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Interview mit AnNa R. vom 26. Februar 2016



Die Gruppe GLEIS 8 gibt es erst knapp vier Jahre, doch sie kann bereits jetzt schon auf eine sehr bewegte Geschichte zurückblicken. Sängerin AnNa R., die sich bereits als weiblicher Teil des Duo ROSENSTOLZ einen Namen gemacht hatte, Saxophonist Lorenz Allacher, Schlagzeuger Manne Uhlig und der Mixer und Produzent Timo Dorsch taten sich im Jahre 2012 als neue Band zusammen. Gleich mit ihrem im Mai 2013 veröffentlichten Debüt-Album "Bleibt das immer so" konnte die Band einen beachtlichen siebten Platz in den deutschen Album-Charts belegen. Im Winter 2013 folgte die zum Album passende Tournee durch Deutschland, die für die Band sehr erfolgreich lief. Im Frühjahr 2014 mussten Band und Fans zwei schlimme Nachrichten hinnehmen: Manne Uhlig und Lorenz Allacher erkrankten beide an Krebs, so dass alle Festivalteilnahmen für den Sommer abgesagt werden mussten.001 20160301 1920854060 Während Uhlig sich wieder erholen konnte, verstarb Allacher im Oktober 2014 an den Folgen seiner Erkrankung. Die Band stand wieder auf und arbeitete an neuem Material, das man seit dem vergangenen Monat (Februar 2016) auf dem Album "Endlich" hören kann. Über all das konnte sich Christian in der letzten Woche mit AnNa R. unterhalten und Ihr habt jetzt hier die Gelegenheit, das komplette Gespräch nachlesen zu können ...



Im Mai 2013 erschien mit "Bleibt das immer so" Euer Debütalbum. Im Februar 2016 steht nun die zweite Platte "Endlich" in den Läden. Dazwischen ist so einiges passiert. Sehr tragisch war der Tod von Lorenz Allacher, der im Herbst 2014 verstarb. Wie geht man als Band, die es ja noch gar nicht so lange gibt, mit so einem Schlag um? Hat dadurch möglicherweise auch das Aus von GLEIS 8 im Raum gestanden?
Ich fange mal von hinten an. Nein, das Aus stand nie im Raum. Und zwar deshalb nicht, weil GLEIS 8 für Lorenz ein ganz wichtiges Projekt war, weil es ihm unglaublich viel bedeutete, nochmal eine eigene Band zu haben, nochmal durchzustarten. Auch als er schon krank war, war er an allem beteiligt und schrieb noch an den Songs mit. Deshalb stand für uns auch nie zur Debatte, das Projekt nicht zu Ende zu bringen oder nicht weiterzumachen. Wie man generell als Band damit umgeht, kann ich Dir nicht beantworten. Wir von GLEIS 8 haben jedenfalls sofort versucht, weiterzumachen, um eben gar nicht erst in eine große Leere zu stürzen. Wir haben uns gegenseitig Halt gegeben und unterstützt und sind alle etwas enger zusammengerückt.

Und noch ein zweiter GLEIS 8-Musiker hat die gleiche Diagnose bekommen ...
Das war Manne Uhlig, unser Keyboarder. Aber Manne hat das glücklicherweise gut überstanden und ist jetzt wieder gesund.

Das ist schön zu hören. Lorenz und Du darf man wohl als die Gründungsmitglieder der Band bezeichnen ...
... da unterbreche ich Dich sofort, denn das ist nicht wahr. Es fehlt nämlich Timo. Eigentlich sind Timo und Lorenz auf mich zugekommen.

