ende, denn auf der Rückfahrt hatten wir dann noch drei Muggen im Osten. Und diese riesigen Säle in Thüringen waren voll! Das war für uns die Rettung.

Du sagtest eben, ihr musstet die PA anmieten. Im Osten hatte doch früher jede Band ihre eigene Anlage, mit denen sie durch die Lande gezogen ist. Habt Ihr Eure verscherbelt, oder warum war die nicht mehr da?
Verscherbelt? Schön wär's! Die Anlage stand bei meinem Sohn im "Tacheles". Leider brannte dort ein Teil des Gebäudes ab. Natürlich genau der Teil, in dem unsere Anlage stand. Alles futsch.

019 20161217 1768660005Was folgte, war die unrühmliche Teilung der Band in zwei Fraktionen. Das ist jetzt über zwanzig Jahre her, weshalb wir vielleicht an dieser Stelle mit genügend Abstand und ohne Dreck aufzuwühlen noch einmal auf Spurensuche gehen können, was eigentlich aus Deiner Sicht die Gründe für den Split waren.
Es gab einfach menschliche und musikalische Differenzen. Ich wollte das irgendwann nicht mehr und habe mich von der Band getrennt. Von MEINER Band wohlgemerkt, denn ich habe alle, die da gespielt haben, in die Band geholt. Ich hatte zu der Zeit auch schon meine Kneipe, was ein kleiner Mitgrund war für meine Entscheidung. Als ich dann wieder in die Musik einstieg, gründete ich nicht etwa einen eigenen MONOKEL-Ableger und auch keine neue Band, sondern wir hatten die Majorität der alten Band, da bei uns mit Zuppe, unserem Schlagzeuger Bernd "Erny" Damitz und mir gleich drei bisherige Leute dabei waren. Eine weitere Anekdote dazu ist folgende: als das Buch "Bye bye Lübben City" erschien, bekam unsere ehemalige Managerin Anfragen, ob wir denn nicht Lust hätten, eine Tour zum Buch zu machen. Wir haben unseren Kollegen der anderen MONOKEL-Fraktion den Vorschlag unterbreitet, die haben das aber abgelehnt. Das wären ungefähr zehn Muggen gewesen! Sogar der Arbeitstitel stand schon fest: "Die Tour zum Buch". Die Gründe für ihre Ablehnung waren sehr fadenscheinig, was mich damals ziemlich geärgert hatte. Später haben dann auch noch manch andere Veranstalter eine Menge Geld dafür geboten, dass beide MONOKEL-Bands zusammen auf die Bühne gehen und spielen. Auch das haben die Kollegen abgelehnt.

Die Wogen zwischen den beiden MONOKEL-Lagern sind bis heute nicht geglättet, was den Fans nur schwer zu vermitteln ist.
Ich kann Dir dazu nur eins sagen: wir haben den Kollegen etliche Male die Hand gereicht. Gala hat während unserer gesamten Jubiläums-Tour, die über ein Jahr ging, auf der Bühne grundsätzlich ein MONOKEL KRAFTBLUES-T-Shirt getragen. Mehr können wir nicht machen.

Andererseits habe ich Dich aber beispielsweise auf dem Jubiläumskonzert der KRAFTBLUESer vor einigen Wochen im Frannz Club entdeckt. So ganz zerbrochen ist der Krug also doch noch nicht, oder?
Ich war da, weil ich mir Anfang des Jahres mit Kuhle Kühnert die Hand gereicht habe und wir diesen ganzen bescheuerten Streit unter der Prämisse beendet haben, dass wir uns im letzten Lebensdrittel befinden und diese Handreichung eigentlich auch für unsere Fans ein Zeichen sein sollte. Das war mehr als nur Symbolik für uns. Auch Gala und Basti haben sich darüber gefreut. Gerade diese beiden sind ja nun extreme Aktivisten, wenn ich das mal so sagen darf, da sie ja ganz oft in beiden Bands zu Gast sind und mitspielen.