Aha. Hattet Ihr denn schon von Anfang an den Gedanken, eine eigene Band zu gründen?
Wir kannten uns ja bereits vorher. Lorenz kannte ich noch viel länger, über zwanzig Jahre, nämlich aus ROSENSTOLZ-Zeiten. Wir waren auch gut befreundet. Timo war mir auch schon von ROSENSTOLZ her bekannt, weil er dort auf der technischen Ebene gearbeitet hat, also im Studio und auch live. Lorenz und Timo waren ohnehin Freunde und hielten immer Kontakt zueinander. Irgendwie kamen sie dann auf die Idee, man könnte mal etwas zusammen machen. Das ist ja nun ein Spruch, der auf Partys unter Musikern gerne mal so dahin gesagt wird. Aber in dem Falle haben sie mich wirklich gefragt. Ich sagte: "Na klar, lasst es uns mal probieren". Ich dachte schon gar nicht mehr daran, aber eine Woche später riefen die beiden mich dann an und fragten, was denn nun wäre, ich hätte doch gesagt, wir wollen was gemeinsames machen. Wir dachten natürlich noch gar nicht daran, eine Platte aufzunehmen, sondern wir wollten einfach mal zusammen Musik machen.

Noch bevor irgendetwas von GLEIS 8 veröffentlicht wurde, hattet Ihr einen Plattenvertrag mit der Universal in der Tasche. Wie kam es zustande, dass Ihr den Deal bekommen habt? Mochte dort jemand Eure Demos besonders so gut leiden?
Im Prinzip ist das ein ganz normales Verfahren gewesen. Ich bin ja Exklusivkünstler bei Universal. Falls dann eine Sache gerade nicht läuft und ich will etwas anderes veröffentlichen, muss ich es sowieso als erstes bei Universal anbieten. Wenn die das doof finden oder meinen, das ist nichts, dann können sie mich aus dem Vertrag entlassen. Aber theoretisch ist es ohnehin so, dass es dann, wenn ich etwas anderes mache, automatisch bei Universal landet. Das ist vertraglich von Anfang so festgelegt.

Ihr habt zu dem Album auch ein Liveprogramm gehabt, seid damit auf Tour gewesen und habt es dem Publikum vorgestellt. Was ist von dieser ersten GLEIS 8-Tour haften geblieben? Gab es besondere Momente? Was hat Euch am meisten beeindruckt?
Erst einmal hatten wir alle ganz viel Spaß. Und das Publikum sicher auch. Ansonsten weiß ich, dass Du diesen Job bei Deutsche Mugge schon eine ganze Weile machst. Hat Dir in dieser ganzen Zeit schon mal irgendjemand etwas Lustiges vom Tourleben erzählt? Tatsächlich wird diese Frage ganz oft gestellt, aber es passiert nicht wirklich etwas während so einer Tour. Man sitzt im Bus oder im Auto, fährt von einer Stadt in die nächste, dann wird aufgebaut, der Sound gecheckt, das Konzert gespielt und wieder abgefahren. Es ist also wirklich nicht so, dass ständig irgendwelche spektakulären Dinge vor, auf oder hinter der Bühne passieren.

Nein, das meine ich auch nicht. Aber es war ja so, dass dies die erste Tour von GLEIS 8 war. Das ist doch immer etwas Besonders für einen Musiker, oder?
Na klar, es war auf jeden Fall etwas Besonderes. Wir waren auch fürchterlich nervös, was wir vor unserer jetzigen zweiten Tour natürlich auch wieder sind. Wir müssen ja erst mal gucken, ob die Leute das überhaupt annehmen. Kurz zur Information: gestern haben wir ein einstündiges Radiokonzert beim NDR gegeben und konnten schon mal probieren und testen, ob unser neues Programm läuft. Und es scheint ganz gut zu funktionieren.

"Bleibt das immer so" haben wir bei Deutsche Mugge ausführlich vorgestellt. Ich war damals positiv überrascht, wie viel Spaß und Spielfreude da rüber kam, und vor allem, wie viel Rock in Dir steckt. Wo siehst Du persönlich die größten Unterschiede zwischen dem Debütalbum und der neuen Platte?
Das kann man selber immer ganz schwer beurteilen. Einige meinen, die neue Platte wäre etwas kommerzieller geworden, was ich aber nicht so recht glaube. Sie ist auf jeden Fall etwas sortierter und ein bisschen enger geworden. Also vom Sound her etwas dichter. Ansonsten haben wir diesmal von Null angefangen. Wir hatten also keine Texte oder Musik vom Vorgängeralbum übrig. Somit haben wir uns alle zusammen intensiv mit den Texten beschäftigt. Durch das, was zwischendurch passierte, ist die Platte vielleicht etwas melancholischer geworden. Ansonsten denke ich, dass wir uns untereinander besser kennengelernt haben und wissen, wie wir miteinander umzugehen haben. Dadurch wurde vieles vom Handling her einfacher.