Gut, lass uns das Thema damit beenden. 2006 kam es nach einem Konzert in Thüringen zu jenem folgenschweren Verkehrsunfall, bei dem Zuppe und Du schwer verletzt wurden und ein befreundeter Manager zu Tode kam. Wie dicht stand die Band danach vor dem endgültigen Aus? Oder anders gefragt: was hat Dir die Kraft zum Weitermachen gegeben?
Eindeutig die Musik. Dass wir aufhören, stand auch nach dem Unfall nie zur Debatte.

020 20161217 1577206963Seit unserem letzten Interview 2011 anlässlich des 35. Bandgeburtstags hat sich bei Euch eine Menge getan. Ihr seid nochmal ordentlich durchgestartet, hattet über die Jahre immer einen vollen Terminkalender. MONOKEL stand gemeinsam mit Bands wie STATUS QUO, MOLLY HATCHET und THE BLUES BAND auf der Bühne, ihr wart Headliner bei der neu ins Leben gerufenen "Berliner Kunden Blues Nacht", MONOKEL durfte als zweite Bluesband aus dem Osten bei den "Rother Bluestagen" auftreten - habe ich irgendein Highlight der letzten fünf Jahre vergessen?
Nein, das waren wirklich alles echte Highlights für uns.

2014 überraschte den Bluesfan die Nachricht, dass Peter Schmidt bei SPEICHES MONOKEL nicht nur hin und wieder als Gitarrist auf der Bühne stehen wird, sondern Peter sollte als "künstlerischer Leiter" der Band neues Leben einhauchen. Was war der Hintergrund für diese Personalie?
Das geschah schon mit Blick auf die diesjährige Jubiläumsbesetzung. Mit dem Begriff "künstlerischer Leiter" konnte ich aber noch nie etwas anfangen.

Nun habt Ihr zwar wieder genügend Auftritte machen können. Aber während Ihr in der DDR sehr oft vor tausenden Fans gespielt habt, kommen heute im besten Falle ein paar hundert, manchmal sogar noch deutlich weniger. Wir haben das vorhin ja schon kurz angerissen. Verlierst Du als Musiker da nicht manchmal die Lust und fragst Dich, für wen Du das hier eigentlich alles machst?
Nein, auf keinen Fall. Wir spielen auch keinesfalls schlechter, wenn weniger Publikum da ist. Also ist es doch völlig egal, wie viel Leute vor der Bühne stehen und uns sehen wollen. Das betraf aber auch alle anderen Bands aus dem Osten, nicht nur uns. Grundsätzlich können wir aber mit den Besucherzahlen zufrieden sein. Vor fast leerem Haus haben wir jedenfalls noch nie spielen müssen.

Mit einem bestimmten Auftritt, nämlich dem im ehemaligen Stasiknast Hohenschönhausen, habt Ihr am 29. September 2015 für Aufsehen gesorgt. Was war der Anlass und wie hast gerade Du Dich währenddessen gefühlt?
Anlass war der 25. Jahrestag der Schließung des Knasts. Mir ging es die ganze Zeit über eigentlich recht gut. Selbst als ich bei einem Rundgang die kleinen, engen Zellen wiedersah, war es nicht so schlimm für mich wie ich vorher dachte. Nur als wir die Vernehmungszimmer betraten, kamen die ganzen erlebten Sachen wieder in mir hoch. Das war schon schlimm und bedrückend.

018 20161217 1924024745Nun ist es also Wirklichkeit: 40 Jahre MONOKEL dürfen gefeiert werden. Mal ehrlich, wenn 1989/90 jemand mit Dir gewettet hätte, dass Ihr 2016 als Band immer noch voll im Saft steht, hättest Du die Wette angenommen?
Schwer zu sagen. Aber eigentlich: ja. Allerdings habe ich schon immer gesagt, ich werde nie etwas Organisatorisches für die Band machen, weil das einfach nicht mein Ding ist. Ich werde meine vier tiefen Töne spielen und aufpassen, dass mir die ganz tiefen nicht aufs Bein fallen, aber das war es dann auch. Zum Glück fanden wir dann mit Eddy Czesnick einen tollen Manager, so dass ich die Verantwortung dafür los war.

Im Jubiläumsjahr geht Ihr natürlich wie gewohnt auf Tour, aber es ist euch gelungen, die Blueswelt mit einem besonderen Line Up zu überraschen. Mit Gala und Basti Baur spielen für dieses eine Jahr neben Dir zwei weitere Gründungsmitglieder mit. Wie ist diese Idee entstanden?
Es ging tatsächlich um die drei Gründungsmitglieder, also um Basti, Gala und mich. Wir drei haben 1976 die Band gegründet und deshalb gebührt uns auch das Recht, 40 Jahre MONOKEL zu feiern. Die Idee dazu stammt in erster Linie von Eddy Czesnick.

Nicht unterschlagen wollen wir natürlich Peter Schmidt, der ebenfalls zur Jubiläumsbesetzung gehört. Hat es viel Überredungskunst gekostet, Peter, Gala und Basti ins Boot zu holen?
Nein, überhaupt nicht. Wir hatten so etwas 2012 ja schon einmal am Start. Da konnten unsere beiden Klampfer nicht, weshalb wir dann in fast genau dieser Besetzung auftraten. Wir nannten das seinerzeit UR-MONOKEL, weil eben Basti, Gala und auch Wille Borchert dabei waren.

Ihr habt Euch vor der Tour mehrmals zu Proben getroffen, eine davon haben wir besuchen dürfen (Bericht siehe HIER). Was ging in Dir vor, als klar war, Du wirst wieder mit den einstigen Kollegen zusammen musizieren? Vor allem mit dem Wissen, dass Ihr nicht nur für ein Konzert, sondern für ein ganzes Jahr wieder als Band fungiert.
Wenn Du mit Gala spielst, ist das automatisch ein bisschen wie früher. Er ist eben ein extremer Bursche. Auch das Zusammenspiel mit den anderen ist absolut spannend in dieser Konstellation. Vor allem mit Peter Schmidt. Insgesamt hat es sich ganz wunderbar angefühlt.

021 20161217 1429274368Redet man da zwangsläufig viel über die alten Zeiten und die gemeinsame Vergangenheit oder konzentriert man sich mehr auf das Hier und Jetzt?
Natürlich ergeben sich da manchmal Rückblenden. Es macht ja auch wahnsinnig viel Spaß, über die alten Zeiten zu reden. Das kommt alles nicht wieder und gehört doch zu unserem Leben.

Beim Zusammenstellen der Setliste für die Tour hatte ja sicher jeder seine eigenen Vorstellungen, ebenso bei der künstlerischen Umsetzung der Titel. Wie schwer war es, alle Meinungen und Ideen unter einen Hut zu bekommen?
Für diese Dinge greift man zwangsläufig auf die begabten Teile der Band zurück. In unserem Falle sind das Peter und Gala. Die beiden machen die Vorschläge, wie wir dieses und jenes spielen könnten und wir einigen uns dann ganz demokratisch auf einen Weg. Auch Basti und Olli Becker sind hochbegabt und mit einem mächtigen musikalischen Kosmos ausgestattet. Manchmal war Basti das alles zu lahm und brav, dann hat er schon dafür gesorgt, dass wir mehr Bums und Power reinlegen. Alles in allem lief alles recht problemlos ab, denn wir sind ja alles Musiker mit jahrzehntelangen Erfahrungen.

Im Dezember 2015 fand ein Preview-Konzert im Maschinenhaus statt. Wie zufrieden wart ihr mit diesem Auftakt?
Wir waren natürlich vorher sehr aufgeregt. Wir haben wie verrückt aufgepasst, um bloß keine Fehler zu machen. Aber das ist ja auch normal, denn wenn Du manche Stücke über viele Jahre nach einem bestimmten Muster gespielt hast, musst Du bei den geringsten Änderungen im Arrangement doppelt und dreifach aufpassen. Inzwischen hat sich das alles längst beruhigt, wir dudeln mittlerweile alles ganz lässig runter.

Wie viel Konzerte umfasste die Jubiläumstour insgesamt?
So genau weiß ich das jetzt gar nicht, aber ich denke mal, etwa dreißig.