004 20160301 1700804237Das beantwortet eigentlich auch schon die nächste Frage, denn Euer Sound hat sich nun mal deutlich hörbar verändert. Ich fand, gerade das erste Album hatte eine ganz eigene Handschrift, die ich auf dem neuen Werk etwas vermisse, die irgendwie verloren gegangen scheint. Vielleicht empfinde auch nur ich das so. Es ist aber keinesfalls Eure Absicht gewesen, auf Biegen und Brechen Euern Sound verändern zu wollen?
Nein, um Gottes Willen. Das Schöne an unserer Band ist ja, dass wir drei alle ziemlich unterschiedliche Musik hören. Wir können auch alle ziemlich gut um die Ecke denken. Es schmeißt also jeder etwas rein. Und wenn ich beispielsweise auf die Idee komme, ich hätte an der einen Stelle gerne einen Tuba-Chor, dann wird das verdammt nochmal auch ausprobiert. Solche verrückten Sachen darf jeder bei uns einbringen. Wenn das dann von allen für gut befunden wird, dann haben wir in dem Song eben einen Tuba-Chor drin. Wir hatten nun sicher nicht allzu viel Zeit zum Rumexperimentieren, aber ein bisschen experimentiert haben wir durchaus. Zum Beispiel sind auf der Platte wieder haufenweise schräge Chöre drauf. Die sind stellenweise so schräg, dass ich mir sicher bin, niemand anderes hätte das so gemacht. Anfangs dachten wir auch, das ist vielleicht ein bisschen zu viel, aber in der letzten Abmischung klang das dann doch gar nicht mehr so albern, sondern richtig gut. Wir sind da sehr offen und probieren eine Menge aus. Ja, möglicherweise klang die erste Platte noch etwas experimenteller. Aber die klang dafür auch vom Sound her eher durcheinander.

Das war ja gerade das Spannende daran, dass kein Song wie der andere klang.
Das ist richtig. Aber haben wir das jetzt nicht mehr geschafft?

Es ist ja nicht so, dass die Songs auf "Endlich" wie aus einer Gussform klingen. Es ist halt nur auffällig und unüberhörbar, dass sich bei Euch etwas getan hat.
Wir suchen auch immer noch weiter. Es kann also durchaus sein, dass die nächste Platte wieder ganz anders klingt. Aber sicher werden wir als nächstes keine Death Metal-Platte machen, obwohl man Elemente davon durchaus verwenden könnte, wenn man denkt, dass es zu den Songs passt. Vielleicht haben diesmal einfach nicht mehr Experimente in die Songs gepasst, dass kann sein.

Wie viel von Lorenz' Kreativität und Seele steckt noch in der neuen Platte? Hat der letzte Titel auf der CD, das "Lied zum Schluss", möglicherweise einen direkten Bezug?
Ja und nein. Es ist tatsächlich eins der letzten Lieder, an denen Lorenz noch mitgeschrieben hat. Es war seine Idee, er kam mit einer bestimmten Textzeile, nämlich "Ich wünsch Dir eine gute Reise", und auch musikalisch waren von ihm einige Sachen drin. Nun wussten wir natürlich, dass Lorenz krank ist, aber wir dachten doch nicht, dass Lorenz daran stirbt. Es ging uns schon darum, das Thema Tod zu thematisieren, jedoch in einer positiven Art und Weise. Es ging jedoch überhaupt nicht um ihn, denn es dachte doch kein Mensch daran, was dann mit Lorenz passiert ist. Spannend daran ist, dass wir den Song schon mal als Demo probiert hatten, aber mit einem völlig anderen Text. Und auf dieser Demoversion hatten wir bereits die Bläserparts aufgenommen. Das ist tatsächlich das letzte Material mit Bläsern, was wir von Lorenz haben. Wir konnten dann in den fertigen Song diese Bläser einsetzen, so dass Lorenz selbst physisch noch auf der Platte vertreten ist. Das finden wir alle sehr schön.