Neben den normalen Konzerten gab es auch im Jubiläumsjahr einige Highlights für Euch. So wart ihr u.a. Headliner beim "Internationalen Blues & Rockfestival Altzella", wo es von Euch sogar ein doppeltes Set gab. Einen besonderen Stellenwert hatte aber sicher Euer Auftritt im August auf dem Prager Wenzelsplatz. Erzähl uns bitte etwas mehr darüber.
Als ich 1967 aus dem Gefängnis kam, war der Osten in Sachen Rockmusik mausetot. Alle meine Freunde sagten mir damals, wenn Du wirklich etwas erleben willst, musst Du nach Prag. Und schon fuhren wir nach Prag. Dort haben wir, also ein paar Freunde und ich, mit einer Band namens THE PRIMITIVES GROUP in einem Prager Klub zusammengespielt. Und diese Band hat mich eingeladen, am 21. August 2016 an einem Gedenkkonzert zu Ehren des Prager Frühlings im Jahr 1968 teilzunehmen. Zunächst spielten wir mit MONOKEL am Nachmittag ein eigenes Konzert auf dem Wenzelsplatz, was schon richtig toll war. Und am Abend haben wir mit den Jungs von THE PRIMITIVES GROUP in demselben Klub wie vor 49 Jahren eine Session gespielt. Das muss man sich mal vorstellen! Es war ein sehr berührendes Erlebnis für mich und die Band. Ein wirkliches Highlight.

Mitten hinein in die Tour platzte die Nachricht über eine neue CD von SPEICHES MONOKEL. Darauf enthalten sind zwei Livetitel, vier knackige Neuaufnahmen alter MONOKEL-Nummern sowie mit "40 Jahre" ein brandneuer Song. Wurde die Scheibe von den Fans angenommen?
Die CD kam sehr gut an. Vor allem war es für die Fans wichtig, endlich mal ein paar Songs auf Platte oder CD zu bekommen, die noch nie veröffentlicht wurden. Zum Beispiel das "Lumpenlied" und "Der Schreier".

Du hast mir vor einiger Zeit mal erzählt, ihr habt jede Menge Ideen für neue Songs, es scheitert aber an der Umsetzung. Wäre es nicht die Chance gewesen, wenn die Band schon mal im Studio ist, gleich ein komplettes Album daraus zu machen und noch den einen oder anderen frischen Titel mit aufzunehmen? Oder fehlte dazu schlicht und einfach die Zeit?
Genau das war das Problem. Wir hatten nicht genügend Zeit für eine größere Produktion. Sehr schade, denn wir hätten gerne ein komplettes Album hingelegt.

Das Jubiläumsjahr ist fast um. Wie schätzt Du das Gesamtfeedback der Fans auf Eure Konzerte und auf die einzigartige Besetzung ein?
Es war auf jeden Fall ein tolles Jahr. Für die Fans und auch für uns. Über die Besetzung brauchen wir nicht zu reden, die kam super an. Peter Schmidt hat ja einen exzellenten Ruf im ehemaligen Osten. Wenn der angesagt wurde, waren die Leute begeistert. Und Gala ist eine extreme Rampensau und ein unglaublich begabter Musiker. Für Basti gilt das gleiche. Also die Besetzung war dem Jubiläumsjahr wirklich angemessen und würdig.

022 20161217 1386558574Gab es über das Jahr gesehen erwähnenswerte Reaktionen der Medien auf Euer Jubiläum? Ihr seid zwar keine Pop-Sternchen und werdet deshalb auch kaum ins Frühstücksfernsehen oder wenigstens zum rbb oder MDR eingeladen worden sein, aber zumindest die Fachpresse sollte Euch doch ein gewisses Maß an Aufmerksamkeit geschenkt haben, oder?
Wenn wir es darauf angelegt hätten, wären wir vielleicht auch mal in irgendeine Fernsehsendung gekommen. Ansonsten gab es außer von Deutsche Mugge leider keine größeren Reaktionen von der Presse.

Am 27.Dezember steht nun das Abschlusskonzert der Jubiläumstour an. Man braucht wohl kein Prophet sein, um mit einem ausverkauften Kesselhaus rechnen zu können. Was habt Ihr Euch für diesen speziellen Abend ausgedacht? Darfst oder möchtest Du schon preisgeben, welche Gäste sich den Zuschauern präsentieren werden?
Wir werden einen Bläsersatz dabei haben und zwei weibliche Backgroundsängerinnen. Außerdem stehen mit Peter Schneider und Christoph Frenz zwei ehemalige MONOKEL-Musiker mit uns auf der Bühne. Auch Speiches Sohn wird dabei sein. Ich hoffe niemanden vergessen zu haben. Auf jeden Fall wird es diesmal nicht ganz so bunt wie 2011, als wir ja u.a. Achim Mentzel und Henrik Freischlader eingeladen hatten.