Überrascht war ich, als ich auf der neuen CD den RAMMSTEIN-Song "Engel" in der GLEIS 8-Version fand. Ist das eine Verbeugung vor der Arbeit der Band RAMMSTEIN, ist das ein Lieblingslied von Euch, oder welche Bewandtnis hat es, dass es der Song auf Euer Album geschafft hat?
Eigentlich alles auf einmal. Ich mag RAMMSTEIN sehr gerne, bin auch mit Teilen der Band befreundet. Sie kommen auch als Berlin und sind fast so lange in der Musik unterwegs wie ich. Man trifft sich, man sieht sich, man telefoniert miteinander. Es gibt also schon einen engen Bezug zu RAMMSTEIN. Es flog dann irgendwann mal die Frage durch den Raum: "Wenn wir was covern wollen, was sollte es dann sein?" Jemand meinte dann: "Wenn überhaupt, dann lasst uns was von RAMMSTEIN machen". Davon war ich sofort begeistert. Wir haben uns dann erst mal ganz, ganz viel RAMMSTEIN-Songs angehört. Wir merkten dann, viele Sachen eignen sich nicht wirklich für uns. Entweder war es textlich absolut nicht machbar, wenn es von einer Frau gesungen werden sollte. Es macht doch keinen Sinn, wenn ich "Mein Teil" singen sollte.

... oder "Bück dich"
Genau! Letztlich blieben wir bei "Engel" hängen. Aber wir wollten zunächst mal hören, wie es nur mit Klavierbegleitung klingen würde. Manne setzte sich dann hin und schrieb sich die Harmonien raus. Wir probierten es, fanden es superschön und sagten uns, dass man das durchaus so machen kann. Es war zwar nie geplant, die Nummer mit auf die Platte zu nehmen, aber nachdem wir es dann einige Male gespielt hatten, waren wir der Meinung, das klingt auch als Popsong richtig geil, also warum sollte der nicht einfach mit auf die CD? Darum fragten wir bei RAMMSTEIN nach, ob das okay wäre, denn es war ja nicht nur ein Cover, sondern schon eher eine echte Bearbeitung des Liedes. Die Jungs von RAMMSTEIN fanden das zum Glück super und so fand "Engel" den Weg auf das Album.

Mit dem zweiten Album steht auch Eure zweite Tour an. Wie weit sind die Vorbereitungen und was erwartet den Konzertbesucher, wenn er zu GLEIS 8 kommt?
Die beste Vorbereitung hatten wir ja bereits gestern mit dem NDR-Radiokonzert, auch wenn das nur eine Stunde lang war. Natürlich werden wir vor dem Start der Tournee noch ordentlich proben. Zu erwarten hat der Besucher eines Konzertes wieder sieben Musiker auf der Bühne. Es ist wieder die gleiche Band wie auf der letzten Tour. Wir haben also auch weiterhin die Harfe dabei. Ich denke, dass die Show knapp zwei Stunden gehen wird und einen Mix aus beiden Platten enthalten wird. Die Bühnen sind ja nun nicht sehr groß, was bedeutet, dass es kein großartiges Bühnenbild geben wird. Aber das wollen wir auch gar nicht, denn es soll in erster Linie um die Musik gehen. Wir hoffen, dass wir die Säle rocken werden. Bisher hat es uns großen Spaß gemacht und wir glauben alle, dass uns die gesamte Tour dann noch viel mehr Freude und Spaß machen wird.

Werdet Ihr das komplette Album live präsentieren, oder fallen einzelne Songs raus?
Diese Entscheidung ist noch nicht gefallen. Aber ich gehe mal davon aus, dass es fast alle Songs zu hören geben wird.

Worauf freust Du Dich besonders, wenn es auf Tour geht? Gibt es vielleicht sogar irgendwelche Orte, auf die Du Dich besonders freust?
Klar, vor allem auf Hamburg und Berlin. Die Orte, in denen man zuhause ist und wo die Freunde wohnen, sind natürlich immer am aufregendsten. Ansonsten gibt es Orte auf der Tour, wo wir noch nie waren. Zum Beispiel in Kaiserslautern, da war ich selbst mit ROSENSTOLZ noch nicht. Da bin ich sehr gespannt drauf und freue mich.

Also es gibt immer noch etwas Neues für Dich?
Auf jeden Fall. Ansonsten wäre das Leben ja total langweilig.

007 20160301 1341206488Die deutsche Musikszene ist im Pop-Bereich sehr gut aufgestellt, eigentlich so gut wie noch nie. Zahlreiche Solisten und Bands haben die deutsche Sprache für sich entdeckt und machen Musik in ihrer Muttersprache. Beobachtet Ihr das? Wie steht Ihr zu dem, was in letzter Zeit auf dem Markt passiert?
Klar, wir beobachten das auf jeden Fall. Ich habe mich beispielsweise tierisch gefreut, dass BOSSE endlich auf Platz 1 der Charts gelandet ist. Ich finde diese Entwicklung generell toll, denn es macht ja auch gar keinen Sinn, in einer fremden Sprache zu singen. Die Leute verstehen einen nicht und wenn man etwas zu sagen hat, sollte man das wirklich in seiner Muttersprache tun. Ein bisschen schade finde ich, dass es sehr viele Sachen gibt, die ähnlich klingen. Das ist meistens der Anfang vom Ende. Dennoch ist es eine wunderbar gewachsene Geschichte, dass in den letzten zehn Jahren aus jeder musikalischen Sparte etwas deutschsprachiges kam und man feststellte, die deutsche Sprache ist absolut machbar und gar nicht so hart, wie man immer dachte. Man kann also durchaus Klassik, Rock, Heavy Metal, Hip Hop, Pop und sonstiges auf Deutsch singen. Selbst Reggae kann man mit deutschen Texten versehen, das ist überhaupt kein Problem. Das ist also sehr gut. Aber derzeit entwickelt sich eine Richtung, in der sehr viele Künstler ganz ähnlich klingen, egal ob musikalisch, textlich oder stimmlich. Das finde ich schade, denn sobald solche Tendenzen erkennbar sind, ist der Trend auch bald vorbei. Außerdem bekommt der handgemachte deutsche Pop dadurch auch eine Art Langweiligkeitsfaktor verpasst, was ich überhaupt nicht begrüßen würde.

Viele Angebote bedeuten ja dann auch viel Konkurrenz um den Platz an der Sonne. Gerade im TV sind ja Sendungen, die Musik wie die Eure präsentieren, rar gesät. Wie geht Ihr das an, um besonders auf Euch aufmerksam zu machen? Gibt es vielleicht in nächster Zeit schon Fernsehtermine für GLEIS 8?
Leider nicht. Im Rahmen unserer Veröffentlichungswoche für das neue Album hatten wir ein paar Fernsehgeschichten. Aber Du hast vollkommen Recht, es gibt eigentlich fast überhaupt nichts mehr für uns. Wir können nur hoffen, dass Management und Plattenfirma da noch etwas klar machen können.

AnNa, wenn wir schon so schön beieinander sind ... lass uns noch ein bisschen über Deine Karriere plaudern. Du bist ja gebürtige Ostberlinerin und hast schon zu DDR-Zeiten Deine ersten Versuche in Richtung Musik gemacht. Wie lief das damals, wie bist Du zur Musik gekommen?
Das kann ich Dir ehrlich gesagt nicht beantworten, denn ich habe schon immer gesungen, war sozusagen ein "singendes Kind". Ich weiß nicht, ob meine Eltern das damals immer gut fanden. Irgendwann ging ich in einen Chor und sang von da an regelmäßig. Nach Beendigung der Chorzeit und der Schule meinte mein Chorleiter, ich solle unbedingt weitersingen, was ich dann auch machte.