Wird es einen Mitschnitt des Konzertes geben?
Ja, definitiv eine DVD.

Nun stellt sich zwangsläufig die Frage, wie es mit der Band weitergeht, wenn das Abschlusskonzert hinter Euch liegt?
Die Band wird im nächsten Jahr nicht mehr SPEICHES MONOKEL heißen. Auf die Frage nach dem Warum kann ich nur sagen, das haben die Kollegen sich so gewünscht. Letztendlich ist das diesem ganzen Gezerre mit den zwei MONOKEL-Bands geschuldet, die Kollegen haben davon einfach die Nase voll. Mehr will ich an dieser Stelle dazu gar nicht sagen. Ich habe es mit abgenickt, aber es ist mir sehr, sehr schwer gefallen.

Verstehe ich das richtig, nicht die Band ist Geschichte, sondern nur der Name?
Das ist korrekt. Irrtümlicherweise denken auf Grund von diversen Fehlinformationen viele Leute, dass ich komplett aufhöre und mich zurückziehe. Das stimmt aber überhaupt nicht. Mit der Musik aufhören will ich erst mit neunzig oder hundert Jahren. Die Band gibt es also weiterhin und die Besetzung wird neben mir aus Peter Schmidt, Olli Becker, Zuppe und unserem neuen Gitarristen Axel Merseburger bestehen.

Wie wird die neue Band heißen?
Wir nennen uns SPEICHES M.

Wie werdet ihr euch stilistisch aufstellen? Wird es eine Mischung aus EAST BLUES EXPERIENCE und MONOKEL oder erfindet Ihr Euch völlig neu?
Zumindest habe ich mir für den Anfang ein paar EASTBLUES EXPERIENCE-Nummern gewünscht. Die müssen wir sicher ein wenig umarrangieren, denn im Original sind das ja richtig scharfe Teile. Es wird natürlich auch einige MONOKEL-Songs geben.

Aber ich vermute mal, es wird irgendwann sicher auch eigene, neue Lieder geben?
Na unbedingt! Das haben wir fest eingeplant. Und es werden deutschsprachige Nummern.

Plant ihr schon erste Konzerte?
Nein, da steht noch nichts fest.

Axel Merseburger ist das Küken in der Band. Liege ich richtig mit der Annahme, dass Peter Schmidt ihn mitgebracht hat?
Genauso ist es. Axel ist so eine Art Schüler von Peter. Ich habe ihn schon in meiner Blueskneipe erlebt, konnte dadurch sein Handwerk kennenlernen, wusste aber nicht, dass er noch so herrlich jung ist. Aber ein bisschen frischer Wind kann ja nicht schaden.

Was wird Euer langjähriger Manager Eddy Czesnick ab Januar 2017 machen, dem Ihr ja viel zu verdanken habt?
Eddy kümmert sich zurzeit um die KLOSTERBRÜDER, um Andi Valandi und noch einen weiteren Nachwuchskünstler, der mir aber jetzt namentlich nicht bekannt ist. Um die organisatorischen Angelegenheiten bei SPEICHES M. wird sich dann Peter kümmern.

Dann kann man euch für den Neustart im nächsten Jahr nur alles Gute wünschen. Es hätte sich ja vielleicht auch noch eine weitere Option ergeben können, denn Du hast im Deutsche Mugge-Interview von 2011 auf die Frage nach deinen Wünschen für die Zukunft gesagt: "Was ich mir außerdem noch vorstellen könnte, wäre so ein Texas-Trio. Nur Gitarre, Drums und ich am Bass". Was ist daraus geworden?
Das ist immer noch reine Phantasie. So etwas würde ich gerne mit Jürgen Bailey machen. Aber das wird nichts, weil man das auch verkaufen muss. Und Jürgen ist auch schon über 60, der muss Geld verdienen. Ansonsten wäre das wirklich nach wie vor ein Wunsch, den ich mir sehr gerne erfüllen würde.