Da gab es dann irgendwann sicher auch die ersten Bands ...
Nein, damals gab es noch keine Band. Es gab eine Art Ensemble, das nannte sich STREET LIFE. Und dieses Ensemble bestand aus ziemlich vielen meiner Freunde, die wiederum aus den verschiedensten Gewerken kamen. Es waren Skateboarder dabei, Rollerskater, Breakdancer, ein paar Hiphopper und Rapper. Ich sang dort mit meiner Freundin immer die Eröffnungsnummer. Diese Freundin war übrigens die Tochter von Angelika Weiz, die dazu Saxophon spielte. Die Qualität dieses Programms hielt sich vermutlich sehr in Grenzen, aber wir hatten Spaß.

Du hast ja dann, wie in der DDR üblich, einen bürgerlichen Beruf erlernt. Was war das bei Dir?
Chemielaborantin.

Hast Du auch in dem Job gearbeitet?
Ja, habe ich. Danach machte ich auch noch einen Haufen anderer Jobs, bis ich nebenbei gar nicht mehr arbeiten konnte, weil ich keine Zeit mehr dafür hatte.

Im Jahre 1991 hast Du mit Peter Plate zusammen die Gruppe ROSENSTOLZ gegründet. Der ist Hamburger, Du bist Berliner. Wie habt Ihr Euch gefunden?
Nein, das stimmt nicht, denn eigentlich ist Peter in Goslar aufgewachsen. Er ging dann auch nicht nach Hamburg, sondern direkt nach Berlin. Dort liefen wir uns dann über den Weg.

Wie kam die Idee zustande, ROSENSTOLZ zu gründen?
Wie das eben so ist, wenn man blutjung ist ... Wir wurden einander vorgestellt bzw. einander empfohlen, denn Peter brauchte eine Sängerin. Er machte ja schon länger Musik und ging deshalb auch nach Berlin, weil er sich dachte, hier ist die Szene größer und es bieten sich bessere Möglichkeiten. Peter brauchte also eine Sängerin, ich wollte auch Musik machten, dachte aber eigentlich eher an einen Pianisten, denn meine Pläne gingen seinerzeit noch in die Richtung, mit Klavier und Gesang aufzutreten. Konkrete Vorstellungen darüber hatte ich jedoch keine. Wir trafen uns dann also mal, er spielte mir was von sich vor und ich ihm von mir. Wir fingen dann einfach an zusammen Musik zu machen, dachten gar nicht weiter darüber nach. In einem bestimmten Alter tut man es einfach, ohne sich großartig Gedanken darüber zu machen.

Ihr habt lange gebraucht, bis ROSENSTOLZ sich in der Szene einen Namen machte und kommerziell erfolgreich wurde, wie man so schön dazu sagt. Ich weiß jetzt gar nicht genau, wann der große Durchbruch kam, aber bis es soweit war, habt Ihr eine lange Durststrecke hinter Euch gebracht. Wie motiviert man sich da?
Zum Glück konnten wir immer wieder über unsere Konzerte etwas reinholen. Wir hatten halt das Pech, dass damals gerade die Schwächephase der deutschsprachigen Musik anfing. Deutsch zu singen war also gerade extrem uncool. Man verband damit eigentlich nur Betroffenheits-Rock. Es gab nur noch Lindenberg und Grönemeyer, aber selbst die hatten in dieser Zeit nicht wirklich viele Hits am Start. Sonst lief da wirklich nichts deutschsprachiges, die Radiostationen haben es sogar regelrecht verweigert, deutsche Songs zu spielen. Wir spielten aber schon immer viel live und hatten uns glücklicherweise schon eine echte Fangemeinde erspielt. In Berlin haben wir sogar richtig große Konzerte gehabt. Irgendwann kam man dann an uns auch nicht mehr vorbei, zumal sich die Szene inzwischen auch ein wenig geöffnet hatte. Es war also tatsächlich pures Livespielen, was uns nach oben gebracht hat.