026 20161217 1343985595Gehst Du eigentlich selber noch auf Konzerte anderer Bands und Musiker? Wenn ja, wo warst Du im letzten Jahr beispielsweise?
Na klar! Dieses Jahr war es schwer, da wir selber so viel gespielt haben. Das Letzte, was mich unheimlich umgehauen hat, war COLOSSEUM. Da lohnt sich ein Besuch allein schon wegen Chris Farlowe. Und auch wegen John Hiseman, dem Drummer. Ich habe noch nie einen Rocktrommler gesehen, der dermaßen phantasievolle Geschichten getrommelt hat. Das war unfassbar, was der macht! Solche Menschen müssten in den Himmel kommen und die müssten Milliarden verdienen.

Und wer aus der aktuellen Bluesszene wärmt Dir das Herz?
Zum Beispiel Joe Bonamassa. Der ist so unglaublich fit und schnell. Der denkt sich eine Platte aus und einen Tag später ist sie fertig. Auch Walter Trout ist großartig. Leider konnte ich es zu Ostzeiten nicht erleben, als John Mayall und Coco Montoya da waren. Stell Dir das mal vor: John Mayall ist Baujahr 1933, also dreizehn Jahre älter als ich. Und der gibt nach der Show immer noch eine Stunde Autogramme und baut auch einen Teil seines Equipments noch alleine ab! Dieser Mann sollte geadelt werden.

Bevor wir zum Ende kommen, muss ich noch eine Frage loswerden. Deine Leidenschaft gilt neben dem Blues noch einem zweiten großen B: Bach. Wie verträgt sich der rhythmische Blues mit den - zumindest für meine Ohren - recht sperrigen Werken eines Johann Sebastian Bach?
Oh nein, das ist überhaupt nicht sperrig! Ganz im Gegenteil, das swingt! Das ist für mich eine reine Herzenssache, musikwissenschaftlich begründen kann ich das allerdings nicht. Mich fasziniert an Bach auf jeden Fall sein musikantischer Kosmos. Weißt Du, was ein Möbiusband ist? Das ist das Symbol für Unendlichkeit. Darüber hat Bach ein Werk geschrieben, das heißt "Crab Canon on a Möbius Strip". Er komponiert eine Melodie bis zu einem bestimmten Punkt und ab diesem Punkt kannst Du sie auch wieder rückwärts spielen. Dazu läuft in dem Video ein Möbiusband. Es gibt kein Anfang und kein Ende. Wahnsinn! Das Ganze hat mich echt umgehauen.

Weihnachten steht vor der Tür, das neue Jahr ebenfalls. Was wünscht Du Dir für 2017?
In erster Linie, dass alle mir nahstehenden Menschen gesund bleiben. Und natürlich, dass es mit meiner neuen Band im nächsten Jahr flutscht wie Sau. Am liebsten würde ich noch mal so richtig wilden Rock'n'Roll spielen! Ich glaube, mit Peter wird das sogar funktionieren. Und ich wünsche mir noch etwas anderes ganz dringend: Weltfrieden! Der augenblickliche Zustand der Welt kotzt mich unglaublich an. Es grassiert eine Verkommenheit, die meinem Ethos total widerspricht. Das ist Irrsinn hoch zehn, was im Moment passiert. Frieden fängt aber immer ganz unten an. Also in der Familie, im Club, im Fußballverein ... Also wünsche ich mir auch für die kleinen Dinge des Lebens Frieden.

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Hast Du abschließend noch ein paar Worte für unsere Leser übrig?
Ich würde mich freuen, wenn viele Leute in unsere Konzerte kommen, denn wir wollen den Menschen ja auch etwas zurückgeben. Freude, Spaß ...

Speiche, ich danke Dir für das ausführliche Gespräch und wünsche Dir für die kommende Zeit alles Gute!
Auch ich habe zu danken. Und liebe Grüße an die Leser von Deutsche Mugge!


Interview: Torsten Meyer
Bearbeitung: cr
Fotos: Torsten Meyer, Archive Deutsche Mugge und Speiche