Du selber hast neben ROSENSTOLZ auch immer noch etwas anderes gemacht. Unter anderem hast Du 2005 bei SILLY als Gastsängerin in deren großen Programm gesungen. Wie bist Du denn dazu gekommen?
Auch das lag nahe. Durch meine lange Zeit in Ostberlin kannte man sich, lief sich immer mal über den Weg. Ich kannte auch Tamara. Außerdem war ich mit der Tochter von Angelika Weiz befreundet, lernte auch die Musiker von KNORKATOR kennen, es war also irgendwie alles nahe beieinander, so dass es zwangsläufig nahe lag, dass SILLY irgendwann mal bei mir anfragten. Da bekam ich sogar umgehend das Okay von Peter, der es eigentlich gar nicht mochte, wenn ich nebenbei etwas anderes machte. Aber er war eben auch ein großer SILLY-Fan. Die Sache machte mir großen Spaß, auch wenn es alles etwas merkwürdig und anders war, denn ich musste ja ständig auf die Bühne rauf und wieder runter. Den anderen ging es natürlich nicht anders, denn es waren ja viele Künstler beteiligt. Es war auf jeden Fall eine tolle Sache für das Publikum, denen damit nicht das Gefühl vermittelt wurde, Tamara würde nun vollständig durch jemand anderen ersetzt.

Ich konnte es damals leider nicht live erleben, zumal es ja auch zeitlich begrenzt war. Welche Lieder hast Du in dem Programm gesungen?
Ich habe einen Song, nämlich "Bataillon d'amour", an JOACHIM WITT abgegeben, weil der in der einen Show zu wenig Songs hatte. Ansonsten habe ich "Paradiesvögel", "Wo bist du", "S.O.S" und "Mont Klamott", sowie noch eine weitere Nummer gesungen, die mir jetzt aber nicht mehr einfällt.

Nochmal zurück zu Rosenstolz. Es waren insgesamt fünf Alben, die Ihr gemacht habt. Vier davon konnten sich in den Charts gar nicht platzieren. Mit "Die Schlampen sind müde" gab es 1997 mit Platz 31 einen kleinen Erfolg. Ab 1999 ging es dann aber steil bergauf. Platz 1, Platz 3, Platz 2 in den Album-Charts - Ihr habt da richtig abgeräumt. Wie hat sich dadurch das Leben für Euch als Band verändert, als plötzlich der Umbruch und der Erfolg da war?
Es wird auf jeden Fall alles größer und professioneller, aber auch weniger mit Herz. Daraus möchte ich aber niemandem einen Vorwurf machen. Wir haben trotz des Erfolges immer darauf geachtet, möglichst authentisch zu bleiben und immer noch möglichst viel Herzblut reinzustecken, sei es nun bei der Covergestaltung oder den Songs an sich. Aber irgendwann kannst Du das nicht mehr, es ist einfach unmöglich, weil die Maschinerie drum herum zu groß wird. Und der Druck natürlich auch, den man dann hat. Die Pausen waren auch nicht lang genug, die man gebraucht hätte, um sich zwischendurch vollständig von all dem zu erholen. Einerseits war es sehr spannend, andererseits waren und sind weder Peter noch ich große Fans von solchen Rote-Teppich-Veranstaltungen. Du musst das dann aber trotzdem mitmachen. Aber es war für uns beide unangenehm, weil wir es beide nicht mochten. Es war also einerseits für uns gut, andererseits aber auch erschreckend. Wenn Du erst dann raus gehen darfst, wenn z.B. die Köstritzer-Werbung anfängt und Du Dich überlebensgroß an jeder Ecke siehst, das kann einem schon ein wenig Angst machen. Aber natürlich war es auch toll, mal in den ganz großen Hallen zu spielen und einen riesengroßen Bühnenaufbau zu haben mit diversen Treppen, Schaukeln und sonstigem Zeug, und trotzdem noch eine Band zu sein. Es hat jede Menge Spaß gemacht, das bedeutete aber auch härtere Arbeit. Also nicht unbedingt während des Konzertes, denn je größer die ganze Sache wird, um so weniger hart musst Du auf der Bühne arbeiten, weil das Publikum das von selber tut. Jetzt hingegen, wo wir wieder auf kleineren Bühnen unterwegs sind, muss ich wieder viel härter arbeiten. Ich bin mit dem Publikum auf Augenhöhe und wenn ich da etwas verschluder, sieht man das sofort. Gerade wenn neue Leute zu uns kommen, die wir erst noch überzeugen müssen, dass GLEIS 8 auch ganz gut und ROSENSTOLZ nicht der Nabel der Welt ist, dann muss ich die sofort und möglichst ab dem ersten Ton abholen. Da gibt es für mich keinerlei Chance mich zurückzulehnen und zu sagen: "Ach, das wird schon laufen".

Man kann also sagen, Du fängst mit GLEIS 8 wieder ganz von vorne an?
Genau. Aber ein bisschen haben wir mit dem ersten Album ja schon vorgearbeitet. Das zweite steht in den Startlöchern. Grundsätzlich ist es aber wirklich eine tolle Erfahrung, nochmal neu anzufangen.

Im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends hast Du ja ständig irgendwelche Preise entgegengenommen. Ich weiß gar nicht, wie viel Gold- und Platinschallplatten Ihr abgeräumt habt. Hast Du dafür eigentlich eine extra Garage angemietet?
Echos, Bambies ... Das fand ich schon etwas schräg. Ich dachte, vielleicht entschädigt man uns für die Jahre, in denen man uns nicht so wahr genommen hat. Manchmal dachte ich, wir kriegen Preise fürs Lebenswerk, denn irgendwie bekamen wir alles, was an Preisen nur ging. Selbst das Bundesverdienstkreuz. Und nein, natürlich habe ich dafür nichts extra angemietet. Ein Teil der Goldenen Schallplatten ist tatsächlich noch verpackt, weil ich gar nicht den Platz habe, alles aufzuhängen.

Dann drücke ich Dir die Daumen, dass das mit GLEIS 8 so weitergehen wird.
Ach, das wäre schön. Ich glaube, wir würden ein riesiges Tam-Tam veranstalten, wenn wir mal eine Goldene kriegen würden.

Gibt es schon Pläne über "Endlich" und das Jahr 2016 hinaus?
Davon gehe ich mal aus, zumal wir festgestellt haben, wir haben noch lange nicht genug. Wir mögen uns alle wirklich gerne. Und dadurch, dass wir nicht zusammengezogen sind, um das mal mit einer frischen Beziehung zu vergleichen, haben wir praktisch eine Art Fernbeziehung, die dadurch noch relativ frisch ist. Mal fahre ich nach Hamburg, mal kommen die Jungs nach Berlin. Wir erdrücken uns also noch nicht gegenseitig, sondern haben alle genug Luft zum Atmen. Ich denke mal, nach der Tour machen wir alle einen kleinen Urlaub und werden danach mit neuen Songs anfangen.

Daran schließt sich dann auch meine letzte Frage an. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass ROSENSTOLZ nochmal zurückkommt?
Im Moment nicht besonders groß. Ehrlich gesagt habe ich darauf gerade keine richtige Lust und auch Peter hat zur Zeit genug zu tun. Ich glaube, wir beide genießen das auch, mal was anderes zu machen. Vielleicht hätten wir das schon viel früher machen müssen, um mal frische Luft zu schnuppern und andere Welten zu sehen. Ganz ausgeschlossen ist es natürlich nie, man weiß es nicht. Im Moment habe ich aber eher das Bedürfnis, mich weiterhin mit GLEIS 8 zu beschäftigen.

Vielen Dank für das Gespräch. Ich wünsche Dir und Euch viel Erfolg mit dem Album und der Tour.
Vielen Dank.


Interview: Christian Reder
Bearbeitung: tormey, cr
Fotos: Pressematerial Universal





 
 
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"Trotzdem"